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1Fables Of Faubus00:37:36
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.08.2014

Traurige Erinnerungen an fettere Jahre

Bitte keine weiteren Klagen über das kollektive Versagen der musikproduzierenden Industrie! Europaweit sind die Majorlabels seit Jahren damit beschäftigt, einander gegenseitig aufzufressen. Wir als Zeitungsmacher haben dafür vollstes Verständnis. Nebenbei müssen die Ärmsten ja auch noch täglich dem Online-Götzen vergebliche Brandopfer bringen, nebenbei müssen sie, in Erinnerung fetterer Jahre, sich selbst zu Grabe zu tragen, in schönen, dicken, billigen Recycling-Boxen. Wie soll man sich in all dem Schlamassel auch noch um die Musik, um die Künstler, um die Themen von heute kümmern? Nur in München, da gibt es ein kleines, unbeugsames Label, das Widerstand leistet. Ja, zum Glück gibt es immer noch Manfred Eicher. Zum achtzigsten Geburtstag des Komponisten Harrison Birtwistle hat Eicher fünf der besten lebenden Musiker zusammengetrommelt und teils sogar, wie die Geigerin Lisa Batiashvili, bei einem Majorlabel ausgeliehen, um eine Studio-Aufnahme mit Birtwistles Kammermusiken und Liedern zu organisieren (ECM/Universal). Das Ergebnis ist nicht nur ein Solitär der Repertoirepolitik. Es ist ein spektakuläres Konzept-Album daraus geworden: Ein Gedicht! Ein Geschenk! Ein Kunstwerk für sich! Amy Freston singt die zwölftönigen, zerbrechlich-süßen, minutenkurzen Rätsel-Lieder nach Texten von Lorine Niedecker mit ihrer kleinen, weißen Pierrot-Stimme wie eine Schlafwandelnde im Traum. Ihr einziger Begleiter, der Cellist Adrian Brendel, gibt gut darauf acht, dass sie nicht abstürzt: bietet ihr zuverlässig feste Stütztöne in der Tiefe an, wirft feine Rettungsseile aus, die hohen Kantilenen im Diskant-Echo voraus- oder nachspinnend. Danach begleitet Brendel, gemeinsam mit dem Pianisten Till Fellner, den Bariton Roderick Williams durch die Rilke-Meditationen Birtwistles, genannt "Bogenstrich", komponiert 2009 zum Geburtstag für Alfred Brendel. Herzstück dieses Albums aber ist das Klaviertrio von 2011, das so irreführend klassisch anfängt mit durchbrochener Arbeit, zusteuernd auf einen ostinaten, linkshändigen Höhepunkt. Deswegen und zu Recht trägt diese Platte den lakonischen Titel "Chamber Music".

eeb.

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Im Jahr 1899 ließ sich Arnold Schönberg vom Dichter Richard Dehmel zu seinem Werk "Verklärte Nacht" anregen. Und Richard Strauss schrieb, ebenfalls nach Dehmel, ebenfalls 1899, sein radikalstes Lied überhaupt: Es heißt "Notturno", ein heute kaum mehr gespieltes, knapp viertelstündiges Wagnis. Es geht darin um die Begegnung mit dem Leibhaftigen. Bariton Thomas Hampson stellte jetzt "Notturno" kühn ins Zentrum seines neuen Lieder-Albums (DG/Universal). Finster-großartig gestaltet er zusammen mit seinem Klavierpartner Wolfram Rieger diese Vision - es ist dies ein ganz anderer als der "Rosenkavalier"-Strauss: lichtlos, vergrübelt, dissonant, radikal, (noch) ein Zeitgenosse der jungen Moderne. Und würde der Geiger Daniel Hope nicht ein paar larmoyante Totenfidelseufzer ins Zwiegespräch zwischen Klavier und Stimme streuen, Hampson könnte einen glatt das Fürchten lehren! Die übrige Programmfolge, chronologisch angeordnet, enthält einige der allerberühmtesten Strauss-Lieder, von "Zueignung" über "Morgen" bis "Heimliche Aufforderung". Mag sein, dass Hampsons Bariton in den expansiveren Passagen nicht mehr, wie früher, den vollen Glanz für weitgespannte Bögen aufbringt. Aber dafür wirken seine Qualitäten als wortklug gestaltender Interpret umso stärker bei Kabinettstücken wie den späten Rückert-Vertonungen aus Opus 87 - besonders schön bei "Im Sonnenschein" aus dem Jahr 1935.

wild.

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Zufall oder Trend? Der derzeit enorme Ausstoß an luxuriösen Sammelausgaben im Jazzbereich kann als Bestätigung einer von den Auguren schon länger vorhergesagten Entwicklung der Schallplatte gedeutet werden - hin zum teuren Souvenir, hin zur Jugenderinnerung. Nehmen wir etwa diese Box, die "Peter Kowald Discography" (Jazzwerkstatt) heißt und zum größten Teil Neuveröffentlichungen des 2002 gestorbenen Bassisten der freieren Stile enthält, dazu in einem 200 Seiten starken Booklet ein Gesamtverzeichnis seiner Platten, Videos sowie viele Texte seiner schreibenden und Musik machenden Freunde enthält - eine unglaubliche Liebes- und Fleißarbeit und ein einmaliges Dokument des auch schon vor der Wende gesamtdeutschen und international vernetzten Free Jazz. Eine weitere überragende Kompilation der Jazzwerkstatt ist die Vier-CD-Box, die sich dem 1979 gestorbenen Charles Mingus widmet. Sie präsentiert jeweils drei verschiedene Interpretationen der Stücke des zornigen Komponisten und Bandleaders. Mingus Dynasty, Ulrich Gumpert Workshop Band und The Independant Jazzwerkstatt Orchester heißen die Ensembles, die insgesamt den "Werk"-Charakter des explosiven Traditionsentwicklers bestätigen. Einmal ist Mingus auch selbst vertreten - als braver Bassist eines Klaviertrios. Und der opulente Begleittext von Thomas Fitterling ist vielleicht das unterhaltsam Geistreichste, was aus einer deutschen Feder zum Thema Mingus bisher geflossen ist.

u.o.

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