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"Der lange Atem" spielt eineinhalb Jahre nach der verheerenden Fukushima-Tsunami-Katastrophe in einer der betroffenen japanischen Provinzen. Ein Inspektor, früher zuständig fürs Zeichnen von Phantombildern gesuchter Krimineller, ist nach dem Tsunami mit seiner Frau in deren zerstörtes Heimatstädtchen zurückgekehrt.
Er verfertigt anhand von Fotos der entstellten Gesichter der Tsunamiopfer möglichst präzise Phantomzeichnungen, damit den Hinterbliebenen die Identifizierung ihrer Angehörigen zumutbar wird. Der Zeichner stellt sich dieser Herausforderung von ganzem Herzen, mit all seinem Talent
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Produktbeschreibung
"Der lange Atem" spielt eineinhalb Jahre nach der verheerenden Fukushima-Tsunami-Katastrophe in einer der betroffenen japanischen Provinzen. Ein Inspektor, früher zuständig fürs Zeichnen von Phantombildern gesuchter Krimineller, ist nach dem Tsunami mit seiner Frau in deren zerstörtes Heimatstädtchen zurückgekehrt.

Er verfertigt anhand von Fotos der entstellten Gesichter der Tsunamiopfer möglichst präzise Phantomzeichnungen, damit den Hinterbliebenen die Identifizierung ihrer Angehörigen zumutbar wird. Der Zeichner stellt sich dieser Herausforderung von ganzem Herzen, mit all seinem Talent - getragen von der Hoffnung, dabei mitzuhelfen, die Welt der Hinterbliebenen wieder zurechtzurücken, wieder hinreichend "in Ordnung" zu bringen.

Mit dem "Zurückzeichnen" der entstellten Gesichter, mit dem "Wegzeichnen" der Wunden macht Nina Jäckle erahnbar, erfahrbar, was die Überlebenden auch heute noch zu bewältigen haben - und wie es ist, mit der atomaren Bedrohung, radioaktiven Verseuchung, mit Angst und Einsamkeit "fertig" zu werden. Wie es ist, in einer geisterhaften Ebene zurückzubleiben, in der alles, was bislang das Leben war, auf einen Schlag nicht mehr ist.
Autorenporträt
1966 im Schwarzwald geboren, absolvierte Sprachschulen in der französischen Schweiz und in Paris. Sie wollte eigentlich französische Literatur übersetzen, beschloss dann aber, lieber selbst zu schreiben. 1995 wurde ihr erstes Hörspiel produziert, dem viele weitere folgten. Ihre ersten Bücher erschienen im Berlin Verlag: "Es gibt solche", "Noll", "Gleich nebenan" und "Sevilla". Bei Klöpfer & Meyer erschienen 2010 mit großem Erfolg ihre Erzählung "Nai oder was wie so ist" sowie 2011 ihr Roman "Zielinski".

Nina Jäckle erhielt etliche Stipendien und Preise für ihre Texte, zuletzt 2013 das Arbeitsstipendium des deutschen Literaturfonds.. Sie wurde ins Französische und Spanische übersetzt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.06.2014

Die Klangschreiberin
„Der lange Atem“: Die in München lebende Schriftstellerin Nina Jäckle hat sich für einen
beeindruckenden Roman mit den Auswirkungen der Tsunami- und Nuklearkatastrophe in Japan beschäftigt
VON ANTJE WEBER
Es war der elfte März, und das Meer atmete aus, ins Land hinein atmete es aus und dann atmete es tief wieder ein. Das Meer sog in sich auf, wer da saß, wer da spielte, wer da schlief, wer da lachte oder schwieg, wer da noch jung war oder bereits alt, übermütig, einsam oder in einer Umarmung.“ Die Erde bebte, das Meer kam in einem Tsunami über das Land, über die Menschen, und in gleich drei Reaktoren des Kernkraftwerks Fukushima Daiichi folgte der Super-Gau. „Das Meer ließ eine Kante zurück“, so liest sich das bei Nina Jäckle; eine Kante, „die nun auf ewig markiert, wo das Glück sich aufhielt, an jenem elften März um vierzehn Uhr sechsundvierzig, und wo das Glück in diesem Moment nicht war“.
  Das Glück hielt sich offensichtlich in der Nähe des Ich-Erzählers auf, den die Münchner Schriftstellerin Jäckle in ihrem Roman „Der lange Atem“ (Klöpfer & Meyer) als einen Überlebenden beschreibt: Er und seine Frau waren an jenem Tag, an dem die Welle ihr Haus, ihre Nachbarn, ihre Verwandten ins Meer spülte, zufällig nicht zu Hause. Doch wie mit der entsetzlichen Ruhe und Leere nach dem Sturm fertig werden, wie mit den Erinnerungen, dem Verlust, der Trauer? Der namenlose Ich-Erzähler hat eine eigene Strategie gefunden, das kollektive Trauma zu überwinden: Als Inspektor fertigte er früher Phantombilder von Straffälligen an; jetzt rekonstruiert er zeichnend die Gesichter von entstellten Tsunami-Opfern, damit die Verwandten sie identifizieren können: „Ich bin Mittelsmann zwischen den Toten und den Hinterbliebenen, ich verwalte nummeriertes Schicksal, ich bin deshalb kein guter Mensch.“
  Auf alle Fälle widmet dieser Mensch sich einer guten Sache. Als Nina Jäckle nach der Fukushima-Katastrophe einen kurzen Fernseh-Beitrag über einen solchen Inspektor sah, war sie derart beeindruckt von diesem so einfachen wie klugen Krisenmanagement, dass es sie sofort packte, und sie wusste: „Das ist mein Stoff.“ Wie ausgedacht habe die Symbolik auf sie gewirkt, sagt sie, dieser Versuch, „Wunden wieder wegzuzeichnen“.
  Nach diesem ersten, eher literarischen Impuls fing Jäckle an zu recherchieren. Und natürlich drängte sich schnell das Thema Atomkraft in den Vordergrund und versetzte die 1966 im Schwarzwald geborene Autorin in die eigene Jugend zurück: „Ich bin auch so ein Salat-Mädchen“, sagt sie, „ich bin aus der Generation des Atomkraft-nein-danke-Aufklebers, ich bin auch marschiert.“ Vielleicht hat es sie deshalb besonders stark berührt, als sie im Fernsehen sah, wie japanische Mädchen mit umgehängten Geigerzählern herumliefen: „Die Bilder haben sich mir eingebrannt.“ Jäckle hat sich dem ausgesetzt, sie hat aufgeschrieben, was ihr auf der Seele brannte, auch wenn sie heute sagt: „Das war mein traurigstes Jahr.“ Denn sie habe sich für ihren Roman ja im Grunde nichts ausgedacht, sondern das Leben der betroffenen Menschen in Japan nur „in der Zusammenstellung poetisiert“.
  Das Ergebnis ist mitnichten ein gefühliger, sondern ein schlackenloser, geradezu nüchtern wirkender Roman. „Ich mag Texte ohne Adjektive“, sagt Jäckle, „ich bin kein blumiger Schreiber.“ Sie fühlt sich dem nouveau roman nahe, artifiziellen Texten. Was nicht bedeutet, dass Jäckles Prosa keine Emotionen weckte. Es stört im Übrigen auch nicht, dass sie sich der japanischen Kultur und Mentalität ausschließlich aus der Ferne angenähert hat, ohne selbst hinzufahren: „Ich habe mich in einen Menschen hineingedacht, nicht in einen Japaner“, sagt sie. Ihr geht es um universelle Erfahrungen, um Innenwelten, sie interessiert sich für „Menschen in Schachtel-Situationen“.
  Was diesen Text so suggestiv macht – wie frühere Romane von Jäckle, von „Noll“ bis „Zielinski“ –, ist weniger die Handlung; „auf den Plot kommt es mir gar nicht so richtig an“, sagt sie selbst. Es ist vor allem das stilistische Feingefühl, es ist der gut austarierte Rhythmus, der diesem Roman seinen Sog verleiht. Deshalb überrascht es nicht, dass die immer wieder mit Stipendien und Preisen ausgezeichnete Autorin in den Neunzigerjahren mit Hörspielen angefangen hat. Und es verwundert auch nicht, dass sie sich ihre Texte beim Tippen laut vorliest: „Ich bin eine Klangschreiberin.“
  Tatsächlich scheinen die Sätze und Absätze in ihrem Roman wie Wellen zu kommen und zu gehen, auf den ersten Blick immer gleich, doch immer ein bisschen anders. Denn auch wenn dieser Text stets von Neuem an denselben Punkten zu landen scheint, erzählt er doch von zunächst kaum merklichen Veränderungen, die am Ende einen schroffen Bruch auslösen. So wie das Meer, das an jenem 11. März 2011 eine Grenze markierte, die Kante zwischen dem Unglück und dem Glück.
Nina Jäckle: Der lange Atem , Lesung am Dienstag, 3. Juni, 19 Uhr, Residenz, Bibliothekssaal der Staatlichen Münzsammlung, ☏ 22 72 21 
Zeichnend rekonstruiert
der Ich-Erzähler die Gesichter
der entstellten Opfer
Das über Jahre aufgebaute Leben ist nur noch ein Haufen Trümmer. Eine Überlebende der Tsunami-Katastrophe sitzt am 14. März 2011, drei Tage, nachdem die Welle kam, vor dem, was das Wasser übrig ließ.
Foto: dpa
Schlackenloser Stil: die Autorin Nina Jäckle.
Foto: Michael Schröder
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"'Der lange Atem': intelligent und virtuos komponiert. Nina Jäckle ist eine raffinierte Erzählerin ganz eigener Intensität."
Veit Heinichen

"Auf der Suche nach einer Schriftstellerin, die
mich nicht im Stich lässt, mir Sätze zuflüstert,
die ich nicht vergessen kann und deren erzählte
Welten sich auftun wie Türen - mit immer
neuen Beobachtungen des Nie-Immergleichen -
da fand ich Nina Jäckle."
Nora Gomringer