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Eine Biographie des Renaissancekünstlers Piero della Francesca, eine seltsame Liebesgeschichte und die Aufzeichnungen eines Erzählers auf der Suche nach dem in Italien verschollenen Freund: »Ein Puzzle, eine Art Rätseltext der wie in einer Detektivgeschichte auf den Spürsinn des Lesers vertraut.«

Produktbeschreibung
Eine Biographie des Renaissancekünstlers Piero della Francesca, eine seltsame Liebesgeschichte und die Aufzeichnungen eines Erzählers auf der Suche nach dem in Italien verschollenen Freund: »Ein Puzzle, eine Art Rätseltext der wie in einer Detektivgeschichte auf den Spürsinn des Lesers vertraut.«
Autorenporträt
Faes, UrsUrs Faes, 1947 geboren, lebt und arbeitet in Zürich. Seine Werke wurden vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Schweizerischen Schillerpreis und dem Zolliker Kunstpreis. Seine Romane Paarbildung und Halt auf Verlangen standen auf der Shortlist für den Schweizer Buchpreis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.06.1998

Zwölf graue, graue Bögen
Alt ist neu: Urs Faes malt die Welt in dunklen Farben

Was kann man wissen von einem Menschen? Eindringlich durchzieht diese Frage das jüngste Buch des Schweizers Urs Faes, der seit seinem ersten Roman "Webfehler" (1983) seine Figuren immer wieder in heikle Krisen führt. Daß er keine erschöpfende Antwort findet, überrascht zwar nicht, verstärkt aber den Reiz der Lektüre.

Aus der Sicherheit seines bürgerlichen Lebens macht sich ein Schweizer Bibliothekar nach Italien auf, um dort nach dem verschollenen Schriftsteller Lem zu suchen. Das ist ein unsteter Einzelgänger, der sich, von Schaffenskrisen geplagt, zum Schreiben in ein umbrisches Dorf zurückgezogen hat. Bis dorthin verfolgt der besorgte Freund die Spur des Vermißten, doch von den entgegenkommenden Dorfbewohnern erhält er kaum Auskunft über das Leben des allseits respektierten Professore. Ja, mehr und mehr scheint es ihm, daß alle etwas zu verbergen haben, der besorgte Küster ebenso wie der aufdringliche "Jagdwarenhändler", der vorausschauend schon ein Grab für den Verschwundenen reserviert hat. Die Möglichkeit eines Verbrechens deutet sich an. Doch wer ist Täter, wer Opfer?

Im Hause Lems stößt der Bibliothekar auf verschiedene Manuskripte, in denen er dem Geheimnis auf die Spur zu kommen sucht. Aber Detektiv wie Leser bewegen sich bald auf schwer überschaubarem Gelände, denn die kaum entfaltete Kriminalgeschichte wird nun von zwei anderen Erzählungen überlagert: Da ist zunächst Lems letzte, unvollendete Arbeit, die spröde Liebesgeschichte des Literaturwissenschaftlers Osch. Der an einer Hautkrankheit leidende Dozent der Universität Perugia begegnet einer Kunsthistorikerin, die Leben und Werk des Renaissancekünstlers Piero della Francesca erforscht. Dieser Maler, der im fünfzehnten Jahrhundert tatsächlich in Umbrien gelebt hat, wird zur zweiten Hauptfigur des Romans. Seine fiktive Biographie, von Lem auf zwölf grauen Bogen niedergeschrieben, ist den erzählenden Kapiteln des Buches beigeordnet. Im Mittelpunkt stehen dabei die Bilder und Fresken Pieros, die bis heute mit ihrem kalkulierten Bildaufbau und der individuellen Figurendarstellung den Fachleuten Rätsel aufgeben.

Durch die ausführlichen Bildbeschreibungen und Reflexionen über das Wesen der Malerei aber gerät man unversehens in eine Künstlernovelle hinein. Mehr noch als das Geschick des verschwundenen Schriftstellers beschäftigt Urs Faes die Frage nach dem Verhältnis von Kunstwerk und Realität: Läßt sich die Wirklichkeit überhaupt in einem Gemälde oder einer Erzählung erfassen? Die bekannte Antwort des Horaz - "ut pictura poesis" - mochte in der Renaissance noch Verbindlichkeit beanspruchen, dem modernen Künstler kann sie nicht mehr genügen. So entwickelt Faes aus den Bildern des umbrischen Malers denn auch seine eigene Poetik, die das Bruchstückhafte der Wahrnehmung betont und dort den Schatten nachzuspüren versucht, wo die Lichtquelle verborgen bleibt. Umbrien selbst wird zu einer Landschaft des Schattens, in der matte, erdfarbene Töne dominieren. Der Titel des Romans spielt darauf an. Am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts kann diese Hinwendung zum Dunklen und Fragmentarischen freilich längst nicht mehr den Anspruch erheben, neu oder gar originell zu sein.

Überhaupt kommt einem manches bekannt vor: Das Ineinander der verschiedenen Handlungsstränge läßt an romantische Erzählformen denken, und es wundert nicht, daß sich der schreibende Lem mehrfach auf sein Vorbild Novalis beruft. Daneben fühlt man sich an die verschachtelten Texte E. Th. A. Hoffmanns erinnert. Für Urs Faes jedoch hat Poesie nicht mehr die Kraft, die Wirklichkeit zu übersteigen. Immer wieder betont er, daß auch der Künstler der Realität nicht entfliehen kann. So wie die Menschen der Renaissance von Kriegen und Pest heimgesucht wurden, ist die Welt des Ich-Erzählers von privatem Unglück und vom Krieg in Jugoslawien überschattet. Fast zu aufdringlich schon spielt hier die Gegenwart der neunziger Jahre in den Roman hinein; selbst die ambivalente Rolle der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs - das zentrale Thema von Faes' "Sommerwende" (1989) - wird ohne rechten Zusammenhang erwähnt.

An die Stelle der mittelalterlichen Seuchen aber sind neue Krankheiten getreten. Am Ende wird die Leiche des Vermißten gefunden, der sich offenkundig unheilbar infiziert glaubte. Das Wort "Aids" bleibt unausgesprochen, doch fällt sein kräftiger Schlagschatten auf diesen Tod, dessen nähere Umstände bis zuletzt im dunkeln bleiben. Ist die Gegenwart also nur eine Wiederholung des Vergangenen in neuen Farben? Auch diese Frage bleibt offen, denn so einfach geht es in der Welt wohl doch nicht zu. SABINE DOERING

Urs Faes: "Ombra". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1997. 240 S., geb., 36,- DM.

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