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Den alt gewordenen Kibbuzfunktionär Schraga Unger treibt nur noch ein Gedanke um. Er fürchtet sich vor dem "Plan der Bolschewiken, zuerst das jüdische Volk auszurotten, um danach die ganze Welt zu zerbröckeln". Doch in seinem Kibbuz hört ihm keiner mehr zu. Die heranwachsende Generation hat, wie Unger resigniert feststellt, andere Interessen als das Schicksal des jüdischen Volkes und seine ewige Bedrohung. "Sie rennt und tanzt, hat ihre Spiele." So bleiben dem alten Mann nur seine Erinnerungen an den beeindruckenden Redner und politischen Visionär, der er einst war. Und das offene Ohr einer…mehr

Produktbeschreibung
Den alt gewordenen Kibbuzfunktionär Schraga Unger treibt nur noch ein Gedanke um. Er fürchtet sich vor dem "Plan der Bolschewiken, zuerst das jüdische Volk auszurotten, um danach die ganze Welt zu zerbröckeln". Doch in seinem Kibbuz hört ihm keiner mehr zu. Die heranwachsende Generation hat, wie Unger resigniert feststellt, andere Interessen als das Schicksal des jüdischen Volkes und seine ewige Bedrohung. "Sie rennt und tanzt, hat ihre Spiele." So bleiben dem alten Mann nur seine Erinnerungen an den beeindruckenden Redner und politischen Visionär, der er einst war. Und das offene Ohr einer alten Sängerin, mit der er früher bei seinen Vortragsreisen durch die Kibbuzim zog: Späte Liebe. Auch die zweite Erzählung, Dem Tod entgegen handelt vom Krieg, jedoch von einem längst vergangenen. Beide Male geht es um ein Thema: Die Vorstellung vom anderen als dem absolut Bösen zerbricht diejenigen, die sich von dieser Vorstellung beherrschen lassen.
Autorenporträt
Oz, Amos
Amos Oz wurde am 4. Mai 1939 in Jerusalem geboren und starb am 28. Dezember 2018 in Tel Aviv. 1954 trat er dem Kibbuz Chulda bei und nahm den Namen Oz an, der auf Hebräisch Kraft, Stärke bedeutet. Amos Oz war Mitbegründer und herausragender Vertreter der seit 1977 bestehenden Friedensbewegung Schalom achschaw (Peace now) und befürwortete eine Zwei-Staaten-Bildung im israelisch-palästinensichen Konflikt. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1992, dem Goethe-Preis der Stadt Frankfurt am Main 2005 und dem Siegfried Lenz Preis 2014. Sein bekanntestes Werk Eine Geschichte von Liebe und Finsternis wurde in alle Weltsprachen übersetzt und 2016 als Film adaptiert.

Achlama, Ruth
Ruth Achlama, geboren 1945 in Quedlinburg, studierte Rechtswissenschaft in Heidelberg und Bibliothekswissenschaft in Jerusalem. Heute ist sie hauptberuflich als freie Übersetzerin tätig und lebt in Tel Aviv.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.03.1997

Alarm bis zum letzten Atemzug
Der Schriftsteller Amos Oz mißtraut den Kreuzfahrern aller Zeiten und Nationen · Von Sabine Brandt

Die hebräische Originalausgabe des Bandes mit den zwei Erzählungen von Amos Oz erschien 1971 unter dem Titel "ad mavet", zu deutsch: "Bis zum Tode". Von dieser Formulierung weicht die jetzt bei Suhrkamp edierte Übersetzung ein wenig ab, sie heißt "Dem Tod entgegen". Ein Unterschied, der kaum ins Gewicht fällt und dennoch nicht ohne Bedeutung ist. Er signalisiert nämlich, daß es mancherlei Möglichkeiten gibt, sich Oz' Geschichten zu nähern. Von der wörtlichen Eindeutschung des Titels geht die Botschaft aus, es geschehe, was da geschieht, zwanghaft bis zum Ende von irgend jemandes Leben. Der Suhrkamp-Titel deutet an, die in Rede stehenden Handlungen führten den beziehungsweise die Handelnden unabwendbar ins Verderben.

Beides findet Bestätigung in den Erzählungen. Wir haben es demnach mit Werken zu tun, die auf verschiedene Fragen mannigfache Antworten wissen. Daß die Antworten variieren, je nachdem, wer fragt und wann, und daß sie in jeder Variation überzeugen, das spricht für die Vielfalt an Welterkenntnis und für die Kunst, diese Erkenntnis in dichterische Imagination umzusetzen. Und es erklärt, warum die Geschichten mehr als ein Vierteljahrhundert nach ihrer Entstehung so aktuell wirken, als seien sie heute geschrieben.

In beiden Erzählungen geht es um Krieg und Frieden. Das ist nichts Singuläres im Schaffen von Amos Oz; wie sollte auch ein israelischer Schriftsteller an diesem Basiskonflikt seines Landes vorbeigehen. Aber, und das zeichnet seine Stimme vor vielen anderen aus, Oz beschränkt sich nicht auf die spezifische Dramatik, die dem Land und dem Volk Israel oder dem einzelnen Juden in den geschichtlichen Abläufen aufgebürdet wurde. Vielmehr extrahiert er aus dem national Besonderen das menschlich Allgemeine, zeigt im jüdischen Schicksal eine Ausformung der Tragödie, die Menschen einander bereiten. Und gewinnt seinen Leser zweifach: Der sieht und begreift das spezielle historische Bild, das ihm vermittelt wird. Und er öffnet sich willig dem immanenten Appell an seine Verantwortung, die ja nichts anderes meint als die selbstverständliche Pflicht des Erdenbürgers, seinen Planeten bewohnbar zu halten, und zwar für jedermann.

Wie schwer das zu realisieren ist, demonstriert Oz an einem zeitgeschichtlichen Fall und einem mittelalterlichen Exempel. In der ersten Erzählung, "Späte Liebe", ist der Held ein alt gewordener sozialistischer Zionist, der durch die Kibbuzim reist und für seine Bewegung Werbereden hält. Seine Liebe zu Israel ist stark, aber stärker noch glüht sein Haß gegen jene Macht, in der er Israels größte Bedrohung sieht: die Sowjetunion. Der Alte ist russischer Herkunft, zu Zeiten der Oktoberrevolution kämpfte er selbst auf seiten der Bolschewiki. Muß er da nicht wissen, wovon er redet, wenn er die bolschewistische Weltverschwörung und die sowjetische Judenverfolgung geißelt?

Der alte Mann hat zweierlei Visionen: In der einen rollt die siegreiche israelische Panzerarmee von Polen her über das niederbrechende Sowjetland, wobei auf träumerische Weise auch der Feind Hitler niedergerungen wird. In der anderen kommt die sowjetische Kriegsflotte stahlgrau und bedrohlich übers Mittelmeer und nimmt Kurs auf die israelische Küste. Helfen könnte dem Opfer Israel allenfalls Verteidigungsminister Moshe Dajan, der in des Alten Phantasie fast messianische Züge annimmt. Aber der bedrängte Seher hofft vergebens, keine Rettung wird ihm zuteil, am Ende bloß der ungeliebte Ruheposten. So beschließt er, mit einem starken Fernrohr bewaffnet, allein auf Wacht zu gehen: "Mit dem ganzen Aufgebot meiner schwindenden Kräfte werde ich Alarm schlagen, bis zum letzten Atemzug Alarm. Bis an die äußerste Grenze meiner Liebe."

Vom Ansatz her ist das eine psychiatrische Studie, betreffend die irreparablen Verheerungen, die Verfolgung in einer Menschenseele anrichtet. Die Besessenheit des Alten rührt ja aus tatsächlich erlebten Fakten, die er der tauben Welt beschwörend in die Ohren schreit. Seine Splitter von Wirklichkeit aber verbinden sich mit seinem Angstwahn zu einer neuen Wahrheit, nämlich der Wahrheit des im Stich Gelassenen: Homo homini lupus - wenn die Menschheit nicht insgesamt zur Vernunft zu kommen vermag, dann muß der einzelne sich wappnen und ein jeder für sich selber sorgen.

So viel abgrundtiefem Pessimismus würde man gerne widersprechen, jedoch mit welchem Argument? Leider gibt nicht nur unser Jahrhundert dem Autor und seinem alten Helden recht. Am Beispiel des elften Jahrhunderts beweist es die zweite Erzählung, jene, die dem Band den Gesamttitel gab: "Dem Tode entgegen". Hier formiert sich, unter Führung des südfranzösischen Edelmannes Guillaume de Touron, bei Avignon ein Kreuzfahrerheer. Die Kämpen und ihr Troß sind tief überzeugt, gottgefällig zu handeln, doch je länger die Reise dauert, desto klarer schält sich heraus, daß unendlich viele Antriebe die Kreuzfahrer auf den Weg brachten, aber wenige davon den Lehren ihres Heilands entsprechen.

Überall finden die Kämpen auch jüdische Gemeinden, und es erfüllt sie mit frommer Dankbarkeit, daß sie hier rauben und morden dürfen, ohne im geringsten zu sündigen. Es erweist sich aber, daß man den Verfluchten ihr Leben nicht nehmen kann, ohne zugleich die von ihnen geschaffenen Ressourcen zu vernichten. Je grimmiger der heimatferne Haufen knüppelt, um so eher kommt tödlicher Mangel über ihn. Hunger, Kälte, Unbehaustsein erzeugen Delirien, daraus kriechen Dämonen und bedrängen die verlorenen Seelen, auch Dämonen der Schuld, vor denen auch der päpstliche Generalablaß nicht schützt.

Vom ersten Tag an bereiten die christlichen Schlagetots sich ihr eigenes Verderben. Sie begreifen es nur nicht. Je weniger sie aber verstehen, um so stärker nagt die Angst, um so hysterischer schlagen sie auf alles, schließlich auch aufeinander ein. Am Ende deckt ein Leichentuch aus Schnee die Körper der letzten Jerusalemfahrer, nicht weit vom Rande des Meeres, auf dessen anderem Ufer sie die strahlende Silhouette der Gottesstadt vermutet hatten.

Amos Oz zaubert sein Horrorgemälde mit sparsamen Pinseltupfern aus dem Nichts. Er sagt alles über alles, aber niemals anders als in Andeutungen. Was darüber hinausgeht, überläßt er der schöpferischen Kraft unserer Albträume. In ihnen komplettieren sich die Bilder. Erwachend begreifen wir, daß wir den unabwendbaren, weil selbstverschuldeten Untergang unserer Art geträumt haben.

Amos Oz: "Dem Tod entgegen". Zwei Erzählungen. Aus dem Hebräischen übersetzt von Ruth Achlama. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1997. 173 S., geb., 36,- DM.

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