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Dem Islam wird gerne vorgeworfen, er sei im Mittelalter stecken geblieben. Was aber, wenn es gar kein islamisches Mittelalter gab? Thomas Bauer zeigt an zahlreichen Beispielen, wie in der islamischen Welt die antike Zivilisation mit florierenden Städten und Wissenschaften weiterlebte, während im mittelalterlichen Europa nur noch Ruinen an eine untergegangene Kultur erinnerten. Ein kleines Meisterwerk, das konzis, anschaulich und mit der nötigen Portion Gnadenlosigkeit unser Bild von einem reformbedürftigen «mittelalterlichen» Islam widerlegt. Jahrhundertelang waren im Orient die antiken Städte…mehr

Produktbeschreibung
Dem Islam wird gerne vorgeworfen, er sei im Mittelalter stecken geblieben. Was aber, wenn es gar kein islamisches Mittelalter gab? Thomas Bauer zeigt an zahlreichen Beispielen, wie in der islamischen Welt die antike Zivilisation mit florierenden Städten und Wissenschaften weiterlebte, während im mittelalterlichen Europa nur noch Ruinen an eine untergegangene Kultur erinnerten. Ein kleines Meisterwerk, das konzis, anschaulich und mit der nötigen Portion Gnadenlosigkeit unser Bild von einem reformbedürftigen «mittelalterlichen» Islam widerlegt.
Jahrhundertelang waren im Orient die antiken Städte lebendig, mit Bädern, Kirchen, Moscheen und anderen steinernen Großbauten, während sie in Europa zu Ruinen verfielen. Ärzte führten die Medizin Galens fort, Naturwissenschaften und Liebesdichtung blühten auf. Kupfermünzen, Dachziegel, Glas: Im Alltag des Orients gab es lauter antike Errungenschaften, die Mitteleuropäer erst zu Beginn der Neuzeit (wieder) neu entdeckten. Thomas Bauer schildert anschaulich, wie die antike Kultur von al-Andalus über Nordafrika und Syrien bis Persien fortlebte und warum das 11. Jahrhundert in ganz Eurasien, vom Hindukusch bis Westeuropa, eine Zäsur bildet, auf die in der islamischen Welt bald die Neuzeit folgte. Er widerlegt damit überzeugend die eingespielten Epochengrenzen und rückt eingefahrene Sichtweisen auf Orient und Okzident zurecht.
Autorenporträt
Thomas Bauer ist Professor für Islamwissenschaft und Arabistik an der Universität Münster, Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste und wurde mit dem Leibniz-Preis der DFG ausgezeichnet. Mit seinem bahnbrechenden Buch «Die Kultur der Ambiguität. Eine andere Geschichte des Islams» (2011) hat er weit über sein Fach hinaus gewirkt.

Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.09.2018

Der Angriff auf den Sprachgebrauch
Thomas Bauer weiß, warum die islamische Hochkultur kein Mittelalter kennt. Woran sie scheiterte, weiß er nicht

Vor zwei Wochen hat der Arabist und Islamwissenschaftler Thomas Bauer dem Berliner "Tagesspiegel" ein Interview gegeben. Darin geht es um die Fähigkeit von Gesellschaften, "Ambiguität" zu tolerieren - also Zweideutigkeit, Vieldeutigkeit, Uneindeutigkeit jeder Art auszuhalten. Ein Beispiel dafür, dass es mit dieser Fähigkeit bei uns bergab geht, ist für Bauer die Esskultur: Es gebe immer mehr Vegetarier und Veganer, andererseits aber auch mehr "Paleo-Menschen", die ihr Fleisch am liebsten roh äßen; die Mitte zwischen beiden aber, die gemischte Normalität, werde "immer leerer". Als weiteren Beleg zitiert Bauer die Sprachbereinigung im Dienst der politischen Korrektheit: Der "Negerkönig" in Astrid Lindgrens "Pippi Langstrumpf" werde zum "Südseekönig", statt dass man den Kindern erkläre, warum das Wort "Neger" heute nicht mehr in Frage kommt.

Nun hat Thomas Bauer selbst eine Anleitung zum politisch korrekten Sprachgebrauch verfasst, und zwar eine sehr ausführliche. In seinem Buch "Warum es kein islamisches Mittelalter gab" erklärt er auf hundertsechzig Seiten, weshalb wir für die Frühzeit des Islams, für die Kalifate von Damaskus und Bagdad und für die islamische Welt überhaupt den Begriff des "Mittelalters" nicht mehr verwenden sollten. Bauer hat gute Argumente für seine These, und er rennt, wenigstens was die moderne Geschichtswissenschaft angeht, offene Scheunentore ein. Seit langem hat niemand mehr versucht, das in der Renaissance entwickelte Schema Antike-Mittelalter-Neuzeit auf Regionen außerhalb Europas anzuwenden, einfach deshalb, weil es dort nicht greift. Die Tang- und die Song-Dynastie waren nicht das chinesische Mittelalter, die Kultur- und Wissensblüte an den Höfen der Kalifen und der Emirate von Cordoba und Granada waren alles andere als mittelalterlich, und für den amerikanischen und den afrikanischen Kontinent lässt sich ein Mittelalter überhaupt nicht bestimmen. Das medium aevum, die Zeit zwischen Augustinus und Michelangelo, ist eine abendländische Fiktion, ein begriffliches Glashaus, das in tausend Splitter zerfällt, wenn man es nur einmal scharf anschaut.

Ein viel spannenderes Thema ist der Expertenstreit um den Begriff der Spätantike und deren Abgrenzung vom Frühmittelalter, in dem der Islam zumindest als äußerer Akteur eine maßgebliche Rolle spielt. Hier steht immer noch Henri Pirennes Behauptung im Raum, nicht die Völkerwanderung und die Entstehung barbarischer Germanenreiche auf römischem Boden hätten zum Ende der Antike und zur kulturellen Verarmung Westeuropas geführt, sondern der Zusammenbruch des Mittelmeerhandels als Folge der arabischen Eroberungen des siebten und achten Jahrhunderts. Inzwischen ist die Pirenne-These von vielen Seiten unter Beschuss geraten, nicht zuletzt durch die Ergebnisse der Archäologie, die einen zivilisatorischen Niedergang schon ab dem fünften Jahrhundert belegen, lange vor der Entstehung des Islams. Dennoch bleibt die Tatsache, dass es zwischen den Reichen der Franken und der Byzantiner und denen der Araber sehr viel kriegerische Konflikte und sehr wenig Handel gab. Die seltenen Ausnahmen, etwa die italienische Seerepublik Amalfi, schwimmen wie Sumpfblüten auf einem toten Gewässer. Sie sterben rasch.

Hier könnte eine Diskussion des Mittelalterbegriffs ansetzen, etwa bei der Frage, ob die damaligen Auseinandersetzungen, die sich bis ins neunzehnte Jahrhundert zyklisch wiederholt haben, auch in einem zivilisatorischen Gefälle oder gar in einem fundamentalen Ost-West-Gegensatz wurzelten, den das römische Reich nur zeitweise überdeckt hatte. Aber dem Autor Bauer geht es nicht um solche Spezialprobleme. Im Grunde geht es ihm nicht einmal um den Begriff an sich. Sein Buch richtet sich nicht gegen die Historiker, sondern gegen unseren Sprachgebrauch. Wenn wir "Islam" und "Mittelalter" sagen, so wie es der "Spiegel" in einem Titelbild zur Machtübernahme Chomeinis in Iran getan hat, meinen wir etwas anderes als die Wissenschaft. Der Islam, soll das heißen, ist nicht in der Moderne angekommen, ist vielleicht gar nicht modernefähig. Der Islam, mit Nietzsche gesprochen - der freilich den Menschen an sich meinte - ist "etwas, das überwunden werden muss".

Das will Bauer widerlegen. Er präsentiert eine eindrucksvolle, alphabetisch gegliederte Liste von Indizien, die beweisen, dass die arabische Welt zu einer Zeit, als Westeuropa noch in den Kinderschuhen oder eher Holzpantinen steckte, eine blühende Hochkultur mit vielen Zügen moderner Zivilisiertheit war. So gab es im Reich der Kalifen viel weniger Analphabetismus und Xenophobie und mehr Toleranz gegenüber Homosexuellen und Anhängern anderer Religionen als im christlichen Abendland. Es gab öffentliche Bäder, Glas- und Ziegelproduktion und Luxusgüter aller Art. Die neue Zahlenlehre, ergänzt um die indische Null, beflügelte die Mathematik und das Wirtschaftsleben. Die Kunst blühte, die Medizin auch. Das Aachen Karls des Großen war ein Schweinestall, verglichen mit dem Bagdad von Harun al Raschid.

Aber dann passiert etwas Merkwürdiges in diesem Buch. Wir wissen, dass die große Zeit des Kalifats zu Ende ging, und Bauer weiß es auch. Doch er tut sich schwer, davon zu sprechen. Er deutet an, dass es Krisen gab, dass die Münzproduktion stockte, dass das elfte Jahrhundert ein schreckliches, ein "saeculum horribile" war, aber er drückt sich um konkrete Aussagen dazu herum. Der Kulturwissenschaftler Bauer hat ein Problem mit der Realgeschichte. Er möchte nicht zugeben, dass der Niedergang der islamischen Welt mit konkreten historischen Ereignissen zu tun hat, etwa mit den Kreuzzügen, der Reconquista, den Mongolenstürmen unter Hülegü und Timur Lenk, den portugiesischen Eroberungen im Indischen Ozean. Warum nicht? Weil es seine Begrifflichkeiten durcheinanderbringen würde. Denn um das Mittelalter zum Verschwinden zu bringen, schlägt Bauer vor, die Zeit von Mohammeds Erweckung bis etwa 1050 der Spätantike zuzuschlagen und die anschließende Epoche bis zur Französischen Revolution als "Neuzeit" zu bezeichnen, mit einer Zäsur um 1500. Aber im derart verneuzeitlichten Orient war nach der Jahrtausendwende in Wahrheit nichts mehr neu außer dem Verfall des Alten. Die Kriegszüge Baibars' und Qalawuns zerstörten die Städtelandschaft der Levante. Die Eroberung Bagdads durch die Mongolen beendete die Kulturblüte im Zweistromland. Die persische Renaissance drang nicht nach Westen durch. Die Mamluken- und Korsarenstaaten Nordafrikas ersetzten ökonomische Dynamik durch Sklavenwirtschaft.

Bauers kulturhistorische Kampfschrift, anders gesagt, ist auf dem historischen Auge blind. Sie versucht einen unpassenden Epochenbegriff durch einen noch unpassenderen zu ersetzen und ebnet dabei die Unterschiede ein, die sie betonen will. Die "Neuzeit" des Westens ist eben nicht die des Islams. Aber auch das Mittelalter lässt sich nicht einfach wegerklären. Die Zeit, in der Kaiser und Päpste, Fürsten und Städte, Klöster und Burgen, Religion und Wissenschaft gegeneinander standen, bildet das Fundament für die Entwicklungsschübe, die ihr folgten. Europa selbst ist ein Ergebnis, eine Schöpfung des Mittelalters.

Womit wir wieder beim Sprachgebrauch wären. Wenn wir den Islam oder, besser: das Menschenbild der heutigen islamisch geprägten Gesellschaften, als mittelalterlich bezeichnen, reden wir ja nicht vom Bagdad der Kalifen und ihrer Hofmathematiker. Nein, wir erkennen unser Mittelalter in der Geschlechtertrennung, der Erniedrigung der Frau, dem Hass auf Andersgläubige, dem Fanatismus der Prediger, der Sippenloyalität, den grausamen Leibstrafen, der fehlenden Rechtssicherheit. Es ist das Mittelalter nicht als historische Epoche, sondern als lebensweltliche Haltung, das uns in diesen Zügen entgegentritt. Und aus diesem Konflikt gibt es keinen begrifflichen Ausweg, sondern nur einen geschichtlichen, politischen, realen. In die Moderne. Jetzt.

ANDREAS KILB

Thomas Bauer: "Warum es kein islamisches Mittelalter gab". C. H. Beck, 175 Seiten, 22,95 Euro

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"Der Islamwissenschaftler Thomas Bauer, entkräftet den Vorwurf, der Islam sei im Mittelalter steckengeblieben."
ZEIT

"Eine eindrucksvolle, alphabetisch gegliederte Liste von Indizien, die beweisen, dass die arabische Welt zu einer Zeit, als Westeuropa noch in den Kinderschuhen oder eher Holzpantinen steckte, eine blühende Hochkultur mit vielen Zügen moderner Zivilisiertheit war."
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Andreas Kilb

"Ein reflektiertes, differenziert argumentierendes und erfreulich ideologiefreies Buch über die islamische Spätantike."
Die Presse, Georg Cavallar

"Eine äusserst anregende Lektüre (...) lehrreich und unterhaltsam."
Neue Zürcher Zeitung, Philipp Hufschmid

"Ein hochgelehrtes und gleichzeitig gut verständliches Buch, das seine These reich mit Quellen und umfassendem Fachwissen stützt."
ORF, Johanna Gillmayer

"Vielleicht sollte man Bauers brillante Studie als Appellan beide, den Westen und den Islam, lesen, sich auf die Wurzel der eigenen Kultur zu besinnen."
SWR2 Konstantin Sakkas