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Produktdetails
Trackliste
LP
1Glücksmaschinen00:04:38
2Stadt der 1000 Tränen00:04:05
3Neues Leben00:05:05
4Ausgeraucht00:04:04
5Im Sommer00:03:47
6Vielleicht Leute 500:05:08
7Wir warten (Ihr habt die Uhr, wir die Zeit)00:02:34
8Respekt?00:04:57
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.04.2010

Alles drin
Lass uns Freunde sein: Neues von Fehlfarben

Er hat eine Stimme, wie sie nur alle paar Generationen vorkommt. Jahrelang war sie leider nicht zu hören gewesen, und wenn, dann höchstens auf dieser einen, alten, weltberühmten Platte, die er besungen hatte, bevor er verschwand. Seit einiger Zeit schon ist diese Stimme allerdings wieder da, doch es fällt erst jetzt so richtig auf, wie sie sich verändert hat: Die Stimme ist älter geworden, dabei wurde sie vor allem theatralischer, weniger Hetze ist in ihr, mehr Tremolo. Peter Hein, der Sänger der Fehlfarben, die mit "Monarchie und Alltag" 1980 eine der wichtigsten Platten im deutschen Pop, wenn nicht die wichtigste aufgenommen haben, wirft sich auf dem neuen Album seiner Band ganz schön in die Brust, wenn er Sätze singt wie: "Man fragt sich doch / wo die Leute sind / dass man nie jemand trifft / hat man nicht vorgesimst. / Man wusste doch nie / ob man wirklich Freunde hat / erst der Freundezähler / hat's an den Tag gebracht."

Dass sich ein Kopf wie Peter Hein über Facebook und Handys aufregt und dann auch noch so bedeutungsschwanger darüber singt, als müsse man sich dagegen wehren, macht uns kurz Sorgen. Sind das wirklich Probleme? Oder nur Pointen? Zum Glück ist "Glücksmaschinen", so heißt die neue und achte Platte seiner Band, dann aber interessant wie schon lange keine der Fehlfarben mehr.

Es gibt ein paar wirklich magische Augenblicke dissonanter Gitarren darauf, und man verzeiht Peter Hein auch seine Onkelhaftigkeiten, weil er, andererseits, gleich in den ersten Zeilen des Titelstücks Sätze herausfeuert wie: "Du weißt, du sagtest immer ,sie' / Du kanntest sie, die Bösen / Mit ihren Häusern mit den scharfen Kanten / in ihren hochmütigen Türmen", und so geht es immer weiter über die Freundin, bei der man früher die Musik laut aufdrehen musste, "danach war alles drin", heute aber sitzt sie im Eigenheim und hütet Kinder und die Musik läuft leise.

Aber weil Hein seine Freunde eben nicht bei Facebook gefunden hat, hält er zu ihr: "Wir leben, wir sind Glücksmaschinen / Wir sind noch längst nicht ausgeschieden." Die zweifelnde Zuversicht und der verhaltene Zorn darüber, dass sie als Lebensmittel offenbar schon ausreicht, um durchzuhalten: All das hört man eher aus der Stimme als aus den Zeilen heraus. Der stabile Rest an Subversion jenseits der Dreißig; Misstrauen, selbst, wenn es schön ist; die Unruhe, wenn es zu ruhig wird: All das kann Peter Hein aus Düsseldorf singen, ohne es sagen zu müssen.

Zwanzig Jahre ist er nicht Sänger der Fehlfarben gewesen, irgendwann gab es die Band gar nicht mehr, schließlich kamen sie gemeinsam im Jahr 2002 zurück, darüber haben sich viele Menschen gefreut. Danach ließ das Interesse etwas nach, und jetzt freuen sich wieder die meisten darüber, wie gut "Glücksmaschinen" geworden ist. Die Fehlfarben sind inzwischen über fünfzig, aber das ist ja kein Alter mehr für Popmusiker. Was unter anderem an unbestechlichen Figuren wie Peter Hein liegt, der die Popmusik als Beruf damals, 1980, ziemlich brüsk von sich gewiesen hat, sich zurückzog. Und der dann zeigte, als er wiederkehrte, wie souverän man sich über die Regeln der Popmusik hinwegsetzen kann, wenn man nur will.

Schon immer, und seit diesem Augenblick erst recht, konnte man von Platten der Fehlfarben etwas anderes erwarten als von denen der Toten Hosen, um nur ein Beispiel aus der gleichen Generation zu nennen. Man erwartet von den Fehlfarben etwas, das quer zum Rest steht, das den Hörer nicht loslässt, weil es mehr von ihm will, als geliebt und nachgesungen zu werden, kaltes Pathos der Gedanken. Der Popkritiker Diedrich Diederichsen hat über das Brecht-Gedicht "Verwisch die Spuren" gesagt, es erinnere ihn an einen Fehlfarben-Text. Nicht andersherum.

Die Gegenwartshochspannung geht aber bei "Glücksmaschinen" eher von der Musik aus, wie bei den ersten Takten von "Stadt der 1000 Tränen", dank einer zitternden Bassgitarre und dem Schlagzeug, dass einem im Nacken sitzt. Die Fehlfarben haben eigentlich immer Funk gespielt, hier hört man das besonders genau. Später wird es elektronisch, dann brachial, irgendwie klingt die Band wichtiger als die Stimme, und das ist, wenn solch ein dominanter Sänger am Mikrofon steht, gar nicht so selbstverständlich, und es freut einen auf eine ganz andere Art. "Glücksmaschinen" könnte auch ein anderer von den Fehlfarben singen, die acht neuen Lieder klängen trotzdem dringend benötigt.

Aber es singt nun mal Peter Hein. Zum Schluss, bei "Respekt?", zetert er eher, dann fällt die Musik in sich zusammen, die Platte ist vorbei. Sie ist so abrupt vorbei, dass man das Stück und am besten die ganze Platte sofort von vorn hören möchte. Sich noch mal durch das Lied von der Freundin mit Garten und Erwachsenenkummer hören, das Lied über den Sommer hören, der wieder fürchterlich schön zu werden droht, sich etwas weniger ärgern über die Altersweisheiten und sich freuen vor allem darüber, dass es diese Fehlfarben noch gibt, und dass sie so klingen und nicht anders.

TOBIAS RÜTHER

Fehlfarben, Glücksmaschinen. Tapete 4895714 (Indigo)

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