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Poliakov musste als Kind mit seinen Eltern vor der Oktoberevolution fliehen und gelangte über Berlin nach Paris, wo sein Vater das Pariser Tagblatt ins Leben rief und zum populären Sprachrohr von Schriftstellern wie Heinrich Mann und Oskar Maria Graf machte. 1940 geriet Léon Poliakov in Kriegsgefangenschaft. Nach seiner Flucht schloss er sich der Résistance an und beteiligte sich an der Rettung von Juden. Noch während der Befreiung Frankreichs begann Poliakov mit der Sammlung von Täterdokumenten und war Mitglied der französischen Delegation bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen. Schon…mehr

Produktbeschreibung
Poliakov musste als Kind mit seinen Eltern vor der Oktoberevolution fliehen und gelangte über Berlin nach Paris, wo sein Vater das Pariser Tagblatt ins Leben rief und zum populären Sprachrohr von Schriftstellern wie Heinrich Mann und Oskar Maria Graf machte. 1940 geriet Léon Poliakov in Kriegsgefangenschaft. Nach seiner Flucht schloss er sich der Résistance an und beteiligte sich an der Rettung von Juden. Noch während der Befreiung Frankreichs begann Poliakov mit der Sammlung von Täterdokumenten und war Mitglied der französischen Delegation bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen. Schon 1951 entstand auf Anregung von Alexandre Kojève und Raymond Aron seine Studie "Le Bréviaire de la haine", der erste systematische Versuch, den Massenmord an den Juden zu dokumentieren. Poliakov betonte im Gegensatz zu deutschen Historikern schon sehr früh die zentrale Rolle des eliminatorischen Antisemitismus. Aber die um die Deutungshoheit der Shoa ringenden deutschen Geschichtswissenschaftler haben den Résistanceaktivisten und Autodidakten im akademischen Betrieb bis heute ignoriert.
Autorenporträt
Léon Poliakov, 1910 in St. Petersburg geboren und 1997 in Orsay gestorben, war französischer Historiker. Schwerpunkte seiner Forschung waren Rassismus, Antisemitismus, ju¿dische Geschichte und der Holocaust. Bis zu seiner Emeritierung war er Doktor der Philosophie an der Sorbonne sowie Forschungsleiter am Centre national de la recherche scientifique in Paris.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.06.2019

Warum wollte man mich töten?
Ein früher Historiker der Judenvernichtung: Memoiren von Léon Poliakov

Als Raul Hilberg im Jahr 2005 in einem seiner letzten öffentlichen Vorträge in Yad Vashem eine Bilanz von sechs Jahrzehnten Holocaust-Historiographie zog, hob er einen "Pionier der frühen Phase der Forschung" hervor, dessen Werk "die wissenschaftliche Disziplin begründete, die wir heute als ,Holocaust-Forschung' bezeichnen". Hilberg sprach von dem russisch-französischen Historiker Léon Poliakov, dessen Name hierzulande nur in engsten Fachkreisen bekannt ist.

Schon 1951 legte der studierte Jurist Poliakov sein aus einer Beschäftigung für den französischen Ankläger in Nürnberg hervorgegangenes Buch "Bréviaire de la haine" ("Brevier des Hasses") vor - die erste Gesamtdarstellung des nationalsozialistischen Verfolgungs- und Mordgeschehens an den europäischen Juden, in dem er vor allem den Antisemitismus als Ursache für den Völkermord ausmachte. Das Buch nimmt viele wichtige Forschungsthemen vorweg, über die erst Jahrzehnte später diskutiert wurde, etwa die Rolle der Wehrmacht beim Judenmord, die Psychologie der Täter oder die Massenerschießungen durch die Einsatzgruppen, die Poliakov als "exterminations chaotiques" den "exterminations méthodiques" in den Vernichtungslagern gegenüberstellt.

Während Poliakovs Frühwerk bis heute nicht auf Deutsch vorliegt, sind seine Memoiren nun erstmals übersetzt worden. Im Kern des Bandes stehen die schon 1946 von ihm verfassten Erinnerungen an die Jahre 1940 bis 1944. Nachdem sie lange unveröffentlicht blieben, erschienen sie 1981 zusammen mit einer später geschriebenen Vor- und Nachgeschichte der Kriegsjahre. Der französische Originaltitel "L'auberge des musiciens" verweist dabei auf einen der Orte, an denen Poliakov sich vor den Deutschen versteckte.

Der 1910 in St. Petersburg geborene Poliakov war im Alter von zehn Jahren mit seinen Eltern, die im russischen Bürgerkrieg auf Seiten der "Weißen" standen, über das Schwarze Meer nach Westeuropa geflüchtet. Die Poliakovs, eine jüdische Familie mit Wurzeln in Odessa, kehrten nie wieder nach Russland zurück. Nach drei Jahren in Berlin entschied sich der als Unternehmer tätige Vater für einen Umzug nach Paris, nachdem er während der Inflation in der Weimarer Republik einen Großteil seines Vermögens verloren hatte. Der junge Léon studierte Rechtswissenschaften an der Sorbonne und gründete mit seinem Vater das "Pariser Tageblatt", das sich in der Zeit seines Bestehens von 1933 bis 1936 an die deutsch-jüdische Exilgemeinde in der französischen Hauptstadt richtete. 1940 geriet Poliakov als französischer Soldat in deutsche Kriegsgefangenschaft, aus der er jedoch fliehen konnte. Er tauchte unter und schloss sich der Résistance an. Die Schilderungen dieser Jahre präsentiert er in seinen Erinnerungen als "Abenteuergeschichte". Sie sind der erzählerisch lebendigste Teil der Memoiren.

Noch während des Krieges hatte Poliakov begonnen, Dokumente über die Verbrechen der deutschen Besatzer zusammenzutragen. In Marseille lernte der Agnostiker Poliakov den chassidischen Rabbi Salman Schneersohn kennen. Als dessen Cousin Isaac Schneersohn 1943 das "Centre de documentation juive contemporaine" gründete, wurde Poliakov zu einem seiner ersten Mitarbeiter. Als Motivation für sein Engagement als Leiter der Forschungsabteilung im "Centre" gab er später einmal lapidar an: "Ich wollte wissen, warum man mich töten wollte."

Das wissenschaftliche OEuvre des Autodidakten Poliakov umfasst mehrere Dutzend Bücher. In den fünfziger Jahren gab er zusammen mit Joseph Wulf drei Dokumentenbände zur Geschichte des "Dritten Reiches" und der Judenverfolgung heraus. Während Wulf, auch aus Enttäuschung über das fehlende öffentliche Echo auf seine Aufklärungsbemühungen, 1974 seinem Leben ein Ende setzte, führte Poliakov seine Forschungen fort und erwarb sich mit einer fünfbändigen "Geschichte des Antisemitismus" wissenschaftliche Anerkennung, die ihn zurück an die Sorbonne führte.

Poliakov, noch zu Lebzeiten als Ritter der Ehrenlegion ausgezeichnet, starb 1997. Dass seine Memoiren mehr als zwanzig Jahre nach seinem Tod in deutscher Übersetzung erscheinen, verdankt sich einem kleinen Berliner Verlag und der finanziellen Unterstützung der Pariser "Fondation pour la Mémoire de la Shoah". Vielleicht bringt sie ja einen größeren Verlag auf den Gedaken, die Übersetzung von Poliakovs Pionierarbeit "Bréviaire de la haine" in Angriff zu nehmen.

RENÉ SCHLOTT

Léon Poliakov: "St. Peterburg - Berlin - Paris". Memoiren eines Davongekommenen.

Aus dem Französischen von Jonas Empen, Jasper Stabenow und Alex Carstiuc. Edition Tiamat, Berlin 2019. 288 S., geb., 24,- [Euro].

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