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Unmittelbar nach der Befreiung der nationalsozialistischen Konzentrationslager im Frühjahr 1945 entstanden Fotografien, die Berge von Leichen zeigen, Massengräber, halbverhungerte Überlebende auf Pritschen oder hinter Stacheldraht. Seit ihrer ersten Veröffentlichugn sind diese Aufnahmen Bestandteil einer öffentlichen Erinnerungskultur in der Bundesrepublik Deutschland geworden. Zu Schreckensbildern erstarrt, stehen sie als "Ikonen der Vernichtung" für die Unmemnschlichkeit des NS-Regimes. Der Begriff der Ikone liefert einen Schlüssel zum Verständnis der Kontexte, in denen diese Fotos…mehr

Produktbeschreibung
Unmittelbar nach der Befreiung der nationalsozialistischen Konzentrationslager im Frühjahr 1945 entstanden Fotografien, die Berge von Leichen zeigen, Massengräber, halbverhungerte Überlebende auf Pritschen oder hinter Stacheldraht. Seit ihrer ersten Veröffentlichugn sind diese Aufnahmen Bestandteil einer öffentlichen Erinnerungskultur in der Bundesrepublik Deutschland geworden. Zu Schreckensbildern erstarrt, stehen sie als "Ikonen der Vernichtung" für die Unmemnschlichkeit des NS-Regimes. Der Begriff der Ikone liefert einen Schlüssel zum Verständnis der Kontexte, in denen diese Fotos aufgenommen, publiziert und betrachtet worden sind. Analog zu den religiösen Kultbildern gelten die Aufnahmen als authentisch, sie sind von hoher Symbolisierungkraft. Der Umgang mit den Fotos mutet ritualisiert an. Man schaut sie an und meint zu wissen, wofür sie stehen. Um die Fotografien der Lager aus ihrer Erstarrung zu lösen, die alles weitere Nachdenken über das Abgebildete zu erübrigen scheint,richtet das Buch von Cornelia Brink erstmals einen genauen Blick auf die Bilder. Die KZ-Fotografien liefern nicht nur einen Schlüssel zu der Zeit, aus der sie stammen, sondern auch zur (Verdrängungs-)Geschichte, die auf sie folgte. Die Studie verknüpft daher fotohistorische und -theoretische Fragen mit der Problematik öffentlich wirksamer Formen der Erinnerung an die Nationalsozialistische Vergangenheit. Sie zeigt, was verschiedene Institutionen in der Bundesrepublik Deutschland - alliierte Besatzungsmächte, Juristen, Publizisten, Pädagogen und Ausstellungsmacher - seit 1945 bis in die Gegenwart mit den "Ikonen der Vernichtung" angefangen haben.
Autorenporträt
Cornelia Brink, geb. 1961, Historikerin am Historischen Seminar der Universität Freiburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.12.1998

Wieviel Wirklichkeit verträgt die Wirksamkeit?
Cornelia Brink erklärt, warum die fotografische Dokumentation der nationalsozialistischen Greueltaten nicht lehrreich ist

Wer kennt es nicht, das Foto der auf der Ladefläche eines Lastwagens übereinandergeschichteten unbekleideten Leichen? Ordentlich aufgestapelt, präsentieren sich dem Betrachter ungezählte Füße und kahle Schädel. Wer hat es nicht schon einmal gesehen, das Foto von einem apathischen, bis auf die Knochen abgemagerten KZ-Insassen? Am Betrachter vorbei starrt er in die Ferne, nimmt offensichtlich nichts von dem wahr, was um ihn herum geschieht. Die Bilder der skelettgleichen, der verhungerten, der zu Tode geschundenen KZ-Häftlinge bleiben jedem im Gedächtnis.

Bilder wirken eindringlicher und eindeutiger, können weitaus mehr leisten als das geschriebene oder gesprochene Wort. Fotografien stellen allerdings keine Wirklichkeit dar, sondern sind vielmehr eine Form ihrer Bearbeitung. "Das Bild ist ein Modell der Wirklichkeit", formulierte es einst Wittgenstein. Fotos verleiten den Betrachter daher zu einer ganz spezifischen Wahrnehmung dieser Wirklichkeit. Fotos wirken zudem auf jeden Betrachter unterschiedlich: Der persönliche Bezug zu dem Dargestellten, der eigene kulturelle Hintergrund, die Zeitumstände fließen unmittelbar in die Wahrnehmung und Verarbeitung des Gesehenen mit ein.

Verständnis ohne Verstehen

Diese mehrschichtigen Faktoren greift Cornelia Brink in ihrer Untersuchung über den öffentlichen Gebrauch von Fotografien aus NS-Konzentrationslagern auf. Das Untersuchungsobjekt sind Aufnahmen der Alliierten, die unmittelbar nach der Befreiung der Lager entstanden sind - Aufnahmen, die zum Inbegriff der Menschenverachtung geworden sind. In ihnen sieht der Betrachter dementsprechend mehr als "nur" das Abgebildete. In Anlehnung an Manfred Treml und Yasmin Doosry geht die Autorin davon aus, daß diese Aufnahmen emotional wirken und dabei Furcht und Mitleid erzeugen, auch wenn das Dargestellte nicht verstanden wird.

Zur Charakterisierung der Aufnahmen wird daher immer öfter der Begriff "Ikone" verwendet. Analog zu den religiösen Kultbildern gelten die Aufnahmen als Realität. Während die religiöse Ikone ihre Authentizität der getreuen Wiedergabe der Glaubensinhalte verdankt, liefert bei der Fotografie der mechanisch-chemische Abbildungsprozeß den Authentizitätsbeweis. Als Symbole verstanden, beanspruchen Ikonen und (bestimmte) Fotografien, "komplexe Phänomene zu verdichten und Geschichte stellvertretend wiederzugeben". Die Autorin will die Aufnahmen aus der "Befangenheit" herauslösen, die die Betrachtung der Bilder hervorruft und die alles weitere Nachdenken über das Abgebildete zu erübrigen scheint. Sie stellt keine Frage an die Inhalte des Dargestellten, sondern richtet ihren Blick auf den Umgang mit diesen Fotos.

Brink fragt nach dem Zweck, der mit dem Gebrauch der Fotografien verfolgt wurde. Die Untersuchung geht dabei im wesentlichen der didaktischen Aufarbeitung des Holocaust nach. Mittels der Aufnahmen, welche die Alliierten unmittelbar nach der Befreiung der Lager machen ließen, sollte die deutsche Bevölkerung mit diesen konfrontiert werden. Die Bilder formulierten eine Anklage: "Diese Schandtaten: eure Schuld."

In ausführlichen Bildbeschreibungen und -interpretationen weist Brink nach, daß die Bilder bei der Aufnahme kompositorisch konstruiert - nach Ansicht der Autorin sogar überkonstruiert - waren. Dies sei einer der Gründe gewesen, weshalb sie die reedukative Zielsetzung verfehlt hätten: "Die Bilder, die das Gewissen der Deutschen mobilisieren sollten, scheinen das Gegenteil zu bewirken." Denn die deutschen Betrachter reagierten mit Entsetzen und Hilflosigkeit, vor allem aber mit Selbstexkulpation auf den Anblick.

Der von Gerhard Schoenberner 1960 erstmals herausgegebene und seitdem mehrmals wiederaufgelegte Fotoband "Der gelbe Stern" sei, so Brink, ebenfalls zweckorientiert zusammengestellt worden. Seine Zielsetzung habe sich allerdings von der unterschieden, die die Alliierten verfolgten. In einer Zeit des Wiederaufflackerns antisemitischer Ausfälle wurde der Öffentlichkeit damals erstmals umfangreiches historisches Text- und Bildmaterial vorgestellt. Der Betrachter, schreibt Brink, solle Schrecken und Mitleid empfinden. So werde allerdings die Schuld auf anonyme Dritte projiziert. Implizit biete der Fotoband ein Alibi für all jene, die nicht am Tatort gewesen seien.

Die pädagogische Aufarbeitung des Holocaust hat nach diesen Erfahrungen die "opferzentriert" genannte Perspektive relativiert: Eine Konfrontation mit den Bildern des Grauens führt eben keinesfalls automatisch zu Reflexion und Selbstreflexion. Je mehr das Publikum "als Adressat von Belehrungen behandelt wird", schrieb Detlev Claussen, "um so mehr staut sich das Ressentiment gegen die Inhalte der Belehrung selbst". Der Pädagoge verlangt von den Medien, daß sie gleichermaßen den Lerngegenständen wie den Lernenden gerecht werden. Heutzutage wird das Bildmaterial weniger nach dem dokumentarischen Wert, sondern vielmehr auf didaktisch-methodische Qualitäten hin geprüft.

Auf der Grundlage solcher Überlegungen werden gegenwärtig unterschiedliche neue "Übersetzungsversuche" erprobt, sei es durch die Suche nach bisher unbekannten Fotografien oder durch eine andere Kommentierung der bekannten Bilder. Die Autorin beschreibt die veränderte pädagogische Herangehensweise an den Orten des Geschehens selbst. Gerade die Gedenkstätten erfordern als "Lernorte" einen besonders sensiblen Umgang mit der Geschichte, sind sie doch nach Wolfgang Benz "Orte, die als Denkmale den emotionalen und als Museen den rationalen Zugang gleichzeitig bieten".

Ein Abschnitt fällt deutlich aus dem Rahmen der vorliegenden Untersuchung, da er nicht der öffentlichkeitswirksamen Zielsetzung der Verwendungen der KZ-Bilder gilt: Im zweiten Kapitel befaßt Brink sich mit der Verwendung der Bilder durch den Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg oder im Rahmen des Auschwitzprozesses vor dem Frankfurter Landgericht. Der "juristische Blick" auf das Foto suchte nach Beweismitteln. Insofern wurden die Bilder "zweckentfremdet", wobei sich aber zeigte, daß sie der Urteilsfindung nur wenig weiterhalfen: Zwar konnten sie als Plädoyer gegen die Unmenschlichkeit des NS-Regimes benutzt werden, zur Ermittlung von individueller Schuld trugen sie aber nur selten etwas bei.

Die Autorin gelangt zu der nachvollziehbaren Bilanz, daß die Aufnahmen die von den verschiedenen Seiten an sie herangetragenen Erwartungen in keinem Fall erfüllten: "Die ,optische Entnazifizierung' scheitert, weil die deutschen Betrachter die Fotografien anders lesen, als die Alliierten erwartet haben. Vor Gericht nützen sie, im Unterschied zu unspektakulären Tatortfotos, nicht als Beweis, sondern als Anschauungsmaterial. Sie dramatisieren ein ,fotografisches Protokoll' und isolieren das Geschehen, von dem sie berichten, aus gesellschaftlichen Zusammenhängen. Sie eignen sich nicht zur Vermittlung zwischen Sache und Lernenden, weil sie daran erinnern, daß diese von den schrecklichen Ereignissen, für die die Bilder stehen, betroffen sind. Der Anblick der Fotografien scheint die Grundfragen der jeweiligen Diskurse zu erschüttern."

Schutzfilm vor der Wirklichkeit

Die Schuld daran in den Aufnahmen zu suchen ist allerdings ungerechtfertigt. Cornelia Brink stellt fest, daß die Fotografien lediglich ein Abbild der Grausamkeit der Vernichtungsmaschinerie seien und nicht direkt das unermeßliche Leiden darstellten. Sie bemängelt daher, daß sie sich wie eine "Schutzschicht zwischen uns und die Wirklichkeit" geschoben hätten: Die Bilder ersparten dem Betrachter den Blick auf das Töten und Getötetwerden. Mit einem solchen Vorwurf überfordert Brink die Analogie zwischen den Fotos und religiösen Ikonen. Fotografien können den Anspruch, tatsächlich Ikonen zu sein, letztlich nicht erfüllen. Die Aufnahmen entstanden einst wider das Vergessen, als Anklage und als Mahnung. Mehr können sie nicht leisten. Oder wie es W. E. Süskind formulierte: "Wie sollte man diese Dinge anders dokumentieren? Aufs letzte dokumentiert können sie nur dem werden, der sie unmittelbar gesehen hat."

Bei aller berechtigten Kritik an der Aufarbeitung der NS-Zeit ist der Vorwurf von Brink, die Geschichte der Holocaustbilder sei eine Verdrängungsgeschichte der Vergangenheit, ebenfalls nicht uneingeschränkt vertretbar. Es mag dahinstehen, ob - wie unlängst auf einer Tagung in den Vereinigten Staaten über neue Wege der Aufklärung über die Judenvernichtung festgestellt wurde - die deutsche Aufarbeitung des Holocaust beispielhaft ist. Die Verdrängungsgeschichte allein an der Auseinandersetzung mit den Bildern, die unmittelbar nach der Befreiung der Konzentrationslager entstanden, nachweisen zu wollen ist freilich gewagt.

Cornelia Brink hat sich an ein schwieriges und heikles Thema herangewagt. Die dabei aufgeworfenen Fragen sind mit dieser Untersuchung allerdings nicht erschöpfend beantwortet worden. Dafür ist der Untersuchungsgegenstand zu eng definiert, umfaßt doch die Studie nur einzelne Publikationen. Die behandelten Abschnitte wirken willkürlich ausgewählt. Auch der vielleicht interessanteste Aspekt, die Wirkungsgeschichte der Aufnahmen, ist bedauerlicherweise nur in Form von Andeutungen angerissen worden. Hier besteht noch viel Raum für quantitative oder qualitative und tiefenpsychologisch orientierte Studien.

Gleichzeitig hat Brink den ohnehin enggefaßten Untersuchungsgegenstand nicht klar eingegrenzt. Lediglich im ersten Abschnitt geht es ausschließlich um die KZ-Aufnahmen, die unmittelbar nach der Befreiung der Lager gemacht wurden. In allen weiteren Abschnitten stellen diese Aufnahmen lediglich einen der behandelten Aspekte dar. Darüber hinaus ist die Arbeit nicht zufriedenstellend historisch dokumentiert. Obwohl es sich um keine geschichtswissenschaftliche Studie handelt, hätte beispielsweise eine nähere Beleuchtung der politischen Hintergründe für die Entstehung der Plakatwände und Broschüren die Analyse der Inhalte auf eine solidere Grundlage gestellt. Aller Kritik zum Trotz ist die Studie grundsätzlich von großem Wert. Thema und Fragestellung sind wichtig, die erzielten Ergebnisse (im Gegensatz zu den Wertungen) durchweg nachvollziehbar. CARLOS COLLADO SEIDEL

Cornelia Brink: "Ikonen der Vernichtung". Öffentlicher Gebrauch von Fotografien aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern nach 1945. Schriftenreihe des Fritz Bauer Instituts, Bd. 14. Akademie Verlag, Berlin 1998. 266 S., 43 Abb., geb., 98,- Mark.

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