»Ich aber ging über die Grenze«, so schrieb der junge Helmut Flieg im Frühjahr 1933, kurz nachdem er genau das getan hatte. Kurz bevor er sich den Namen gab, unter dem er weltberühmt werden sollte: Stefan Heym. Über die Grenze gegangen, nach Prag, war er wegen eines Gedichtes.
Anfang 2020 fanden sich Klara Deutschmann, Daniel Moheit und Robert Stadlober ebenfalls an einer Grenze wieder, im Dreiländereck zwischen der Slowakei, Ungarn und Österreich. Und dort legten sich plötzlich Melodien über diese beinahe ein Jahrhundert alten Texte, und es entstanden Lieder, die über all die Jahre und Grenzen hinweg in unser Heute hinein sprechen.
Anfang 2020 fanden sich Klara Deutschmann, Daniel Moheit und Robert Stadlober ebenfalls an einer Grenze wieder, im Dreiländereck zwischen der Slowakei, Ungarn und Österreich. Und dort legten sich plötzlich Melodien über diese beinahe ein Jahrhundert alten Texte, und es entstanden Lieder, die über all die Jahre und Grenzen hinweg in unser Heute hinein sprechen.
MP3 CD | |||
1 | Ich aber ging über die Grenze | ||
2 | Auftakt | ||
3 | Schmerzliche Erzählung | ||
4 | Mensch, ausgeworfen | ||
5 | Tote Rehe | ||
6 | Genies an Marmortischen | ||
7 | Kleine Kinder | ||
8 | Deutscher Brief | ||
9 | Flugblatt | ||
10 | Der Fremde | ||
11 | Szenische Bemerkung | ||
12 | Schwanengesang | ||
13 | Deutscher Zuchthausmarsch | ||
14 | Mein Vater stirbt | ||
15 | Der Unbekannte | ||
16 | Rede an die Armen | ||
17 | Blick über den Horizont | ||
18 | Dämmerung | ||
19 | Wenn die unerhörten Klänge |
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.10.2021Weitblick
Robert Stadlober vertont Gedichte Stefan Heyms
Stefan Heym war einer der wichtigsten Romanciers der DDR. Man muss daran erinnern, weil seine Werke, etwa „Der König David Bericht“, „5 Tage im Juni“ oder „Ahasver“, inzwischen so wenig präsent sind wie seinerzeit im selbsternannten Arbeiter-und-Bauern-Staat. Dort wurden sie entweder gar nicht verlegt oder nur in kleinen Auflagen. Heym, der vor dem NS-Regime in die USA geflohen war und auch die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen hatte, übersiedelte 1953 in die DDR, wo er zunächst als Antifaschist hofiert worden ist. Doch Heym und die Staatsführung haben sich sehr rasch auseinander gelebt.
In der alten Bundesrepublik wurde Heym hingegen fleißig verlegt. Auch heute, 20 Jahre nach seinem Tod, gibt es viele seiner Bücher nach wie vor zu kaufen. Doch Bestseller sind sie nicht. Umso erfreulicher ist es, dass Stefan Heym auf ganz unerwartete Weise einen Auftritt bekommt: als Texter der Indie-Band Deutschmann Moheit Stadlober.
Der Schauspieler Robert Stadlober hat 19 Songs komponiert und gemeinsam mit Klara Deutschmann und Daniel Moheit eingespielt. Die Lyriks sind Gedichte Heyms. „Vom Aufstoßen der Fenster“ funktioniert wie ein Musikalbum, versteht sich aber explizit als Hörbuch. Im Unterschied zu Masha Qrellas „Woanders“. Gemeinsam mit Christina Runge und Diana Näcke hatte die Berliner Musikerin Anfang des Jahres für Deutschlandfunk Kultur ein Hörspiel gleichen Namens realisiert. Und die Songs, die sie dafür komponiert hatte, als Konzeptalbum beim Label Staatsakt veröffentlicht. Die Texte für „Woanders“ stammen von Thomas Brasch, eine Generation jünger als Heym, mit der DDR aber noch heftiger über Kreuz als dieser.
Ein Trend ist das noch nicht, aber doch bemerkenswert, dass innerhalb kurzer Zeit zwei relevante Autoren der DDR, beide seit zwei Jahrzehnten nicht mehr am Leben, mit ihrer Lyrik nachgeborene Musiker beeinflussen, die darin eine Haltung sowie ein Lebensgefühl erkennen, zu denen sie einen Zugang finden.
„Nichts nahm ich mit mir / als meinen Hass / Den pflege ich nun. Täglich begieße ich ihn“, heißt es in dem ersten Song „Ich aber ging über die Grenze“. Stefan Heym thematisiert darin seine eigene Flucht im Frühjahr 1933, kurz nachdem die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland übernommen hatten und der zwanzigjährige angehende Autor sich nach Prag absetzte. Alle der von Stadlober vertonten Gedichte sind in dieser frühen Phase entstanden, zwischen 1931 und 1935.
Es sind Texte über die Wunden, die der Erste Weltkrieg geschlagen hat, über Emigration und Heimatlosigkeit, über eine Lähmung des bürgerschaftlichen Engagements, über Duckmäusertum. Die Musik von Stadlober hat wenig Kantiges, Widerborstiges – ihn reizt offenbar der Kontrast zwischen einem melodischen Fluss und Texten, die mit einer Menge Widerhaken versehen sind. Die instrumentale Besetzung ist ungewöhnlich: Gitarre (Stadlober), Akkordeon (Moheit), Oboe und Blockflöte (Deutschmann). Der Gesang von Robert Stadlober, manchmal unterstützt von Klara Deutschmann, ist leicht, flirrend: Auch hier die Einsicht, dass die Gedichte keine Verstärkung brauchen, kein Pathos, keine akustische Nachdrücklichkeit. Weil dann auch hörbar wird, was in vielen dieser Geschichten steckt: eine Trotzigkeit und manchmal sogar selbstgewisse Hoffnung.
STEFAN FISCHER
Es sind Texte über
Migration, Heimatlosigkeit
und die Wunden
des Ersten Weltkriegs
Klara Deutschmann, Daniel Moheit,
Robert Stadlober:
Vom Aufstoßen der Fenster. 1 CD, 1 Stunde. Argon Verlag, Berlin 2021. 10,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Robert Stadlober vertont Gedichte Stefan Heyms
Stefan Heym war einer der wichtigsten Romanciers der DDR. Man muss daran erinnern, weil seine Werke, etwa „Der König David Bericht“, „5 Tage im Juni“ oder „Ahasver“, inzwischen so wenig präsent sind wie seinerzeit im selbsternannten Arbeiter-und-Bauern-Staat. Dort wurden sie entweder gar nicht verlegt oder nur in kleinen Auflagen. Heym, der vor dem NS-Regime in die USA geflohen war und auch die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen hatte, übersiedelte 1953 in die DDR, wo er zunächst als Antifaschist hofiert worden ist. Doch Heym und die Staatsführung haben sich sehr rasch auseinander gelebt.
In der alten Bundesrepublik wurde Heym hingegen fleißig verlegt. Auch heute, 20 Jahre nach seinem Tod, gibt es viele seiner Bücher nach wie vor zu kaufen. Doch Bestseller sind sie nicht. Umso erfreulicher ist es, dass Stefan Heym auf ganz unerwartete Weise einen Auftritt bekommt: als Texter der Indie-Band Deutschmann Moheit Stadlober.
Der Schauspieler Robert Stadlober hat 19 Songs komponiert und gemeinsam mit Klara Deutschmann und Daniel Moheit eingespielt. Die Lyriks sind Gedichte Heyms. „Vom Aufstoßen der Fenster“ funktioniert wie ein Musikalbum, versteht sich aber explizit als Hörbuch. Im Unterschied zu Masha Qrellas „Woanders“. Gemeinsam mit Christina Runge und Diana Näcke hatte die Berliner Musikerin Anfang des Jahres für Deutschlandfunk Kultur ein Hörspiel gleichen Namens realisiert. Und die Songs, die sie dafür komponiert hatte, als Konzeptalbum beim Label Staatsakt veröffentlicht. Die Texte für „Woanders“ stammen von Thomas Brasch, eine Generation jünger als Heym, mit der DDR aber noch heftiger über Kreuz als dieser.
Ein Trend ist das noch nicht, aber doch bemerkenswert, dass innerhalb kurzer Zeit zwei relevante Autoren der DDR, beide seit zwei Jahrzehnten nicht mehr am Leben, mit ihrer Lyrik nachgeborene Musiker beeinflussen, die darin eine Haltung sowie ein Lebensgefühl erkennen, zu denen sie einen Zugang finden.
„Nichts nahm ich mit mir / als meinen Hass / Den pflege ich nun. Täglich begieße ich ihn“, heißt es in dem ersten Song „Ich aber ging über die Grenze“. Stefan Heym thematisiert darin seine eigene Flucht im Frühjahr 1933, kurz nachdem die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland übernommen hatten und der zwanzigjährige angehende Autor sich nach Prag absetzte. Alle der von Stadlober vertonten Gedichte sind in dieser frühen Phase entstanden, zwischen 1931 und 1935.
Es sind Texte über die Wunden, die der Erste Weltkrieg geschlagen hat, über Emigration und Heimatlosigkeit, über eine Lähmung des bürgerschaftlichen Engagements, über Duckmäusertum. Die Musik von Stadlober hat wenig Kantiges, Widerborstiges – ihn reizt offenbar der Kontrast zwischen einem melodischen Fluss und Texten, die mit einer Menge Widerhaken versehen sind. Die instrumentale Besetzung ist ungewöhnlich: Gitarre (Stadlober), Akkordeon (Moheit), Oboe und Blockflöte (Deutschmann). Der Gesang von Robert Stadlober, manchmal unterstützt von Klara Deutschmann, ist leicht, flirrend: Auch hier die Einsicht, dass die Gedichte keine Verstärkung brauchen, kein Pathos, keine akustische Nachdrücklichkeit. Weil dann auch hörbar wird, was in vielen dieser Geschichten steckt: eine Trotzigkeit und manchmal sogar selbstgewisse Hoffnung.
STEFAN FISCHER
Es sind Texte über
Migration, Heimatlosigkeit
und die Wunden
des Ersten Weltkriegs
Klara Deutschmann, Daniel Moheit,
Robert Stadlober:
Vom Aufstoßen der Fenster. 1 CD, 1 Stunde. Argon Verlag, Berlin 2021. 10,99 Euro.
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»Kontrastreich sind die Stücke und HEYM jonglieren gekonnt mit diesen Gegensätzen. [...] Dass man um Lyrik zu vertonen behutsam sein muss, ist für mich eine Notwendigkeit und in diesem Fall ist das ganz meisterhaft gelungen.« Petra Kuhn, petrasbuecherapotheke.de, 16.12.2021 Petra Kuhn petrasbuecherapotheke.de 20211216