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Der Erzählungsband »Wölfe in der Nacht« des kubanischen Autors Ángel Santiesteban erzählt von einem anderen Kuba, fern der Postkartenidylle und des scheinbar so karibisch-leichten Lebensflairs: verstörend, eindringlich, hochpolitisch. Unbeirrbar erhebt der Kubaner Ángel Santiesteban seine Stimme gegen Willkür und Unterdrückung. Seine Erzählungen sind durchwebt von eigenen Erfahrungen, ihr Spektrum reicht von phantastisch bis zu erschütternd real: Da verschwindet eine Figur aus ihrem Roman, um der Zensur zu entgehen; eine hungrige Meute Männer zieht im Dunkel der Nacht los, um das Fleisch toter…mehr

Produktbeschreibung
Der Erzählungsband »Wölfe in der Nacht« des kubanischen Autors Ángel Santiesteban erzählt von einem anderen Kuba, fern der Postkartenidylle und des scheinbar so karibisch-leichten Lebensflairs: verstörend, eindringlich, hochpolitisch.
Unbeirrbar erhebt der Kubaner Ángel Santiesteban seine Stimme gegen Willkür und Unterdrückung. Seine Erzählungen sind durchwebt von eigenen Erfahrungen, ihr Spektrum reicht von phantastisch bis zu erschütternd real: Da verschwindet eine Figur aus ihrem Roman, um der Zensur zu entgehen; eine hungrige Meute Männer zieht im Dunkel der Nacht los, um das Fleisch toter Rinder zu stehlen; inmitten einer ausgelassenen Feier suchen einen Soldaten Erinnerungen an den Angola-Krieg heim.
Autorenporträt
Ángel Santiesteban, geboren 1966 in Havanna, ist das literarische Gewissen Kubas. Jahrelang war er der gefeierte Autor seiner Generation und wurde mit allen wichtigen Literaturpreisen des Landes ausgezeichnet. Nachdem er einen regimekritischen Blog zu schreiben begann, wurde er wiederholt bedroht und schließlich zu einer Haftstrafe verurteilt. 2015 wurde er auf internationalen Druck freigelassen. Im Juli 2021 nahm er an den Protesten gegen die Regierungspolitik teil und steht seitdem unter Beobachtung. Santiestebans Texte werden in Kuba seit vielen Jahren nicht mehr publiziert. Zuletzt ist auf Deutsch sein hoch gelobter Erzählband 'Wölfe in der Nacht' (2017) erschienen. 2020 wurde er von der Václav Havel Library Foundation mit dem renommierten 'Disturbing the Peace Award' ausgezeichnet.  Thomas Brovot übersetzt aus dem Spanischen und Französischen (u. a. Juan Goytisolo, Federico García Lorca, Mario Vargas Llosa, Severo Sarduy, Jean-Baptiste Andrea) und lebt in Berlin. Seine Arbeit wurde ausgezeichnet mit dem Übersetzerpreis der Spanischen Botschaft, dem Helmut-M.-Braem-Übersetzerpreis und dem Paul-Celan-Preis.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.10.2017

Nur ein Lächeln steht noch in der Luft
In dem Band „Wölfe in der Nacht“ erzählt Ángel Santiesteban düstere, kritische Geschichten von Kuba. Einige von
ihnen sind hier zum ersten Mal überhaupt veröffentlicht. Es sind Geschichten, die im Krieg spielen oder im Gefängnis
VON RALPH HAMMERTHALER
Nach dem Luftangriff sind nur noch acht Soldaten am Leben. Der Schwerverletzte wird nicht lange durchhalten. Trotzdem befiehlt der Hauptmann, weiterzumarschieren. In welche Richtung, ist eigentlich gleichgültig. Das Funkgerät ist kaputt. Ein Sonderling unter ihnen, Brille im Gesicht, blasse Haut, spielt Geige. Niemand gibt zu, dass die Musik tröstet. Als sie auf das Haus einer portugiesischen Familie stoßen, schlägt der Hausherr einen Handel vor: Medikamente, Dosenfleisch und Schnaps für die Geige. Der Hauptmann willigt ein. Erst später wird ihnen klar, was sie verloren haben, und so kehren sie um und holen das Instrument zurück. Ein schwarzer Arbeiter will sie aufhalten, vergeblich. Aber er wirft ihnen eine missliebige Wahrheit an den Kopf: Die angolanischen Genossen seien es leid, den kubanischen Genossen zu helfen.
Mit der Geschichte „13. Grad südlicher Breite“ hätte Ángel Santiesteban schon im Jahr 1992 einen hohen Literaturpreis gewinnen können. Er war der Favorit einer international besetzten Jury in Havanna. Aber als dann politische Polizei aufkreuzte, kam alles anders. Santiesteban, hieß es, dürfe diesen Preis nicht bekommen. Abilio Estévez, selbst Autor und kubanisches Mitglied der Jury, habe für ein entsprechendes Votum zu sorgen. Im Nachwort zu Santiestebans gerade auf Deutsch erschienenen Erzählungen, „Wölfe in der Nacht“, berichtet Estévez von dem Vorfall. Nicht ohne seine damalige Feigheit einzugestehen.
In den 1990er-Jahren drängte in Kuba eine junge Generation von Erzählern ans Licht, die von der um hohle Schlagwörter nie verlegenen Kritik die „Novísisimos“ genannt wurden, also die Neuesten. Mit staatsideologisch geschminkter Literatur wollten sie nichts mehr zu tun haben. Stattdessen schrieben sie über den ramponierten Alltag, über das Elend in den Gefängnissen, über politische Heuchelei und fragwürdige Abenteuer wie den Krieg in Angola. Dorthin nämlich schickte Castros Regime seine Soldaten in den Jahren 1975 bis 1991, denn Revolution galt den Herrschenden als potenziell globaler Exportartikel. Wer sich nichts vormachen ließ, musste verzweifeln. Unzählige Soldaten verloren ihr Leben.
Über den Militäreinsatz in Angola schrieb Ángel Santiesteban eine Reihe von existenziell, wenn nicht existenzialistisch getönten Geschichten. Als in „Die Vergessenen“ ein Hauptmann langsam im Sumpf versinkt, ohne dass ihm jemand zu Hilfe käme, greift er nach dem Gewehr und feuert auf seine Soldaten. Getroffen fällt ein Unteroffizier zu Boden. Die übrigen sehen zu, wie der Hauptmann qualvoll untergeht. Den Krieg in Angola hat Santiesteban nicht selbst erlebt. Doch sein Bruder wird ihm einiges erzählt haben. Weil er den Sinn des Einsatzes bezweifelte, überzeugt, dass die angolanische Bevölkerung darin nichts als eine Besatzungsmacht erkannte, verweigerte er den Dienst. So wurde er im Alter von siebzehn Jahren das erste Mal ins Gefängnis gesteckt. Hinter Gittern, sagt er, habe er soziale Mechanismen studiert, so eindringlich, dass er fortan wusste, was er wollte und was es zu verteidigen galt.
In „Das Lächeln in der Leere“ lässt er eine Romanfigur, kaum hat der Autor das Manuskript im Lektorat abgegeben, um ihr Leben kämpfen. Der Figur ist klar, dass sie keine Chance hat, schon gar nicht bei den Zensoren. Denn leider hat ihr der Autor Sätze in den Mund gelegt, die sie als unangepasst ausweisen, „enttäuscht von diesem erbärmlichen Leben, mit dem wir geschlagen sind“. Was Santiesteban hier treibt, ist eine Art von „Ontotextologie“, wie der deutsch-georgische Autor Giwi Margwelaschwili sagen würde. Wie verhält sich ein Textmensch in der Buchwelt, wenn es ihm in der Realwelt an den Kragen geht? Er steigt aus der Tonne und flieht mit dem Manuskript. Gestellt von den Verfolgern, bleibt ihm nichts anderes übrig, als die Blätter zu zerreißen und zu verschlucken. Und damit Fetzen für Fetzen auch selbst zu verschwinden. Am Ende steht nur noch ein Lächeln in der Luft. Aber auch das wird verschwinden, sobald die Lippen das letzte Blatt aufgenommen haben.
Seit zehn Jahren darf Santiesteban in Kuba nichts mehr veröffentlichen. Darum liegt mit der deutschsprachigen Ausgabe „Wölfe in der Nacht“ der seltene Fall vor, dass etliche Geschichten zum ersten Mal überhaupt zu lesen sind, nicht im spanischen Original, sondern in der gelungenen Übersetzung von Thomas Brovot. Den nüchternen Zungenschlag, die existentielle, auch sprachliche Härte dieser Prosa kann man nur bewundern.
Geboren wurde Ángel Santiesteban 1966 in Havanna. Er hat einen Sohn und eine Tochter; von seiner Frau ist er geschieden, sie setzte ihm mit abstrusen Vorwürfen, die wie von hoher Warte inszeniert wirkten, gerichtlich zu. In Wahrheit jedoch verhaftete man ihn 2013 wegen seines regimekritischen Blogs „Los hijos que nadie quiso“, „Die Kinder, die niemand wollte“. In Kuba lässt sich der Blog nicht aufrufen. Jenseits von Kuba aber soll er jede Menge Leserinnen und Leser haben. Überraschend gelangte Santiesteban Mitte 2015 wieder auf freien Fuß, allerdings auf Bewährung. Das Auswärtige Amt, damals noch unter Frank-Walter Steinmeier, habe, so heißt es, maßgeblich daran mitgewirkt. Seither verzeichnet der kritische Blog wieder neue Einträge.
So wie es in diesem Band mehrere Angola-Geschichten gibt, gibt es auch mehrere Gefängnisgeschichten. Im Krieg und im Gefängnis sind Männer meistens unter sich. Und so wird über die Schwächsten, vielleicht ein wenig zu oft auf 260 Seiten, das Schicksal der analen Vergewaltigung verhängt. Aber die Zärtlichkeit, die Santiesteban einem Putzmann zukommen lässt, einer Transe, die sich in einen Gefangenen verliebt, von allen nur „die Hündin“ gerufen, durchbricht raffiniert die abgeriegelte Welt von Macht und Ohnmacht. Während seiner letzten Inhaftierung, im berüchtigten Gefängnis Valle Grande, schrieb Santiesteban über einen politischen Häftling, der eine Revolte vereitelt, weil er das System nicht mit Gewalt schlagen will. Doch nicht mal in „Mandela, sie kommen dich holen!“ erzählt er eine Heldensaga. Durch Folter wird der Häftling gebrochen, sodass er zu allem nur noch Ja und Amen sagt.
Nur einmal herrscht ein leichterer Ton vor, in der Geschichte eines Vampirs in Havanna. Fatalerweise aber strebt der Untote ans Licht, zur Sonne, zur Freiheit. Das kann nicht gut gehen. Man muss, wenn man Santiesteban liest, von allen Illusionen lassen. Literarisch wird man dafür aufs erstaunlichste belohnt. Was passiert mit dem schwarzen Kriegsgefangenen in Angola, der eine erbeutete Nähmaschine ins Lager trägt? Er lächelt, er hilft, wo immer er kann, auf der ganzen Strecke. Kurz vor der Ankunft führt ihn ein Soldat, dem er gerade noch von seinen Kindern erzählt hat, abseits des Weges ins Gestrüpp. Der Soldat zieht eine Pistole. Noch wäre ein offenes Ende denkbar. Aber Ángel Santiesteban entscheidet sich für den Schuss.
Ángel Santiesteban: Wölfe in der Nacht. 16 Geschichten aus Kuba. Aus dem Spanischen von Thomas Brovot. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2017. 272 Seiten, 22 Euro. E-Book 18,99 Euro.
Den Krieg in Angola hat
Santiesteban nicht erlebt. Doch
sein Bruder hat ihm davon erzählt
Nur manchmal durchbricht hier
Zärtlichkeit die abgeriegelte
Welt von Macht und Ohnmacht
Im Jahr 2015 wurde Ángel Santiesteban überraschend aus dem Gefängnis entlassen. Daran hat auch das Auswärtige Amt mitgewirkt.
Foto: Hendrik Rojas/S. Fischer Verlag
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2017

Ein Tier, das über sich selbst herfällt

Endlich auf Deutsch: Die phänomenalen Erzählungen des Kubaners Ángel Santiesteban.

Von Paul Ingendaay

Dies sind Geschichten von Männern - Männern, die hungern, Männern, die mit Waffen durch den Sumpf marschieren, Männern, die geschlagen oder vergewaltigt werden, Männern, die stundenlang in der Kloake schwimmen, wegen eines Stücks Fleisch ihr Leben riskieren oder an einer Gefängnismauer sterben. Nehmen wir das Letzte. Man glaubt doch, die Konventionen der Gefängnisgeschichte zu kennen. Als Leser, der in Frieden und Freiheit aufgewachsen ist, könnte man sich fragen: Gibt's da noch was Neues? Aber dann kommt jemand wie der kubanische Erzähler Ángel Santiesteban, Jahrgang 1966, und dann klingt es so: "Der Mond hängt dort wie ein Lampion, vom Wind nach Lust und Laune bewegt, aber für uns, die wir durchs Oberlicht schauen, wird so viel Schönheit unerträglich. Keiner der Gefangenen will länger hinsehen, sein Schein taucht uns in Hilflosigkeit, macht uns Angst, und dann möchten wir am liebsten die Zeit in Bewegung versetzen, den Raum, die Vergangenheit, möchten mit den Händen die Gegenwart und die Zukunft formen, als wären sie aus Ton."

Das ist nicht nur der Ton eines großen Erzählers, der das Elend seiner Figuren poetisch durchdringt und uns seine Bilder so dicht vor die Augen hält, dass es schmerzt. Das ist auch der Ton seines preiswürdigen Übersetzers Thomas Brovot, der den Stil des Autors mit rabiater Zärtlichkeit und untrüglichem Rhythmusgefühl in einer anderen Sprache neu erschafft. Und so geht man von einer Erzählung zur nächsten, um ihren ramponierten Helden zu folgen, hört ihren Atem zischen und ihr Herz pochen und weiß genau: Unglück ist das Einzige, was sich in der Literatur lohnt. Und fragt sich dann doch, wie Santiesteban es schafft, dass seine Geschichten Zeile für Zeile dem Klischee entkommen, obwohl so viele Situationen der Abteilung "Kämpfe harter Männer" entstammen. Bis man erkennt: Nur Form und Sprache retten sie, machen sie neu, als sei so etwas noch nie zuvor geschrieben worden.

Form, Sprache, Handwerk, das sind die Dinge, von denen Santiesteban am liebsten spricht. Wie er sich Nacht für Nacht hinsetzt und an den Sätzen feilt, auch wenn die Seiten jahrein, jahraus nur in die Schublade wandern. "Die Kinder, die niemand wollte" heißt eine Geschichte. Sie handelt vom Fluchtversuch auf einem Gummifloß, der Angst, der verzweifelten Sehnsucht, nach Florida zu entkommen und die riesige Gemeinde des kubanischen Exils noch ein bisschen größer zu machen. Diese "Kinder, die niemand wollte" sind unter Eingeweihten in Kuba zum geflügelten Wort geworden, denn so - "Los hijos que nadie quiso" - heißt Ángel Santiestebans Blog, in dem er seit Jahren von den Menschenrechtsverletzungen der Castro-Diktatur berichtet. Eine Freundin im Ausland bestückt die Website, Santiesteban liefert ihr die Texte, und so gibt es immerhin eine kleine Gegenwahrheit zur Knebelpolitik eines verkommenen Regimes, dem nur noch Schläfer und Dummköpfe irgendeine Revolutionsromantik zugestehen.

Eine der anrührendsten Geschichten trägt den Titel "Ölbild mit Frau und Blumen an einer Ecke in Luanda oder Guanabo Beach". Sie zeigt den Mann (den Schriftsteller, Außenseiter, Kriegsheimkehrer) im Ruhemodus. Aber auch da jagen ihn seine Dämonen. Er setzt sich ins Auto und fährt los, beobachtet die Tanzenden in einer Diskothek, trinkt Bier, hat schnellen Sex, wird ausgeraubt, fährt weiter, er begegnet jemandem wieder, aber die Frau erkennt ihn nicht, es ist egal, er ist wie eine leere Hülle, die von einer Ecke des Raums in die andere geworfen wird, und da, wo die Erzählung plaziert ist, mitten im Buch, wird einem klar, dass es für diesen Menschen keine einzige Minute der Erholung gibt, weil die Gedanken nicht stillstehen und die Dämonen niemals schweigen.

Hält man Santiestebans frühere, auf Spanisch vorliegende Bücher neben diesen Auswahlband, sein erstes Buch auf Deutsch, kann man nachzeichnen, wie sich Motive und Figuren von kürzeren in längere Texte verlagern und Form annehmen. "Ich bin glücklich", sagte er mir bei einer Begegnung vor knapp sieben Jahren in Havanna. Glücklich, obwohl er in Kuba nicht mehr veröffentlichen durfte. Glücklich, obwohl er unter der Drohung stand, aufgrund konstruierter Anschuldigungen und gekaufter Belastungszeugen ins Gefängnis zu müssen.

Das Urteil wurde im Dezember 2012 gesprochen: fünf Jahre Haft wegen angeblichen "Hausfriedensbruchs" (seine erste Frau spielt in dem Drama eine unrühmliche Rolle) und anderer nicht minder erfundener Delikte. Doch schweigen wir von der Geschichte mit dem jungen Mann, den der Schriftsteller mit seinem Auto verletzt haben soll, schweigen wir von den brutalen Schlägen, die er erhielt, als er die Eltern eines Regimegegners zum Gefängnis begleitete. Zweieinhalb Jahre saß Santiesteban in Haft, und Erzählungen wie "Der Mond, ein Toter und ein Stück Brot" oder "Die Sau" lassen ahnen, was er dort gesehen hat. Auch wenn er heute immer noch nicht publizieren oder das Land verlassen darf, er ist freier, als er es vor ein paar Jahren war.

Damals erzählte er auch von einem frühen Kompromiss mit der Staatsmacht, seinem einzigen: Man bat ihn in den neunziger Jahren, zwei Erzählungen, die von der Sinnlosigkeit des Angola-Kriegs handeln, aus einem geplanten Buch herauszunehmen. Santiesteban galt als große Hoffnung der neuen kubanischen Literatur, das Castro-Regime warb gern mit den jungen Stimmen, nur mitspielen mussten sie und durften die rote Linie nicht übertreten. "Der Minister bot mir eine Wohnung an", erzählte der Autor damals. "Eine Eigentumswohnung dafür, dass ich aus meinem Buch zwei Erzählungen herausnehme." Und so schloss Santiesteban einen Pakt, den er bald darauf brach, denn er schrieb weiterhin, was er für richtig hielt, und wollte es auch noch veröffentlicht sehen, und wenn wieder eine kulturpolitische Feierstunde kam, lehnte er es ab, an Castros Tisch zu sitzen. So wurde Santiesteban von einem gefeierten, mit Preisen bedachten Talent zu einem Geächteten, um den jeder, dem an seiner Karriere lag, einen Bogen machte.

Das Buch "Wölfe in der Nacht" ist der Zeuge dieser Kämpfe. Gewidmet ist es der Lateinamerika-Kennerin und Literaturvermittlerin Michi Strausfeld, die "in den dunkelsten Momenten da war". Im Nachwort erzählt der kubanische Autor Abilio Estévez noch eine andere erhellende Geschichte, nämlich, wie er 1992, als Juror bei einem wichtigen kubanischen Literaturpreis, von der politischen Polizei beiseitegenommen wurde. In der Jury war man sich schnell einig gewesen: Die beste Erzählung war die eines sechsundzwanzigjährigen Schriftstellers namens Ángel Santiesteban. Sie hieß "13. Grad südlicher Breite", und sie handelte vom Angola-Krieg, einem planlos durch die Gegend irrenden Haufen junger Soldaten und einer Geige. Die politische Polizei überzeugte den Juror Estévez davon, dass die Erzählung den Preis auf keinen Fall gewinnen durfte. Und sie gewann ihn nicht. Ein Vierteljahrhundert später steht sie in diesem Buch.

In "Das Lächeln der Leere" erzählt Santiesteban aus der Sicht einer literarischen Hauptfigur, die sich selbständig macht und über ihren Autor nachdenkt. Eingeklemmt zwischen Manuskriptseiten, wird sie zur Zensurbehörde gebracht, landet auf dem Müllberg der subversiven Schriften und beschließt, die Flucht zu riskieren. Was bei anderen konstruiert klingen würde, hier wirkt es zwingend: wie viel Notwendigkeit im Schreiben steckt, wie viel Sturheit und Selbstaufgabe. Es gibt keinen schwachen Text in dieser Sammlung, nichts Flaues, Bequemes. Das Elend und die Tapferkeit, das Einstecken und Ertragen wären für den Künstler Santiesteban nichts wert, wenn seine Kunst nicht auf der Höhe der Ereignisse wäre.

So werden die Geschichten dieses Bandes zu einem Roman, der in Episoden von ein und demselben Mann erzählt oder doch von sehr nahen Verwandten, es sind Stationen einer einzigen Kreuzwegerfahrung - jung sein, keine Hoffnung spüren, nichts zu essen haben, in den Krieg ziehen, nicht mitspielen, in den Knast gehen, wieder rauskommen, nicht dazugehören, sich betäuben. Und so weiter. Manchmal sehen wir als Leser mehr die Opfer, manchmal die Täter, doch glücklich sind beide nicht. Das eigentliche Leben läuft ohne diesen Helden ab. So einer muss aufpassen, das Licht meiden und das Telefon abklemmen - "wie ein Tier auf der Lauer, nur dass ich auf die Gelegenheit warte, über mich selbst herzufallen". Vielleicht ist das wirklich das beste, das angemessene Bild für den grandiosen Ángel Santiesteban: Er ist ein Künstler, der bereit ist, über sich selbst herzufallen.

Ángel Santiesteban: "Wölfe in der Nacht". 16 Geschichten aus Kuba.

Aus dem Spanischen von Thomas Brovot. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2017. 272 S., geb., 22,- [Euro].

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Mit bitterem, jedoch verhaltenem Humor verhandelt der kubanische Schriftsteller Wut und und Ohnmacht gegenüber der staatlichen Zensur. Eva-Christina Meier taz 20171212