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Gregor Gysi gehört zu den schillerndsten Politikern in Deutschland: hochintelligent, schlagfertig, charismatisch. Als Chef der PDS hat er wie kein Zweiter schroffe Ablehnung, aber auch herzliche Zuneigung erfahren. Als Dissidentenanwalt, dem immer wieder Kontakte zur Stasi vorgeworfen wurden, avancierte er zur ostdeutschen Reizfigur schlechthin. Jens König, der Gysis Aufstieg seit 1989 publizistisch begleitet hat, widmet sich in seiner Biographie nicht nur der Person selbst, sondern auch einem weitgehend unbeachteten Kapitel: der Familiengeschichte.

Produktbeschreibung
Gregor Gysi gehört zu den schillerndsten Politikern in Deutschland: hochintelligent, schlagfertig, charismatisch. Als Chef der PDS hat er wie kein Zweiter schroffe Ablehnung, aber auch herzliche Zuneigung erfahren. Als Dissidentenanwalt, dem immer wieder Kontakte zur Stasi vorgeworfen wurden, avancierte er zur ostdeutschen Reizfigur schlechthin. Jens König, der Gysis Aufstieg seit 1989 publizistisch begleitet hat, widmet sich in seiner Biographie nicht nur der Person selbst, sondern auch einem weitgehend unbeachteten Kapitel: der Familiengeschichte.
Autorenporträt
König, Jensgeboren 1964 in Ost-Berlin, hat Journalistik in Leipzig studiert. Er war vom November 1989 bis März 1994 Chefredakteur der "Jungen Welt". 1994 wechselte er zur "tageszeitung" (taz) und war zunächst Leiter des Inlandressorts. Seit 1999 ist er Leiter des Parlamentsbüros.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.09.2005

Immer nur reden . . .
Dreifach-Biographie über Vater und Sohn Gysi sowie die DDR

Jens König: Gregor Gysi. Eine Biographie. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2005. 252 Seiten, 19,90 [Euro].

Gregor Gysi müsse erst noch zeigen, ob er "wirklich mehr kann, als aus einer totalitären eine demokratische Partei zu machen". Das schreibt jetzt sein offenbar unbescheidener Biograph Jens König. Als ob das eine Kleinigkeit wäre, und als ob es unbestreitbar sei, daß die Linkspartei - vormals PDS, vormals SED - demokratisch ist. Sie will es jedenfalls sein. Ihrer liebsten Leitfigur, dem einzigen Politiker, der eine weit über das eigene Milieu hinausreichende Strahlkraft besitzt, wird kaum jemand absprechen, Demokrat zu sein. Der 57 Jahre alte Rechtsanwalt Gregor Gysi, Sproß aus "kommunistischem Uradel", wie König schreibt, will von der Erbschaft des Marxismus-Leninismus-Sozialismus wie viele andere Träger großer Namen aus dem anderen deutschen Staat nur eines bewahren, die Legitimität des Anfangs.

Die Gysi-Biographie entstand ohne Mitwirkung ihres Protagonisten. Sie zeigt den Autor, der am Roten Kloster in Leipzig Journalistik studierte und in der Nachrevolutionszeit Chefredakteur der Tageszeitung "Junge Welt" war, als einen geistig freien Menschen. Unbefangen, allenfalls aus Angst vor juristischen Nachstellungen besonders sorgfältig arbeitend, hat er seine persönliche Anschauung des Staates, dessen Absterben Gysi so rede- und satisfaktionsfähig wie wenige überstand, in diesem Porträt wunderbar genutzt. König sah, was offenkundig und doch ein Geheimnis war: Gregor Gysi versteht man besser, wenn man etwas von seiner Familie weiß. Seine Herkunft gebe seinem Leben geradezu die "Pointe". Gysi, das Kind aus bürgerlichem Haus, Sohn eines "linientreuen Dissidenten", wie sich der Wirtschaftshistoriker Kuczynski nannte, steht in einem ganz besonderen Verhältnis zur DDR - und zur PDS. Eine Dreifach-Biographie ist so entstanden, über Klaus und Gregor Gysi und über die DDR.

Klaus Gysi war 1931 in die KPD eingetreten, seine spätere Frau Irene 1945. Deren Bruder Gottfried heiratete im Exil in Südrhodesien Doris Lessing, die als Schriftstellerin noch berühmter ist als ihr Neffe Gregor Gysi als Politiker. Aus dem französischen Exil schickte die KPD 1940 Klaus und Irene ins nationalsozialistische Deutschland zurück, was für den Juden Gysi lebensgefährlich war. Mit viel Glück überlebte das Paar in der Villa der Lessings am Schlachtensee. Nach dem Krieg übernahm er den damals klassischen Posten eines stellvertretenden Bürgermeisters von Berlin-Zehlendorf, zuständig für Ordnung und Sicherheit. Johannes R. Becher machte ihn zum Chefredakteur des "Aufbau", er wurde Volkskammermitglied, Leiter des Aufbau-Verlages, Botschafter der DDR in Italien, Staatssekretär für Kirchenfragen, auch "Geheimer Informator" des Ministeriums für Staatssicherheit. Zwischendurch fiel er in Ungnade, wurde entlassen, gemaßregelt, erhielt den nächsten Posten, den er wendig, etwas zynisch und absolut parteiloyal ausfüllte; wie es so zugeht unter Kommunisten. Auch Irene Gysi machte Karriere. Sie leitete den Verlag Rütten & Loening und später die Hauptabteilung "Internationale Beziehungen" des Kulturministeriums. Nach der Scheidung der Eltern 1958 lebten die Gysi-Kinder bei der Mutter.

Andere hat der menschenschinderische Antifaschismus der KP vom Kommunismus abgebracht, andere haben sich gegen die doktrinäre SED aufgelehnt. Nicht Klaus Gysi. Sein Sohn Gregor fand seinen eigenen Weg in die "linientreue Dissidenz". Er wurde Strafverteidiger, was in der DDR immenses Geschick verlangte, und das ist, wenn man König folgt, neben der Sohnschaft der zweite bestimmende Faktor in Gysis Leben. Der Sohn des weltläufigen Kulturpolitikers, der jederzeit als "beinharter SED-Funktionär" auftreten konnte, verteidigte die Staatsfeinde der DDR, Bahro und Havemann, er haute Unschuldige aus dem Gefängnis und erleichterte Oppositionellen die Haftzeit. "Was nicht beweisbar ist, gibt man nicht zu", habe Gysi 1990 einem ertappten IM in der PDS-Fraktion der Volkskammer geraten.

So redet ein Verteidiger zu einem Kriminellen, aber es taugt nicht dazu, nach einer Revolution laut formuliert zu werden. Wenige Äußerungen von Gregor Gysi sind so unvorsichtig. Gysi, seines Vaters Sohn und der Anwalt seines untergegangenen Landes und der untergegangenen SED: Königs Darstellung ist dicht, bestens informiert und fair. Das sieht man in den Kapiteln über Gysis Stasikontakte und über sein Judentum. Der Biograph will mit dem schlagfertigen Gysi nicht wetteifern, aber König könnte, wenn er wollte, an Klarsicht und Formulierungslust durchaus mithalten.

Eine regelrechte Enthüllung bietet König: Gysi sei gar kein Politiker. Er "glaubt daran, daß sich mit Vernunft und guten Argumenten fast alles regeln läßt". Macht bedeute für ihn "Macht über ein Publikum". Er "strebt nicht nach Macht", schreibt König im Kapitel über Gysis vierten Anlauf in die Politik - nach dem PDS-Parteivorsitz, dem Fraktionsvorsitz im Bundestag und der Amtszeit als Berliner Wirtschaftssenator: "Er will reden." Um das öffentliche Reden zu sichern, darf er seine Anwaltszulassung nicht verlieren - und kann gelegentlich Politiker sein.

MECHTHILD KÜPPER

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.09.2005

Privilegierter Außenseiter
Ein Porträt Gregor Gysis, das noch viele Fragen offen lässt
Ist es ein Manko, dass Gysi nicht bereit war, auch nur im mindesten an Königs Biografie mitzuwirken, ist es ihm zu verdenken? Sie sei zu Lebzeiten „unangemessen”, so Gysi bescheiden, dabei hat er doch selbst bereits drei autobiografische Bücher abgefasst. Rechtzeitig zur Bundestagswahl erschienen ist nun die Erzählung der Familiengeschichte der Gysis - Jens König, seit 1999 Leiter des taz-Parlamentsbüros, hofft, das Phänomen Gregor Gysi luzider zu machen.
Instruktiv ist König dies Unterfangen zumindest gelungen, wenn es um Klaus Gysi geht - die großbürgerlich-jüdische Herkunft des Vaters von Gregor, der antifaschistische Widerstand, der zynische Karrierist in der DDR-Nomenklatura. Seine gesamte mütterliche Verwandtschaft wurde in KZ-Lagern ermordet; Klaus’ Rückkehr nach Nazideutschland im Auftrag der KPD 1940 ein „Irrsinn”. Degoutant sein Verhalten in der DDR: Er beerbt den geschassten Ulbricht-Gegner Walter Janka 1957 als Leiter des Aufbau-Verlags. Er unterstützt die Niederschlagung des Aufstands 1953 und verteidigt den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die CSSR 1968, was zu einem ersten Zwist zwischen Vater und Sohn führt. Kulturminister, Botschafter, Staatssekretär für Kirchenfragen: witzig, eloquent, lebenslustig, wendig, ein „Frauenheld”. Eine kompetente und differenzierte Darstellung des bereitwillig mit der Stasi kooperierenden Vaters.
Gregor, schnieke und behütet (Kindermädchen!) in der DDR aufgewachsen, „betet” seinen Papi an. Dem Facharbeiter für Rinderzüchtung bleibt die Einberufung zur NVA erspart. In seinem Jurastudium fällt Kommilitonen sein Hang zu Rabulistik auf, mit knapp 24 avanciert er zum jüngsten Rechtsanwalt der DDR. Auch für ihn als „privilegierten Außenseiter” geht es ohne taktische Zugeständnisse an die Staatsmacht nicht ab: er dealt mit ihr, auch im Interesse seiner Mandanten. Es gilt, Spielräume zu nutzen und auf nicht ungefährlichen „Gratwanderungen” zu manövrieren. Ein mutiger Verteidiger von Rudolf Bahro 1978 und ein Jahr später von Robert Havemann, der zur Ersatzfigur für den zunehmend skeptisch beurteilten Vater wird. Den Vorwürfen, als IM „Notar” bzw. IM „Sputnik” fungiert zu haben, widmet sich König ausführlich, um zu konstatieren, die „widersprüchliche Aktenlage” erlaube lediglich die Unschuldsvermutung: in dubio pro reo.
Die SED gezähmt
Für König ist Gysi ein typischer Vertreter der von Gorbatschow motivierten Reformergeneration in der DDR; er spricht von Gysis „konspirativem Avantgardismus”. Seine grundlegende Illusion habe allerdings darin bestanden, sich eine sozialistische DDR plus modernen und bürgerlichen Rechtsnormen vorstellen zu können. Seit 1990 sei Gysi die „personifizierte Restelite des Ostens”, der den Ossis ihre Sprachlosigkeit nehme. Die PDS „war die einzige Partei”, die, so König, „konsequent bis zur Rücksichtslosigkeit ostdeutsche Interessen vertrat”. Und wiederum der „einzige”, der die PDS 1990 „am Leben erhielt, war Gysi”. König weiter: Gysi, wie ein „großer, frecher Junge” wirkend, sei ein Kommunist, der auch „sozialdemokratische und pazifistische Traditionen” ernst nehme. Der „echte Gysi” habe bei seiner Wahl zum neuen Parteivorsitzenden der SED im Dezember 1989 „sentimental” angemerkt: „Wer bin ick denn, det ick die Partei, die Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht jegründet haben, det Licht ausknipse.” Ein Mann, König kryptisch, „in dessen ganzen Körper die kommunistische Bewegung steckte”; der ein „ganz elementares Gefühl von sozialer Gerechtigkeit” habe und sich als Außenseiter reflexartig auf die Seite der Schwächeren stelle.
Gregor Gysi ein Opportunist oder eine Ikone? Ein populistischer „politischer Junkie” oder ein harmoniesüchtiger „Romantiker”, der unbeirrt an „das Gute im Menschen” glaube? Gleichviel: Die „historische Mission” Gysis bestand König zufolge darin, „große Teile der DDR-Elite gewaltfrei in die bundesdeutsche Gesellschaft geführt” zu haben. Die geschichtliche Leistung Gysis sei darin zu sehen, die SED „gezähmt” und „zivilisiert” zu haben.
Die Vorgänge um seinen Rücktritt 2002 nach einem halben Jahr als Berliner Wirtschaftssenator bleiben undurchsichtig. Die Begründung, seine Privatnutzung dienstlich gesammelter Lufthansa-Bonusmeilen: nur ein vorgeschobener Grund, da null Bock mehr auf Kärrner-Arbeit als „roter Wirtschaftsliberaler”? Oder gescheitert am „Moralismus”, zum „Opfer seines Charismas” geworden? Man erfährt wenig zum „aktuellen” Gysi: Zeitmangel, -druck des Autors? Das Enigma G.G. bleibt auch nach der Konsultation Königs.
THOMAS ECKARDT
JENS KÖNIG: Gregor Gysi. Eine Biographie. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2005. 352 Seiten, 25 Abb., 19,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Ein für den Wahlkampf vorgezogener Titel mag dieses Buch vielleicht sein, ein Schnellschuss ist es nicht, versichert Rezensent Christoph Dieckmann, der es besonders Westlesern empfehlen möchte, die hierin eine Menge über den Osten erfahren können. Aber vor allem natürlich zu Gysi. Positiv wertet Dieckmann, dass Jens Königs nicht drauf verzichtet, Gregor Gysis Biografie mit dessen Vater Klaus beginnen zu lassen, der jüdisch-großbürgerlicher Herkunft in den dreißiger Jahren zur KPD stieß und sich in der DDR als "verlässlicher Opportunist der Macht" erwies, einer macht, die er durchschaute, aber an die er auch glaubte. Ähnlich wie dieser habe auch Gregor Gysi, erklärt uns Dieckmann Königs Interpretation, zwar gegen diese Macht rebelliert, sei aber der "Welt des Hoffens und des Glaubens nicht entkommen". Überzeugend findet Dieckmann auch, das Könnig Gysi als einen Politiker des gelungenen Auftritts und nicht der Akten schildert. Vorsichtige Kritik meldet er an zwei Punkten an: mehr hätte er gern über Gysis Lebenskrisen erfahren und vielleicht auch ein etwas fundierteres Urteil zu den Stasi-Vorwürfen als nur das "Im Zweifel für den Angeklagten".

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