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»Ich gehe auf den Maidan. Wer kommt mit?«, schrieb der ukrainische Journalist Mustafa Najem im November 2013 auf Facebook. Aus einer lokalen Demonstration gegen die autokratische Entscheidung des Präsidenten Viktor Janukowytsch, das Assoziierungsabkommen mit der EU nicht zu unterzeichnen, wurde eine landesweite Protestbewegung: der Euromaidan. Mehr als hundert Menschen wurden getötet, als der friedliche Protest in Gewalt umkippte.
Ein halbes Jahr später ist in der Ukraine nichts mehr, wie es war. Nach dem Sturz des korrupten Regimes nutzt der russische Präsident Vladimir Putin die
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Produktbeschreibung
»Ich gehe auf den Maidan. Wer kommt mit?«, schrieb der ukrainische Journalist Mustafa Najem im November 2013 auf Facebook. Aus einer lokalen Demonstration gegen die autokratische Entscheidung des Präsidenten Viktor Janukowytsch, das Assoziierungsabkommen mit der EU nicht zu unterzeichnen, wurde eine landesweite Protestbewegung: der Euromaidan. Mehr als hundert Menschen wurden getötet, als der friedliche Protest in Gewalt umkippte.

Ein halbes Jahr später ist in der Ukraine nichts mehr, wie es war. Nach dem Sturz des korrupten Regimes nutzt der russische Präsident Vladimir Putin die Fragilität der Übergangsregierung aus und lässt seine Armee ins Nachbarland einmarschieren. Während eine reife ukrainische Zivilgesellschaft die Bildung neuer staatlicher Strukturen bewacht, schwört der Kreml die Bürger auf einen nationalistischen imperialen Kurs ein.

»Euromaidan« steht für die Hoffnung auf Erneuerung der ukrainischen Gesellschaft. Für eine nachgeholte Revolution. Für den Alptraum eines neuen Ost-West-Konflikts. Wird es sie geben: eine freie, selbstbestimmte Ukraine an der Seite Russland und Europas? Schriftsteller, viele von ihnen Aktivisten, erzählen von den aufwühlendsten Tagen ihres Lebens. Historiker, Soziologen und Politikwissenschaftler versuchen sich an einer Anatomie des Augenblicks.
Autorenporträt
Juri Andruchowytsch, geboren 1960 in Iwano-Frankiwsk/Westukraine, dem früheren galizischen Stanislau, studierte Journalistik und begann als Lyriker. Außerdem veröffentlicht er Essays und Romane. Andruchowytsch ist einer der bekanntesten europäischen Autoren der Gegenwart, sein Werk erscheint in 20 Sprachen. 1985 war er Mitbegründer der legendären literarischen Performance-Gruppe Bu-Ba-Bu (Burlesk-Balagan-Buffonada). Mit seinen drei Romanen Rekreacij (1992; dt. Karpatenkarneval, 2019), Moscoviada (1993, dt. Ausgabe 2006), Perverzija (1999, dt. Perversion, 2011), die unter anderem ins Englische, Spanische, Französische und Italienische übersetzt wurden, ist er unfreiwillig zum Klassiker der ukrainischen Gegenwartsliteratur geworden.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Juri Andruchowytsch herausgegebenen Band über die Situation in der Ukraine scheint Katharina Granzin sehr erhellend. Neben persönlichen Reportagen mit eingehenden Augenzeugenberichten über die Ereignisse auf dem Maidan findet sie in dem hochaktuellen Buch eine Reihe von Essays und Hintergrundanalysen. Besonders schätzt sie die Fähigkeit der Autoren und Autorinnen, persönlich Erlebtes mit allgemeinen Beobachtungen zu verbinden. Granzin lobt namentlich die Texte von Katja Petrowskaja, Kateryna Mishchenko und Serhij Zhadan. Beiträge von Osteuropa-Historikern wie Timothy Snyder und Anton Shekhovtsov ergänzen für sie das Bild und verdeutlichen insbesondere die Rolle rechter Gruppierungen. So bietet der Band nach Ansicht der Rezensentin ein beeindruckendes Gesamtbild der Lage in der Ukraine.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.05.2014

Und dann klingelten die Handys der Toten

Wer die Ukraine verstehen will, muss dieses Buch lesen. Es räumt auf mit Märchen und Vorurteilen und erzählt die andere Geschichte des Majdan.

Wir haben viel gehört aus der Ukraine in den vergangenen Wochen, sehr viel sogar; aber eines haben wir nicht vernommen: wie der Herzschlag dieses zerrissenen Landes klingt. In diesem Buch kann man ihn spüren und vernehmen. Es heißt "Euromaidan" und ist eine Sammlung von Essays osteuropäischer Schriftsteller und Wissenschaftler, das am Samstag bei Suhrkamp erscheint. In all dem Getöse zwischen Putin-Verstehern und Ukraine-Verfechtern führt es vor, was für die Ukraine heute auf dem Spiel steht. Und wie es so weit kommen konnte.

Natürlich ist es ein Wagnis, in dieser aufgeheizten Situation ein solches Buch zu publizieren. Jeder Tag kann eine neue Wendung bringen. Vieles ist unklar, dafür tobt umso heftiger der Deutungskrieg. Jede Nachricht ist mit Vorsicht zu betrachten, weil sich der Augenschein schon oft als trügerisch erwiesen hat. Gerade deshalb ist "Euromaidan" so wichtig. Weil es erklären kann, warum der Aufstand in Kiew so schnell gewaltsam wurde und warum es sich weniger um eine Trennung zwischen Ost und West als vielmehr um den Kampf zwischen Vergangenheit und Zukunft, sowjetischem und antisowjetischem Denken handelt. Und es entlarvt die absurden Propagandamärchen. Da wird noch einmal die Geschichte jener Frau erzählt, die im russischen Fernsehen als Angehörige der verfolgten russischsprachigen Minderheit wahlweise in Charkiw, Odessa und auf der Krim auftrat. Auch die "Flüchtlingsströme" der 750 000 russischsprachigen Ukrainer vor Nationalisten nach Russland, über die "Der erste Kanal" berichtete, mit Bildern von endlosen Autoschlangen an einem Grenzübergang, wurde entlarvt. Tatsächlich nämlich zeigte das russische Fernsehen Bilder von der Grenze nach Polen, die viele Ukrainer zum Einkaufen überqueren.

Auch wenn die Reflexionen und Deutungen der Autoren, weil sie den laufenden Prozess kommentieren, wie ein Eingriff am offenen Herzen anmuten, ist der Band alles andere als ein Schnellschuss. Zu verdanken ist dies Katharina Raabe. Die Suhrkamp-Lektorin ist Doyenne der osteuropäischen Literatur. Die großgewachsene Sechsundfünfzigjährige, die schon bei Rowohlt Berlin an diesem Programm zu feilen begann, baute nach ihrem Wechsel zu Suhrkamp im Jahr 2000 ihr osteuropäisches Haus großzügig aus. Heute hat wohl kein Verlag eine vergleichbare Präsenz in der osteuropäischen Literatur. Die Tochter des Marbacher Bibliothekars Paul Raabe versammelt so originelle Stimmen wie die Ukrainer Juri Andruchowytsch, Katja Petrowskaja und Serhij Zhadan, die Russin Alissa Ganijewa und den Polen Andrzej Stasiuk. Und sie alle sind nicht nur durch Neuerscheinungen präsent, sondern bringen sich auf vielerlei Weise ins Gespräch ein, führen kontroverse Debatten wie jüngst auf der Verlagswebsite unter dem Stichwort "Gibt es eine osteuropäische Literatur?" Jetzt beteiligen sie sich mit Beiträgen an "Euromaidan".

Als typische Quereinsteigerin brachte Katharina Raabe die entsprechende Begeisterung für das neue Terrain mit. Von Haus aus ist sie Musikerin mit einem Magister in Philosophie. Seit den frühen neunziger Jahren engagierte sie sich als Lektorin für osteuropäische Literatur. Und erkannte schnell, dass etliche ihrer Autoren nur deshalb nicht "ankamen", weil geeignete Übersetzer fehlten. Erst vor zwölf Jahren fand sie die deutsche Stimme für Juri Andruchowytsch im legendären "Club der Polnischen Versager" - ein glücklicher Zufall. Seitdem erreicht dessen anspielungsreiches und karnevaleskes Werk auch die deutschen Leser.

Bei Katharina Raabe, die Anfang April selbst auf dem Majdan in Kiew war, schwingt fast so etwas wie Stolz mit, wenn sie über "ihre" Autoren spricht. Weil sie mutig seien, sagt sie, und aktiv. Denn dass auf diese Autoren im Westen niemand gewartet hat, weiß sie natürlich: "Der vollgestopfte deutsche Buchmarkt ist doch froh, wenn er nicht auch noch mit Büchern aus Osteuropa behelligt wird." Gerade deshalb kämpft sie dafür, dass Andruchowtysch, Zhadan und die anderen nun nicht als "Kriegsgewinnler" dastehen, deren Werke kurzfristig rezipiert werden, weil die Ukraine gerade Thema ist. "Sie haben vorher großartige Literatur hervorgebracht und werden es weiterhin tun, und der ,Euromaidan' ist das Ergebnis dieser langjährigen, vertrauensvollen Zusammenarbeit."

Was Autoren wie Kateryna Mishchenko, Katja Petrowskaja und Tanja Maljartschuk in ihren Texten für den Band "Euromaidan" beschreiben, kreist ein ums andere Mal darum, wie Systeme Menschen zerstören können: "Glauben Sie mir, wenn ich sage, dass ich meine ganzen dreißig Jahre lang Angst davor hatte, die Tür des Büros eines Beamten zu öffnen?", schreibt Tanja Maljartschuk. Die neunundzwanzigjährige Kateryna Mishchenko aus Kiew kann den Zwiespalt der ukrainischen Realität kaum mehr ertragen. Das Wort "Horror" hat sie früher nur mit Filmen und Träumen in Verbindung gebracht, ohne je das Gefühl von Sicherheit zu verlieren. Damit ist es vorbei. Die Unmöglichkeit, das reale Entsetzen zu begreifen, wirkt sich physisch auch auf diejenigen aus, die unverletzt geblieben sind. Juri Andruchowytsch muss unentwegt sein rasendes Herz beruhigen. Ausgerechnet an jenem schicksalhaften 22. Februar, als Präsident Janukowitsch aus dem Land floh, drohte es auszusetzen. Damals schluckte er als Gegenmaßnahme rechtzeitig eine "Megadosis Corvalolum". Tanja Maljartschuk hat Panikattacken. Sie bekommt dann keine Luft mehr, und die Wirklichkeit verschwimmt, "du glaubst, jetzt gleich, im nächsten Moment, bist du tot". Die Persönlichkeitsstörung betrifft nicht nur sie: "Von meiner Sorte gibt es Millionen." Weil die Ukraine alle krank gemacht habe.

Während Katja Petrowskaja von den Bürgern Kiews erzählt, Ärzten, Apothekern, Handwerkern, die den Majdan mit dem Nötigsten versorgten, von Medikamenten bis zu Öfen, kann Juri Andruchowytsch Julija, die Volontärin im Sanitätsdienst, nicht vergessen. Am 20. Februar wurde sie zum Telefondienst eingeteilt. Man brachte ihr die Handys der Gefallenen. Sie hatte die Aufgabe, die Anrufe für diejenigen anzunehmen, die es nicht mehr gab. Immer mehr Samsungs und Nokias stapelten sich vor ihr. Dann begann eines nach dem anderen zu klingeln.

Während der amerikanische Osteuropahistoriker Timothy Snyder den "Schleier der Propaganda" in der Ukraine zu lüften versucht, liefert Anton Shekhovtsov eine Analyse zu Rolle und Einfluss des Rechten Sektors, einer Bewegung von derzeit "ungefähr dreihundert Mitgliedern", die dem Londoner Parteienforscher zufolge keine ernstzunehmende Opposition darstelle. Nach den Umfragen käme der Rechte Sektor heute auf 2,3 Prozent der Stimmen, die andere rechte Partei, Swoboda, auf 3,6 Prozent. Martin Pollack schließt sich mit einem Essay über die "Macht der Lügen" in Zeiten des Unfriedens an, der Putins geheimdienstliche Methoden der Zersetzung und der Desinformation beschreibt und sie mit den Praktiken während des Stalinismus vergleicht.

Wilfried Jilge schließlich erklärt "Russkij Mir". In diesem Konzept Putins gehört die Ukraine zum Kernbestandteil dieser "russischen Welt" und damit eines orthodox-postsowjetischen, der Europäischen Union entgegengestellten Orbits. Grundlagen der von Moskau herbeigeträumten künftigen Russlandwelt sind die ostslawischen Völker der Russen, Ukrainer und Weißrussen. Nicht zufällig sprach Putin in seiner Krim-Rede über "Russkij Mir". Folgt man Jilges Argumentation, wäre die Annexion der Krim, die auf den ersten Blick als kalte und zügig durchgeführte Aktion erscheint, in Wahrheit eine Verzweiflungstat - um die Ukraine mit aller Macht in der "russischen Welt" zu halten. Es sind solche Informationen, die helfen, nicht nur die Ereignisse der vergangenen Monate zu verstehen, sondern Fehler in der Zukunft zu vermeiden. Weil es ganz so scheint, als würden atmosphärische Ängste in dieser Krise mindestens so sehr eine Rolle spielen wie handfeste politische Entscheidungen.

SANDRA KEGEL

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.05.2014

Die Einsamkeit des Protestes
„Ich gehe auf den Maidan. Wer kommt mit?“ – Adam Michnik und Juri Andruchowytsch stellen
in der Berliner Volksbühne ein erstes Buch zur ukrainischen Revolution vor
VON JENS BISKY
Jeder Jux findet in Berlin vor vollem Haus statt. Als aber Juri Andruchowytsch und Adam Michnik am Dienstagabend ein Buch zur ukrainischen Revolution vorstellten, war die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz halb leer. So viel zur Brückenfunktion der Stadt zwischen West und Ost.
  Adam Michnik ist Chefredakteur der größten polnischen Tageszeitung, der Gazeta Wyborcza , die ein Kind des Revolutionsjahres 1989 ist. In der vergangenen Woche, am 8. Mai, feierte sie ihren 25. Geburtstag. Der Schriftsteller Juri Andruchowytsch spricht mit Adam Michnik auf Polnisch. „Euromaidan“, das Buch, um das es ging, ist für den Augenblick berechnet, ein Versuch, die Ereignisse der letzten sechs Monate zu verstehen ( Euromaidan. Was in der Ukraine auf dem Spiel steht. Hrsg. von Juri Andruchowytsch. Suhrkamp Verlag, Berlin 2014, 207 Seiten, 14 Euro ). „Ich gehe auf den Maidan. Wer kommt mit?“, hatte im November 2013 der Journalist Mustafa Najem auf Facebook geschrieben. Am 22. Februar wurde der Präsident Janukowytsch abgesetzt, seit dem 21. März soll die Krim zu Russland gehören.
  Die Nachrichten sind bekannt, die Propagandascharmützel enden nicht. Dagegen setzen die kurzen Texte des Buches persönliche Erinnerungen und halb politikwissenschaftliche, halb zeithistorische Analysen. Sie setzen zum Verständnis nicht mehr voraus als reflektierte Neugier und einen Minimalkonsens: Die Ukraine ist ein Staat und kein Territorium; die Ukrainer haben das Recht, in Würde zu leben; in revolutionären Zeiten ändern sich Konstellationen, Koalitionen und Positionen von Tag zu Tag.
  Nein, sagte Adam Michnik, der im Buch nicht vertreten ist, die ukrainische Revolution sei nicht wie die polnische des Jahres 1989. Sie richte sich gegen die „Deformationen eines posttotalitären Staats“. In den Arbeitszimmern des Kreml geht das „Gespenst des Maidan“ um. Die gegenwärtige Politik Russlands lasse sich gut mit einer Wendung Stalins charakterisieren: „Vor Erfolgen von Schwindel befallen“.
  Michnik nennt sich selbst einen „antisowjetischen Russophilen“. In Deutschland scheint es davon nicht so viele zu geben. Streng unterscheidet er zwischen Putin und Russland. Wo aber Putin zu Floskeln der Sowjetpropaganda greift und zu Herrschaftstechniken aus Sowjetzeiten, da hilft der über Jahrzehnte geschulte Witz der Osteuropäer. „Was ist eine Aggression? - Ein Überfall, der ohne Zustimmung der Sowjetunion erfolgt.“ „An wen grenzt die Sowjetunion? – An wen sie will.“ An diesen Witz erinnert der polnische Erzähler Andrzej Stasiuk im Buch in einem erhellenden Essay über den „uneindeutigen Staat“ Russland, über einen „Staat unterwegs“ – und zwar im Raum, im nahezu unbegrenzten Raum.
  Stasiuks Text steht neben anderen, knappen, notwendig vorläufigen Analysen: Der Historiker Timothy Snyder und der Slawist Martin Pollack wollen die „Schleier der Propaganda“ lüften; Anton Shekhovtstov erkundet die Politik des „Rechten Sektors“; der Osteuropahistoriker Wilfried Jilge macht sich einen Reim auf Putins Politik. Pflichtlektüre wird der Band durch die Erinnerungen der Aktivisten und Augenzeugen. Sie schreiben gleichsam noch im Handgemenge, geben bereitwillig zu, dass sie sich vorerst kaum analytisch äußern können. Das hat nicht nur mit dem mangelnden zeitlichen Abstand zu tun, sondern auch mit der Logik der Ereignisse. Kateryna Mishchenko hat bis vor Kurzem das Kulturmagazin Prostory herausgegeben. Sie berichtet, wie der Maidan entstand, „aus dem Bedürfnis zu schenken und zu teilen“. Am 1. Dezember 2013 seien „Kiewer Obdachlose und andere Randgestalten dafür bezahlt worden, Regenbogenfahnen zu schwenken. Um die Proteste als Demonstrationen für „Gayropa“ oder „Eurosodom“ zu diskreditieren, wurde im Januar eine „Pride Parade“ gefakt, 100 bis 150 Euro erhielt, wer bereit war, sich als Aktivist für die Rechte der Schwulen und Lesben zu verkleiden und im Kiewer Zentrum zu demonstrieren.
  Die Erinnerungen an die Tage des Maidan konfrontieren den Leser mit Wut, Empörung, Zorn, mit politischen Leidenschaften, Bedürfnissen nach Gemeinschaft, mit Gefühlsintensitäten, die es im friedlichen deutschen Alltag kaum gibt, die mühsam abtrainiert wurden. Katja Petrowskaja, mit ihren Geschichten „Vielleicht Esther“ bekannt geworden, spürt, „dass dieses In-der-Kälte-dort-in-Kiew-auf-dem-Maidan-Stehen-Gott-weiß-wie-lange-und-ob-wir-gewinnen tausendmal europäischer war als unser Sitzen in den warmen Berliner Stuben.“ Halbsätze voller Verlassenheit, der Empfindung, einsam zu protestieren, in Europa missverstanden zu werden, finden sich viele in diesem Buch.
  Wie geht es weiter?Welche Szenarien sind möglich?, wollte der Moderator Manfred Sapper, Chefredakteur der Zeitschrift Osteuropa , am Dienstag in Berlin wissen: Adam Michnik warnte vor dem alten Fehler, Schuld immer bei anderen zu suchen, Rettung von außen zu erwarten, und warb zugleich für europäische Solidarität. Putin, der auch Russland töte, müssten – ohne Krieg – Grenzen gesetzt werden. Andruchowytsch sagte, er könne eine Teilung der Ukraine nicht ausschließen. Es gebe das ungelöste Donbass-Problem und bei manchen in der Ukraine die Ansicht „Bitte, weg!“ Putins Aggression habe andere Regionen vereinigt. Die Wahlen werden stattfinden, die größte Arbeit liege noch vor den Maidan-Revolutionären.
  Auf der Straße, erzählt man sich, vielleicht in Odessa, plaudern zwei Jungs: „Du, ich traue mich nicht mehr, russisch zu reden.“ – „Wieso? Sind Nationalisten in der Nähe? Hast du welche gesehen?“ – „Nein, aber wenn ich russisch rede, kommt Putin, mich zu retten.“
  Adam Michnik, Jahrgang 1946, im kommunistischen Polen drangsaliert, inhaftiert, Berater der Opposition, verkörperte in der Volksbühne einen Freiheitssinn ganz ohne Eiferei. Andruchowytsch, Jahrgang 1960, stand für den Unwillen, despotisch regiert zu werden, für eine existenzielle Freude an der Gemeinsamkeit von Kunst und Revolution. Trauer um die Toten, Ohnmacht, Ratlosigkeit – wie geht es weiter mit dieser posttotalitären Revolution für die Würde der Ukrainer? – verbitterten das Gespräch nicht. Man erzählte Witze, scherzte, spottete. Wer gekommen war, erlebte einen erhellenden Abend in freundlichster Atmosphäre. Keine Spur von der Verbissenheit, die unter jenen herrscht, die Putin rechtfertigen wollen. 
Der Witz der Osteuropäer ist
ungebrochen: „An wen grenzt
Russland? An wen es will.“
Eine Teilung der Ukraine könne
er nicht ausschließen, so
Juri Andruchowytsch
„Der Maidan war aus dem Bedürfnis zu schenken und zu teilen entstanden“, schreibt Kateryna Mishchenko, der Maidan, das seien „Tausende Menschen, die ein neues revolutionäres Projekt geschaffen haben.“ – 2. Dezember 2013, Kiew, Unabhängigkeitsplatz.
Foto: dpa
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»Der Band Euroamaindan - Was in der Ukraine auf dem Spiel steht ist so aktuell, wie ein gedrucktes Buch überhaupt nur sein kann.« Katharina Granzin taz. die tageszeitung 20140531