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Die Geschichte Europas im 20. Jahrhundert kennzeichnet ein Auf und Ab von fortschrittlicher Entwicklung und Katastrophen. Moderne Technologien und gesellschaftliche Reformen ließen die Zukunft zunächst rosig erscheinen, doch der Fortschritt brachte Konflikte, und der Erste Weltkrieg beendete diese frühe Modernisierungsphase Europas jäh. Nach einer kurzen Erholung in den 1920er Jahren erlebte der Kontinent mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust dann eine beispiellose Katastrophe - um danach wie Phönix aus der Asche aufzusteigen und, zunächst in seiner westlichen Hälfte, doch noch den Weg…mehr

Produktbeschreibung
Die Geschichte Europas im 20. Jahrhundert kennzeichnet ein Auf und Ab von fortschrittlicher Entwicklung und Katastrophen. Moderne Technologien und gesellschaftliche Reformen ließen die Zukunft zunächst rosig erscheinen, doch der Fortschritt brachte Konflikte, und der Erste Weltkrieg beendete diese frühe Modernisierungsphase Europas jäh. Nach einer kurzen Erholung in den 1920er Jahren erlebte der Kontinent mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust dann eine beispiellose Katastrophe - um danach wie Phönix aus der Asche aufzusteigen und, zunächst in seiner westlichen Hälfte, doch noch den Weg zu Demokratie und Wohlstand zu finden.
Konrad H. Jarausch erzählt die Geschichte Europas bis in die jüngste Vergangenheit hinein und erklärt die widersprüchlichen Entwicklungen, das Janusgesicht des 20. Jahrhunderts von Gewalt und Versöhnung, Ausbeutung und Solidarität.
Eine großartige Gesamtgeschichte Europas und gleichzeitig eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der Ambivalenz von Fortschritt und Moderne.
Autorenporträt
Konrad H. Jarausch, geb. 1941 in Magdeburg, ist Historiker und Professor an der University of North Carolina. Bis 2006 war er Leiter des Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF) in Potsdam.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2018

Was hier geschah, war stets modern

Das große Ganze temperiert optimistisch im Blick: Konrad H. Jarausch konzentriert sich in seiner Geschichte Europas auf die vier Hauptmächte.

Von Jürgen Osterhammel

Als an Weihnachten 1991 das lange Unvorstellbare geschah und nach dem "Ostblock" nun auch die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken in der historischen Versenkung verschwand (und mit der Union auch gleich der Sozialismus), da sahen sich manche Historiker aufgefordert, einer nunmehr abgerundeten, also "historisch" gewordenen Epoche einen kohärenten Sinn zu verleihen. 1914 bis 1989/91: das ergab ein akkurat datierbares "kurzes" zwanzigstes Jahrhundert. So sah es Eric J. Hobsbawm in seinem berühmten und vielgelesenen Buch "Das Zeitalter der Extreme" (zuerst 1995), das im Gewand einer Weltgeschichte im Grunde eine Geschichte Europas vor globalem Hintergrund ist.

Nicht jeder hatte das Gefühl, 1992 in einer neuen Zeit zu erwachen, und mit den Jahren wuchsen die Zweifel, ob wir das unbegreifbar widersprüchliche zwanzigste Jahrhundert tatsächlich hinter uns gelassen haben. Die Sowjetunion war ein historisches Problem, das sich selber löste. Andere Probleme blieben; manches schien und scheint sich zu wiederholen. Die Finanzkrise von 2008 erinnerte sogar Politiker, denen an der Geschichte sonst nur die eigene Rolle in ihr wichtig ist, an die Weltwirtschaftskrise acht Jahrzehnte zuvor. Und der neueste Nationalismus und Autoritarismus ruft die Jahrzehnte vor 1945 ins Gedächtnis, als Europa, wie es der New Yorker Historiker Mark Mazower im Titel seiner eigenen Geschichte Europas im 20. Jahrhundert ausgedrückt hat, ein "dunkler Kontinent" war, sogar der dunkelste von allen.

Es sind also "neue" Geschichten Europas im zwanzigsten Jahrhundert möglich und nötig, und es gibt gute Gründe, sie bis nahe an die Gegenwart heranzuführen. Konrad H. Jarausch hält sich in einer Erzählung, die im Wesentlichen chronologisch angelegt ist, nicht pedantisch an die kalendarischen Randdaten 1900 und 2000. Wo es geboten ist, greift er ins neunzehnte Jahrhundert zurück, etwa wenn er die imperialen und kolonialen Voraussetzungen auch noch der Zeit nach 1918 herausstreicht. Stets hat er den Fluchtpunkt des Heute vor Augen.

Europas Geschichte ist für ihn nicht einfach ein Triumph westlicher Werte. Er sieht die Wiederaufrichtung des Kontinents nach dem Zweiten Weltkrieg als fragilen Erfolg, als einen fortwährend gefährdeten und der Verteidigung bedürftigen Sieg moderater Kräfte über die Extreme, die in der ersten Jahrhunderthälfte die Oberhand gewonnen hatten. Auch wenn das Manuskript der amerikanischen Originalausgabe bereits 2014 abgeschlossen wurde, wirkt Jarauschs skeptisch temperierter Optimismus zeitgemäß. Die Brexit-Entscheidung von 2016 und das jüngste Erstarken identitärer Strömungen in anderen Ländern des Kontinents hat er nicht vorausgesehen, doch sie lagen für ihn im Bereich des Denkmöglichen.

Europa, so die Grundbotschaft des Buches, hat einen langen Kampf zwischen drei Spielarten von politischer "Modernität" hinter sich: der liberal-kapitalistischen (auch sozialdemokratischen und gemäßigt konservativen), der links-autoritären und der rechts-autoritären. Die demokratische Mitte hat sich durchgesetzt, aber vielleicht nicht für alle Zeiten. Eindeutiger ist der Befund, wenn es um kulturelle Modernität in einem weiten Sinne geht: In den Künsten hat der Traditionalismus schon vor langer Zeit kapituliert, in der alltäglichen Lebensführung der Europäer ist - unter Verschleifung nationaler Unterschiede - die mobile Konsumgesellschaft selbstverständlich geworden. Sie wurde zunächst teilweise aus den Vereinigten Staaten importiert ("Amerikanisierung"), hat sich dann aber in Europa, zunächst in den Städten, tief verwurzelt. Das ist keineswegs eine ausgearbeitete Theorie der europäischen Entwicklung und auch keine ganz neue Einsicht in die Besonderheiten des Kontinents, bewährt sich aber als loses Interpretationsgerüst, um die vier chronologischen Teile des Buches (1900 bis zur Wirtschaftskrise von 1929, 1929 bis 1945, 1945 bis zur Ölkrise von 1973, seit 1973) aneinanderzuknüpfen.

Da freilich fast alles, was in Europa geschah, für Jarausch auf eine je besondere Weise "modern" gewesen ist, auch - in bestimmten Aspekten - der Stalinismus und der Nationalsozialismus, verliert das M-Wort mit der Zeit seinen analytischen Schneid. Den kann es eigentlich nur im Vergleich unter Beweis stellen. Daran aber fehlt es ein wenig. Die Differenz zur Vormoderne bleibt ebenso undeutlich wie die Unterschiede zu nichtokzidentalen Modernitäten.

Den besonders wichtigen Kontrast zu den Vereinigten Staaten arbeitet Jarausch allerdings immer wieder deutlich heraus. Als Hochschullehrer und Leiter von Forschungseinrichtungen auf beiden Seiten des Atlantiks ist er dazu ausgezeichnet befähigt. Von einem einheitlichen Westen ist bei ihm so gut wie nie die Rede. Vielmehr wollte das Buch schon in seiner amerikanischen Originalausgabe für das liberale, sozialstaatliche und gewaltabstinente europäische Modell des späten zwanzigsten Jahrhunderts werben. Es beruht auf der Erfahrung, dass der mentale Atlantikgraben schon lange vor Trump breiter wurde, als er es in der unmittelbaren Nachkriegszeit gewesen war, und deshalb solche Werbung notwendig geworden ist.

Konrad Jarauschs Darstellung ist auf gediegenste Weise konventionell und überraschungsarm. Provokante Thesen wird man ebenso wenig finden wie erhellende Details und sprechende Anekdoten. Alle kanonischen Standardthemen werden sorgfältig abgearbeitet. Die politische Analyse ist generell überzeugend, Wirtschaft und Umwelt interessieren den Autor weniger. Gesellschaftliche Entwicklungen kann Jarausch vorzüglich charakterisieren; in Relation zur Politikgeschichte hätte man sich davon mehr gewünscht. Besonders gut ist er dort, wo er Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs aufzeigt. Wenn es um die künstlerische Moderne geht, bleibt es zuweilen bei hölzernen Charakterisierungen. Franz Kafka "schilderte die Absurdität des Lebens", und Arnold Schönberg stieß "furchtlos in ein neues Universum vor". Nun ja.

Das Buch vermeidet Länderkapitel, es ist keine historische Enzyklopädie der europäischen Staaten und geht auch zurückhaltend mit länderübergreifenden Großregionen um. Dies ist erkauft mit einer überproportionalen Konzentration auf das, was früher einmal "die europäischen Hauptmächte" hieß: Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Russland. Der Eindruck, den man von Südeuropa oder Skandinavien gewinnt, könnte klarer sein. Der italienische Faschismus wird ausführlich diskutiert, der Spanische Bürgerkrieg so gut wie gar nicht. Das Kapitel über Dekolonisation weitet sich überraschend zu einer nicht sehr fundierten Klage über das Scheitern der Dritten Welt. Aber wir wollen die kritische Kirche im Dorf lassen. Große Synthesen können es den Rezensenten nie ganz recht machen. Der Einwand gegen das Detail tritt zurück hinter den Respekt vor dem gelungenen Ganzen.

Konrad H. Jarausch: "Aus der Asche". Eine neue Geschichte Europas im 20. Jahrhundert.

Aus dem Amerikanischen von Ulrich Bossier. Reclam Verlag, Ditzingen 2018. 1200 S., geb., 49,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Aus schürfender Analyse ist eine ermutigende und anspornende Vision entstanden.«
Hans-Dieter Grünefeld, Buchkultur, Heft 181/2018

»Eine umfassende Geschichte über Europa im 20. Jahrhundert.«
Thomas Speckmann, Neue Zürcher Zeitung, 08.01.2019