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Die Sicherheit, mit der Ingold diese seine eigenen Maßstäbe erfüllt, ist bei diesen neuen Gedichten womöglich noch höher geworden. Wieder sind es knappe Strophenformen, meist Dreizeiler, und ihre semantische und syntaktische Verdichtung hat einen Grad erreicht, an dem sie in eine einleuchtende Unmittelbarkeit umspringt, die weit davon entfernt ist, das Flüchtige der Dichtung, das sich Entziehende vorschnell zu verraten. Felix Philipp Ingolds immer als kompliziert und gelehrt geltende Lyrik hat eine Treffsicherheit des Ausdrucks erreicht, eine Knappheit, die den Lesenden sofort für sich…mehr

Produktbeschreibung
Die Sicherheit, mit der Ingold diese seine eigenen Maßstäbe erfüllt, ist bei diesen neuen Gedichten womöglich noch höher geworden. Wieder sind es knappe Strophenformen, meist Dreizeiler, und ihre semantische und syntaktische Verdichtung hat einen Grad erreicht, an dem sie in eine einleuchtende Unmittelbarkeit umspringt, die weit davon entfernt ist, das Flüchtige der Dichtung, das sich Entziehende vorschnell zu verraten.
Felix Philipp Ingolds immer als kompliziert und gelehrt geltende Lyrik hat eine Treffsicherheit des Ausdrucks erreicht, eine Knappheit, die den Lesenden sofort für sich gewinnt, die das Herz und den Verstand gleichermaßen erobern. Die prekäre Befindlichkeit unserer Existenz, die Flüchtigkeit von Subjekt und Anschauung sind die Elemente dieser Gedichte, und ihre Sprache ist vo derselben prekären Verfassung: stolpernd, mit Auslassungen, sich korrigierend und ins Wort fallend. Die Leichtigkeit, die der Titel Jeder Zeit andere Gedichte suggeriert, ist eine vorgetäuschte: Schönheit ist eine Frage der Überrumpelung. Und ganz sicher hat F. Ph. Ingold in seinen neuen Gedichten der Schönheit und der Poesie erfolgreich eine ganze Reihe von Fallen gestellt! ¶
Autorenporträt
Felix Philip Ingold, lebt und arbeitet nach langjähriger Lehr- und Forschungstätigkeit als Schriftsteller, Publizist und Übersetzer in Romainmôtier/VD. Zu seinen zahlreichen Auszeichnungen gehören der Petrarca-Preis für literarische Übersetzung, der Ernst-Jandl-Preis für Lyrik, der Erlanger Preis für Übersetzung als Poesie und der Basler Lyrik-Preis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.09.2003

Vom Klacken der Konjunktionen
Einen Augenblick nicht sein: Felix Philipp Ingolds Gedichte

In Gedichten kommt es, sagt man mit guten Gründen, mehr als in den meisten anderen Texten auf Punkt und Komma, auf jeden Buchstaben, auf jedes Wort und auf dessen Schreibweise an. Lyrikleser wissen das. Sie lassen sich deshalb Zeit für genaue Beobachtungen der sprachlichen Gestalt von Gedichten und beziehen gerade daraus ihr ästhetisches Vergnügen. Bei Felix Philipp Ingold (geboren 1942), der poeta und doctus zugleich ist, Verfasser zahlreicher poetischer, essayistischer und wissenschaftlicher Werke, Professor der Russistik in St. Gallen, kommen solche Leser jedenfalls auf ihre Kosten.

Das beginnt schon beim Titel seines jüngsten Gedichtbandes: "Jeder Zeit" (nicht "jederzeit"). So scheint er zu lauten; aber was sich, typographisch durch die Gestaltung des Buchdeckels und der Titelseite unterstützt, zunächst als erläuternder Untertitel liest - "andere Gedichte" (wobei man sich Gedanken über die Andersartigkeit dieser Gedichte machen könnte) -, das erweist sich bei erneutem Hinsehen zugleich auch als Teil des Titels, so daß es sich anbietet, in ihm die These oder gar die Forderung zu erkennen, jeder Zeit gebührten oder gehörten "andere Gedichte".

Das hört sich nun gewiß nicht geradezu umwerfend neu an. Hatte doch schon Schiller andere als herkömmliche Gedichte vor Augen, als er schrieb, es sei für die Lyrik erforderlich, "daß sie selbst mit dem Zeitalter fortschritte". Um ein "Fortschreiten" der Lyrik ist es auch Ingold zu tun, allerdings um eines der besonderen Art: Seine Gedichte gehen häufig von einem Zitat, einem Motto, einer These oder einem als Titel vorangestellten einzelnen Wort aus und führen solche "Vorgaben" sodann mit Hilfe einer assoziativ verfahrenden Reflexion fort, wobei diese Assoziationen sich an den Leitfäden sprachlicher Klänge (Homophonien), semantischer Figuren (Etymologien) und gedanklicher Verfahrensweisen (Dialektik) entlanghangeln.

Diese Vorgehensweise hat Ingold selbst im Jahr 1996 in der Zeitschrift "Zwischen den Zeilen" erläutert, wo er "Acht Hölderlin zuzuschreibende Gedichte" (das heißt: eigene, auf Hölderlin hin geschriebene Gedichte) veröffentlichte und so kommentierte: "Wenn ich (...) schreibe, so gehe ich aus von etwas Gesetztem, das seinerseits etwas Vorausgesetztes, etwas also Fortzusetzendes ist, nehme mir dieses oder jenes Gedicht Hölderlins vor, hebe das eine oder andre Wort (...) den einen oder andern Vers für mich auf, setze ihn hin aufs unbeschriebne Blatt, höre, sehe ihn mir an, lasse ihn einwirken auf mich elementar als Klangereignis, als schriftbildliche Konfiguration, warte - oft lang - darauf, daß lautliche oder rhythmische Assoziationen sich einstellen, die mir das Weiterschreiben an Hölderlins gesetzten, von mir im Akt des Lesens zersetzten Texten ermöglichen."

So kommen auch im neuen Gedichtband tatsächlich "fortschreitende" Gebilde zustande, Phänomene des "Weiterschreibens", die man zwar als ein wenig unsinnlich bezeichnen darf, deren witzige Intellektualität aber durchaus zu vergnügen vermag, etwa in "Cogito":

Endlich bin

ich in einem Augenblick

nicht. Herrlich

schon gar nicht statt

denken. So ist

sagt Julia

das Leben. Nicht zu retten

das Vergessen.

Klinik statt Kritik. Das tote

Meer sagt sie ist das wärmste. Gemästet

mit süßlichem Salz. Zum Sterben

zu fad. Also bin ich's.

Wie hier Descartes' Kernsatz, so werden in anderen Gedichten biblische Geschichten (Kain und Abel, Holofernes) und Mythen (Ikarus), literarische Orte (Sils Maria), Verse von Walter Höllerer und Stefan George weiter- und umgedacht, und gegen Ende findet sich sogar eine veritable Parodie im ursprünglichen Sinne des Wortes, wenn ein eigener Text ("Geviert") und sein Gegentext ("Negiert") auf gegenüberliegenden Seiten nebeneinandergestellt werden, wobei die Abweichungen zwischen beiden Texten nicht weniger aufschlußreich sind als die Übereinstimmungen zwischen ihnen. So bleibt bezeichnenderweise die "Not der Übersetzung", erkennbar an "klackenden Scharnieren" und "klackenden Konjunktionen", in beiden Texten unverändert erhalten, eine Not, die dem Übersetzer Ingold - er hat Werke aus dem Russischen und aus dem Französischen ins Deutsche übertragen - genauestens vertraut sein dürfte. Doch in der Poetik des Weiterschreibens gibt es keinen Unterschied zwischen den Übersetzungen aus fremden Sprachen und den eigenen poetischen Hervorbringungen: "Übersetzen, Schreiben sind für mich eins."

Dementsprechend finden sich die "klackenden Konjunktionen" auch in seinen eigenen Gedichten, am häufigsten (nicht weniger als fünfundzwanzigmal) in der Kombination "und aber", die eigentlich widersinnig und in der Schriftsprache ungebräuchlich ist: "Und / aber besser wär's ja besser zu scheitern. / Als bloß die Welt / zu verlieren und niemanden sonst" oder "Und aber / hinter stumpfen Pupillen haust / kein Sinn". Die Formel "und aber" durchzieht diese Gedichte wie eine geheime Signatur, wie eine Abbreviatur der Poetik Ingolds. Dabei vertritt das Wort "und" das Prinzip der Ergänzung des Vorgefundenen, der Hinzufügung und Weiterung, während das Wort "aber" den Widerspruch, den Einwand, die Alternative dazu artikuliert. Beides gehört aufs engste zusammen, wenn jeder, also auch unserer Zeit "andere" Gedichte offeriert werden.

WULF SEGEBRECHT

Felix Philipp Ingold: "Jeder Zeit andere Gedichte". Literaturverlag Droschl, Graz und Wien 2002. 120 S., geb., 15,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

98 Gedichte im Jahr 2001, das macht alle vier Tage ein Gedicht, rechnet Samuel Moser vor. Wie viele Felix Philipp Ingold verworfen hat, wissen wir natürlich nicht. Im Grunde, meint Moser, sagen alle Gedichte Ingolds das gleiche - auch wenn sie das Gegenteil behaupteten, es sind Wiederholungen, Variationen, aus kurzen drei- oder vierzeiligen Strophen bestehend. "Geviert" heißt das eine, "Negiert" das nächste. Die Gedichte Ingolds sind "unmittelbar einleuchtend", schreibt Moser bewundernd, sie zielten nicht auf eine verrätselte Subjektivität, auf einen komplexen Relativismus. Selten überlasse sich ein Dichter so klaglos und so konsequent dem "Werk der Worte", öffne sich ganz. Das ergibt für Moser Tempo, Leichtigkeit, eine bewundernswerte Einfachheit, die dem "Pathos des Lebens" zärtliche Witze abtrotzt.

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