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54, 74, 90, 2014 - Deutschland reist als Weltmeister mit vier Sternen auf der Brust an und gilt nicht erst seit dem Gewinn des Confed Cup als einer der Favoriten auf den WM-Titel. Es wird spannend in Russland, wenn Jogis Elf auf Klassiker wie Brasilien, Italien und Frankreich trifft: Michael Horeni, der 1974 als Kind beim Strandfußball an der Adria erlebte, was es bedeutet, Weltmeister zu sein, begleitet die Nationalmannschaft seit fast 20 Jahren. Er erzählt uns so detail- und kenntnisreich von der Aura und den Emotionen, von der Geschichte und den Strategien dieses Teams, dass man die…mehr

Produktbeschreibung
54, 74, 90, 2014 - Deutschland reist als Weltmeister mit vier Sternen auf der Brust an und gilt nicht erst seit dem Gewinn des Confed Cup als einer der Favoriten auf den WM-Titel. Es wird spannend in Russland, wenn Jogis Elf auf Klassiker wie Brasilien, Italien und Frankreich trifft: Michael Horeni, der 1974 als Kind beim Strandfußball an der Adria erlebte, was es bedeutet, Weltmeister zu sein, begleitet die Nationalmannschaft seit fast 20 Jahren. Er erzählt uns so detail- und kenntnisreich von der Aura und den Emotionen, von der Geschichte und den Strategien dieses Teams, dass man die Nationalelf mit anderen Augen sieht. Er erklärt uns, warum uns keine andere Mannschaft seit Jahrzehnten so bewegt und der Bundestrainerjob der unmöglichste im ganzen Land ist. Was es heißt, für Deutschland zu spielen, aber die Hymne nicht zu singen. Und was es braucht, um 2018 den fünften Stern aufs Trikot zu sticken.
Autorenporträt
Horeni, Michael
Michael Horeni, geboren 1965 in Frankfurt am Main, schreibt seit 1989 als Sport-Redakteur bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Der studierte Politologe und Philosoph ist seit 2000 zuständiger Redakteur für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft. 1998 erhielt Horeni den Fair-Play-Preis für Sportjournalismus.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.03.2018

Der Geist, der Weltmeister macht

Es gibt nicht nur das Bayern-Gen. In der Nationalelf wird seit Jahrzehnten das Wissen vererbt, wie Deutschland zur besten Turniermannschaft der Welt werden konnte. Das kann auch in Russland den Titel bringen.

Von Michael Horeni

Der FC Bayern hat für das Auftreten eines Profis, der bereit ist, alles für den Sieg zu tun, und selbst in scheinbar aussichtsloser Situation felsenfest an ihn glaubt, einen Begriff geschaffen: das Bayern-Gen. Dieses Gen ist der Träger der bayerischen Fußballidentität, die Erbinformation des Klubs, wie man Spiele und Titel gewinnt, die von Generation zu Generation weitergegeben wird. Zahllosen Spielern ist diese Haltung in Fleisch und Blut übergegangen, seit fast einem halben Jahrhundert funktioniert das Bayern-Gen.

Ein Nationalelf-Gen ist noch nicht entdeckt worden. Aber: Es gibt es.

Ein paar Wochen nach dem Sieg im Confederations Cup 2017 in Russland hat Oliver Bierhoff über das Phänomen gesprochen, dass es Spieler gibt, die in der Nationalmannschaft immer besser werden. Dieses Gen der Nationalelf, das wie bei den Bayern Siege und Titel möglich macht, kennt er sehr genau. Es handelt sich um das tief verwurzelte Wissen, wie man zu einer Turniermannschaft wird, wie man bei großen Turnieren besteht - und am Ende den Pokal in den Händen hält.

Seit dem Jahr 2002 haben die Deutschen in zehn Turnieren bei Welt- und Europameisterschaften und im Confed Cup neunmal mindestens das Halbfinale erreicht, obwohl sich die Mannschaften immer wieder komplett veränderten. Allein Joachim Löw hat rund einhundert neuen Spielern seit 2006 zu einem Debüt verholfen, viele von ihnen sind zwar schon wieder in Vergessenheit geraten, aber die Besten unter ihnen tragen dieses Gen mittlerweile in sich.

Dieses Gen, das Oliver Bierhoff, wenn man es vermarkten würde, wohl das " Adler-Gen" nennen würde, ist ein ganz bestimmter Geist, der in der Nationalmannschaft existiert. Ein Geist, der gepflegt werden will, damit er nicht verschwindet. "Mit dem Adler auf der Brust entsteht etwas ganz Besonderes", sagt der Manager über diesen Geist, den er selbst zwar nicht exakt beschreiben kann, von dem er trotzdem ganz genau weiß, dass er existiert.

Nach bald fünfzehn Jahren als Manager erkennt er die entscheidenden Konstanten, die es ermöglichen, dass dieser Geist von Team zu Team weitergetragen wird, sehr genau. Deutschland hat keinen Messi, keinen Ronaldo und auch keinen Neymar. Die Nationalelf hat zwar auch immer wieder große Spieler in den letzten fünfzehn Jahren hervorgebracht - Schweinsteiger, Lahm, Neuer, Ballack oder Kahn -, und dies wird auch künftig so sein. Aber klar war in all den Jahren immer: Es ist die Mannschaft, die Siege und Titel holt. Und nicht der Superstar, der über allen anderen steht.

Es war ein Zufall, dass ich im Jahr 2004 die ersten Minuten von Per Mertesacker im Kreis der Nationalelf erlebte. Er betrat zwar nur unsicher die Hotel-Lobby, aber diese Momente sind mir, angesichts der Entwicklung, die Mertesacker im deutschen Team nehmen sollte, nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Er war gerade zwanzig Jahre alt geworden und wirkte vollkommen unbeholfen, als er in München das Mannschaftsquartier betrat. Er wusste nicht, wohin mit sich, und schaute sich immer wieder hilflos um. Ein paar Monate zuvor erst war ihm in Hannover der Sprung von der A-Jugend zu den Profis gelungen, und nun sollte er in einem Team mit Kahn und Ballack stehen, den Superstars der Nationalelf. Es stand Per Mertesacker ins Gesicht geschrieben, wie unwirklich ihm diese Vorstellung erschien. Hätte ihn Kahn in diesem Moment angesprochen, Mertesacker wäre zusammengezuckt.

Wenn man nun die Bilder von der WM in Brasilien zehn Jahre später über diese Szene legt, wie ihn seine Mitspieler dafür feierten, dass er nach dem Sieg gegen Algerien den Fernsehreporter anschnaubte, dass er sich jetzt erst mal für drei Tage in die Eistonne lege, wird sichtbar, wie der Geist in der Nationalelf von einer auf die andere Generation übergeht. In Brasilien war Mertesacker in die Rolle hineingewachsen, seine Mannschaft mit allem, was er hatte, zu verteidigen, nachdem er in den Jahren zuvor immer wieder bei großen Turnieren registriert hatte, wie sich gestandene Nationalspieler in schwierigen Situationen verhalten hatten. Daraus zog er seine Schlüsse - und wusste intuitiv, wie er sich im Sinne des Teams und des Erfolgs zu verhalten hatte. Die Spieler, die nun wiederum diesen Mertesacker-Moment erlebten, werden ihn nicht vergessen. Und auf ihre Weise an die nächste Generation weitergeben.

Wie so ein Erfolgsrezept vererbt werden kann, klingt im Prinzip also ganz einfach. Ist es aber nicht. Tatsächlich handelt es sich dabei für Nationalspieler um so etwas wie lebenslanges Lernen, um einmal den ganz großen Titel zu gewinnen, den jede Fußballer-Generation in Deutschland höchstens einmal gewonnen hat, wenn überhaupt: 1954, 1974, 1990 und 2014.

Bierhoff hat das Ergebnis nicht zuletzt dieses Wissens, das die Nationalelf über ein halbes Jahrhundert hinweg in sich trägt, so formuliert: "Wir können auf eine große Tradition aufbauen. Welche Bilder von bekannten Fußballern in Deutschland hat man im Kopf? Bilder, die mit der Nationalmannschaft verbunden sind, ob von Fritz Walter, Uwe Seeler, Franz Beckenbauer, Lothar Matthäus oder Bastian Schweinsteiger. Weltstars entstehen bei Weltmeisterschaften - und als Weltmeister bist du Teil der Historie. Wir können auf eine große Tradition aufbauen."

Es sind nicht zuletzt Kleinigkeiten, die bei großen Turnieren über Titel und Triumphe entscheiden. Und die gelebten und bruchlos weitergetragenen Erfahrungen, wie man in Ausnahmesituationen eines Turniers unter den Augen der gesamten Fußballnation mit diesen Schwierigkeiten und auch miteinander umgeht, gehören zweifellos dazu. In jeder neu formierten Nationalmannschaft muss sich dieser Geist, oder dieses Gen, auf eigene Weise entwickeln.

Ob das gelingt, um den ganz großen Erfolg tatsächlich zu schaffen, lässt sich nie sagen. Wie in Brasilien entscheidet sich so etwas in den schwierigen Momenten. Aber sicher ist: Wer dieses gesammelte Wissen bewahren kann, sitzt auf einem wertvollen Erfahrungsschatz.

Viele unter den Trainern, Spielern und Betreuern wissen dann, wenn es darauf ankommt, was zu tun ist. Und wer es noch nicht weiß, hat zumindest jemand in seiner Nähe, der es weiß. Es ist daher kein Zufall, dass die Nationalmannschaft bei großen Turnieren tatsächlich oft besser war, als es die sportliche Qualität der einzelnen Spieler vermuten ließ. Der Mythos, eine Turniermannschaft zu sein, ist nicht nur ein Mythos, sondern auch das Ergebnis jahrzehntelanger Erfahrung.

Turniermannschaft kann man nicht lernen. Zumindest kann das niemand allein. Auch bei der deutschen Nationalelf unter Joachim Löw gibt es kein Patentrezept, das über die Jahre immer wieder auf dieselbe Weise zum Erfolg führen würde. "Ich habe früher auch immer geglaubt, dass es starre Regeln geben muss", sagt Bierhoff. "Aber das funktioniert nicht." In der Nationalmannschaft habe man es immer wieder, meist alle zwei, aber spätestens alle vier Jahre, mit einer neuen Spielergeneration zu tun. Und jede Generation sei anders, auch wenn diese Unterschiede von außen vielleicht nicht so stark wahrgenommen würden. "Da kann ich nicht stur an meinem Plan festhalten. Ich muss sehen, dass die Spieler uns folgen. Bei einer Truppe muss man mehr pushen und strenger sein, und bei einer anderen muss ich vielleicht gar nicht eingreifen" sagt der Manager. Das heißt: Die Führung der Nationalelf muss sich auch an die Spieler anpassen, nicht nur die Spieler an die Führung.

Beim Confed Cup in Russland, und das war die vielleicht noch größere Überraschung als der Sieg dieser neu formierten Mannschaft, war ihre Fähigkeit, die Verhältnisse zwischen Team und Trainern umzukehren. Nicht die Trainer und Betreuer hatten die Mannschaft motivieren müssen, sagte Bierhoff. Das Team habe selbst so eine Lust und Freude verbreitet, dass es die Trainer und Betreuer motiviert habe. Umgekehrt sorgt die Führung der Nationalmannschaft wiederum dafür, "dass selbst Spieler, die vorher noch nie in einem Team gespielt haben, bei uns zusammenfinden", sagt Bierhoff. "Das schaffen wir durch unsere jahrelange Arbeit, unsere Energie, unsere Kompetenz, aber auch unsere Leidenschaft, Hingabe und Liebe für den Fußball. Das müssen wir auch immer wieder schaffen."

Die Qualität, bei der Weltmeisterschaft 2018 in Russland den Titel zu gewinnen, besitzt die Nationalmannschaft zweifellos. Auch das Reservoir an Talenten ist und bleibt auf absehbare Zeit in einem Land wie Deutschland groß, größer als bei fast allen Konkurrenten. Das sind die äußerlichen Anzeichen, dass man sich um die Zukunft der Nationalmannschaft in den kommenden Jahren keine großen Sorgen machen muss.

Vielleicht wächst in den kommenden Jahren in Deutschland durch die Nationalelf aber auch stärker zusammen, was nun schon länger zusammengehört, aber bisher keine wirkliche emotionale Gemeinsamkeit entwickelt hat. Nach dem Mauerfall haben zwar offensichtlich beide Teile des Landes der Nationalmannschaft bei ihren Titelgewinnen zugejubelt, aber der Osten konnte sich bisher dennoch kaum als gleichberechtigter Teil dieser Erfolgsgeschichte begreifen.

Diese Sehnsucht ist noch immer ungestillt. Die Vielfalt in der Nationalelf zeigt sich seit einigen Jahren vor allem in der Herkunft ihrer Spieler. In den vergangenen Jahren richtete sich der Blick auf die Stars mit Wurzeln in anderen Ländern, die die Nationalelf durch ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten und verschiedenen Temperamente zu einem Modell machte, wie sich eine erfolgreiche Zukunft des Landes gestalten lassen könnte. Auf diese Integrationskraft kann der deutsche Fußball auch künftig bauen, irgendwann vielleicht auch mit einem Spielführer, der den WM-Pokal in Händen hält und nicht auf den Namen Fritz, Franz, Lothar oder Philipp hört.

Das ist aber nicht die einzige Integrationskraft, die noch in der Nationalelf steckt. Dass in den vergangenen 25 Jahren zwar zahlreiche Profis in der DFB-Auswahl spielten und spielen, die in der DDR oder auf diesem Gebiet geboren wurden - von Matthias Sammer über Michael Ballack bis zu Toni Kroos -, hat die Nationalmannschaft zwar immer gestärkt, aber am Unterlegenheitsgefühl im Osten hat das nichts geändert. Das Gegenteil war sogar der Fall, denn auch hier gingen die Besten in den Westen. Der Osten war nur ein Lieferant für den Erfolg. Erst der Aufstieg von Leipzig hat das geändert.

Nun werden bei der WM in Russland, so sieht es zumindest zu Beginn des Jahres 2018 aus, erstmals nach bald dreißig Jahren Mauerfall auch Nationalspieler aus einem erfolgreichen ostdeutschen Klub bei der WM dabei sein. Vor allem Timo Werner könnte dabei eine entscheidende Rolle zufallen. Man stelle sich vor, ein deutscher Nationalspieler, der im Westen aufwuchs, im Osten Karriere machte und Deutschland vielleicht irgendwann zum Titel schießt. Das wäre nicht nur eine wunderbare Fußball-Erfolgsgeschichte. Es wäre auch ein ganz spielerischer Beitrag der Nationalmannschaft zur inneren Einheit des Landes.

Es muss ja nicht immer gleich ein Sommermärchen sein.

Michael Horeni: "Gebrauchsanweisung für die Fußball-Nationalmannschaft".

Piper Verlag, München 2018. 224 S., geb., 15,- Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Horenis Ende April veröffentlichte 'Gebrauchsanweisung' liest sich heute doppelt spannend: als Dokument einer Hoffnung, die zerstieb, und als Analyse eines Problems, das blieb.", Cicero, 26.07.2018