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Produktdetails
Trackliste
CD
1Medina00:06:48
2Merhba00:04:22
3Riyad el cadi00:06:29
4Zidane00:03:58
5Djemaa el-fna00:04:59
6Lied an den Morgen00:06:07
7Pas de quoi00:04:52
8Maalech00:05:09
9Barma soussandi00:06:12
10Sahara sketches00:10:40
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.05.2006

Am Tatort Marokko ermittelt der Kommissar persönlich
Die unendliche Jazz-Geschichte: Zum siebzigsten Geburtstag von Klaus Doldinger gibt es Neues von Passport

Gestern wurde Klaus Doldinger siebzig. Er wird nie aussehen wie siebzig, nie spielen wie siebzig, sich nie benehmen wie siebzig. Der in Berlin geborene, in Wien aufgewachsene, in Düsseldorf eingeschulte und später hauptsächlich als Sopran- und Tenorsaxophonist und Gruppenchef bekannt gewordene Mann strahlte und strahlt eine ganz besondere, unerschütterlich jugendliche Vitalität, Neugier und Abenteuerlust aus wie kein anderer deutscher Jazzmusiker. Es schien, als werde er von den rhythmischen Energien des Jazz durchs Leben getrieben. Auf der Bühne immer in Bewegung, war er den rauhen, erdigen, expressiven Tönen des Saxophons zugetan. Es durfte krachen und mußte swingen.

Doldinger der extrovertierte, unvergrübelte Partymensch einfacher musikalischer Sinnenfreuden? Weit gefehlt. Am Anfang seiner Karriere, als er sich bei den Düsseldorfer "Feetwarmers" auf Amateurfestivals als Verehrer von Sidney Bechet darstellte, die Ehrenbürgerschaft von New Orleans erhielt und sich später unter dem Mainstream-Dach von spätem Swing, harmloser Bebop-Annäherung, Rhythm'n'Blues und Pop-Jazz wohl fühlte, durfte man ihn noch als Publikumsdompteur mit den leichteren Spielarten wahrnehmen. Aber schon in den sechziger Jahren drängte Doldingers multiple Persönlichkeit nach außen. 1966 hatte man, sozusagen als Illustratoren einer Kritikerrunde, ihn und das Free-Jazz-Rauhbein Peter Brötzmann ins WDR-Studio geholt. Da standen sich die beiden Parteien noch feindlich gegenüber. Zwei Jahre später traten beide beim Frankfurter Jazzfestival auf und waren dort die beiden größten Erfolge. Sie spielten zwar auch nicht zusammen, aber Doldinger hatte sich ein fast zwanzig Minuten langes Werk ausgedacht, in dem er zum erstenmal mit freien Passagen und wilden Überblasorgien arbeitete.

1971 gründete Doldinger seine Gruppe "Passport", fortan die Werkstatt seiner globalen Phantasien. Mit einem Paß reist man ins Ausland, und das tat Doldinger geistig und körperlich. Er experimentierte mit Elektronik, orientalischen Skalen, afrikanischen und lateinamerikanischen Rhythmen, europäischen Volksliedern, Breakbeats und Drum 'n' Bass. Die immer wieder umbesetzte Gruppe "Passport", die gelegentlich als deutsches Gegenstück zu dem auch zeitweise mit zwei Europäern (Joe Zawinul und Miroslav Vitous) spielenden Quartett "Weather Report" bezeichnet wurde, reiste um die Welt, gastierte in vierzig Ländern, wurde vom Goethe-Institut als liebster Botschafter dauergeadelt. Prominente Gäste zierten seine Reihen, wie Doldinger überhaupt keine Probleme damit hatte, Musiker in seine Umgebung zu ziehen, die ihm technisch überlegen waren; der große Virtuose ist er ja nie gewesen.

Dazu kam noch ein ganz anderes Leben des Klaus Doldinger, das des Komponisten und Produzenten von Filmmusik. Die für "Das Boot" ist die berühmteste, "Die unendliche Geschichte" und "Baal" sind weitere. Die Titelmelodien zu den Fernsehserien "Tatort", "Ein Fall für zwei" und "Die Kommissarin" sind kommerzielle Erfolge, so wie auch der unter dem Pseudonym Paul Nero betriebene, etwas seichte Pop-Jazz, der in der Szene gelegentlich zu nicht ganz neidfreien Imagebeschädigungen führte. Alles vergessen und vergeben: In den Produktionen und Tourneen der "Old Friends" um die Jahrtausendwende ist Doldinger längst als großer Deutscher und seriöser Spieler in die Gesellschaft so unbedingt integrer Künstlernaturen wie Manfred Schoof und Albert Mangelsdorff aufgenommen worden. In der Remix-Kultur ist er auch schon angekommen - bei Gruppen wie "Marsmobil", "Jazzkantine" und "De Phazz".

Nun, die Geschichte ist natürlich noch lange nicht zu Ende. Gerade ist Klaus Doldingers neue CD "Passport To Morocco" erschienen, mit deren Personal er eine Deutschland-Tournee begonnen hat, bei der ihm zeitweise auch die WDR Big Band und der Trompeter Randy Brecker zur Seite stehen. Doldingers Faszination durch Marokko und (nicht nur) seine Musik geht auf erste Erfahrungen bei einer durch das Goethe-Institut unterstützten Tournee 1964 zurück. Von "prätouristischen Eindrücken" schwärmt er noch heute, von der Freundlichkeit der Leute und der so ganz anderen Musik, die aus den Hinterzimmern der Basare schallte. Für die aktuelle Platte konnte er wiederum bei einer Tournee des Goethe-Instituts die wichtigen Kontakte schmieden - mit Musikern, die längst selbst ihre eigene Kultur in den Rahmen grenzüberschreitender Begegnungen und Verwandtschaften gestellt hatten, zum Beispiel mit dem Sänger und Bassisten Majid Bekkas, der Dozent am Konservatorium von Rabat ist, als bester Kenner der marokkanischen Musik gilt und schon mit Louis Sclavis und Archie Shepp gespielt hat. Bekkas wirkt bei den beiden Live-Aufnahmen der CD und bei einem Stück der Studioproduktion mit.

Insgesamt kreiert Doldinger hier mit seinem siebenköpfigen "Passport" und drei mit vielen ethnischen Instrumenten und Gesang befaßten Marokkanern eine weit gefächerte, intelligente Musik von gut groovendem Afro-Funk bis zu feinen atmosphärischen Klangbildern. Seine Erfahrungen mit den Herausforderungen der Filmmusik hätten ihn für solche Klänge sensibilisiert, sagte er einmal vor langer Zeit. Der "Botschafter"-Status des Bundesverdienstkreuz-Trägers wird gerade mit solchen Projekten bestätigt und gefestigt.

Der "bekennende Klaus-Doldinger-Fan" Sigi Loch, heute Chef der Schallplattenfirma ACT, meint, Doldinger habe einen entscheidenden Beitrag zur Schaffung eines positiv besetzten Bildes deutscher Nachkriegskultur geleistet. Dem kann man nicht widersprechen.

ULRICH OLSHAUSEN

Klaus Doldinger's Passport, To Morocco, Warner 5051011356728

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