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Jacob Wimpfeling: Germania (1501) – Martin Luther: An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung (1520) – Philipp Melanchthon: Oratio de dignitate legum/ Rede über die Würde der Gesetze (1543) – Lazarus von Schwendi: Diskurs und Bedenken über den Zustand des Hl. Reiches von 1570 – Veit Ludwig von Seckendorff: Teutscher Fürsten-Stat (1656) – Princeps in Compendio (1632) – Gundacker Fürst von Liechtenstein: Guettachten wegen Education eines jungen Fürsten... (nach 1648) – Samuel Pufendorf: De statu imperii Germanici/ Bericht von der wahren Beschaffenheit und…mehr

Produktbeschreibung
Jacob Wimpfeling: Germania (1501) – Martin Luther: An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung (1520) – Philipp Melanchthon: Oratio de dignitate legum/ Rede über die Würde der Gesetze (1543) – Lazarus von Schwendi: Diskurs und Bedenken über den Zustand des Hl. Reiches von 1570 – Veit Ludwig von Seckendorff: Teutscher Fürsten-Stat (1656) – Princeps in Compendio (1632) – Gundacker Fürst von Liechtenstein: Guettachten wegen Education eines jungen Fürsten... (nach 1648) – Samuel Pufendorf: De statu imperii Germanici/ Bericht von der wahren Beschaffenheit und Zustand des teutschen Reichs (1667/69) – Gottfried Wolhelm Leibniz: Bedencken (1670) – Gottfried Wilhelm Leibniz: Ermahnung (1679) – Kommentar von Notker Hammerstein
Autorenporträt
Notker Hammerstein war bis zu seiner Emeritierung Professor für Mittlere und Neuere Geschichte an der Universität Frankfurt am Main.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.03.1996

Politische Klassiker gesucht
Notker Hammersteins Edition von Texten der deutschen Staatslehre

Was man "politische Kultur" nennt, ist ein Geflecht gewachsener, eingeübter Verhaltensweisen, die außerhalb rechtlicher Fixierungen sagen, was "richtig" ist, etwa wann ein Minister zurückzutreten hat. Es sind konventionelle Verhaltenserwartungen. Sie wandeln sich langsam, und sie sind voller historischer Erfahrungen. Sie setzen geistige Maßstäbe voraus, die aus der Geschichte und aus klassischen Mustern gewonnen werden. Von solchen Mustern haben die Nationen unterschiedlich große Vorräte. Sollte ein Franzose spontan eine Handvoll Klassiker des politischen Denkens nennen, würden ihm vielleicht Bodin, Montesquieu, Rousseau, Sieyès und Tocqueville einfallen. Ein Engländer könnte Thomas Morus, Hobbes, Locke, Burke und J. St. Mill aufrufen, ein Italiener etwa Thomas von Aquin, Dante, Marsilius von Padua, Machiavelli oder Campanella. In diesen Ländern sind die Klassikertexte fester Bestandteil des Universitätsunterrichts. Sie sind ein immer wieder diskutierter und auf die Gegenwart applizierter Teil der Nationalkultur.

Deutsche geraten hier eher in Verlegenheit. Was fällt ihnen ein, wenn sie nach wichtigen Autoren der Jahrhunderte zwischen 1500 und 1700 gefragt werden? Machen wir die Probe aufs Exempel mit dem von Notker Hammerstein zusammengestellten, sorgfältig kommentierten und vorzüglich ausgestatteten Band. Sein Untertitel lautet "Die Entwicklung der deutschen Staatslehre vom Beginn der Neuzeit bis zur Aufklärung". Man erwartet deshalb Texte, die in irgendeiner Weise als "klassisch" gelten können und die sich mit dem "Staat", mit dem "Gemeinwesen" (res publica) oder der "Obrigkeit" beschäftigen. Aber diese Erwartung wird nur teilweise erfüllt. Unter den neun hier präsentierten Autoren findet sich kein Theoretiker der Politik und nur ein professioneller Jurist (Samuel von Pufendorf) sowie das Universalgenie Leibniz. Im übrigen sind versammelt: der Humanist Jacob Wimpfeling, die Reformatoren Luther und Melanchthon, der Feldherr und Diplomat Lazarus von Schwendi, der Verwaltungspraktiker Veit Ludwig von Seckendorff, ein anonymer Fürstenspiegelautor und der nahezu unbekannte Gundacker Fürst von Liechtenstein.

Das Merkmal der Klassizität gebührt gewiß Wimpfelings "Germania" von 1501, einer patriotisch-gelehrten Regierungskunst und Staatspädagogik. Sie bildet die Eingangspforte des frühneuzeitlichen politischen Denkens in Deutschland. Selbstverständlich ist auch Luthers Schrift "An den Christlichen Adel Deutscher Nation" (1520) ein Klassiker, aber doch einer der Theologie und nur nebenbei eine Schrift zur Besserung politischer Zustände, jedenfalls nicht eine Staatslehre, die Luther auch gar nicht hatte schreiben wollen.

Dies gilt erst recht für Melanchthons Rede über die Würde der Gesetze (1543), ein Gelegenheitswerk, kaum mehr als ein wohlformuliertes Plädoyer für die Pflege des gelehrten Rechts und der übrigen Wissenschaften sowie für Gottesfurcht und gute Sitten. Erst mit Lazarus von Schwendis "Diskurs und Bedenken" über den Zustand des Reiches (1570) kann von "Staatslehre" gesprochen werden. Es handelt sich um eine klug abwägende Schrift eines Politikers, der weiß, wovon er spricht, und der vor allem die Mittel bedenkt, wie das Reich nach innen und außen, finanziell und militärisch wieder handlungsfähig gemacht und wie die Türkengefahr gebannt werden könnte.

Was ist klassisch?

Eine wirkliche "Staats- und Verwaltungslehre" ist dann Veit Ludwig von Seckendorffs "Teutscher Fürsten-Stat" (1656), zweifellos ein Klassikertext. Dieses immer wieder benutzte Regierungshandbuch für den deutschen Mittel- und Kleinstaat nach dem großen Krieg beginnt mit einer modellartigen statistischen Erfassung des Landes und beschreibt dann das gesamte weltliche und geistliche Regiment einschließlich des Finanzwesens. Hammerstein verzichtet auf den Abdruck des dritten Teils und der späteren Additiones, was gewiß vertretbar ist, zumal der komplette "Fürstenstaat" in einem Nachdruck verfügbar ist.

Diesem umfangreichen Werk folgt wiederum ein Leichtgewicht, ein kleiner anonymer Fürstenspiegel von 1632, der bei der Erziehung habsburgischer Prinzen verwendet wurde. Er steht hier gewissermaßen als Beispiel für die Gattung - kaum aber als "Klassiker". Das gleiche gilt für den aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts stammenden Fürstenspiegel des habsburgischen Obersthofmeisters und Diplomaten Gundacker Fürst von Liechtenstein (1580- 1658). Interessant für das Klima der Gegenreformation ist immerhin seine Mahnung zur "Ausrottung der Uncatholischen", wobei allerdings "Discretion" gebraucht werden solle, um keine antikatholische Stimmung zu erzeugen.

Eine der interessantesten Schriften des 17. Jahrhunderts und vielleicht neben Seckendorff der einzige wirkliche Klassiker ist Pufendorfs Schrift über die Reichsverfassung von 1667. Das Geheimnis um das Pseudonym "Severinus de Monzambano" wurde zu seinen Lebzeiten nicht gelüftet. Pufendorf rechnete hier in eleganter und aggressiver Form mit der Schulmeisterei des damaligen Staatsrechts ab und gebrauchte zur Kennzeichnung der Irregularität der Reichsverfassung jenes berühmte Wort, die Verfassung gleiche einem Monstrum - eine Formel, die er übrigens in der Ausgabe letzter Hand wieder verschwinden ließ. Die Aufregung um das kleine Werk war groß. Es gab eine regelrechte publizistische Explosion. Fiametta Palladini hat die lateinischen Gegenschriften 1978 katalogisiert und gewürdigt. Pufendorfs Text wird hier in der lateinischen Fassung mit einer barocken deutschen Übersetzung von 1669 geboten, obwohl von Horst Denzer nicht nur eine moderne Übersetzung in Taschenbuchform, sondern auch dessen zweisprachige Ausgabe von 1994 vorliegen.

Was heißt Staatslehre?

Nur drei Jahre nach jenem Geniestreich entstand ein Gutachten von Leibniz zur inneren und äußeren Lage des Reichs (1670). Auch in ihm wird das alte Thema von der ökonomischen Stärke und der politischen Schwäche des Reichs behandelt, diesmal unter drohender Kriegsgefahr von seiten des expandierenden Frankreichs unter Ludwig XIV. Angehängt ist noch ein weiterer Text von Leibniz, nämlich die "Ermahnung an die Teutsche ihren verstand und sprache beßer zu üben, samt beygefügten vorschlag einer Teutsch-gesinnten gesellschaft" (1679/80), der aber kaum noch zur Staatslehre, sondern eher zur patriotischen Wissenschaftspolitik gehört.

So finden sich also bedeutende und weniger bedeutende Texte nebeneinander, eine Mischung aus Pädagogik, Wissenschaft und Theologie, Verwaltungslehre und rechtspolitischen Erwägungen zur Reichsverfassung. Die Auswahl ist nicht nur, wie der Herausgeber selbst sagt, "ein wenig zufällig" (1114), sondern auch inkonsistent. Eine eigentliche "Staatslehre" scheint es nicht zu geben; sie könnte jedenfalls aus den hier gebotenen Texten nicht rekonstruiert werden. Auch der Klappentext versichert: "Die Frühe Neuzeit kannte keine staatsrechtlichen oder allgemeinpolitischen Schriften in dem uns heute gewohnten Sinne." Das erstaunt gerade bei einem Kenner wie Hammerstein, dem die überreiche Literatur des Staatsrechts der frühen Neuzeit vertraut ist. Das mag daran liegen, daß das an theoretischen Schriften viel reichere 18. Jahrhundert hier nicht einbezogen wurde, offenbar aus Rücksicht auf einen anderen, nicht zustandegekommenen Band.

Möglicherweise erklärt sich die Differenz aber auch aus einem unterschiedlichen Verständnis von Staatslehre: Der Historiker mag darunter alle Schriften verstehen, die sich in irgendeiner Form mit dem (deutschen) Staat der frühen Neuzeit und seinen politischen Problemen beschäftigen. Der Jurist versteht darunter eine im engeren Sinn wissenschaftliche Lehre vom Staat, wie sie in der frühen Neuzeit zunächst in Form der neoaristotelischen Politiken sowie der nachfolgenden Naturrechtssysteme erschien, um sich dann im Laufe des 19. Jahrhunderts in die heutige Allgemeine Staatslehre zu verwandeln.

Die Bildung eines anerkannten Kanons von Texten zum frühmodernen Staatsdenken in Deutschland ist also keineswegs abgeschlossen. Schon die Spezialisten sind sich nicht einig. Von einer Verankerung dieser Texte in der politischen Kultur kann erst recht keine Rede sein. Vieles ist außerdem unerforscht, und nicht zuletzt das vorherrschende Latein bildet eine Zugangsbarriere. Im vorliegenden Band ist sie durch Zweisprachigkeit mustergültig überwunden. Auch der ausführliche Essay des Herausgebers, der vom Spätmittelalter über Humanismus und Reformation in das zerklüftete 17. Jahrhundert führt, bietet einen großangelegten Überblick. Schwierige Textstellen werden ebenso erklärt wie die Entstehungsbedingungen der einzelnen Texte samt neuerer Forschungsliteratur. Insoweit bleiben keine Wünsche offen. MICHAEL STOLLEIS

Notker Hammerstein (Hrsg.): "Staatslehre der Frühen Neuzeit." Bibliothek der Geschichte und Politik. Hrsg. v. Reinhart Koselleck. Bd. 16. Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt am Main 1995. 1213 S., geb., 172,- DM, Subskr. Preis 148,- DM.

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