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Grand Jacques-Remastered
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Produktdetails
Trackliste
CD
1La haine00:01:57
2Grand Jacques (C'est trop facile)00:01:51
3Il Pleut (Les Carreaux)00:02:37
4Le Diable (Ça Va!)00:02:28
5Il Peut Pleuvoir00:01:46
6Il Nous Faut Regarder00:02:25
7Le Fou Du Roi00:01:58
8C'est Comme Ça00:02:10
9Sur la place00:02:52
10S'il te faut00:02:09
11La Bastille00:03:00
12Prière Paienne00:02:37
13Il y a00:02:23
14La Foire00:03:24
15Sur la place00:03:38
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.04.2009

Das singende Tier
Jacques Brel bringt uns immer noch zum Heulen

Es ist gefährlich, Jacques Brel zu hören. Auch jetzt noch, mehr als dreißig Jahre nach seinem Tod. Ein, zwei Sätze, drei, vier Töne - und man muss unweigerlich zuhören. Bei "Les Flamandes" zum Beispiel, wo in jedem Tanzschritt der Flamen Totschlag mitschwingt. So unbarmherzig, liebevoll und hasserfüllt zugleich wurde die Mentalität einer Gesellschaft nie mehr in Kunst gebannt.

Brels Chansons sind, ob sie seine Heimat Belgien oder seine Lebenswelten zwischen den Niederlanden und Frankreich, Paris und Brüssel schildern, Bilder, suggestiv wie Gemälde der flämischen und niederländischen Altmeister und so endgültig in ihrer vordergründigen Flüchtigkeit wie die Werke der französischen Impressionisten. Wie diese erzählen seine Chansons von den zeitlosen Dingen des Lebens und sind deshalb bis heute drängend aktuell. "Le blés" heißt eines, die Getreideernte. Wer käme auf die Idee, an Traktoren und Genweizen zu denken, wenn er Sätze hört wie "Das Getreide ist für die Sichel, die Sonne für den Horizont. Die Jungen sind für die Mädchen und die Mädchen für die Jungen"?

Wir alle haben, ob an der belgischen Küste oder in der Provence, im Freibad oder in einsamen Dünen, solche sonnigen Tage erlebt, kennen das Drängen zueinander, das jeden Alltag und alle Zeitgebundenheit bedeutungslos werden lässt. Wie also sollte man nicht weiterhin angerührt sein von Brels Liedern, die solche Erfahrungen einschließen wie Bernstein eine Mücke? Aber nicht deswegen werden wir ihn und seine Chansons nicht los, sondern weil selbst in seinen sonnigsten, heitersten Beschreibungen Schwermut lauert, Verzweiflung und Angst vor der Endlichkeit unseres Lebens, die auf uns übergreifen. Wenn in "Marieke" die verlorene Liebe beschworen wird und ihre Entsprechungen findet im trüben Sommerhimmel Flanderns, im Sand, der über das flache Land treibt, in den Türmen, die sich von Brügge bis Gent verloren in den Himmel recken, dann kämpft nicht nur der Sänger mit den Tränen.

Brels Fähigkeit, einen mit Text und Musik förmlich zu hypnotisieren, kulminierte auf der Bühne. Einen "Orkan namens Brel" nannte ihn 1964 der "Figaro" nach einem Triumph im Olympia, der "Spiegel" charakterisierte ihn widerwillig anerkennend als "emphatisch und ungestüm wie ein singendes Tier mit sehr viel Geschmack fürs Makabre". Emphase? Makabres? Wer "Ne me quitte pas" oder "Amsterdam" darunter rubriziert, weiß nichts vom zwanzigsten Jahrhundert und nichts von der Gattung Mensch.

Denn wenn das "singende Tier" einen Matrosen beim Amsterdamer Landgang begleitet, ihn zwischen Suff und Puff drei Minuten Seligkeit und ebenso viele der Verdammnis erleben lässt, wenn eine glatte Wange gestreichelt und eine stoppelige zu Brei geschlagen wird, dann schauen wir in den Spiegel. Und wer außer Brel hatte damals oder hätte heute den Mut, so schonungslos zu beschreiben, wie es in einem Mann aussieht, den die Geliebte verlässt? Lass mich bei dir bleiben, lass mich, wenn es anders nicht geht, wenigstens der Schatten deines Hundes sein, winselt er, und immer wieder "Bitte geh nicht fort". Unterbrochen wird diese kaum erträgliche Selbstdemütigung von Versprechungen, poetisch und größenwahnsinnig, wie sie nur die tödliche Angst vorm Verlassenwerden hervorbringt: Perlen aus Regen will er der Angebeteten schenken, Tage, so schön, wie die Welt sie noch nie gesehen hat, will er ihr bereiten, Feuer und Wasser versöhnen, Rot und Schwarz vereinen.

Hunderte Interpreten haben nach ihm dieses Jahrhundertlied, das bis an die Ekelgrenze unser Innerstes entblößt, gesungen. Dass keiner es so eindringlich vermochte wie er, zeigt sich jetzt, da anlässlich von Jacques Brels achtzigstem Geburtstag Wiederveröffentlichungen seiner Alben und Kassetten zum Gesamtwerk die Regale der CD-Händler füllen. So reichhaltig waren Brels Lieder zum letzten Mal vorhanden, als er 1978 mit noch nicht einmal fünfzig Jahren starb.

Neun Jahre zuvor hatte er sich als Don Quichote im Musical "Der Mann von La Mancha" von der Bühne verabschiedet. Er, der den anachronistischen Phantasieritter an der Schwelle des Alters so überzeugend verkörperte, wollte "kein alter Sänger" werden. Dass er nicht wegen seines dann tatsächlich vorzeitigen Todes, sondern wegen seiner zeitlosen Lieder niemals altern wird, bezeugt jede seiner Aufnahmen, die nun wieder vollzählig zu erhalten sind.

DIETER BARTETZKO

Jacques Brel, Les 100 plus belles chansons. 5 CDs. Barclay 4483807 (Import)

Jacques Brel, In The 50s: The Birth Of Genius. AfterHour 4284810 (Indigo)

Jacques Brel, Grand Jacques. Forever Go 2061330 (H'ART)

Jacques Brel, ohne Titel. Wagram 1040102 (Import)

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