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"Freiheit" und "Verantwortung" sind die Schlüsselwörter einer Auffassung vom Menschen, die zurzeit heftig umstritten ist. Vor allem seitens der Neurowissenschaften ist die mit jenen Wörtern verbundene Deutung menschlichen Handelns in die Kritik geraten. Die Diskussion ist im Kern jedoch nicht neu, sondern hat eine lange Geschichte, die schon bei den Griechen beginnt. Die zentralen Fragen dieser Kontroverse lauten: Sind wir frei, und wenn ja, in welchem Sinn? und: Sind wir verantwortlich, und wenn ja, in welchem Sinn?Pothasts Buch bietet eine Analyse der Situation, in der wir uns bei der Wahl…mehr

Produktbeschreibung
"Freiheit" und "Verantwortung" sind die Schlüsselwörter einer Auffassung vom Menschen, die zurzeit heftig umstritten ist. Vor allem seitens der Neurowissenschaften ist die mit jenen Wörtern verbundene Deutung menschlichen Handelns in die Kritik geraten. Die Diskussion ist im Kern jedoch nicht neu, sondern hat eine lange Geschichte, die schon bei den Griechen beginnt. Die zentralen Fragen dieser Kontroverse lauten: Sind wir frei, und wenn ja, in welchem Sinn? und: Sind wir verantwortlich, und wenn ja, in welchem Sinn?Pothasts Buch bietet eine Analyse der Situation, in der wir uns bei der Wahl eigener Handlungen unvermeidlich finden, und leitet daraus ein Minimalverständnis von Freiheit ab, das auch Bestand hat, wenn wir uns als determinierte Naturwesen verstehen. Ihm kann ein ebenso unbestreitbares Minimum von Verantwortlichkeit zugeordnet werden. Allerdings wird die seit der Antike immer wieder neu entfachte Kontroverse noch für unabsehbare Zeit nicht zu einem einvernehmlichen Schluss kommen. Es sind menschliche Grundhaltungen von Selbstdeutung und Zusammenleben im Spiel, die sich in langen Zeiträumen entwickelt haben. Dieses komplexe Dispositionsgefüge weist in sich schroff gegenläufige Tendenzen auf, die weit über die für uns sichtbare Zukunft hinaus dazu führen werden, dass die alte Debatte periodisch neu eröffnet wird - z.B. wenn (wieder einmal) neues Wissen verfügbar wird oder (wieder einmal) neue Vorstellungen von Menschsein und Zusammenleben sich geltend machen."Die Frage, warum dieser Band erst jetzt erschienen ist, obgleich die Diskussion seit Jahren wieder verstärkt geführt wird, lässt sich wohl mit Verweis auf die unaufgeregte Darstellung beantworten. Wer überzeugt ist, der Streit werde noch lange andauern, kann sich Zeit lassen." Frankfurter Allgemeine Zeitung"Unbedingt lesenswert." Philosophisches Jahrbuch 124/I (2017)
Autorenporträt
Ulrich Pothast ist Professor emeritus für Philosophie an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.06.2012

An Freiheit muss man schon auch glauben
Der Philosoph Ulrich Pothast schließt an ein altes Thema mit einer neuen und ausgewogenen Darstellung an

Der Streit um die sogenannte Willensfreiheit währt seit mehr als zweitausend Jahren: Je nach Zeit und Umständen bieten das Schicksal, göttliche Vorherbestimmung, das Unbewusste oder natürliche Gesetzmäßigkeiten den Anlass, um die Möglichkeit, sich in einer Situation frei auf die eine oder eine andere Weise zu entscheiden, in Frage zu stellen. Immer wieder zieht man dann auch die Praxis der Zuweisung von Verantwortung in Zweifel. Denn wer keine Wahl hatte, mag zwar dennoch bestraft werden, ist aber nicht guten Gewissens als verantwortlich für die Tat zu betrachten.

Diesen Problemhorizont erörtert der Philosoph Ulrich Pothast. Dass die Debatte weder sterben will noch kann, wie der Untertitel betont, liegt vor allem an zwei widerstreitenden Perspektiven auf unser Handeln, die beide als real zu gelten haben. Wer vor einer Entscheidung steht, hat die "Sicht der offenen Wahl" und fühlt sich, sofern kein objektiver Zwang vorliegt, in seiner Entscheidungsfähigkeit frei. Ein Beobachter mag das anders sehen, wenn er etwa Hirnströme misst. Doch der Handelnde kann sich die Sichtweise von außen nicht zu eigen machen. Ist er von seiner Determiniertheit restlos überzeugt, mag er allenfalls ein Verhalten zeigen, das die Antike "faule Vernunft" nannte, nämlich Entscheidungen nach Möglichkeit aus dem Wege zu gehen.

Welche Position die tatsächliche Sachlage erfasst, spielt keine Rolle. Beweisbar ist der Determinismus so wenig wie die Freiheit, und um an ihr im Prinzip festzuhalten, müssten Einflüsse auf Entscheidungen, die im Charakter der Person oder den besonderen Umständen der Tat liegen, keineswegs geleugnet werden. Um eine Handlung als frei zu bezeichnen, muss nur anerkannt sein, dass es eine greifbare Alternative zu ihr gegeben hätte, und sei es die, sie zu unterlassen. Pothast hält auch an der häufig geäußerten Überzeugung fest, dass seine Freiheit am besten (aus)nutzt, wer von ihr überzeugt ist. Diese Minimalform von Freiheit reicht laut Pothast aus, um vom Handelnden Rechenschaft zu verlangen. Er soll Gründe benennen, warum er auf bestimmte Weise handelte. Ob dies genügt, um ihn für Konsequenzen seiner Tat haftbar zu machen, wie es der Begriff der Verantwortung in der gesellschaftlichen Praxis impliziert, ist zweifelhaft.

In seiner Darstellung der Frage der Verantwortlichkeit trifft Pothast die gängige Unterscheidung zwischen personbezogener und zweckbezogener Verantwortlichkeit. Die erstere ist deshalb problematisch, weil sie von einem starken Freiheitsbegriff ausgehen muss und kaum "ohne Griff in den Fundus metaphysischen Blendwerks" begründbar scheint; die Letztere, weil sie dazu neigt, den Handelnden in moralisch bedenklicher Weise zum Mittel eines bestimmten Zwecks zu machen - sei es dessen eigene Besserung durch Strafe oder sei es im Sinne der Gemeinschaft, die vor einem Täter zu schützen ist oder wünscht, man möge ihrem Bedürfnis nach Sühne Rechnung tragen. Die Emotionen, die beim Zumessen von Verantwortung eine Rolle spielten, hält Pothast für ein bedeutsames Erbe der genetischen und kulturellen Evolution. Anpassungen der Rechtsordnung etwa infolge neuer Erkenntnisse über freies oder unfreies Handeln hält er deshalb nur in Maßen für umsetzbar - und formuliert ein bedingt fortschrittsoptimistisches "Lob des Stückwerks".

Auf historische Vertiefung hat Pothast, der schon vor vielen Jahren über das Thema publizierte, in diesem Band verzichtet. Aristoteles, Hume oder Kant finden sich vereinzelt in Anmerkungen. Auch Verweise auf Zeitgenossen, die zur Diskussion beigetragen haben, liefert Pothast nur en passant. Deutlich wird immerhin, dass er den Standpunkt Julian Nida-Rümelins, der mit dem Begriff der "Lebensform" argumentiert und meint, in dieser seien Freiheit und Verantwortung selbstverständlich akzeptiert und spielten wissenschaftliche Befunde allenfalls am Rande ein Rolle, für schwach begründet hält. Die Freiheitsargumente von Jürgen Habermas registriert er mit größerem Wohlwollen, Gleiches gilt aber auch für die Position des entschiedenen Anhängers eines philosophischen Naturalismus und Determinismus, Daniel Dennett. Die Frage, warum dieser Band erst jetzt erschienen ist, obgleich die Diskussion schon seit Jahren wieder verstärkt geführt wird, lässt sich wohl mit Verweis auf die unaufgeregte Darstellung beantworten. Wer überzeugt ist, der Streit werde noch lange andauern, kann sich Zeit lassen.

THOMAS GROSS.

Ulrich Pothast: "Freiheit und Verantwortung". Eine Debatte, die nicht sterben will - und auch nicht sterben kann.

Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 2011. 224 S., br., 19,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ganz unaufgeregt kommt dieser Band laut Thomas Gross daher. Unaufgeregt, so mutmaßt er, weil sich der Autor wohl bewusst ist, dass sein Thema uns noch lange beschäftigen wird - und bereits seit langem beschäftigt. In die Debatten um Determinismus und Willensfreiheit steigt der Philosoph Ulrich Pothast ein, indem er Rechenschaft von dem überzeugt Handelnden einfordert, zwischen zweck- und personenbezogener Verantwortlichkeit unterscheidet und Emotionen beim Prozess der Zuweisung von Verantwortung als wichtiges kulturelles Erbe begreift. Dass er bis auf einige Hinweise in den Anmerkungen auf historische Tiefenbohrungen und auch auf Verweise auf zeitgenössische Standpunkte weitgehend verzichtet, geht für Gross in Ordnung. Schließlich, erklärt Gross, publiziere der Autor schon lange zu diesem Thema.

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