Zu den größten Bucherfolgen, die Honoré de Balzac erlebte, gehört der Roman "Die Frau von dreißig jahren". Die junge Julie d'Aiglemont ist unglücklich mit einem ebenso eleganten wie oberflächlichen Reiteroffizier verheiratet, eine Ehe, die sie nur mit größter Selbstüberwindung ertragen kann. In dieses trostlose Zusammenleben mit einem gleichgültigen Mann tritt nach einem gefühlvollen Verhältnis zu dem englischen Lord Grenville der junge Diplomat Charles de Vandenesse, dessen leidenschaftlicher Liebe sie auf Dauer nicht widerstehen kann. Doch sie muss diesen Fehltritt bitter büßen...
Bei aller melodramatisch geschilderten Liebesgeschichte steht doch im Mittelpunkt des Romans die Forderung nach dem Recht auf Glück und Liebe einer Frau, die, wie Balzac meint, "in jenem schönen Alter von dreißig Jahren" ist, jenem "poetischen Gipfel im Leben einer Frau", da sie "dessen ganzen Lauf umfassen und ebenso in die Zukunft wie in die Vergangenheit blicken kann."
Bei aller melodramatisch geschilderten Liebesgeschichte steht doch im Mittelpunkt des Romans die Forderung nach dem Recht auf Glück und Liebe einer Frau, die, wie Balzac meint, "in jenem schönen Alter von dreißig Jahren" ist, jenem "poetischen Gipfel im Leben einer Frau", da sie "dessen ganzen Lauf umfassen und ebenso in die Zukunft wie in die Vergangenheit blicken kann."
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.04.19971834
Honoré de Balzac "Die Frau von dreißig Jahren"
Immer wieder zwischendurch las Gide Balzac, den er natürlich längst kannte von früher - wollte er sich Balzacs vergewissern? seiner selbst? wer er geworden war seither? und wo Balzac abgeblieben war? Als er weit über siebzig war, las er wieder einmal die "Frau von dreißig Jahren", zum letzten Male wohl, und vielleicht ein bißchen zu spät (Balzac war gute dreißig beim Schreiben gewesen). Nach dem Lesen jedenfalls notierte er ins Tagebuch: Balzac sei ein unerklärliches Rätsel, und er frage sich, ob er, also Balzac, je etwas Schlechteres gemacht habe als diesen Roman. Gide war klug, er hat recht, dieser Roman ist grauenhaft zusammengestückt, er selber, Gide, hätte so etwas niemals getan. Leser aber sind andre Menschen, das wußte Balzac wieder besser, und vor allem hatte er Bedenkenlosigkeit und Feuer genug, alle Schranken niederzubrennen, die die Kunst dem Romancier sonst so gerne setzt. Hier heiratet eine junge Frau den falschen Mann, im schöneren Alter dann verliebt sie sich, aber es wird nichts draus, danach, im noch schöneren Alter (beglückte Leserinnen! und erst beglückte Liebhaber!) verliebt sie sich wirklich ernsthaft. An diese Liebe nun hängt Balzac (und man sieht, ohne ihm doch recht geben zu wollen, was Gide meint) entsetzliche, tragische Auswirkungen. Da bewegen wir uns, aber wir tun es mit Lust, hart an den Grenzen der schlimmsten Kolportage: immerzu ist Nacht mit Degenklirren und Räubern und Betrognen und Rächenden, dann landen wir schließlich auf einem Piratenschiff, wiederum mit einer Frau darauf, wie gebettet auf Perlen und Gold und die Liebe des Piraten, es ist fast eine Schande, das alles schön zu finden - wir aber brauchen kein andres gutes Gewissen als das, das uns das über alle Bedenken hinwegreißende Erzählfeuer Balzacs gibt, und sind (hinterher können wir ja wieder Gide lesen in den anständigen Grenzen der Kunst) fürs erste die glücklichsten aller lesenden Menschen in diesen ruhig etwas billigen Paradiesen der Leselust und unsrer ebenso erregten wie dann gestillten Phantasie. (Honoré de Balzac: "Die Frau von dreißig Jahren." Aus dem Französischen übersetzt von K. Harrer. Reclam Verlag, Stuttgart 1992. 263 S., br., 10,- DM; in anderen Übersetzungen auch bei Insel und Diogenes.) R.V.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Honoré de Balzac "Die Frau von dreißig Jahren"
Immer wieder zwischendurch las Gide Balzac, den er natürlich längst kannte von früher - wollte er sich Balzacs vergewissern? seiner selbst? wer er geworden war seither? und wo Balzac abgeblieben war? Als er weit über siebzig war, las er wieder einmal die "Frau von dreißig Jahren", zum letzten Male wohl, und vielleicht ein bißchen zu spät (Balzac war gute dreißig beim Schreiben gewesen). Nach dem Lesen jedenfalls notierte er ins Tagebuch: Balzac sei ein unerklärliches Rätsel, und er frage sich, ob er, also Balzac, je etwas Schlechteres gemacht habe als diesen Roman. Gide war klug, er hat recht, dieser Roman ist grauenhaft zusammengestückt, er selber, Gide, hätte so etwas niemals getan. Leser aber sind andre Menschen, das wußte Balzac wieder besser, und vor allem hatte er Bedenkenlosigkeit und Feuer genug, alle Schranken niederzubrennen, die die Kunst dem Romancier sonst so gerne setzt. Hier heiratet eine junge Frau den falschen Mann, im schöneren Alter dann verliebt sie sich, aber es wird nichts draus, danach, im noch schöneren Alter (beglückte Leserinnen! und erst beglückte Liebhaber!) verliebt sie sich wirklich ernsthaft. An diese Liebe nun hängt Balzac (und man sieht, ohne ihm doch recht geben zu wollen, was Gide meint) entsetzliche, tragische Auswirkungen. Da bewegen wir uns, aber wir tun es mit Lust, hart an den Grenzen der schlimmsten Kolportage: immerzu ist Nacht mit Degenklirren und Räubern und Betrognen und Rächenden, dann landen wir schließlich auf einem Piratenschiff, wiederum mit einer Frau darauf, wie gebettet auf Perlen und Gold und die Liebe des Piraten, es ist fast eine Schande, das alles schön zu finden - wir aber brauchen kein andres gutes Gewissen als das, das uns das über alle Bedenken hinwegreißende Erzählfeuer Balzacs gibt, und sind (hinterher können wir ja wieder Gide lesen in den anständigen Grenzen der Kunst) fürs erste die glücklichsten aller lesenden Menschen in diesen ruhig etwas billigen Paradiesen der Leselust und unsrer ebenso erregten wie dann gestillten Phantasie. (Honoré de Balzac: "Die Frau von dreißig Jahren." Aus dem Französischen übersetzt von K. Harrer. Reclam Verlag, Stuttgart 1992. 263 S., br., 10,- DM; in anderen Übersetzungen auch bei Insel und Diogenes.) R.V.
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