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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.11.1998

Finanzwirtschaft in schwierigem Gelände
"Finanzwissenschaft" - ein Klassiker auf neuestem Stand

Norbert Andel: Finanzwissenschaft. 4. (völlig überarbeitete und erweiterte) Auflage, Mohr Siebeck Verlag), Tübingen 1998, 545 Seiten, 98,00 DM (Leinen), 64,00 DM (Broschur).

Die vom deutschen Nationalökonomen Adolph Wagner 1863 aufgestellte Prognose eines langfristigen Wachstums des "Cultur- und Wohlfahrtsstaates" ist von der Wirklichkeit inzwischen eindrucksvoll bestätigt worden - auch wenn man über den Aussagewert seines "Gesetzes der wachsenden Ausdehnung der öffentlichen und speziell der Staatstätigkeit" streiten kann. Das Wachstum der Staatstätigkeit spiegelt sich auch in einem hochgradigen Interesse der Öffentlichkeit an Fragen der Steuer- und Finanzpolitik.

Zugleich ist die Finanzwirtschaft in ihrer bisherigen nationalstaatlichen Organisation unter Druck geraten. Die Globalisierung der Kapitalmärkte erschwert die Erfassung von Kapitaleinkünften durch die nationale Besteuerung drastisch. Die sinkende Bedeutung nationaler Grenzen für Standortentscheidungen von Unternehmen zwingt die Staaten in einen intensiven internationalen steuerlichen Wettbewerb. Eine erkennbare Folge ist die schleichende Verschiebung von staatlichen Lasten auf weniger mobile Besteuerungstatbestände (Beschäftigung, Verbrauch).

Die Debatte über die Reform der Staatstätigkeit leidet zugleich unter einer wenig fruchtbaren Polarisierung. Einer seit dem Zweiten Weltkrieg in den meisten europäischen Ländern vorherrschenden Idealisierung von Staatstätigkeit steht eine polare Position gegenüber, die jede Einschränkung von Staatstätigkeit als Fortschritt begreift. Im Zuge dieser Konfrontation ist die eigentliche Schlüsselfrage einer problemgerechteren künftigen Arbeitsteilung zwischen dem Staat und der Privatsphäre kaum beantwortet worden.

Vor diesem Hintergrund macht die Neuauflage der "Finanzwissenschaft" von Norbert Andel neugierig; sie gewinnt zusätzliche Aktualität. Der renommierte Wissenschaftler lehrt an der Universität in Frankfurt am Main; er spielt eine wichtige Rolle in der wissenschaftlichen Politikberatung (unter anderem im Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesfinanzministerium und im Sozialbeirat).

Norbert Andel hat sein Buch in sieben Hauptteile eingeteilt. Im ersten Teil stellt er den Gegenstand, die Methoden, die Ziele und die Instrumente der Finanzwissenschaft vor, im zweiten und dritten Teil betrachtet er den Einsatz finanzwirtschaftlicher Instrumente und deren Wirkungen, in den umfangreichen Teilen vier und fünf folgen die öffentlichen Ausgaben einschließlich Sozialtransfers und die öffentlichen Einnahmen, im sechsten Teil analysiert Andel die Finanzwirtschaftspolitik, und im siebenten Teil beschäftigt er sich mit dem nationalen und internationalen Finanzausgleich.

Drei Aspekte sollen hier besonders erwähnt werden: Bemerkenswert ist die fortschreitende Positionsveränderung der Einkommensteuer im Steuersystem. Die im Prinzip weder nach Quellen noch nach Verwendung differenzierende "Königin der Steuern" (Fritz Neumark), idealer Anknüpfungspunkt für die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und in Verbindung damit oft als potentiell gerechteste der Steuern gesehen, beginnt einen großen Teil ihrer Würde zu verlieren. Eine wichtige Rolle spielen in diesem Prozeß die Rückwirkungen der Globalisierung. Zudem haben die Politiker einen Paradiesgarten von Differenzierungen geschaffen, so daß sich die faktische Belastung vergleichbarer Einkommen inzwischen stark nach Quellen und Art der Verwendung unterscheidet. Reformpläne zielen auf die Verringerung der Widersprüche zwischen Idee und Wirklichkeit durch Einschränkung von Vergünstigungen bei der Senkung der Steuersätze (von der Waigel-Kommission bis hin zum aktuellen Koalitionspapier). Radikalere Vorschläge zielen darauf ab, die Einkommensteuer zugunsten einer allgemeinen persönlichen Verbrauchsteuer abzuschaffen. Die künftige Entwicklung dürfte durch den erstgenannten Weg, gekoppelt mit einer gewissen Verlagerung auf die Verbrauchsbesteuerung, gekennzeichnet sein (die somit eine historische Renaissance erlebt).

Die aktuellen Koalitionsbeschlüsse wecken besonderes Interesse an dem (neu eingeführten) Abschnitt über Ökosteuern. Andel beschreibt das Konzept der "doppelten Dividende" - Verteuerung der Nutzung natürlicher Ressourcen und deren Reduzierung auf ein idealerweise optimales Niveau plus einer möglichen Senkung anderer Abgaben. Er bleibt jedoch dem Thema gegenüber reserviert, betont stark die Schwierigkeiten der Umsetzung und verweist auf die Gefahr, die "einige Finanzwissenschaftler" (Seite 443) darin sähen, daß hier eine Büchse der Pandora in Richtung steuerlicher Lenkung geöffnet werde. Zudem gerate die Verläßlichkeit der Besteuerung auf abschüssiges Gelände. Das ist der einzige Abschnitt des überzeugenden Buches, bei dem man den Eindruck hat, der Autor vermeidet es, vorgetragene Gesichtspunkte steuerpolitisch zu bewerten.

Unter der Vielzahl der interessanten Aspekte sei noch der nationale Finanzausgleich genannt. Andel, der einen Ausgleich durch das Sozialstaatsprinzip geboten sieht, äußert sich hier (zu Recht) kritisch gegenüber dem heutigen System mit seinem Ausgleichungsgrad von 99,5 Prozent. Er rügt die damit verbundene Aushöhlung der Reformanreize in den finanzschwachen Ländern.

Andels "Finanzwissenschaft" macht den Leser in umfassender Weise mit dem "state of art" der Disziplin vertraut. Eindrucksvoll ist, wie es ihm gelungen ist, dies mit einer komprimierten, doch gründlichen Darstellung der wesentlichen institutionellen Fakten zu verbinden. Der gesamte Text ist von großer Dichte; zum Teil ist hier eine Grenze erreicht, die nicht überschritten werden sollte. Für die Zukunft hätte der Rezensent allenfalls den Wunsch nach einer Verstärkung des europäischen Blicks; allerdings muß er zugeben, daß dies den Rahmen eines einbändigen Werkes sprengen würde. Das Buch, das Fritz Neumark, dem großen Gelehrten der deutschen Finanzwissenschaft, gewidmet ist, hat seinen Ruf als eines klassischen Grundlagenwerkes weiter gefestigt. Das Buch kann allen - Ökonomen, Politikern wie finanzpolitisch Interessierten - empfohlen werden, zumal Andel jedem wissenschaftlichen Sprachrokoko widersteht. DIETHER DÖRING

(Professor für Sozialpolitik und Finanzwissenschaft in Frankfurt am Main)

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