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Der Regisseur Dominik Graf und die Filmwissenschaftlerin Lisa Gotto widmen sich der Frage, wie Restriktionen und Regelungsdruck die Filmkultur beeinflussen. Der osteuropäische Film aus der Zeit des »Kalten Kriegs« spielt dabei eine herausragende Rolle. Im Fokus stehen ausgewählte Filme aus der ehemaligen CSSR sowie aus Ungarn und Polen, die aus Sicht der Autor_innen zu den schönsten und klügsten der Welt gehören. Warum ist es notwendig, diese Filme wiederzuentdecken? Wie konnten Filmemacher_innen wie Zbynek Brynych, Vera Chytilová, Judit Elek, Agnieszka Holland, Márta Mészáros, Andrzej Wajda…mehr

Produktbeschreibung
Der Regisseur Dominik Graf und die Filmwissenschaftlerin Lisa Gotto widmen sich der Frage, wie Restriktionen und Regelungsdruck die Filmkultur beeinflussen. Der osteuropäische Film aus der Zeit des »Kalten Kriegs« spielt dabei eine herausragende Rolle. Im Fokus stehen ausgewählte Filme aus der ehemaligen CSSR sowie aus Ungarn und Polen, die aus Sicht der Autor_innen zu den schönsten und klügsten der Welt gehören. Warum ist es notwendig, diese Filme wiederzuentdecken? Wie konnten Filmemacher_innen wie Zbynek Brynych, Vera Chytilová, Judit Elek, Agnieszka Holland, Márta Mészáros, Andrzej Wajda oder Krzystof Zanussi unter Zensurbedingungen solche künstlerischen Höhen erreichen? Und wie lässt sich Film an den Grenzhütern der Regelungsbetriebe vorbeischleusen?»Unser Kino war ein Versuch, mit dem Publikum über die Köpfe der Machthaber hinweg zu kommunizieren. Im Nachhinein mag dies absurd erscheinen, schließlich war der Produzent der kommunistische Staat. trotzdem gelang diese Kommunikation, denn die Zensur jagt die Worte, aber das Kino spricht mit Bildern, und Bilder verstand das Publikum zu deuten.«Andrzej Wajda
Autorenporträt
Dominik Graf ist Drehbuchautor und Film- und Fernsehregisseur. Zu seinen bekanntesten Werken zählen u. a. »Die Katze«, die «Serie Im Angesicht des Verbrechens«. Daneben immer wieder beachtete Folgen für den »Tatort «und »Polizeiruf 110«. Er wurde mit den wichtigsten Filmpreisen des Landes ausgezeichnet.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Bert Rebhandl bekommt große Lust, sich die Filme von Judit Elek, Vera Chytilova und Zbynek Brynych anzusehen beim Lesen in Lisa Gottos und Dominik Grafs "filmhistorischer Flugschrift". Der Band über das Kino hinter dem Eisernen Vorhang ist für ihn Anregung zum Schauen, aber auch zu tiefergehender theoretischer Diskussion. Letztere bieten ihm die Autoren nur ansatzweise, wenn sie fragen, wie unter dem Druck der Verhältnisse immer wieder starke Filme entstehen konnten. Mit vereintem Enthusiasmus, wobei Graf öfters ins Schwärmen gerät, während Gotto filmhistorisch und analytisch einordnet, wie Rebhandl feststellt, stellen die Autoren laut Rezensent jede Menge Filme vor, die man sofort sehen möchte.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.07.2021

Jagd auf Worte
Lisa Gottos und Dominik Grafs neues Buch „Kino unter Druck“ handelt von Ideologie, Geld und Zensur
Dieses Buch ist Erinnerungsarbeit, ein Versuch, Vergessenes und Verdrängtes zurückzuholen – fast ein halbes Jahrhundert Filmgeschichte des einst sozialistischen Osteuropa. Lisa Gotto kümmert sich um Věra Chytilová und Judit Elek und Márta Mészáros, deren Filme „Von etwas anderem“, ČSSR 1963, oder „Sommer der Leidenschaft“, Ungarn 1984, oder „Das Mädchen“, Ungarn 1968. Dominik Graf preist den polnischen Filmemacher Andrzej Wajda, von „Lotna“, 1959, bis „Katyn“, 2007, oder „Der Kalmus“, 2009. Die Filme sind liebevoll beschrieben, mit sachtem Enthusiasmus, Filme, die einst zum Kanon des modernen Kinos gehörten, sie liefen auf den internationalen Festivals, wo ihre ästhetische Frische faszinierte, und wurden bei uns in ARD und ZDF gezeigt.
Es ist nicht nur historisches Interesse, das die Wiener Filmwissenschaftlerin und Deutschlands produktivsten und kühnsten Filmemacher zu diesem Buch bewegte, sie grübeln in einem Gedankenaustausch über die Dialektik von Zensur und Kreativität – dass diese modernen Filme entstanden in einem totalitären ideologischen System, das die Filmproduktion staatlich reglementierte.
„Unser Kino“, sagt Andrzej Wajda, „war in den Zeiten des Kommunismus ein Versuch der Kommunikation mit dem Publikum über die Köpfe der Machthaber hinweg … Die Zensur jagt die Worte, aber das Kino spricht mit Bildern.“ Und natürlich konnte Provokantes toleriert werden, wenn es sich auf den Festivals in internationalem Erfolg auszahlte.
Ein Film wie Tarkowskis legendärer „Andrej Rubljow“ wurde verboten, aber: er konnte gedreht werden, erklärt Regisseur Andrej Kontschalowski, in Hollywood hätte es gar kein Geld dafür gegeben – Zensur durch Geld wirke stärker als Zensur durch Ideologie. Dominik Graf formuliert das für die deutsche Produktionswirklichkeit, die er aus zahlreichen Debatten und Kämpfen sehr gut kennt. „Wajda traute dem Publikum etwas zu. Unsere Gremien-Förder-Kinokultur basiert darauf, dem Publikum wenig zuzutrauen, es bloß nicht zu überfordern. Kinematographische Vielstimmigkeiten von Sequenzen gelten (auch dem Publikum) als verwirrend: Ambivalenzen, Uneindeutigkeiten auch in privaten Konstellationen, z. B. in Gender-Problemen der Filme, werden den Machern sogar gefährlich. Das Publikum ist selbst zum Zensor geworden, es ist konditioniert auf ein Kino der Eindeutigkeit. Es ,cancelt’, was ihm nicht sofort einsichtig scheint.“ Eine Spirale der internalisierten (Selbst-)Zensur.
„Staatskino“ hat Klaus Lemke das deutsche Filmfördersystem genannt, für Dominik Graf verkörpert er das unabhängige, kleine, schmutzige – das wahre Kino. Die Begeisterung für dieses – und für Begriffe wie Autorenfilm oder cineastisch – ist inzwischen selbst historisch geworden. Man liest trotzdem gern noch mal die Geschichte des unberechenbaren Zbyněk Brynych, geboren in Karlsbad, der mit diversen Folgen die urdeutschen Serien „Der Kommissar“ und „Derrick“ aufmischte.
FRITZ GÖTTLER
Lisa Gotto, Dominik Graf: Kino unter Druck. Filmkultur hinter dem Eisernen Vorhang. Alexander-Verlag, Berlin 2021. 159 Seiten, 16,90 Euro.
Márta Mészáros Film „Das Mädchen“ entstand im Ungarn des Jahres 1968.
VerlEih
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.08.2021

Unbotmäßige Drehbücher gesucht

Dunkle Orte braucht der deutsche Film: Lisa Gotto und Dominik Graf über Filmkultur im real existierenden Sozialismus.

Im Sommer 1866 herrscht Krieg zwischen Preußen und Österreich. Die Truppen sind in halb Europa unterwegs, sie bringen auch eine Krankheit in Umlauf: die Cholera. In dem Film "Sommer der Leidenschaft" von Judit Elek aus dem Jahr 1984 ist ein Huhn das erste Opfer der Seuche. Später sterben auch Menschen, doch die eigentliche Krankheit, von der erzählt wird, ist für die Filmwissenschaftlerin Lisa Gotto eine andere: "Chronos ist der Erreger. Die Zeit heilt keine Wunden, sie selbst ist das Gebrechen, ein sichtbar gemachtes Krankheitsbild."

Gotto wendet sich mit ihrem Text über "Sommer der Leidenschaft" auch gegen eine geläufige Konsequenz der Zeitlichkeit: Dinge geraten in Vergessenheit. Filme, Bücher, Momente fallen in die Geschichte zurück und müssen daraus geborgen werden. Die Gegenwart der Werke von Judit Elek ist durch vielerlei Hindernisse eingeschränkt: Sie müssen von unterschiedlichen Trägermedien technisch gesichert werden, und dann benötigen sie auch noch eine Hinführung, denn einfach so wird sich nicht erschließen, was eine filmkünstlerisch hochbegabte Frau im kommunistischen Ungarn vor 1989 zu erzählen versuchte.

Das Buch "Kino unter Druck", in dem Dominik Graf und Lisa Gotto sich mit "Filmkultur hinter dem Eisernen Vorhang" beschäftigen, versucht sowohl konkrete Hinführungen zu bewahrenswerten Werken zu geben als auch - zumindest in Ansätzen - eine Theorie zu entwickeln, war- um in den staatlich gelenkten, ideologisch überwachten Filmkulturen der Länder des real existierenden Sozialismus immer wieder so großartige Filme entstanden sind. Meisterwerke von Vera Chytilová in der damaligen Tschechoslowakei, von Andrzej Wajda in Polen, von Márta Mészáros in Ungarn.

Mit Dominik Graf und Lisa Gotto treffen sich dabei zwei Menschen mit sehr unterschiedlichem Hintergrund auf einem gemeinsamen Terrain: Graf ist einer der bedeutendsten Filmkünstler Deutschlands, gerade kommt von ihm "Fabian oder Der Gang vor die Hunde" ins Kino, eine Verfilmung des Romans von Erich Kästner (siehe vorhergehende Seite); Gotto unterrichtet Theorie des Films in Wien. Das gemeinsame Terrain ist ein konkreter, detailreicher, beobachtungsintensiver Enthusiasmus für die vorgestellten Filme - "schöne, zarte, fast schon entglittene Filme".

Im Innersten von "Kino unter Druck" steckt auch eine Polemik. Sie zielt auf den deutschen Film von heute, zu dem Dominik Graf zählt, zu dem er aber immer wieder eine prononcierte Außenseiterposition eingenommen hat. Es ist ein Kino der Schubladen, in dem die Wahrscheinlichkeit, dass "fantastische, großartige, aber etwas unbotmäßige Drehbücher" um Förderung ansuchen, geschweige denn auf Realisierung hoffen, gering ist. Der Kampfbegriff Staatskino, den Graf bei Klaus Lemke vernommen hat, "ist schon nicht so falsch".

Aus dem Widerstand gegen die Zensur oder gegen den Druck der offiziellen Stellen "hinter dem Eisernen Vorhang" hingegen erwuchs eine "raffinierte, erfinderische Fantasie" (André Bazin), ein "kommunikativer Geheimpakt mit dem Publikum" (Lisa Gotto), und in einem Spezialfall wie bei dem bayerischen Exiltschechoslowaken Zbynek Brynych dann eben der große Clou: "hemmungsloseste Avantgarde im Abendprogramm". Brynych war eine Weile ein Handwerker im deutschen Fernsehen, dessen Folgen für Krimiserien wie "Derrick" von Fans schon seit längerer Zeit kultisch verehrt werden. Graf gehört zu diesen Fans, seine Texte über Brynych in dem vorliegenden Band sind zugleich analytisch und schwärmerisch. Sie hätten auch eine reflexive Vertiefung verdient, denn bei Brynych ist der Widerspruch ja produktiv aufgehoben, den "Kino unter Druck" gleichsam zur Voraussetzung der Kunstwerke macht: Die Folge "Yellow He" aus "Derrick" ist zugleich reine öffentlich-rechtliche Kulturindustrie und radikale künstlerische Subjektivität. Dominik Graf findet bei Brynych viele Momente von "heute noch beglückender BRD-Schmutzigkeit" und fasst zusammen: "Der deutsche Film war immer nur an seinen dunkelsten Orten wirklich."

Es kann als Glücksfall betrachtet werden, dass Graf sich für eine Veröffentlichung seiner zuvor schon (auch in dieser Zeitung) veröffentlichten Texte zum osteuropäischen Kino mit Lisa Gotto zusammengetan hat. Denn sie ergänzt nicht nur systematisch und filmhistorisch begründet die Begeisterungen, die bei ihm sehr stark an DVD-Veröffentlichungen gebunden sind. Durch Gotto wird "Kino unter Druck" tatsächlich auch zu einer zwar auf Hauptpositionen verdichteten, aber gründlichen Geschichte der Kinematographien im früheren Ostblock (abzüglich der Sowjetunion, das hätte jeden Rahmen gesprengt). Gerade am Beispiel von Judit Elek kann man sehr schön sehen, dass Gotto sorgfältige, sehr lesbare Filmanalysen mit historiographischen Grundlagen verbindet. Immer wieder tauchen Filme auf, von denen man sofort den Eindruck bekommt, sie dringend einmal sehen zu müssen - wobei Judit Eleks Langzeitdokumentationen für das ungarische Fernsehen aus den Siebzigerjahren wohl noch eine Weile und vielleicht für immer ein editorisches Desideratum bleiben werden.

"Kino unter Druck" ist am besten als eine filmhistorische Flugschrift zu lesen. Das Buch enthält viele Anregungen: zu Diskussionen, die einer theoretischen Vertiefung bedürften (die Rolle der Zensur im Kommunismus, im Kapitalismus und in wattierten Systemen wie dem deutschen Förderkino), zu Überlegungen über den Status von Filmgeschichte insgesamt (auch Graf und Gotto sind weitgehend an erreichbare Veröffentlichungen gebunden, wo aber wäre eine europäische Institution, die kompetent und auf dem Stand heutiger Forschung und jenseits der Begehrlichkeiten nationaler Identitätspolitiken in die Leerstellen der Überlieferungen geht?). Schließlich läuft der kleine Band aber vor allem auf Anregungen hinaus, sich Filme anzusehen: "Die Mädchen von Wilko" von Andrzej Wajda und "Ein Sack voller Flöhe" von Vera Chytilová seien zuerst hervorgehoben. Danach alles von Judit Elek. Und natürlich von Zbynek Brynych. BERT REBHANDL.

Lisa Gotto und Dominik Graf: "Kino unter Druck". Filmkultur hinter dem Eisernen Vorhang.

Alexander Verlag, Berlin 2021. 160 S., Abb., br., 16,90 Euro.

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