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Produktdetails
  • Verlag: Transit Berlin
  • 1998.
  • Seitenzahl: 127
  • Deutsch
  • Abmessung: 240mm
  • Gewicht: 259g
  • ISBN-13: 9783887471330
  • ISBN-10: 3887471334
  • Artikelnr.: 07685394
Autorenporträt
Arnold Höllriegel (Pseudonym für Richard A. Bermann), geboren 1883 in Wien, schrieb für das Berliner Tageblatt und die Vossische Zeitung. Er begleitete das neue Medium Film seit 1910 als Filmjournalist und beteiligte sich mit einem Filmexpose an dem legendären "Kinobuch" (1913) von Kurt Pinthus. 1926 erstmals Besuch der USA und Hollywood; lernte Charlie Chaplin kennen und schrieb die erste von diesem autorisierte deutsche Biografie. 1938 ging der jüdische Autor ins Exil in die USA; ein Jahr später verstarb er dort an einem Herzinfarkt.

Gregor Streim, geb. 1964, ist Wissenschaftlicher Assistent am Institut für deutsche und niederländische Philologie der Freien Universität Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.1998

Der Fernwehkorrespondent
Die letzten Tage Kakaniens in den Erinnerungen Richard Bermanns / Von Ulrich Weinzierl

Schriftsteller sind selten schön. Dieser aber war von bizarrer Häßlichkeit. Das kindliche Froschgesicht mit den vorstehenden Zähnen ruhte auf feistem Rumpf. Spinnenbeinchen ergänzten den grotesken Eindruck. Ein Foto zeigt den Fünfzigjährigen, samt Tropenhelm und Krückstock, unsicher in Sanddünen staksend. Man traut dem offenbar ebenso ungeschickten wie kurzsichtigen Herrn kaum zu, allein eine öffentliche Verkehrsfläche zu überqueren. Dennoch handelt es sich um einen notorischen Weltenbummler, einen weiland hochdekorierten Kriegsberichterstatter, einen der selten gewordenen Abenteurer des bürgerlichen Zeitalters. Richard Arnold Bermann alias Arnold Höllriegel ist ein Starjournalist der Weimarer Republik gewesen, er hat das Genre der modernen Reisereportage erfunden, ihm zumindest unverwechselbaren Charakter gegeben.

Vor allem im Dienste des "Berliner Tageblatts" zog er um den Erdball, von Indien über die Südsee bis Afrika. Als er, wegen politischer Wirren, den Amazonas nicht hinauffahren konnte, machte er aus dem Nichtfahrenkönnen ein Epos der Sehnsucht und der Sehnsucht nach der Sehnsucht: "Das Urwaldschiff", Österreichs unbestechlicher Diarist Arthur Schnitzler sprach von einem "wohl journalistisch beschwingten, aber nicht undichterischen Roman", wurde naturgemäß ein Bestseller. Im Vorwort zur Londoner Ausgabe seiner erzählenden Darstellung des Mahdi-Aufstands, "Die Derwischtrommel", heißt es: "Jeder, der mit dem Sudan zu tun hatte, wird das Buch mit echter Neugierde und Befriedigung lesen." Der Vorwortlieferant hatte mit dem Sudan ohne Zweifel zu tun gehabt, es war Winston Churchill. Und jenes Foto mit Tropenhelm war 1933 während einer Expedition in die libysche Sahara entstanden, auf der Suche nach einer verschollenen Oase. Bermann begleitete damals Ladislaus von Almásy, das Vorbild für den "Englischen Patienten", und wird in der Danksagung zu Michael Ondaatjes Welterfolg plötzlich und unerwartet als renommierter Wüstenforscher gewürdigt.

Hitlers Machtergreifung bereitete der deutschen Karriere des Österreichers Bermann ein jähes Ende. Die verstreuten Schriften des "Judenstämmlings" wurden verbrannt, das "Berliner Tageblatt" verband einen Geburtstagshymnus zum Fünfziger des hochgeschätzten Mitarbeiters mit dessen Kündigung. Dem passionierten Zeitungsschreiber blieben nur mehr die Journale der Heimat. Als linksliberaler Demokrat engagierte sich Bermann, wo immer es möglich war, gegen das Dritte Reich. Zum Beispiel wurde er europäischer Vertreter der von Hubertus Prinz zu Löwenstein geschaffenen "American League for German Cultural Freedom". In solcher Funktion harrte er an den Iden des März 1938 in Wien aus. Erst der dritte Fluchtversuch aus dem "angeschlossenen" Österreich, nach Inhaftierung in der steirischen Provinz, gelang: Präsident Benes ordnete an, ihm einen tschechoslowakischen Paß auszuhändigen. Die Haftwoche registrierte Bermann genau: "Ich fand die Deutschen anständiger als die Österreicher. Als ich mich beklagte, krank zu sein, was ich immer tat, hörten sie kalt zu. Aber die Österreicher sagten, wenn ich ihnen meinen rasenden Puls zeigte: ,Um so besser, Jud'. Dann wirst du bald krepieren!'"

Richard Arnold Bermann ist keineswegs Hypochonder gewesen, er war in der Tat todkrank. Von schwächlicher Konstitution, hatte er seinen Körper andauernd überfordert, mit Unmengen Nikotins vergiftet. Auf Drängen des Prinzen Löwenstein ließ er sich auf einer bretonischen Insel - zum Dank für seine Errettung aus den Nazifängen - noch taufen. Doch aus dem aufgeklärten, assimilierten, ziemlich ungläubigen Juden wollte kein frommer Katholik werden. Seinem aristokratischen Taufpaten teilte er ernüchtert mit: "Ich glaube [nun] einmal nicht an Magie und habe dem Teufel nicht eigens feierlich entsagen müssen, um sodann an ihn und sein Etablissement zu glauben." Kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ist Richard Arnold Bermann in der Künstlerkolonie Yaddo in Saratoga Springs einem Herzinfarkt erlegen. Sein letztes abgeschlossenes Werk, der Stevenson-Roman "Home from the Sea", erschien postum in Amerika.

Über seine Privatexistenz, Erotisches gar, haben wir keinerlei Informationen. Des öfteren wurde er als "Genie der Freundschaft" gepriesen. An einem Jugendkameraden, Otto Müller, hing er über Jahrzehnte hinweg mit brüderlicher Liebe. Der gleichfalls emigrierte Publizist Rudolf Olden klagte in seinem Nachruf, Richard Bermann sei "allein gestorben, wie er allein gelebt" habe. "Eine Frau und Kinder zu haben war ihm versagt. Seine Freunde wissen nicht, wem sie kondolieren sollen, und so kondolieren sie einander." Der berufsmäßig Weltreisende scheint prominente Vertraute überall gehabt zu haben - wenigstens sehr gute Bekannte wie Charlie Chaplin und Albert Einstein, Elisabeth Bergner oder die Herzogin von Atholl. Heute und seit langem schon ist er freilich vergessen. Daran vermochten auch eine verdienstvolle Ausstellung der Deutschen Bibliothek in Frankfurt und ein vorzügliches Begleitbuch wenig zu änderen. Brutal ausgedrückt: Arnold Höllriegel war bis dato eine sorgsam bestattete Karteileiche der Exilforschung. Vielleicht aber kommt jetzt die Stunde der Auferstehung.

Eben ist eine hübsche, schmale Auswahl seiner Beiträge für das "Berliner Tageblatt" erschienen: "In 80 Zeilen durch die Welt". Darin wird der ironisch kluge Plauderer und Glossator, der Fernwehkorrespondent und frühe Filmexperte Höllriegel lebendig. Rechtens bezeichnen die Herausgeber seine Methode als "Mikroskopie des Alltags". Gleichwohl ist nicht zu leugnen: Es gab - von Tucholsky bis Polgar - anno dazumal brillantere Feuilletonisten. Bermanns schriftstellerische Faszinationskraft entfaltete sich erst in der größeren Form.

Ein Jahr vor seinem Tod hatte er an einer Autobiographie zu arbeiten begonnen. Er konnte sie nicht vollenden, der chronologisch fortlaufende Text bricht 1916 ab. Indes hat der Autor, für eine geplante Sonderveröffentlichung in Zeitschriften, einige bedeutende Episoden aus den folgenden Jahren fertiggestellt. Alles zusammen ergibt einen stattlichen Band - daß er Fragment blieb, wird niemanden ernsthaft stören. Denn Richard A. Bermann glückte eines der besten, aufregendsten Epochenporträts der letzten Tage von Kakanien. "Die Fahrt auf dem Katarakt" braucht keinen Vergleich mit den Glanzstücken des Genres zu scheuen. Weder mit Stefan Zweigs berühmter "Welt von Gestern" noch mit der - leider nur Kennern geläufigen - Sammlung "Kindheit eines Cherub" von Berthold Viertel.

Was ist der Vorzug von Bermanns Memoiren? Zum einen tritt der Erlebende bewußt in den Hintergrund, seine sympathische Stimme klingt intelligent und angenehm unaufdringlich. Über den Schreibtisch hatte er die Mahnung gehängt: "Ich zum Beispiel!" Persönliche Wahrnehmungen und Empfindungen nahm er nur dann wichtig, wenn er sie für exemplarisch halten durfte, ohne dabei auf das erfrischende Aroma der Subjektivität und individuelle Urteilskraft zu verzichten. Wiewohl auch im Lebensrückblick das Gesetz strenger Diskretion waltet, ist die Behauptung "Ich bin der Chorführer, aber nicht der Protagonist meiner Selbstbiographie" gewiß übertrieben. Er war weder das eine noch das andere, sondern ein kundiger Archivar seiner Erinnerungen und ein Künstler ihrer Darstellung. Die Kunst liegt in der völlig unprätentiösen, leichten und präzisen Schilderung. Nichts wirkt inszeniert, dramatisch aufgebauscht, stets gibt sich diese Prosa wundersam entspannt. Zum anderen hat Bermann seine Aufzeichnungen als Flüchtling und Vertriebener notiert. Doch keine Sentimentalität oder Verbitterung trübt den Blick ins Verschwommene. Nur das Abschiedslicht einer untergehenden Welt wirft lange, harte Schatten.

Obgleich Bermann als Romancier Erfolg hatte, als Kritiker Beachtliches leistete, verstand er sich immer bloß als "Journalist". Das ist nicht falsche Bescheidenheit, das ist ein Prinzip. Es bewahrte ihn vor dem eitlen Streben seiner Standesgenossen, der um die Früchte ihrer Berufung zum Dichtertum vermeintlich betrogenen Literaten. Wahrhaftiger und also poetischer Reporter der Wirklichkeit zu sein genügte Arnold Höllriegel vollauf. Darum wird man bei ihm auf keine wohltönenden Klischees und Sprachkapriolen stoßen, dafür auf eine Menge origineller, weil originaler Einsichten.

Aus familiären Gründen verbrachte Richard Bermann die Kindheit in Prag, allerdings hat ihn seine Geburtststadt Wien erheblich stärker geprägt. Das Vaters Knausrigkeit zwang ihn, das Studium der Romanistik zum Teil selbst zu finanzieren. Eine Nervenkrise durch Arbeitsüberlastung führte ihn in die Ordination von Sigmund Freud. Der fand an dem jungen Patienten Gefallen und forderte ihn auf, als Gast wiederzukommen. Drei Gestalten wurden für Bermann zu Leitfiguren: Freud, Schnitzler und der Gründer der österreichischen Sozialdemokratie, Victor Adler: "Sie waren Österreicher, Juden und Ärzte; das gab ihnen eine gewisse sarkastische Güte, einen skeptischen Witz, einen Idealismus ohne Gläubigkeit." Nach der Promotion und einem mühsamen Zwischenspiel als "Hofmeister" fuhr Bermann auf Hermann Bahrs Rat hin nach Berlin. Beim Scherl-Konzern zu journalistischer Fließbandtätigkeit genötigt, publizierte er nebenbei unter verschiedenen Pseudonymen in den Paradeblättern der Hauptstadt Pointierteres: kleine Betrachtungen, Skizzen und Vignetten. Den an einen wackeren Tiroler gemahnenden Namen Höllriegel hatte ihm ein Mentor ausgesucht - ohne Wissen seines Schützlings. Als man im Hause Scherl den Nebenerwerb des angestellten Schreibsklaven entdeckte, wurde dieser sogleich entlassen. Kein Unglück: Auf dem freien Markt war er mittlerweile ein gemachter Mann. Höllriegels Resümee über die Belle Époque im preußischen Kasernenhofstaat verblüfft ob seiner Vorurteilslosigkeit: "Das kaiserliche Deutschland war in mancher Beziehung das liberalste Land der Welt. Die Pressefreiheit, die wir genossen, war erstaunlich."

Richard A. Bermann ist untauglich zum Dienst mit der Waffe gewesen. Die Kapitel seines Buches über den Einsatz als kakanischer Frontberichterstatter sind ohne Konkurrenz. Immerhin waren die meisten Kollegen aus der Literatur vor dem Schützengraben ins Kriegsarchiv geflohen, wo sie ihren Verbleib mittels martialischer Phrasen rechtfertigten. Bermann aber setzte sich freiwillig der Gefahr aus. Nicht aus Sensationslust wurde der Pazifist ein "Kiebitz des Todes", eher aus schlechtem Gewissen. Er hat es nie verloren, da er zensurbedingt allzuviel verschweigen mußte. Bekanntlich übersah Karl Kraus keinen einzigen Verherrlicher des patriotischen Schlachtens. Jeder, der sich im Hinterland mit blutiger Tinte seine Sporen zu verdienen trachtete, wurde satirisch aufgespießt. Arnold Höllriegel recte Bermann fehlt in der "Fackel" - eine Auszeichnung, die ihn in puncto Moral sogar mehr ehrt als das "Ritterkreuz des Franz-Joseph-Ordens mit den Schwertern", verliehen mit der Begründung: "Trotz körperlicher Bresthaftigkeit sehr tapfer, wiederholt (namentlich am Isonzo) in Ausübung seiner Tätigkeit im schwersten Feuer." Bestürzend aktuell lesen sich Bermanns Beobachtungen aus Bosnien-Hercegovina, aus Sarajevo und Mostar. Auch da schwamm er gegen den "Strom schamloser offizieller Lügen".

Seltsam, des Verfassers unbändige Reiselust spielt in diesem autobiographischen Torso keine wesentliche Rolle. Aber der sachlich-kühle, gleichsam wissenschaftliche Blick eines Völkerkundlers auf das Befremdliche der unmittelbaren Umgebung bildet ein entscheidendes Qualitätsmerkmal. Gerade für historisch Interessierte wird "Die Fahrt auf dem Katarakt" zur äußerst lohnenden Lektüre. Hier erzählt ein geschulter Zeitzeuge von den Schauplätzen der Weltgeschichte - sei's über die Ausrufung der Republik anno 1918, sei's über die Konferenz von Genua 1922 mit dem Vertrag von Rapallo, sei's vom österreichischen Bürgerkrieg im Februar 1934. Der Artikel über die Friedensverhandlungen von St. Germain, die er als einer der Auserwählten vor Ort mitverfolgen durfte, ist jedoch mehr: ein atmosphärisches Meisterwerk und ein politisches Dokument von Rang.

Hermann Broch bescheinigte Richard Arnold Bermann in seinem Nekrolog, mit ihm sei ein "welthungriger, wahrheitshungriger, wirklichkeitshungriger Geist" entschwunden. Den Menschen rühmte er als "sonderbar in seinem Mut, außerordentlich in seiner Güte, bescheiden kraft der Redlichkeit". Und das Manuskript des Chronisten seiner Zeit, das er als unmittelbarer Nachbar in Yaddo kannte, nannte er die "treue redliche Geschichtsschreibung eines Kriegsberichterstatters, dessen Herz schließlich über den Kriegsgreueln gebrochen ist". Auch das läßt sich mit gebotenem Nachdruck unterstreichen: Diese Flaschenpost aus vergangnen Tagen ist eine Trouvaille.

Richard A. Bermann alias Arnold Höllriegel: "Die Fahrt auf dem Katarakt. Eine Autobiographie ohne einen Helden". Hrsg. von Hans-Harald Müller. Mit einem Beitrag von Brita Eckert. Picus Verlag, Wien 1998, 356 S., geb., 39,80 DM.

Arnold Höllriegel: "In 80 Zeilen durch die Welt. Vom Neopathetischen Cabaret bis nach Hollywood". Hrsg. von Christian Jäger und Gregor Streim. Mit Fotos von Hans Casparius. Transit Buchverlag, Berlin 1998. 128 S., geb., 28,- DM.

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