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Viele Menschen nehmen regelmäßig Medikamente ein, die beruhigend, angstlösend, gegen Schmerzen, emotional entspannend oder gegen Schlafstörungen wirken. Hier ist die Hemmschwelle besonders niedrig, auch wenn viele dieser Substanzen tatsächlich abhängig machen. Ganz anders dagegen die Situation bei den Psychopharmaka: Hier ist die Ablehnung besonders hoch. Häufig ist die Meinung zu hören, dass psychisch Kranke "mit der chemischen Keule ruhiggestellt" werden. Aber auch die Kranken selbst oder deren Angehörige haben große Bedenken: Werden sie von diesen Substanzen abhängig, oder verändert sich…mehr

Produktbeschreibung
Viele Menschen nehmen regelmäßig Medikamente ein, die beruhigend, angstlösend, gegen Schmerzen, emotional entspannend oder gegen Schlafstörungen wirken. Hier ist die Hemmschwelle besonders niedrig, auch wenn viele dieser Substanzen tatsächlich abhängig machen. Ganz anders dagegen die Situation bei den Psychopharmaka: Hier ist die Ablehnung besonders hoch. Häufig ist die Meinung zu hören, dass psychisch Kranke "mit der chemischen Keule ruhiggestellt" werden. Aber auch die Kranken selbst oder deren Angehörige haben große Bedenken: Werden sie von diesen Substanzen abhängig, oder verändert sich dadurch ihre Persönlichkeit? Und ist die Wirksamkeit von Psychopharmaka überhaupt belegt? Brigitta Bondys Buch leistet Aufklärungsarbeit. Sie stellt die großen Gruppen von Psychopharmaka wie Antidepressiva, Antipsychotika und beruhigende bzw. angstlösende Medikamente vor und informiert über die neuesten Erkenntnisse hinsichtlich ihrer Wirkmechanismen. Sie arbeitet die Ziele der Psychopharmaka-Therapie heraus, geht aber auch auf die damit verbundenen Probleme ein: Was wollen wir erreichen, welche Nebenwirkungen müssen wir in Kauf nehmen? Schließlich bezieht ihr Buch kritisch Stellung zum Einsatz von Psychopharmaka in unterschiedlichen Bereichen der Medizin, etwa der Schmerztherapie oder der Gerontologie.
Autorenporträt
Brigitta Bondy, Dr. med., ist Professorin an der Psychiatrischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.06.2010

Nicht jede Beruhigungspille ist eine chemische Keule

Endlich gibt es ein Buch, das Vor- und Nachteile der gängigsten Psychopharmaka darstellt: notwendige Aufklärung von Brigitta Bondy, einer klinisch tätigen Psychiaterin.

Die kleinen Helfer haben das Aussehen einer unscheinbaren gelben Pille: "Mother needs something today to calm her down / And though she's not really ill, there's a little yellow pill / She goes running for the shelter of a mother's little helper/ And it helps her on her way, gets her through her busy day." Die vermeintlichen Glückspillen, die der überforderten Hausfrau und Mutter helfen, den Alltag zu bewältigen, haben die Rolling Stones schon 1966 in ihrem populären Song beschrieben. Über eine Million Deutsche sollen mittlerweile täglich zu Beruhigungs- und Schlafmitteln greifen. Nach Expertenangaben werden zwei Drittel der Rezepte für Psychopharmaka, also für alle Arzneien, die auf die Seele wirken, für Frauen ausgestellt.

Obwohl diese Form der Medikamentenabhängigkeit nach der Nikotin- und Alkokolabhängigkeit inzwischen die drittgrößte Suchtgruppe darstellt, existiert für sie kein Suchthilfesystem. Insofern ist ein Sachbuch zu begrüßen, das Vor- und Nachteile der gängigsten Psychopharmaka darstellt, und zwar aus der Sicht einer klinisch tätigen Psychiaterin. Literatur zur Volkskrankheit Depression ist im Hause Beck ein inzwischen gut ausgebautes Marktsegment. Der berufliche Hintergrund der Autorin garantiert zwar die Fachkompetenz, sorgt aber dafür, dass der Blickwinkel ein wenig verengt und der medizinische Fortschritt, der auf diesem Gebiet zweifellos zu verzeichnen ist, nicht immer kritisch genug gesehen wird.

Die Autorin möchte aufklären. Und das tut angesichts der eingangs geschilderten Problematik not. So warnt sie vor einer generellen Verteufelung der Psychopharmaka als "chemische Keule". Dazu gehört auch der Hinweis, dass dank dieser Medikamente ein Fortschritt in der Behandlung psychischer Störungen erzielt worden sei, den eigentlich niemand mehr missen möchte. Doch das holzschnittartige Bild, das hier von der Geschichte der Psychiatrie gezeichnet wird (glühende Eisen oder Drehmaschinen damals, medikamentöse Behandlung heute) ist bar jeder Kenntnis der historischen Forschung.

So gibt es beispielsweise Studien, die anhand von Krankenakten zeigen, wie weit fortgeschritten bereits die medikamentöse Therapie psychisch Kranker in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war, auch wenn die Resultate aus heutiger Sicht nicht immer befriedigend waren. Die moderne Psychopharmakologie beginnt also nicht, wie Bondy behauptet, im Jahre 1950 mit der zufälligen Entdeckung der antipsychotischen Wirkung von Chlorpromazin. Für die Medizingeschichte bedarf es zwar keiner Approbation, aber doch des Erwerbs grundlegender geschichtswissenschaftlicher Fachkenntnis. Andernfalls sollten sich Ärzte die beliebten Ausflüge in die Geschichte lieber schenken.

Wo die Autorin sich auf vertrautem Boden bewegt, kann der Leser allerdings profunde Sachkenntnisse erwarten. So werden zunächst durchaus allgemeinverständlich die Grundlagen der Wirkmechanismen von Psychopharmaka geschildert. Als erste Medikamentengruppe werden die sogenannten Antidepressiva abgehandelt. Diese sind in jüngster Zeit in die Kritik geraten, weil sie offensichtlich doch nicht so effektiv sind, wie die Pharmawerbung verspricht. Zur Streitfrage, ob Antidepressiva besser sind als Placebos, also Scheinmedikamente, bezieht die Autorin eindeutig Stellung. Der Hinweis auf den hohen Anteil des Placeboeffekts sei kein grundsätzliches Argument gegen die Verschreibung, insbesondere in Fällen schwerer Depression.

Da die Frage der Evidenz der vorliegenden Studien aber, wie die Autorin weiß, umstritten ist, wird sogar die Todesfallstatistik als Beweis ins Feld geführt. Den seit Jahrzehnten zu beobachtenden Rückgang der Suizidraten (der übrigens gar nicht so geradlinig verläuft) auf die Einführung neuer Substanzen (Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) in die Behandlung zurückzuführen zeugt von einer ungenügenden Kenntnis der Suizidforschung.

Eine weitere Medikamentengruppe, deren Vor- und Nachteile abgehandelt werden, sind die Medikamente zur Behandlung von Psychosen, bei denen zum Teil erhebliche Nebenwirkungen zu beobachten sind. Dennoch ist deren Einsatz in vielen Fällen zwingend, wie die Autorin zu Recht betont. Problematischer ist dagegen aus medizinischer Sicht die weite Verbreitung von Beruhigungsmitteln, wozu inzwischen vor allem die Benzodiazepine zählen. Gerade bei diesen Psycho-Pillen ist das Missbrauchspotential sehr groß und damit die Gefahr der Gewöhnung und Abhängigkeit.

Das anschließende Kapitel über Psychopharmaka auf pflanzlicher Basis beschränkt sich leider nur auf Johanniskraut. Dabei sind biogene Drogen für das "Gehirndoping", das abschließend als Problemfeld geschildert wird, inzwischen insbesondere unter Jugendlichen gängig. Dagegen werden die Gefahren der sogenannten Neuro-Enhancer erwähnt. Hierzu zählen die Substanzen Methylphenidat (in Deutschland unter dem Handelsnamen Ritalin bekannt) und Modafinil. Letzteres Mittel wird vor allem von Menschen eingenommen, die an sich gesund sind, aber natürliche Erschöpfungs- und Ermüdungserscheinungen auf diese Weise bekämpfen und sich so Vorteile im Alltag verschaffen wollen. Bondy weist auf das große Suchtpotential dieser Substanzen hin und bringt zudem wichtige ethisch-moralische Gesichtspunkte in eine Debatte ein, die 2009 von Wissenschaftlern angestoßen wurde, die eine Optimierung des Gehirns befürworten.

ROBERT JÜTTE

Brigitta Bondy: "Psychopharmaka". Kleine Helfer oder chemische Keule? Verlag C. H. Beck, München 2010. 120 S., br., 10,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Generell begrüßenswert findet Robert Jütte ein Sachbuch zu den Vor- und Nachteilen von Psychopharmaka und den ethisch-moralischen Aspekten der Debatte um diese Medikamente. Aufklärung für diese schnell wachsende Suchtgruppe, findet er, ist angezeigt. Allerdings kommen dem Rezensenten beim Lesen Zweifel, ob die Fachkompetenz der Autorin, einer klinisch tätigen Psychiaterin, ausreicht, um das Thema umfassend und kritisch anzugehen. Vor Brigitta Bondys geschichtswissenschaftlicher Unkenntnis warnt er uns sogar eindringlich. Und das Kapitel zu pflanzlichen Psychopharmaka hält er für stark erweiterungsbedürftig. Als verlässlich hingegen schildert Jütte Bondys Ausführungen zu den Wirkmechanismen von Psychopharmaka.

© Perlentaucher Medien GmbH