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Kathleen Stock befasst sich mit den philosophischen Ideen, die zur Annahme einer Geschlechtsidendität geführt haben, und überprüft jede einzelne davon: Von Simone de Beauvoirs These, man werde nicht als Frau geboren, sondern zu einer solchen gemacht (eine Bemerkung, die laut Stock fehlinterpretiert und umfunktioniert worden ist), bis hin zu Judith Butlers Diktum, dass Sprache die biologische Wirklichkeit nicht beschreibe, sondern erst hervorbringe. Stock widmet sich der Rolledes biologischen Geschlechts in diversen Kontexten, darunter in Räumen und in Ressourcen, die lediglich Frauen zur…mehr

Produktbeschreibung
Kathleen Stock befasst sich mit den philosophischen Ideen, die zur Annahme einer Geschlechtsidendität geführt haben, und überprüft jede einzelne davon: Von Simone de Beauvoirs These, man werde nicht als Frau geboren, sondern zu einer solchen gemacht (eine Bemerkung, die laut Stock fehlinterpretiert und umfunktioniert worden ist), bis hin zu Judith Butlers Diktum, dass Sprache die biologische Wirklichkeit nicht beschreibe, sondern erst hervorbringe. Stock widmet sich der Rolledes biologischen Geschlechts in diversen Kontexten, darunter in Räumen und in Ressourcen, die lediglich Frauen zur Verfügung stehen, sowie im Gesundheitswesen, in der Epidemiologie, in der politischen Organisierung und in der Datenerhebung.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Patrick Bahners empfiehlt die begriffskritische Arbeit der Philosophin Kathleen Stock. Den Begriff "Genderidentität" seziert Stock laut Bahners scharfsinnig, indem sie den Ersatz konventioneller Geschlechtsbegriffe durch das Konzept der Genderidentität nachweist. Stocks Kritik an diesem Vorgang als Installation eines Tabus und ihre Forderung nach mehr Realismus in der Genderdebatte findet Bahners umso bedenkenswerter, als er darin neben der ontologischen auch eine soziologische Seite entdeckt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.05.2022

Gegen die Rückkehr des sexualmagischen Denkens
Kathleen Stock, Alice Schwarzer und Chantal Louis antworten dem Transaktivismus mit Ideologiekritik

Im ersten Kapitel des Films "Der Sinn des Lebens" der englischen Komikertruppe Monty Python aus dem Jahr 1983 absolviert ein Administrator des Nationalen Gesundheitsdienstes eine Visite in einem Klinikum. Ihm wird die Geburtsstation gezeigt, und höflich erkundigt er sich: "Was machen wir eigentlich hier?" Die Antwort "Babys!" verblüfft und euphorisiert ihn: "Was wir so alles können!" Heute kann man über ganz andere Wunder der bürokratisierten Gesundheitsvorsorge staunen, wenn man etwa einen Artikel beim Wort nimmt, den die "New York Times" vor einem Jahr unter der Überschrift "Was sind Pubertätsblocker?" veröffentlichte.

Anlass war ein Gesetz im Bundesstaat Arkansas, das die Verabreichung dieser Medikamente an Jugendliche untersagt, die den Wunsch äußern, ihr Geschlecht zu verändern. Wie der Name sagt, halten Pubertätsblocker die körperlichen Veränderungen an, die das pubertäre Stadium der Entwicklung bestimmen. Sie wurden zur Behandlung von Kindern entwickelt, bei denen die Pubertät zu früh einsetzt. Um die Wirkungsweise der Medikamente zu erklären, erläutert der Artikel, was die beiden Hormone bewirken, deren Produktion im Körper von den Spritzen oder Implantaten blockiert wird. "In Menschen, denen bei der Geburt das weibliche Geschlecht zugewiesen wird, bringen diese Hormone die Eierstöcke dazu, Östrogen herzustellen, das Prozesse wie das Wachsen der Brüste und die Menstruation anregt. In Menschen, denen bei der Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen wird, bringen sie die Hoden dazu, Testosteron herzustellen, das Prozesse wie das Wachsen der Gesichtsbehaarung und das Tieferwerden der Stimme anregt."

Nähme man diese beiden Sätze wörtlich, dann schrieben sie einer bürokratischen Prozedur auf den Geburtsstationen mirakulöse Wirkungen zu. Der Geschlechtseintrag wäre dafür verantwortlich, dass der einen Hälfte der Menschen Brüste und der anderen Bärte wachsen. So, wie sie dastehen, stimmen die Sätze nicht. Es kommt vor, dass dem Arzt ein Irrtum unterläuft und in die Akte das falsche Geschlecht eingetragen wird. Dann wirken die Hormone nicht wie beschrieben. Natürlich nicht, möchte man sagen. Sollte man aber vielleicht nicht sagen, wenn man den Regeln folgt, welche die Kollegin der "New York Times" bei der Wortwahl beachtet hat. Nun ist ihr Artikel als informatives Erklärstück durchaus harmlos im besten Sinne des Neutralitätsideals der amerikanischen Presseethik und eigentlich nicht missverständlich. Es ist einfach üblich geworden, die Ausdrücke "people assigned female at birth" und "people assigned male at birth" zu verwenden.

Für die britische Philosophin Kathleen Stock zeigt gerade das Konventionelle dieser Austreibung des Natürlichen aus der Sprache die Brisanz des Problems, auf das sie mit ihrem Buch "Material Girls" aufmerksam machen möchte. Sie hält die Begriffe für sachlich falsch. "In den allermeisten Fällen wird das Geschlecht nicht 'bei der Geburt zugewiesen', sondern festgestellt - zumeist durch Beobachtung bei der Geburt, in seltenen Fällen auch erst später." Falsche Begriffe vermitteln falsche Vorstellungen. Menschen kommen nicht männlich oder weiblich zur Welt, sondern ihnen wird ein Geschlecht zugewiesen, beziehungsweise sie werden einem der beiden Geschlechter zugewiesen: An diese Redeweise haben wir uns gewöhnt, jedenfalls in amtlichen und akademischen Texten, und es ist Stocks gut begründete Befürchtung, dass damit ein Wandel der Denkungsart einhergeht.

Das Geschlecht, so kann man ihr sprachkritisches Monitum verdeutlichen, wird nämlich nicht in gleicher Weise zugewiesen, wie Erstklässlern, die zum ersten Mal ihren Klassenraum betreten, vielleicht abwechselnd ein Platz auf der linken und auf der rechten Seite vom Lehrerpult zugewiesen wird. Mit Zuweisung assoziiert man Beliebigkeit, Willkür und die Möglichkeit des Widerrufs. Die Terminologie legt damit die Grundlage für Projekte wie das "Selbstbestimmungsgesetz", mit dem die Ampelkoalition den Wechsel der Geschlechtszugehörigkeit im Rechtssinne durch bloße Willenserklärung ermöglichen will.

Soweit in amtlichen Dokumenten das zugewiesene Geschlecht Standard ist, spricht sich darin unabhängig von Gesetzgebungsvorhaben schon das Ziel der Nichtdiskriminierung von Menschen aus, die sich als Transgender beschreiben. Und man kann an Stock die Rückfrage richten, ob diese Umstellung der Amts- und Wissenschaftssprache wirklich schädlich ist. Beide Idiome operieren zweckgemäß mit Abstraktionen, und in der Sprache des Rechts dient die Markierung des Kontingenten an vorgefundenen Verhältnissen der Hervorhebung von Freiheitschancen. Ist Stock, eine analytische Philosophin im Sinne des Schulbegriffs, in ihrer Kritik der öffentlichen Sprache zu scholastisch?

Der Transaktivismus und seine Alliierten feiern das Paradigma des zugewiesenen Geschlechts, das sich jeder und jede selbst wieder entziehen kann, als Konsequenz eines für Rechtsstaat und Demokratie grundlegenden Antinaturalismus und damit auch als Triumph des Feminismus. Diese erhebende Erzählung hätte mehr für sich, wenn die Begriffsgeschichte hier tatsächlich am Ende wäre. Aber die Ausblendung des Geschlechts als biologischer Tatsache hat eine Kehrseite: Es wird eine "Genderidentität" postuliert, eine individuelle Wahrheit, von der nur das Individuum etwas wissen kann. Auf die Kritik dieses Begriffs verwendet Stock beträchtlichen Scharfsinn, mit vernichtendem Resultat.

Die Entnaturalisierung der konventionellen Geschlechtsbegriffe wird kompensiert durch die Naturalisierung beziehungsweise Verdinglichung des Identitätskonzepts, mit dem der Wunsch des Geschlechtswechsels begründet wird. Stock bestreitet nicht, dass das in dieser Weise als Selbstwissen ausgewiesene Gefühl real ist, aber als Philosophin nimmt sie Anstoß daran, dass jede Nachfrage, was es mit dem Gefühl auf sich hat, unterbunden wird, und zwar schon auf konzeptueller Ebene. Die Genderidentität wird als Tabu installiert, zu dessen Absicherung die pseudowissenschaftliche Theorie dient, ein Mensch, der sein wahres Geschlecht entdecke, habe dieses sein ganzes Leben lang schon gehabt. Wie hier mit begrifflichen Setzungen eine buchstäblich verkehrte Welt konstruiert wird, bringt Alice Schwarzer im ersten Kapitel des Debattenbuchs auf den Punkt, dass sie gemeinsam mit ihrer "Emma"-Kollegin Chantal Louis herausgegeben hat. "Das würde bedeuten: Das subjektiv empfundene soziale Geschlecht sei quasi angeboren und das biologische Geschlecht müsse ihm angepasst werden. Wie absurd! Das würde ja voraussetzen, dass die sozialen Geschlechterrollen irreversibel sind." In einem Artikel in der "Zeit" im Februar dieses Jahres fügte Schwarzer eine kulturphilosophische Pointe an: "Hier wird Natur mit Kultur verwechselt. Ein quasi magisches Denken."

Stock und Schwarzer/Louis verfechten dieselbe Sache mit ähnlichen Mitteln, den Waffen der klassischen Ideologiekritik: Die alte Frage der analytischen Philosophie, wie man Dinge mit Worten tut, fördert Belege für ein falsches Bewusstsein an den Tag, wenn der übermäßige Preis für die Absage an den Determinismus der Gene und der sozialen Rollen die Hingabe an einen neuen Schicksalsglauben der komplett innerlichen und erst recht unentrinnbaren Geschlechtsidentität ist. Beiden Büchern wird der Vorwurf eines Rückfalls in den anti-feministischen Naturalismus gemacht werden, aber die Autorinnen können ihn mit überzeugenden Gründen zurückweisen. Angesichts des Fortbestands der Geschlechterdiskriminierung muss die erste und letzte Prämisse des Feminismus die Verwerfung des Sein-Sollens-Fehlschlusses sein: Man muss den Tatsachen Rechnung tragen, um sich nicht von ihnen bestimmen zu lassen. Wie Schwarzer schreibt: Sie tritt dafür ein, "dass das biologische Geschlecht zwar existiert, aber keine den Menschen definierende Rolle spielen dürfe".

Mit dem Titel "Material Girls" knüpft Stocks Buch an die Urzeit des Feminismus an, in der er mit dem Materialismus im Bunde stand und Aufklärung sowohl mit Informationen über medizinische Tatsachen als auch durch Zerstörung sozialpsychologischer Idole betrieb. Die von Stock propagierte Rückwendung zum Realismus in der Geschlechterdebatte hat neben der ontologischen eine politisch vielleicht noch wichtigere soziologische Seite. Tonangebende Transaktivisten versuchen im Namen unbedingter "Affirmation" der Geschlechtsidentität elementares psychologisches Wissen aus der Debatte herauszuhalten. So verkündet Sven Lehmann, der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Transsexualität sei kein "Trend" oder "Modephänomen". Die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Sie steigen gewaltig an, und sehr viel mehr Mädchen wollen Jungen werden als umgekehrt. Wer will ernsthaft glauben, "peer pressure" und Körperbilder aus dem Internet wirkten nie mit, wenn eine Zwölfjährige sich Pubertätsblocker spritzen lassen möchte, und das Mädchen höre bloß auf seine innere Stimme? PATRICK BAHNERS

Kathleen Stock: "Material Girls". Warum die Wirklichkeit für den Feminismus unerlässlich ist.

Aus dem Englischen von Vojin Sasa Vukadinovic. Edition Tiamat, Berlin 2022. 384 S., br., 26,- Euro.

Alice Schwarzer und Chantal Louis (Hrsg.): "Transsexualität". Was ist eine Frau? Was ist ein Mann? - Eine Streitschrift.

Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2022. 224 S., br., 15,- Euro.

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