Marktplatzangebote
12 Angebote ab € 3,30 €
  • Gebundenes Buch

Achtzig Jahre nach der Reichspogromnacht steigt die Zahl antisemitischer Übergriffe nicht nur in Deutschland, sondern weltweit an. Doch was genau ist Antisemitismus, wie zeigt er sich im täglichen Zusammenleben der Menschen? Die renommierte Historikerin Deborah Lipstadt geht einem Phänomen nach, das in jüngster Zeit wieder alarmierende Aktualität erfährt.
Ob Berlin, Paris oder Brüssel: Heute müssen Juden Vorkehrungen treffen, wenn sie sich in diesen Städten bewegen, die Kippa wird aus Sicherheitsgründen gegen eine Basecap getauscht, jüdische Einrichtungen müssen gegen Angriffe geschützt
…mehr

Produktbeschreibung
Achtzig Jahre nach der Reichspogromnacht steigt die Zahl antisemitischer Übergriffe nicht nur in Deutschland, sondern weltweit an. Doch was genau ist Antisemitismus, wie zeigt er sich im täglichen Zusammenleben der Menschen? Die renommierte Historikerin Deborah Lipstadt geht einem Phänomen nach, das in jüngster Zeit wieder alarmierende Aktualität erfährt.

Ob Berlin, Paris oder Brüssel: Heute müssen Juden Vorkehrungen treffen, wenn sie sich in diesen Städten bewegen, die Kippa wird aus Sicherheitsgründen gegen eine Basecap getauscht, jüdische Einrichtungen müssen gegen Angriffe geschützt werden. In den USA stützt sich Präsident Trump auf rechtsradikale Gruppen und verharmlost massive antisemitische Ausschreitungen. Der neue Antisemitismus ist ein weltweites Phänomen.
Deborah Lipstadt spürt den Ausdrucksformen dieses Hasses in Europa, den USA und im Nahen Osten nach und erklärt die Ursachen seines erschreckenden Wiederaufstiegs auch jenseits rechtsradikaler und islamistischer Mileus. Sie zeigt auf, was Juden und Nichtjuden wissen müssen, um dem neuen Antisemitismus etwas entgegensetzen zu können, und warum sowohl blauäugiger Optimismus als auch düsterer Pessimismus gefährlich sind. Lipstadt warnt vor einem Hass, der sich ausbreitet wie Feuer. »Juden sind so etwas wie der Gradmesser der Gesellschaft. Wer sie angreift, greift alle demokratischen und multikulturellen Werte an.«

»Deborah Lipstadt setzt sich konsequent und unerschrocken für die historische Wahrheit und die Menschenwürde ein.«
Aus der Jury-Begründung zur Verleihung des Carl-von-Ossietzky-Preises 2018

»Angesichts einer heute weltweit anwachsenden Welle von aggressivem Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit ist dieses Buch ein Muss.«
Jan Gross, Autor von Nachbarn. Der Mord an den Juden von Jedwabne

»Um über Antisemitismus zu schreiben, braucht es Gelassenheit, Hellsichtigkeit, Klugheit und einen fehlerfreien moralischen Kompass, gepaart mit einem tiefen Gefühl für Gleichberechtigung. Deborah Lipstadt verfügt über all das. Und deshalb ist ihr neues Buch so willkommen, so nötig und so klar.«
David Hare, Autor des Drehbuchs zu Der Vorleser

»Antisemitismus kommt in unterschiedlichen Schattierungen daher, hässlich sind sie alle - nicht zuletzt, wenn er von denen ausgeht, die sich selbst für Emanzipationschampions halten. Um diese Scheußlichkeit in allen ihren Schattierungen zu bekämpfen, hat Deborah Lipstadt ein weises, nüchternes und hellsichtiges Handbuch geschrieben. Ein außergewöhnlich nützliches Buch.«
Todd Gitlin
Autorenporträt
Lipstadt, Deborah§Deborah Lipstadt, geboren 1947 in New York, ist Historikerin und eine der renommiertesten Forscherinnen zum Holocaust weltweit. Seit 2014 lehrt sie Moderne Jüdische Geschichte und Holocaust-Studien an der Emory University in Atlanta. Große, internationale Aufmerksamkeit erlangte ihre Geschichte der Holocaustleugnung. Der britische Holocaustleugner David Irving verklagte Lipstadt wegen der ihn betreffenden Aussagen vor einem Londoner Gericht. Das Urteil des aufsehenerregenden Prozesses bestätigte, dass Irving die historischen Fakten systematisch manipulierte, und gab Lipstadt in allen wesentlichen Punkten recht. Im Mai 2018 wurde Deborah Lipstadt mit dem Carl-von-Ossietzky-Preis ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.12.2018

Extrem polarisiert
Drei Bücher über alte und neue
Formen von Antisemitismus –
mit teils sehr schrägen Argumenten
VON ISABELL TROMMER
Im Jahr 1996 verklagte der britische Publizist David Irving die amerikanische Historikerin Deborah Lipstadt und den Penguin-Verlag. Lipstadt hatte Irving in ihrem in den Vereinigten Staaten 1993 erschienenen Buch „Denying the Holocaust“ als einen der gefährlichsten Wortführer der Holocaustleugner bezeichnet. Im britischen Rechtssystem trägt bei einer Verleumdungsklage der Beklagte die Beweislast. An 32 Verhandlungstagen wiesen Lip-stadts Anwälte die Geschichtsverfälschungen Irvings nach. Historiker wie Christopher Browning, Richard Evans und Peter Longerich schrieben Gutachten und wurden ins Kreuzverhör genommen. Unter anderem stellten sie dabei den Forschungsstand zur Vernichtung der europäischen Juden dar. Denn Irving behauptete, die Morde wären nicht systematisch erfolgt. Außerdem leugnete er, dass Juden in Gaskammern umgebracht wurden. Im April 2000 wies das zuständige Londoner Gericht seine Klage ab.
„Man kann sie nicht völlig ignorieren“, schreibt Deborah Lipstadt über Holocaustleugner in ihrem aktuellen Buch „Der neue Antisemitismus“. Man müsse ihre Lügen aufdecken. Mit Holocaustleugnern zu reden kommt für sie allerdings nicht infrage: „Die Wahrheit lautet, sie sind Lügner, und mit Lügnern kann man nicht diskutieren.“ Holocaustleugnung ist nur eine Spielart des Antisemitismus, mit dem sich Deborah Lipstadt befasst. Auch wenn der deutsche Titel des Buches, das im Englischen „Antisemitism: Here and Now“ heißt, etwas anderes vermuten lässt: Ihre These ist nicht, dass es eine neue Art von Antisemitismus gibt; ihr ist es um die vielfältigen gegenwärtigen Ausdrucksweisen zu tun.
Antisemitismus ist eine hartnäckige Konstante – eine antimoderne Weltanschauung, die sich auf kein politisches Lager beschränken lässt. Antisemitische Übergriffe nehmen wellenförmig zu und ab, wie Klaus Holz 2005 in „Die Gegenwart des Antisemitismus“ schrieb – einem Buch, das an Brisanz nichts eingebüßt hat.
Zwar lässt sich laut Polizeistatistik in Deutschland kein Anstieg antisemitischer Straftaten verzeichnen, aber sie sind sichtbarer als früher. Im Internet sind antisemitische Äußerungen in den vergangenen zehn Jahren radikaler geworden; dabei erweist sich außer klassischen Stereotypen der israelbezogene Antisemitismus als dominante Form der Judenfeindschaft, wie die an der Technischen Universität Berlin erstellte Langzeitstudie „Antisemitismus 2.0 und die Netzkultur des Hasses“ zeigt. Außerdem eskalieren immer wieder Auseinandersetzungen um Unterstützer der transnationalen Kampagne „Boycott, Divestment and Sanctions“ (BDS), die unter anderem zum Boykott israelischer Waren, Künstler und Wissenschaftler aufruft. Gegenwärtig ist in den öffentlichen Diskussionen also eine erneute Zuspitzung zu beobachten. So sind antisemitische und den Holocaust relativierende Stimmen – etwa von AfD-Politikern – lauter geworden. Solche Aussagen bleiben nicht unwidersprochen. Daran zeigt sich auch, dass die Auseinandersetzung um die NS-Vergangenheit andauert.
Deborah Lipstadt hat keine wissenschaftliche Studie geschrieben, sondern eine Art Briefroman. Lipstadt antwortet auf Nachrichten zweier fiktiver Figuren: Die jüdische Doktorandin Abigail und der Juraprofessor Joe berichten von persönlichen Erfahrungen, politischen Entwicklungen und antisemitischen Vorfällen, sie sind „besorgt“ und „verwirrt“; die in Atlanta lehrende Historikerin systematisiert und erklärt.
Antisemitismus versteht Lipstadt als eine wahnhafte Form von Hass. Es handle sich um eine Weltanschauung, eine Verschwörungstheorie. Dabei unterscheidet sie verschiedene Typen von Antisemiten: Extremisten, Steigbügelhalter, Salon-Antisemiten und ahnungslose Antisemiten. Die Ereignisse von Charlottesville, White-Supremacy-Gruppen, der britische Labour-Chef Jeremy Corbyn, der seit einiger Zeit mit Antisemitismus-Vorwürfen konfrontiert wird, und die Linke in den Vereinigten Staaten kommen zur Sprache. Es geht außerdem um verschiedene Erscheinungsformen von Judenhass: islamistischen Antisemitismus, Antizionismus, Täter-Opfer-Umkehr und Feindschaft gegenüber dem Staat Israel.
Außer Beispielen aus europäischen Ländern liegt ein Schwerpunkt des Buches auf politischen Auseinandersetzungen an amerikanischen Universitäten. Lipstadt kritisiert die BDS-Kampagne, deren Ziel es sei, Israel zu dämonisieren, hält aber auch nichts davon, solche Bewegungen an Universitäten zu verbieten oder schwarze Listen mit den Namen von Unterstützern zu führen. Antisemitismus sei etwa dort zurück, wo jüdische Studierende „sich nur zögerlich jüdischen Studentenverbänden anschließen, weil sie ihre Studienzeit nicht im Kampf gegen überzogene Israel-Kritik und Judenhass verbringen wollen“.
Lipstadt nimmt die wachsende Anzahl antisemitischer Vorfälle ernst, will sich dabei aber weder von einem „absoluten Pessimismus“ noch von einem „naiven Optimismus“ leiten lassen.
Die Schwäche des als Konversation angelegten Buches besteht darin, dass es sich von dieser zu jener Beobachtung hangelt. Dabei ist der Ton gelegentlich betulich: „Das Gute im Angesicht des Bösen feiern“, wird etwa als Losung ausgegeben. Die Historikerin hat sich für einen persönlichen und edukativen Zugriff entschieden, weil sie sich nicht allein von Zahlen und Statistiken leiten lassen will. Das ist bisweilen unbefriedigend, zumal die Brief-Form nicht auf Dauer trägt.
Wie ideologisch aufgeladen und polarisiert die Debatten um Antisemitismus sind, kann man an zwei anderen Neuerscheinungen ablesen: einerseits am Buch „Der neu-deutsche Antisemit. Gehören Juden heute zu Deutschland?“ von Arye Sharuz Shalicar, andererseits an Moshe Zuckermanns „Der allgegenwärtige Antisemit oder Die Angst der Deutschen vor der Vergangenheit“. Beide Autoren haben einige Jahre in Deutschland gelebt und sind nach Israel emigriert. Ihre Thesen sind gegensätzlich, jedoch nicht neu: Während Shalicar vom wachsenden Antisemitismus alarmiert ist, klagt Zuckermann über die in seinen Augen zu häufig und zu schnell erhobenen Antisemitismusvorwürfe.
Der in Berlin aufgewachsene Shalicar arbeitet heute als Direktor für Auswärtige Angelegenheiten im Büro des israelischen Ministerpräsidenten. Er berichtet hauptsächlich von persönlichen Erfahrungen, vom Antisemitismus auf deutschen Straßen und im Internet (etwa auf seiner Facebook-Seite). Seiner Wahrnehmung nach äußert sich Hass auf Israel und auf Juden immer heftiger: unter Links- und Rechtsradikalen, unter Muslimen und in den deutschen Medien. Es ist ein Verdienst des Buches, verschiedene Spielarten von Antisemitismus aufzuzeigen, doch kommt es argumentativ und sprachlich allzu grob daher.
Der Historiker und Soziologe Zuckermann befasst sich im ersten Teil seines Buches mit Israel. Das Land befinde sich in einer historischen Krise. Im Mittelpunkt seiner Kritik stehen die seit 1948 ungelöste Frage der Trennung von Staat und Religion sowie die Politik gegenüber den Palästinensern. Diese erzeuge „immer neue Opfer“, Israel habe sich, so seine Behauptung, „historisch zum Täter gewandelt“.
Anschließend wendet sich Zuckermann Deutschland zu, wo man sich geradezu obsessiv mit dem Thema Antisemitismus befasse. Das habe zum einen mit einer Zunahme antisemitischer Tendenzen zu tun. Doch hauptsächlich seien Philosemitismus und eine „unhinterfragte Israelsolidarität“ dafür verantwortlich, dass Kritik an der Politik Israels zu rasch mit einem Antisemitismusvorwurf belegt werde. Diese Solidarität verhindere kritische Debatten und sei letztlich selbstbezogen, weil sie auf Schuldgefühle der Deutschen zurückgehe. Hier zeigt sich, wie einseitig ausgewählt Zuckermanns Beobachtungen sind.
Die Bücher von Shalicar und Zuckermann sind als persönliche Erfahrungsberichte oder Streitschriften angelegt, Lip-stadt hingegen sucht den Dialog. Dabei wäre es interessant gewesen, wenn sie die historische Perspektive noch stärker entfaltet hätte. Es lohnt sich, ihr Buch aus den Neunzigern über Holocaustleugnung noch einmal in die Hand zu nehmen. Auch wenn sich Antisemitismus historisch wandelt, folgt er doch immer den gleichen Mustern.
Die Auseinandersetzung
mit der NS-Vergangenheit
dauert an
Lipstadt sucht den Dialog,
Shalicar und Zuckermann
bieten Streitschriften an
Deborah Lipstadt:
Der neue Antisemitismus. Aus dem Englischen von Stephan Pauli. Berlin-Verlag,
München/Berlin 2018. 304 Seiten, 24 Euro.
E-Book: 19,99 Euro.
Arye Sharuz Shalicar:
Der neu-deutsche
Antisemit. Gehören Juden heute zu
Deutschland? Eine
persönliche Analyse.
Hentrich & Hentrich, Berlin/Leipzig 2018. 164 Seiten, 16,90 Euro.
Moshe Zuckermann:
Der allgegenwärtige Antisemit oder Die Angst der Deutschen vor der Vergangenheit.
Westend-Verlag,
Frankfurt 2018.
256 Seiten, 20 Euro.
E-Book: 13,99 Euro.
25. April 2018: Solidaritätskundgebung „Berlin trägt Kippa“ der Jüdischen Gemeinde. Anlass ist der tätliche Angriff auf einen Mann mit jüdischer Kopfbedeckung in Prenzlauer Berg.
Foto: Michael Kappeler / dpa
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2019

Ein Phänomen chronischer Beständigkeit
Mehr Sichtbarkeit oder tatsächliche Zunahme? Deborah Lipstadt untersucht den gegenwärtigen Antisemitismus

Dem verbissenen Antisemiten und Meister des literarischen Argot Louis-Ferdinand Céline wird nachgesagt, er hätte nach 1945 sich über Hitler insofern abfällig ausgelassen, als dieser mit der Ermordung der europäischen Juden ihm, Céline, seinen Judenhass verdorben habe. Wie immer es mit der Authentizität dieser Bekundung bestellt sein mag, sie trifft ein nicht unwichtiges Moment: Dass nämlich mit dem Menschheitsverbrechen des Holocaust landläufigen judenfeindlichen Regungen auferlegt war zu schweigen. Ob ein solches Gebot gegenwärtig an sein Ende gelangt, ob ein neuer Antisemitismus aufersteht oder an dieser Front eigentlich nichts Neues zu vermelden sei - darüber ist eine Debatte entbrannt. Zu ihr trägt auch Deborah Lipstadt mit einem neuen Buch bei.

Die amerikanische Holocaust-Forscherin hat sich nicht nur in akademischen Kreisen einen Namen gemacht, sondern ist auch einem größeren Publikum bekannt geworden, als sie sich im Gerichtssaal mit dem Holocaust-Leugner David Irving angelegt hatte - ein Ereignis, das die Produktion eines überaus erfolgreichen Spielfilms nach sich zog. Auch ihr Buch über einen von ihr diagnostizierten neuen Antisemitismus wendet sich an eine breite Öffentlichkeit. Recht eigentlich handelt es sich bei der Schrift um eine didaktisch aufbereitete Handreichung in Sachen Aufklärung über Judenfeindschaft. Dabei wählt die Autorin das Format eines allem Anschein nach fiktiven Dialogs mit zwei weiteren Personen - die eine jüdisch, die andere nicht. In einem eher naiven Duktus richten beide Fragen an Lipstadt, die von ihr im Stile einer belehrenden Instruktion beantwortet werden.

Dieses Frage-und-Antwort-Spiel schöpft sein Material vornehmlich aus der amerikanischen Wirklichkeit dieser Tage, vor allem aus dem der Autorin vertrauten akademischen Milieu. In verdichteter Form und bestehend aus Materialien klassischer antijüdischer Stereotype über Reichtum und Macht, einer Anhäufung von Verschwörungsmetaphern, inflationierten postkolonialen Diskursen zu Opferhierarchien sowie aus Spurenelementen antijudaistischer Traditionsbestände monotheistischer Religionen bis hin zur veritablen Holocaust-Leugnung wird ein Delirium des Verfalls von Urteilskraft präsentiert. Es ist ein aus Indizien sich fügendes Bild, begleitet von Tiefenbohrungen in die historische Vergangenheit.

Wie ernst es um die Sache selbst steht, ist allerdings damit noch nicht erwiesen. So haben sich in der Welt des Digitalen die Maßstäbe zunehmend verschoben, haben sich Intimes, Privates und Öffentliches unterscheidungslos miteinander verschmolzen. Was zuvor verborgen blieb, wird nach außen gekehrt - um sich zugleich in der Anonymität des Netzes zu verkappen. Das Netz vor allem ist das Medium, in dem sich die Antisemitismen ausbreiten.

Bedeutet aber die zunehmende Sichtbarkeit antijüdischer Ressentiments, von denen die von Lipstadt ausgebreiteten Phänomene laut und deutlich sprechen, auch deren substantielle Zunahme? Tatsächlich verweist das Anschwellen öffentlicher Grenzüberschreitungen auf eine Steigerung bislang im Verborgenen gebliebener judenfeindlicher Ressentiments. Diese Tendenz vermag auch den skeptischen Zeitgenossen davon zu überzeugen, dass die historische Halbwertzeit des antijüdischen Ressentiments bis hin zur ausgegorenen antisemitischen Weltanschauung offenbar von längerer Dauer ist als vom zukunftsfrohen Bewusstsein erhofft. Judenfeindschaft ist anscheinend ein Phänomen chronischer Beständigkeit. Sie tritt in unterschiedlichen Lagen wie in unterschiedlichen Formen vor allem dann in Erscheinung, wenn tiefgehende soziale Verwerfungen im Gange sind.

Dies galt für das neunzehnte Jahrhundert, als die aufkommende bürgerliche Gesellschaft den christlichen Staat herausforderte und ihr Attribute des Jüdischen zugeschrieben wurden. Heute werden Phänomene der Globalisierung mit jüdischen Zügen - oder was man dafür hält - ausgestattet. Verkompliziert wird die Lage, weil zu den alten Phantasien über eine vorgebliche Verschwörung sichtbar-unsichtbarer Juden das Agieren eines in einem realen Konflikt mit seiner arabisch-muslimischen Umwelt befindlichen jüdischen Staates kommt. Diese reale Konfliktlage zieht Bilder und Metaphern auf sich, die den Arsenalen antisemitisierender Zuschreibungen entsprungen sind.

In ihren Überlegungen zur Lage in den Vereinigten Staaten schenkt Deborah Lipstadt den mit der Staatswerdung Israels einhergegangenen Veränderungen indes wenig Beachtung. Dass sie auf das für die jüdische Gemeinschaft in Amerika einschneidende Ereignis des Massakers in der Synagoge zu Pittsburgh im Oktober des vorigen Jahres nicht eingeht, verdankt sich lediglich dem Umstand, dass ihr Text damals bereits in Druck gegangen war. Der Schrecken, der die jüdische Gemeinschaft der Vereinigten Staaten erfasste, als Juden qua Juden ausgerechnet in Amerika getötet wurden, war einschneidend.

Und gravierend war das Ereignis auch deshalb, weil das offizielle Israel sich an den Gräbern der Ermordeten mit Donald Trump gemein machte, während die Mehrheit des jüdischen Amerikas dem Präsidenten ostentativ den Rücken kehrte. Die von ihm angefachte Stimmung erinnerte sie an die dreißiger Jahre, als Juden im Land der unbegrenzten Möglichkeiten noch als eine Minderheit behandelt wurden, deren Zugehörigkeit zum Gemeinwesen in Zweifel stand.

DAN DINER

Deborah Lipstadt: "Der neue Antisemitismus".

Aus dem Englischen

von Stephan Pauli.

Berlin Verlag, München 2018. 304 S., geb., 24,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr
"US-Historikerin Deborah Lipstadt (beschreibt) die globale Bedrohung für Jüdinnen und Juden bestürzend genau." Jan Süselbeck ZEIT Online 20190430