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James Chin war langjähriger Chef des Global Programme on AIDS (GPA) der WHO in Genf. In dieser aufsehenerregenden Studie analysiert er die derzeitige Situation auf epidemiologischer Basis und kommt zum Schluß, daß die Geschichte der Aids-Pandemie durch gut organisierte Lobbyisten bewußt verzerrt dargestellt wird, um so riesige Geldmittel zu lukrieren, die für die Bekämpfung anderer Krankheiten, unter denen insbesondere die Entwicklungsländer leiden, weit wirksamer eingesetzt werden könnten. In Europa und Nordamerika bleibt AIDS im wesentlichen auf die Hochrisikogruppen beschränkt, von einer…mehr

Produktbeschreibung
James Chin war langjähriger Chef des Global Programme on AIDS (GPA) der WHO in Genf. In dieser aufsehenerregenden Studie analysiert er die derzeitige Situation auf epidemiologischer Basis und kommt zum Schluß, daß die Geschichte der Aids-Pandemie durch gut organisierte Lobbyisten bewußt verzerrt dargestellt wird, um so riesige Geldmittel zu lukrieren, die für die Bekämpfung anderer Krankheiten, unter denen insbesondere die Entwicklungsländer leiden, weit wirksamer eingesetzt werden könnten. In Europa und Nordamerika bleibt AIDS im wesentlichen auf die Hochrisikogruppen beschränkt, von einer Gefahr für die breite Bevölkerung kann keine Rede sein, und auch bezüglich der ärmeren Länder ist die Politik der WHO verfehlt, hat doch Uganda mit seinem eigenständigen Weg gezeigt, wie die AIDS-Infektionsrate drastisch gesenkt werden kann.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2010

Politische Korrektheit ist einem Virus nicht abzuverlangen

Der Epidemiologe James Chin geht mit den internationalen Aids-Programmen hart ins Gericht: Statt realistischer Szenarien dominierten Wunschvorstellungen.

Die Aids-Programme der internationalen Organisationen mögen moralisch und politisch korrekt sein, epidemiologisch angemessen sind sie nicht. Daten sind unzuverlässig, Modelle werden falsch angewendet, und im Ergebnis sind die Infektionszahlen viel zu hoch, es wird unnötig Angst geschürt, die Präventionsmaßnahmen richten sich an die Falschen, Milliarden werden verschwendet: Für James Chin, heute Professor für klinische Epidemiologie an der Universität Berkeley und bis 1992 leitender Epidemiologe beim Globalen Aids-Programm der Weltgesundheitsorganisation (WHO), ist die offizielle Aids-Politik von "glorreichen Mythen" statt von Fakten geprägt. Chin unterstellt niemandem böse Absichten, er hat Verständnis dafür, dass die verschiedenen Aids-Organisationen im Kampf um die öffentlichen Mittel zur Dramatisierung neigen. Doch Political Correctness sollte nicht auf Kosten der Fakten gehen.

Fakten und Mythen hat James Chin fundiert und verständlich für Fachleute wie für Laien zusammengetragen - verwoben mit seiner eigenen beruflichen Laufbahn. Er beginnt mit der eigenen Lebensgeschichte, der eines hochbegabten Sohnes chinesischer Einwanderer, der auf Wunsch seiner Eltern Arzt und mangels einer besseren Idee Epidemiologe wird und in der WHO die Geburtswehen einer globalen Gesundheitspolitik erlebt.

Das erste Politikum um Aids war die Herkunft der neuen Suche. Afrikanische Staaten verwahrten sich massiv gegen den Verdacht, sie könnten etwa mit dem Ursprung der "amerikanischen Schwulenseuche" zu tun haben. Doch, so Chin, es ist das wahrscheinlichste Szenario: Irgendwann zerfiel ein Stammvirus in einen für Affen und einen für Menschen infektiösen Zweig und etablierte sich, vielleicht vor Jahrhunderten bei weniger als einem Prozent der sexuell aktiven Bevölkerung Zentralafrikas. In den sechziger Jahren verbreitete sich das Virus in den Städten, in den siebziger Jahren begann es sich in Nordamerika und Europa zu verbreiten. Als es in den Netzwerken der Homosexuellen und der Drogenabhängigen ankam, erfolgte die explosive Ausbreitung.

Zuerst hatten die Verantwortlichen angenommen, Heterosexuelle könnten die Krankheit gar nicht bekommen, dann entstand der Mythos, über den Chin sich am meisten ärgert: Eine "generalisierte" HIV-Epidemie stehe vor der Tür, das heißt das Übergreifen der Seuche auf die allgemeine Bevölkerung. In der Folge wurden Aids-Präventionsprogramme entwickelt, die sich an die gesamte Bevölkerung und besonders an die Jugendlichen richteten. Für Chin verschwendetes (und an anderen Stellen fehlendes) Geld.

Aids-Infektionen drohen bei medizinischen Behandlungsfehlern oder Unfällen, in Fixerkreisen, in denen Nadeln ausgetauscht werden, bei Homosexuellen mit häufig wechselnden Partnern und in heterosexuellen Beziehungen, wenn ein Infizierter gleichzeitig viele verschiedene Partner hat. Bei den meisten Personen der allgemeinen Bevölkerung bestehe hingegen kein messbares Infektionsrisiko.

Das Risikoverhalten einzelner Gruppen anzusprechen, stellte Chin fest, ist politisch nicht erwünscht. Es ist leichter, die Armut im subsaharischen Afrika für die Verbreitung der Seuche verantwortlich zu machen als das Sexualverhalten. Doch Studien belegen nach Chin eine "direkte Korrelation von hohen HIV-Prävalenzraten mit hohen Promiskuitätsraten". Natürlich spielt Armut auch eine Rolle, gesteht der Autor zu, etwa wenn die Not Frauen zwingt, sich zu prostituieren. Aber selbst wenn Armut, Diskriminierung und mangelhafte Gesundheitsfürsorge aus der Welt geschafft wären, so Chins These, hätte das keine großen Auswirkungen auf die HIV-Prävalenz in den Risikogruppen.

Chin zeigt, wie unsicher die Angaben über Infektionen und Aids-Tote aus den Entwicklungsländen und wie heikel die darauf basierenden Zukunftsszenarien sind. Die Szenarien für die angeblich bevorstehende Epidemie in Asien nennt er haarsträubend. Doch als er beginnt, die Zahlen nach unten zu korrigieren, ist man bei den Vereinten Nationen und anderen Organisationen nicht begeistert.

Hinter den hohen Fallzahlen stehen ehrgeizige Präventionsprogramme, die bezahlt und gerechtfertigt sein wollen. Ein thailändischer Funktionär bittet ihn, die Zahlen in seinem Gutachten doch höher anzusetzen, weil sonst die Erfolgsmeldungen seiner Kampagne nicht zu halten wären. Kollegen bezeichnen Chin auf einer Konferenz als "Spielverderber", Aids-Aktivisten sehen in niedrigeren Zahlen einen staatlichen Trick, Gelder für die Prävention zu streichen.

Chins Buch erschien zuerst 2007, bis 2009 sei das Koordinierungsprogramm von Weltbank und Vereinten Nationen, UNAids, zähneknirschend zu den gleichen Ergebnissen gekommen, so der Autor im Vorwort. Bei UNAids, sonne man sich heute im Erfolg der Präventionsprogramme, dabei habe die Seuche ihren Höhepunkt vermutlich längst überschritten - und zwar nicht wegen der Präventionsprogramme.

Doch Chin gibt keineswegs Entwarnung: Es handele sich immer noch um das größte Krankheitsdesaster der Moderne mit etwa 70 Millionen Toten in 25 Jahren und 4000 Aids-Toten pro Tag allein im subsaharischen Afrika. Selbst wenn man von den niedrigsten Schätzungen ausgeht, werden in den nächsten zehn Jahren pro Jahr zwei Millionen Menschen an Aids sterben.

Was ist also so schlimm daran, die Lage ein wenig zu übertreiben? Denn dass die Aids-Präventionsprogramme weder in den Entwicklungs- noch in den Industrieländern genügend Mittel haben, bestätigt auch Chin. Fatal daran sei, dass die Mittel an die falschen Adressaten verschwendet würden. Risikogruppen müssen für Chin identifiziert, infizierte Personen erfasst und ihnen "risiko- und schadensbegrenzende Dienste" angeboten werden.

UNAids, hält er für eine Interessenvertretung von Aids-Aktivisten und unfähig, eine unabhängige Perspektive zu entwickeln. Immerhin aber sieht er mit der Sorge um die Aids-Epidemie eine neue globale Gesundheitspolitik entstehen.

MANUELA LENZEN.

James Chin: "Der Aids-Mythos". Medizinische Fakten versus politische Korrektheit. Aus dem Englischen von Cathrine Hornung. Ares Verlag, Graz 2009. 320 S., geb., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Erhellend scheint Rezensentin Manuela Lenzen dieses Buch über Mythen und Fakten um die Immunschwächekrankheit Aids, das der Epidemiologe James Chin vorgelegt hat. Der Autor - bis 1992 leitender Epidemiologe beim Globalen Aids-Programm der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und heute Professor für klinische Epidemiologie an der Universität Berkeley - beschreibt in ihren Augen "fundiert und verständlich" eine Reihe von Aids-Mythen und stellt ihnen die medizinischen Fakten gegenüber. Sie nennt in diesem Zusammenhang u.a. Chins Kritik an unzuverlässigen Daten, falsch angewandten Modellen, zu hohen Infektionszahlen, Verschwendung von Geldern und an Präventionsmaßnahmen, die sich an die Falschen richten. Dabei hebt sie hervor, dass der Autor niemandem böse Absichten unterstellt und sogar Verständnis für die Dramatisierungen der Lage seitens diverser Aids-Organisationen hat. Auf der anderen Seite gebe Chin auch keine Entwarnung. Wichtig findet die Rezensentin insbesondere Chins Kritik, dass Mittel an die falschen Adressaten verschwendet würden.

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