- Verlag: Kunstmann Antje GmbH
- Seitenzahl: 240
- Altersempfehlung: ab 0 Jahre
- Erscheinungstermin: 1. September 2021
- Deutsch
- ISBN-13: 9783956144769
- Artikelnr.: 61920455
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
im rechten Milieu
Hans Demmels radikales Medienfasten
Der Journalist Hans Demmel hat sich auf eine lange und gefährliche Reise begeben, und zwar ohne aus dem Haus zu gehen. Ein halbes Jahr lang hat er seinen Medienkonsum umgestellt: Statt Qualitätspresse und den Nachrichtenangeboten der großen Sender studierte er, was rechtsalternative Medien anbieten. Er begab sich in die Welt der Tichys, Matusseks, Reitschusters und führte darüber Tagebuch. Sein Freund Friedrich Küppersbusch, auch Journalist und Produzent und Moderator, diente ihm dabei als eine Art Kompass, als Mentor im Kampf um die geistige Gesundheit. Diese Rolle sollte wichtiger werden als gedacht.
Demmel fühlt sich zunächst gut gerüstet. Als vielfältig erfahrener und weit gereister Profi in den besten Jahren wähnt er sich einigermaßen gewappnet gegen Fake-News und Propaganda. Zu seinen vielen beruflichen Stationen zählen der Bayerische Rundfunk, der Sender Vox, wo er Chefredakteur war, und n-tv, den er als Geschäftsführer leitete. Demmel hegt zu Beginn des Experiments sogar ein optimistisches und aufklärerisches Grundvertrauen: Vielleicht kann er ja wirklich ergründen, was die etablierten Medien übersehen. Wo sie blinde Flecken und tote Winkel dulden, die es den anderen leicht machen. Kann er womöglich etwas lernen durch die Beschäftigung mit den anderen Kanälen, die in der Corona-Pandemie so großen Zuwachs erfahren haben?
Demmel wählt als zeitlichen Rahmen das halbe Jahr bis zur US-Wahl und tatsächlich fällt ihm dabei eine Sache auf: Er findet in den bekannten deutschen Medien kein einziges Mal etwas Positives über Trump, so dass die anderen ein leichtes Spiel damit haben, von der suspekten Einhelligkeit der Systemmedien zu tönen. Soll man im Umkehrschluss positive Aspekte einer desaströsen Amtszeit und nette Züge bei diesem Mann mühselig suchen und einer pragmatischen Fairness halber hypen?
Aber solche Gedanken verkümmern mit fortschreitender rechtsalternativer Medienerfahrung zu einem Nebenaspekt. Der gesamte Komplex, den die bekannten Medien abbilden und den die bürgerliche Öffentlichkeit ihre Realität nennt, ist sehr weit entfernt vom Kosmos, in den sich Demmel begeben hat. Hier dreht sich alles um eigene, schwarze Sonnen und die größte davon ist die Furcht vor den Fremden. Migration, Flüchtlinge, Islam – das ist hier die wesentliche Obsession. Demmel resümiert, dass er in den vielen Stunden, die er mit der Rezeption der Videos und Beiträge verbracht hat, nicht einmal eine positive Story über Migranten entdeckt hat. Stattdessen endloses Aufbauschen lokaler Vorkommnisse, Skandalisierungen und Geraune.
Demmel und Küppersbusch suchen akribisch nach Erklärungen für die Konjunktur dieser kulturellen Zone. Könnte es sein, dass die bekannten Medienmarken manches übersehen, beschönigen oder handwerklich schludern? Im Buch wird der Fall der Kölner Silvesternacht 2015 erörtert, wo tatsächlich am 1. Januar 2016 in den wichtigen Nachrichtensendungen nicht schnell genug auf das Ausmaß der Vorfälle und Verbrechen hingewiesen wurde. Später gab es deswegen auch Entschuldigungen. Aber sie wurden vermutlich nicht als Zeichen der Lernfähigkeit und Professionalität der bekannten Medien anerkannt, sondern als Indiz für umfassendere Vertuschungen gedeutet. Denn zunehmend stellt sich die Frage nach den verbliebenen Verbindungen zwischen dieser und jener Zone. Würde eine übermenschlich perfekte Berichterstattung durch die öffentlich-rechtlichen Medien und die großen Zeitungen, etwa durch eine unbestechliche publizistische künstliche Intelligenz, die andere Seite zufriedenstellen und mit der bundesdeutschen Medienlandschaft versöhnen? Das scheint nach dieser Lektüre unmöglich. Die Szene radikalisiert sich nicht nur, sie entrationalisiert sich in Windeseile, spekuliert über wahnwitzige Szenarien wie jene, dass der SPD-Politiker Thomas Oppermann ermordet wurde und anderes mehr.
Die Währungen sind in dieser Medienwelt ganz andere: Fakten, News, Einordnungen sind hier nicht gefragt, wichtig ist, einen spezifischen Ton zu treffen. Demmel beschreibt seine Erfahrung so: „Es ist gar nicht so sehr die Menge an offensichtlichen Halb- und Unwahrheiten, es ist der besserwisserische, böse und arrogante Ton, der mir Angst macht. Angst und depressive Verstimmungen.“
Das Experiment fordert einen hohen Preis: Ähnlich wie in dem aufklärerischen Dokumentarfilm „Supersize Me“, in dem der Filmemacher Morgan Spurlock hemmungslos dem Fastfood zusprach und dann dem Publikum die körperlichen Folgen präsentierte, legt Demmel offen, dass ihn der Konsum der rechten Medien mental angegriffen hat. Neben dem fiesen Ton und der stets spürbaren Nähe zum gewaltbereiten Rechtsextremismus lag der Grund dafür in der Düsternis der hier propagierten Weltsicht: „Fast alles ist schlecht. Corona-Politik ist falsch, Flüchtlinge böse, Wohlstand gefährdet. Okay: Trump kam meistens ganz gut weg. Am härtesten angefasst wird immer wieder Bundeskanzlerin Angela Merkel. Diese durchgehend negative Konnotation war sicherlich am schwersten zu ertragen.“ Immer wieder blitzt der Humor von Küppersbusch auf, etwa wenn er seinen Freund Hans, der diesem Strom von Unsinn ausgesetzt ist, mit einem „Cabrio in der Waschstraße“ vergleicht. Besonders bemerkenswert ist, dass die Akteure der medialen Anderswelt keineswegs Randfiguren aus schwarzgestrichenen Wohnungen mit Alufolie an den Fenstern sind, sondern aus der bürgerlichen Mitte, den etablierten Positionen des deutschen Journalismus dorthin ausgewandert sind. Es ist eine ganze Reihe namhafter Leuten, die eine späte Karriere als Heroen der Schwurbler genießen, und die Gründe sind sicher individuell verschieden. In der Summe aber ergibt sich eine besorgniserregende Konstellation, denn Demmel und Küppersbusch lassen keinen Zweifel an der Gefährlichkeit dieser Szene, für die sie den Begriff des „destruktiven Journalismus“ prägen.
Damit empfehlen sie indirekt einen optimalen Ansatz, um sich dagegen zu positionieren: Davon zu berichten und zu erzählen, dass nicht alles schlecht ist oder werden muss, dass Vertrauen möglich ist und dass es auch eine helle Sonne gibt.
Alle werden diese Botschaft nicht hören wollen, aber eine Mehrheit eben schon, denn Glück ist anziehender als Unglück. In dem Zusammenhang wäre aber zu prüfen, ob die Algorithmen von Plattformen wie Youtube nicht reguliert werden sollten – hier wird aus der Fähigkeit des Menschen, Süchte sogar nach schlechten Nachrichten und extremen Äußerungen, nach Hass und Hetze zu entwickeln, ein Geschäft gemacht.
NILS MINKMAR
Geben die Medien ein Zerrbild? Demmel fand vor der Wahl 2020 keinen einzigen positiven Text über Trump.
Foto: afp
Hans Demmel, Friedrich Küppersbusch: Anderswelt – Ein Selbstversuch mit rechten Medien. Kunstmann, München 2021. 240 Seiten, 22 Euro
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