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Als die junge Jana Mitte der Achtzigerjahre in Ostberlin in einem Devisenhotel eine Anstellung findet, geht fürsie ein Traum in Erfüllung. Neben internationalen Geschäftsleuten bevölkern das Hotel aber auch dubiose Gestalten und Glücksritter. Wie sie lernt auch Jana bald, die unter dem SED-Regime existierende Mangelwirtschaft geschickt zu nutzen. ... Sie muss jedoch erkennen, dass Privilegien in der DDR nicht umsonst zu haben sind, und arrangiert sich mit dem Staat. Fünfzehn Jahre nach der Wende wird Jana von ihrerVergangenheit in Gestalt eines guten Freundes und ehemaligen Kollegen…mehr

Produktbeschreibung
Als die junge Jana Mitte der Achtzigerjahre in Ostberlin in einem Devisenhotel eine Anstellung findet, geht fürsie ein Traum in Erfüllung. Neben internationalen Geschäftsleuten bevölkern das Hotel aber auch dubiose Gestalten und Glücksritter. Wie sie lernt auch Jana bald, die unter dem SED-Regime existierende Mangelwirtschaft geschickt zu nutzen. ... Sie muss jedoch erkennen, dass Privilegien in der DDR nicht umsonst zu haben sind, und arrangiert sich mit dem Staat. Fünfzehn Jahre nach der Wende wird Jana von ihrerVergangenheit in Gestalt eines guten Freundes und ehemaligen Kollegen eingeholt.Als Zeitzeugin erzählt Jana Döhring eine spannende Geschichte von Leichtsinn, Schuld, Verdrängung und dem Auferstehen und Aufarbeiten der Vergangenheit. Sie schreibt eine DDR-Geschichte, wie sie so oder ähnlich vielen ergangen sein mag. Dabei rundet sie die Erzählung immer wieder mit interessanten Geschichten über die Verhältnisse im real existierenden Sozialismus ab. Und auch bisher Unbekanntes gibt es zu berichten: z. B. wie das Spreehotel in Ostberlin zum Aufmarsch- und Rückzugsgebiet arabischer Terroristen werden konnte. Ein starkes Stück DDR-Literatur, das es so bisher noch nicht gegeben hat!
Autorenporträt
Jana Döhring wurde im Jahr des Mauerbaus in der DDR geboren. Ihre berufliche Tätigkeit begann im Hotel- und Gaststättengewerbe in Potsdam und Ostberlin. Nach der Wende fand sie eine neue Tätigkeit in Westberlin. Jana Döhring ist verheiratet und hat einen Sohn. Sie lebt heute in Köln.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.02.2013

Palast der Verräter
Wie es war, ein Spitzel zu sein: Jana Döhrings Buch "Stasiratte"

Irgendwann und wahrscheinlich recht bald hat jeder normale westdeutsche Mensch sein deutsches Geschichtszimmer einigermaßen sortiert und weiß, was er verurteilt. Natürlich und zuvorderst den Holocaust der Nazis. Und schließlich und mit etwas Abstand dazwischen die DDR-Diktatur, das heißt vor allem die Stasi und den Terror, der all jene "feindlich-negativen Personen" betraf, die dem sozialistischen Staat schaden wollten oder ihm nur kritisch gegenüberstanden. Und wenn man dann liest, welchen Schrecklichkeiten eine solche "feindlich-negative" Person ausgesetzt war, wie gemein und niedrig Regimekritiker und Linienuntreue schikaniert wurden; wenn man sich weiter versucht auszumalen, was es bedeutet haben muss, immerzu aufzupassen, was man sagt, weil ein Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi zuhören könnte, dann ist das DDR-Regal im deutschen Geschichtszimmer picobello aufgeräumt, und über dem DDR-Regal hängt eine Dartscheibe, auf welcher ein dicker grauer Stasi-Arschloch-IM befestigt ist, den man, wann immer es die aktuelle Debatte verlangt, mit Pfeilen bewerfen kann, denn das ist gut und nur rechtmäßig.

Dass es so einfach nicht ist und dass es sich nicht gehört, andere mit Schuldpfeilen zu bewerfen, weiß natürlich jeder, der noch zu retten ist. Und doch macht das Buch "Stasiratte" der Autorin Jana Döhring, dass man die Ordnung im eigenen DDR-Regal ein bisschen anders betrachtet oder wenigstens überdenkt. Die Autorin erzählt darin ihre eigene Geschichte: An irgendeinem schönen Tag bekommt sie plötzlich Post aus der Vergangenheit, die sie längst versiegelt und verstaut hatte. Gerry, ein ehemaliger Arbeitskollege aus Berlin, mit dem sie inzwischen keinen Kontakt mehr hat, schreibt ihr, 15 Jahre nach der Wende, dass er seine Stasi-Akte eingesehen und dabei herausgefunden habe, dass sie, seine alte gute Freundin Jana, ihn als IM Cornelia Astrid bespitzelte. Trotz gemeinsamer Urlaube und Trinkabende, trotz ihrer Freundschaft. Wie konnte sie nur, denkt man, und das beginnt auch sie sich zu fragen, die den Deckel ihrer Vergangenheitskiste einfach nicht mehr zukriegt.

Denn Gerry schickt ihr von nun an jeden Monat eine Karte: "Meinem Stasi-Spitzel einen Weihnachtsgruß" und dann: "Meinem Stasi-Spitzel einen Januar-Gruß" und so weiter. Jana befürchtet, dass ihr Mann, den sie nach der Wende geheiratet hat und mit dem sie in Köln lebt, eine dieser Karten finden und so von ihrer Spitzeltätigkeit erfahren könnte. Auch ihr Sohn und die Eltern, für welche die DDR immer ein großer, gemeiner Knast war, wissen nichts davon. Die Karten kommen zuverlässig, und Jana wird immer unruhiger, aber sie schweigt. All das wird in dem Buch erzählt: die Angst, die Wut und die Scham und schließlich, wie es so gekommen ist. Jana setzt sich mit ihrer Vergangenheit hin, wie sie schreibt und erzählt: Von ihrer Arbeit in einer Bar im "Palasthotel", das im Buch "Spreehotel" heißt. Da war sie gerade zwanzig Jahre alt und ist überwältigt, als sie sieht, was es in diesem Hotel alles gab, was es für normale DDR-Bürger nicht gab: "Ging man hinein, betrat man eine andere Welt. Eine Welt, in der es Farben gab und in der Baumaterialien wie Kupfer, Aluminium und verschiedene Hölzer verwendet worden waren." Außerdem: fremde Speisen und Getränke, die wie ein Geheimnis waren, weil man sie sonst nirgendwo sah.

Jenes "Palasthotel" war mit West-Produkten ausgestattet und richtete sich auch an ein West-Publikum. Die Gäste kamen aus fremden Ländern, Leute kamen in die Bar des Hotels, um komische Geschäfte abzuwickeln, und natürlich war das gesamte Hotel von der Stasi überwacht, denen von "Horch und Guck", wie man sagte. Jana trug exotische Cocktails zu Diplomaten, sie bekam hohe D-Mark-Trinkgelder, die sie, wenn keiner guckte, einsteckte, und sie fühlte sich toll und außergewöhnlich. Denn: "Es war schon sehr schwer, in der DDR etwas Besonderes zu sein (. . .)".

Nachdem sie einige Jahre in der superexklusiven Bar mit dem Filmgefühl gearbeitet hat, will "man" sie sprechen. Sie wird in das Zimmer 4060 des Hotels gerufen, welches zu ihrer Überraschung ein Büro ist. Da drinnen zeigt ihr ein Mann seinen Ausweis: "Ministerium für Staatssicherheit der DDR, Hauptmann Gerber". Und sie denkt: "Jetzt saß ich also einem von denen gegenüber. Von denen, über die im Verborgenen getuschelt und gelästert wurde, über die man lieber lachte, um keine Angst zu haben." Hauptmann Gerber sagt, sie könne sich sicher vorstellen, warum man sie hergebeten habe, und sie kann es sich vorstellen. Der Hauptmann will sie als IM anwerben. Um es ihr ein bisschen leichter zu machen, erzählt er irgendwas von Drogengeschäften im Hotel, welche man verfolgen wolle. Sie fühlt sich auserwählt, wichtig und besonders. Als Spionin unauffällig Tische abzuwischen und gleichzeitig nach Drogen Ausschau zu halten, hörte sich irre spannend und auch irgendwie richtig an. Die Gedanken an ihre regimekritischen Eltern schiebt sie beiseite. Außerdem ist da noch Paul, ihr damaliger Freund, welcher einen Lebensstil pflegt, den die Stasi nicht mag und der überdies ein Verfahren wegen Fahrerflucht am Hals hat. Und so kommt sie auf die ebenso naive wie größenwahnsinnig Idee, dass sie die Stasi ja auch für ihre Zwecke nutzbar machen könnte. Außerdem: Was passiert, wenn ich nein sage? Verliere ich dann meinen tollen Job in dem Hotel? Außerdem wird es ja niemals herauskommen. Man würde denen ja vielleicht auch Sachen erzählen können, die anderen Nutzen könnten. "Und war hier nicht die Möglichkeit, aktiv etwas zu unserem Schutz zu tun? Indem man den Dämon einbezog und ihn so beruhigte? Bei dem Gedanken kam ich mir ungeheuer clever vor."

Sie unterschreibt eine Verpflichtungserklärung, bekommt ihren Decknamen und wird von nun an in regelmäßigen Abständen in eine konspirative Wohnung bestellt, in welcher sie, mit Hauptmann Gerber in einem Kinderzimmer sitzend, Papierbögen mit Informationen über Menschen beschreiben soll. "Es interessiert uns auch, was die Menschen in unserem Land fühlen und denken, ihre Pläne, ihre Zuverlässigkeit . . . du verstehst?", fragt der vertrauenerweckende Hauptmann, der mit jedem Treffen immer vertrauter wird, und Jana gibt Einschätzungen ab, wobei sie oft gar nicht weiß, was sie eigentlich schreiben soll. Manchmal schreibt sie die Zielperson zum Helden der Arbeiterklasse hoch, später, als sie sich an ihr Denunziantentum gewöhnt hat, macht sie auch von ihrer Macht Gebrauch. Etwa, als ihr Freund Paul sich zu sehr für ein Mädchen begeistert. Oder, als sie eine neue Kollegin bekommt, die zu hübsch und erfolgreich ist. Kurz nach ihrem Bericht wird die Kollegin versetzt.

Genau wie die zwanzig Jahre alte Jana hin- und hergerissen war, als sie Menschen bespitzelte, ist man es beim Lesen auch. Mal denkt man: Du blöde, naive Kuh, du opportunistisches Rehkitz, das ist alles keine Entschuldigung! (Und das ist ja das Tolle an diesem Buch, dass sich die Autorin eben nicht zu entschuldigen versucht, sondern erzählt, was war, ohne relativieren zu wollen.) Dann wieder denkt man: Wie kann man sie ein charakterloses Rehkitz nennen, wenn man selbst niemals sagen könnte, wie man sich in einer ähnlichen Situation verhalten hätte. So als Fast-Baby, politisch nicht besonders brillant im Denken, mit Angst um seinen Freund und den Job und mit Lust auf Abenteuer. Man kann es nicht sagen, man weiß ja nicht, wer man damals gewesen wäre. Und so untersteht man sich, auch mit Schuldpfeilen auf die Dartscheibe über dem DDR-Regal zu zielen, in welchem jetzt ein neues, außergewöhnliches Buch steht, über das gesprochen werden kann. Denn bislang gibt es zwar massig Literatur zur Funktion der Stasi, Bücher von Menschen, die bespitzelt wurden, kaum aber solche, von kleinen, banalen Spitzeln, die so offen und aufrichtig sagen: Ja, ich habe das gemacht, und es war so und kein bisschen besser.

ANTONIA BAUM

Jana Döhring: "Stasiratte". Hartriegel, 232 Seiten, 13,95 Euro

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