Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, CY, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, IRL, I, L, M, NL, P, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Seine posthum erschienenen Erzählungen zeigen Herbert Rosendorfer noch einmal als Meister des doppelbödigen Fabulierens
Herbert Rosendorfer, der Jurist und Richter, der eben auch Schriftsteller war, ist am 20. September 78-jährig in Bozen gestorben, und so liegt es nahe, seinen posthum erschienenen Erzählband „Die Kaktusfrau“ quasi als letztes Wort zu nehmen, das dieser so phantasiereiche Autor über Gott und die Welt zu sagen hatte.
Eine solche Deutung unterstellt, Rosendorfer habe geahnt, dass er keine Zeit mehr für die Fortsetzung seines erzählerischen Werks haben würde – was durchaus möglich wäre. Vor allem aber verfiele man der Vorstellung, es gäbe so etwas wie eine abschließende Bilanz, die aus dem vielfältigen literarischen Schaffen dieses Schriftstellers zu ziehen wäre. Um letztgültige Botschaften herauszufiltern, ist Rosendorfers oft ins Phantastisch-Surreale lappendes Erzählen indes ungeeignet; und schon gar nicht wird man aus den fünfzehn neuen Geschichten ein Vermächtnis herauslesen können, es sei denn, man begnügt sich mit der Erkenntnis: Die Welt ist verrückt.
Nein, es sind wunderbar versponnene Texte, in denen Rosendorfer seine Lust am Fabulieren auslebt, die sich am Trivialen ebenso entzündet wie an Ikonen der europäischen Kulturgeschichte. Egal, ob es sich um antike Künstler, das Christentum oder alpenländische Wurzelsuppen handelt – mit allem treibt Rosendorfer seinen Schabernack. Kauzig-skurrile Gestalten bevölkern seine Erzählwelten, in denen sie von einer Verwicklung in die nächste geraten, unentwegt scheiternd beim Versuch, Herr über das rätselhafte Geschehen zu sein.
Wie hinreißend witzig er zu schreiben vermochte, zeigt schon die erste Erzählung „Der Frosch“, für die Rosendorfer sich sozusagen die Feder Gogols leiht, um eine Schnurre aus dem alten Russland zu Papier zu bringen. Das heißt, er erzählt sie nicht einfach, sondern legt sie einem russischen „Professor für Rechtsvergleichung“ in den Mund, der sie als eine Geschichte Gogols ausgibt, mit leisen Zweifeln allerdings. Darin geht es um einen zaristischen Generalmajor, von dem sein schwachköpfiger Leibbursche annimmt, er habe sich in einen Frosch verwandelt, was später auch die Geistlichkeit und die russische Militärführung glaubt. Der Generalmajor selbst jagt, vom Wirbel um seine vermeintliche Verwandlung nichts ahnend, erst dem Wild und dann einer deutschen Gräfin hinterher, während sich die Dinge in der Heimat dergestalt zuspitzen, dass der Frosch infolge der Pflichtvergessenheit eines Leutnants zu Tode kommt und mit allen militärischen Ehren bestattet wird. Ein späteres Gesuch des als verstorben geltenden Offiziers wird in der Schublade „Rätselhafte Aktenvorgänge“ abgelegt.
Was hier zur Sprache kommt, und was auch in den übrigen Erzählungen zu bizarren Verwicklungen führt, ist die Unbestimmtheit der Wirklichkeit. Nichts ist, wie es zu sein scheint. Rosendorfers Figuren sind stets im Zweifel, ob sie ihren Augen trauen dürfen. Da öffnet sich, in der Erzählung „Gulden“, die Tür eines venezianisches Hauses, hinter der eine Geheimgesellschaft im Rokoko-Mummenschanz feiert, und am folgenden Tag ist die Tür unauffindbar, ebenso wie das Haus und die Geheimgesellschaft. Eine „Mazurka in cis-Moll“, komponiert von Chopin und nur von einer „gewissen Lady Harriet Longleat“ jemals gehört, geistert durch eine andere Geschichte. Man weiß nicht, ob es die Komposition wirklich gibt, aber sie verursacht immerhin den Tod eines Pianisten. Gottverlassene Bergdörfer entwirft Rosendorfer, in denen knorrige Eigenbrötler leben, die Totempfähle schnitzen oder einen Käse produzieren, dessen Verzehr für Fremde lebensgefährlich ist. Was ist Hirngespinst, was Tatsache? Es ist, als wolle Rosendorfer vorführen, wie fraglich die sogenannte Realität ist und welche Abgründe hinter ihr lauern.
Mag da und dort der Gesellschaftssatiriker Rosendorfer dazwischenfunken, im Wesentlichen sind seine Texte ein von Skepsis durchwirktes Spiel mit den Narreteien der menschlichen Natur. Überhaupt die Menschen – kennt man sie eigentlich? Was zum Beispiel ist von der Heldin der Titelgeschichte zu halten, die als Kaktus in die Wohnung des Ich-Erzählers gelangt und zu einer verdammt schönen, wenngleich grünhäutigen Frau mutiert, die natürlich ebenfalls verschwindet? Oder das Ehepaar Ehrmann, das nach dem Scheitern seines Hundehochzeit-Unternehmens auf die Idee kommt, sich als Jackie Kennedy und Onassis auszugeben und sich gegen Geld sehen zu lassen – sie gleichen den Originalen, warum sollten sie nicht als solche auftreten?
Um Metamorphosen geht es in fast allen Erzählungen dieses letzten Rosendorfer-Buchs. Der Forstmeister in der abschließenden Geschichte „Im Bärenthale“ ist ein Zentaur, der mit einer „Forstmeisterinnen-Stute“ verheiratet ist, durch Venedig wiederum führt den Erzähler eine Gestalt, die ebenso Mann wie Frau sein könnte – es ist schlichtweg nicht herauszufinden. Rosendorfer liebt das Gaukelspiel mit den Geschlechtern: Schon in seinem fulminanten satirischen Roman „Deutsche Suite“ hatte sich Hitler als Frau entpuppt.
Rosendorfers Witz bedient sich vor allem der Groteske. Die aberwitzigsten Begebenheiten schildert er geradezu lapidar, und egal, was seinen Erzählerfiguren widerfährt – ob sie auf dem Einrad über Passhöhen strampeln oder im Bergwald auf einen Säulenheiligen stoßen: Sie erzählen ihre sonderbaren Abenteuer in einem Ton, als berichteten sie von einem gewöhnlichen Sonntagsausflug. Nur im Subtext klingt dezent an, wie unwohl sie sich in den merkwürdigen Welten fühlen, in die sie geraten sind.
Gerade dieses lakonische Erzählen lässt den Leser lachen. Rosendorfer muss nicht auf die Tube drücken, und selbst bei seinem Lieblingsthema, der Erotik, bleibt er dezent ironisch, derbe Sottisen nach Art der TV-Comedians verkneift er sich. Es ist ein feiner Humor, der gleichwohl auch drastisch sein kann, etwa wenn der verewigte Kapuzinerpater Rufuin, ein später Nachfahr von Ludwig Thomas grantigem Dienstmann Alois Hingerl, im Himmel „Champagner und nackte Weiber“ fordert als Entschädigung für seine irdischen Entsagungen. Und von Richard Wagner weiß der Musikliebhaber Rosendorfer, dass dessen Gesamtwerk mit Ausnahme des misslungenen „Parsifal“ vom weitgehend unbekannten Komponisten Christian Arbogast Kochterhundt stammt.
Doch auch daran mag es Zweifel geben – so wie am Ende der Erzählungen stets ein Rest bleibt, der ungeklärt ist. Mit ewigen Wahrheiten wartet Rosendorfer nicht auf. Auch die Heimatsuche eines seiner Helden verläuft unbefriedigend. Immerhin lässt sich sagen: „Heimat ist dort, wo alle die gleichen Hüte tragen.“
WOLFGANG GÖRL
Gaukelspieler der Literatur: Herbert Rosendorfer (hier 1997).
FOTO: BRIGITTE FRIEDRICH
Herbert Rosendorfer:
Die Kaktusfrau. Erzählungen. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2012. 240 Seiten, 18,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Von alpinen Einradfahrern und gefährlichen Drachen: "Die Kaktusfrau" versammelt letzte Erzählungen des im September 2012 verstorbenen Herbert Rosendorfer.
Dem gesunden Menschenverstand ist nicht zu trauen, das lehren die fünfzehn Erzählungen, in denen Herbert Rosendorfer seine Leser mal in verschattete Hochgebirgstäler mit unaussprechlichen und nahezu ungenießbaren Speisen, mal in geheimnisvolle venezianische Gassen entführt und die allesamt von skurrilen Gestalten bevölkert werden. Alpinen Einradfahrern begegnet man hier und gefährlichen Drachen, die es jährlich nach unversehrten Jungfrauen verlangt; es treten mürrische Fuhrleute, verstorbene Heilige mit Hühneraugen und liebestolle alte Damen auf. Der unermüdliche Fabulierer Rosendorfer hat seiner Phantasie in diesen Geschichten ungezügelt Lauf gelassen. Sie sind nun, nach seinem Tod vor wenigen Wochen, unversehens zum literarischen Vermächtnis geworden.
Das freilich ist ein Gewicht, das die Lektüre dieser kleinen Etüden beträchtlich belasten kann. Denn zwar liest sich vieles in dieser Sammlung amüsant - die Gogol-Parodie von dem einfältigen Burschen, der seinen Offizier in einen grünen Wetterfrosch verwandelt glaubt, ist ein humoristisches Glanzstück -, doch oft genug vermögen die witzigen Einfälle nur für kurze Zeit zu fesseln. So beruht die Geschichte eines modernen Pygmalion zunächst auf einer originellen Idee. Ein einsamer Junggeselle verfolgt gebannt, wie ein ihm geschenkter Kaktus rasant seine Gestalt verwandelt, bis dem Blumentopf eine zwar grüne und stumme, aber doch sinnliche und willige Geliebte entsteigt. Doch trüben unnötige Übertreibungen - nicht weniger als 65 Millionen Mark Steuerschulden lastet das Finanzamt dem flüchtigen Erstbesitzer der Kaktusdame an - und etliche schale Witze das Lesevergnügen erheblich. Abgestandene Klischees wie das über unentwegt prügelnde Muslime, deren Frauen sich unter Schleiern verstecken müssen, weil der Koran ihre Züchtigung vorschreibt, wirken nicht nur seltsam verstaubt, sie sind noch nicht einmal witzig.
Vielleicht lag es in Rosendorfers Absicht, den begrenzten Horizont seiner durchweg männlichen Helden darzustellen, wenn er sie als nicht ganz ernstzunehmende Sextrottel immer wieder über die weibliche Anatomie schwärmen lässt, ihnen Lobesworte über "gloriose Hinterteile", sorgsam frisierte "dionysische Dreiecke" und wohlgeformte "Ärschgens" in den Mund legt oder sie verächtlich auf hexenhaft gezeichnete Frauen blicken lässt, deren "viel zu tiefes" Dekolleté "wurstartig Schlaffes" erblicken lässt. Das sind abgestandene Herren- und Pennälerwitze, die durch keine Erzählerstimme relativiert werden und deren Reiz beim Lesen schnell verfliegt.
Auch der Reisende, der sich bei seinen einsamen Exkursion ins Hochgebirge zu fragen beginnt, ob bei der angekündigten Wahl zur "Euterkönigin" wohl die Kühe oder die jungen Damen des entlegenen Weilers kandidieren, fände sein angemessenes Publikum vermutlich unter den amüsierwilligen Besuchern eines krachledernen Komödienstadels vergangener oder eines derben Junggesellenabschieds unserer Tage.
Unter all den zotigen Witzen und Kalauern gibt es indes auch einige schöne Ideen, in denen Herbert Rosendorfers Einfallsreichtum durchschimmert, für den er mit allem Recht so oft bewundert wurde. In wenigen Sätzen skizziert er beiläufig ein Ende von Kafkas unvollendetem Roman "Das Schloß", dessen Leichtigkeit und Eleganz mit manchen derben Ausrutschern dieser Sammlung versöhnen können. Die Geschichte von dem gutmütigen Waisenknaben, dessen Körper unter Gewalteinwirkungen regelmäßig versteinert und allen Angreifern schwere Verletzungen zufügt, ist eine leichthändige Replik auf das alte Märchenmotiv vom steinernen Herzen.
Im Gedächtnis seiner Leser aber wird Herbert Rosendorfer vor allem als der Verfasser der satirischen "Briefe in die chinesische Vergangenheit" bleiben, die vor fast dreißig Jahren erschienen und deren Witz noch heute zu fesseln vermag. Und das ist, um es nun selbst mit einem zum Klischee geronnenen Wort zu sagen, gut so.
SABINE DOERING
Herbert Rosendorfer: "Die Kaktusfrau". Erzählungen.
Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 2012. 230 S., geb., 18,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main