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Janet ist eine elegante Amerikanerin um die 60, hat drei Kinder und den Ex-Mann Ted. Auf den ersten Blick eine typische Vorzeigefamilie. Doch Janet, Wade und Julie haben Aids. Der manisch-depressive Bryan, dessen Freundin schwanger ist, denkt an Selbstmord. Wade und Ted rivalisieren um Teds Geliebte. Nur Sarah passt ins Bild: Sie startet in ihr Nasa-Projekt.

Produktbeschreibung
Janet ist eine elegante Amerikanerin um die 60, hat drei Kinder und den Ex-Mann Ted. Auf den ersten Blick eine typische Vorzeigefamilie. Doch Janet, Wade und Julie haben Aids. Der manisch-depressive Bryan, dessen Freundin schwanger ist, denkt an Selbstmord. Wade und Ted rivalisieren um Teds Geliebte. Nur Sarah passt ins Bild: Sie startet in ihr Nasa-Projekt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.11.2002

Tom und Jerry im Flachdachbungalow
Psychosen-Allerlei: Douglas Coupland läßt seine Figuren leiden wie Serienstars / Von Nils Minkmar

Manchmal schreckt Douglas Coupland nachts auf, weil er albträumt, er sei arbeitslos. Dann muß er halbwach kurz nachdenken, was eigentlich sein Beruf ist, und beruhigt sich schließlich mit dem Gedanken: "Ich schreibe Bücher." Daß ihn der Zweifel an seinem Beruf, den er tagsüber dank seines soliden Status als Berühmtheit verdrängen kann, nachts heimsucht und daß er über diese Heimsuchung in Interviews spricht, zeigt eine fundamentale Unsicherheit in der Rolle des Schriftstellers. Sie ist nicht unbegründet und hinterläßt im Werk deutliche Spuren: Douglas Coupland ist kein Erzähler. Hinter jeder Figur ist das clevere Konzept erkennbar, und in den tonlosen Dialogen hört man die Stimme des Autors. Das weiß er selbst am besten: Er hat sich, auch das bekennt er mit fast manischem Drang in Interviews, das Handwerk des Schreibens beigebracht, als er längst ein bekannter Bestsellerautor war, und vertraut auf seine Lektorin, um aus seinem Manuskript ein richtiges Buch zu machen.

Couplands Romane haben offenkundige Schwächen, aber sie haben auch Charme. Es sind Texte, die gleichsam mit einem Datumsstempel versehen sind, mit minimalistischen melancholischen Betrachtungen, die einen über die Lektüre hinaus begleiten. "Ich bin in Disney World. Nichts deutet auf die Welt außerhalb dieser Anlage hin, wie in einem Spielcasino. Es könnte 1986 sein, 2001 oder 2008. Und das soll lebensbejahend sein? Dieser Park ist ein kosmischer Traumvernichter. Alles, was man einem Ort wie diesem abringen kann, ist ein gruseliger kleiner Kitzel, der einen wissen läßt, daß das eigene Kind nie mehr als ein Kunde sein wird." So ist das bei Coupland schon seit seinem ersten Buch, "Generation X", dessen soziologisches Konzept und vor allem das Glossar mit Begriffen wie McJobs und Poverty Jet-Set so erfolgreich wurde, während Personen und Handlung längst und zu Recht vergessen sind.

Seitdem sind eine Menge Bücher von Coupland erschienen, und er hat hart an sich und seiner Fähigkeit zu erzählen gearbeitet. Dumm ist nur, daß man das auch dem vorliegenden Roman so deutlich anmerkt. Von Anfang an scheint er dem Leser permanent mitteilen zu wollen: Ich packe dich, ich fahre die sensationellsten Figuren vor die unglaublichsten Kulissen. Zum Beispiel mit Sarah, einem Contergan-Kind, die trotz ihrer Behinderung Astronautin wird. So rührend intelligent und moralisch integer ist diese Sarah, daß ihr Vorbild nur die hochbegabte Zeichentrickfigur Lisa Simpson gewesen sein kann. Zum feierlichen Start ihrer Raumfähre hat Sarah die Familie nach Florida eingeladen. Und diese Familie, im Deutschen bloß "verkorkst", ist im Original immerhin "psychotisch".

In dieser Ausgangssituation läßt sich schon das Couplandsche Leitmotiv erkennen: Wo der Moment in seinem futuristischen Versprechen so erhaben scheint über die Mühen und Beschwernisse des Alltags wie beim Start einer Raumfähre, gerade da wird die ganze Schwere irdischen Lebens deutlich spürbar, ist die Enttäuschung über die Zeit, welche sich die Zukunft läßt, bevor sie endlich ihre Versprechen einlöst, besonders schmerzlich. Personifiziert wird dieser Gedanke von Janet, Sarahs Mutter. Die Hausfrau und Mutter muß bei Coupland das exemplarische Schicksal eines Langzeit-Seriendarstellers erleiden, dem alle nur denkbaren Fährnisse zustoßen. Die Hoffnungen, ihr Leben in hellen Flachdachbungalows zu verbringen, Cocktailparties zu geben und dem Gedeih von Ehemann und Kindern zuzuschauen, verkommen zur Groteske ihres Lebens. Diese kulminiert in einer tolldreisten Szene, als Janets ältester Sohn Wade sich im Haus der Mutter vor seinem Vater Ted verstecken muß.

Wade hatte sich mit einer fremden Blondine auf schnellen Sex eingelassen und hinterher zum ersten Mal seit vielen Jahren seinen Vater getroffen und ihm von der Begegnung erzählt. Da geht die Tür auf, die neue Ehefrau des Vaters kommt herein - und allen Beteiligten wird klar, daß es sich um Wades Blondinenbekanntschaft handelt. Was folgt, ähnelt einer Tom-und-Jerry-Episode: Der Vater versucht, den Sohn zu erschießen, doch die Kugel dringt durch Wades Schulter, um die Mutter zu treffen, die sich so mit dem HIV-Virus infiziert. Aber das ist nicht alles. Der Roman hat noch eine böse Schwiegertochter mit dem merkwürdigen vokallosen Vornamen shw, die als Leihmutter arbeiten will. Dann taucht noch ein Gen-Unternehmer namens Florian auf, der deutscher Herkunft ist und daher immerzu "ins Telefon bellt". Schließlich gibt es auch einen "Mac Guffin", wie Hitchcock das begehrte Objekt zu nennen pflegte, hinter dem alle her sind: Hier ist es ein Brief, und zwar jener, den Prinz William auf den Sarg von Diana gelegt hat, ein weißer Umschlag mit dem Schriftzug "Mummy".

An komischen Momenten fehlt es dem Buch also nicht. In den Handlungspausen aber wird es ernst. Da reflektiert Janet über die Enttäuschungen der Frauen ihrer Generation: "Wenn ich mich geschickter angestellt hätte, wäre ich heute . . . tja, was? Richterin? Die Schulterpolster tragende Chefin irgendeines Elektronikkonzerns? Besitzerin einer Muffin-Bäckerei? Das soll Erfolg sein? Erfolg ist Versagen, Versagen ist Erfolg. Wir haben so viele verschiedene Signale zugleich erhalten, daß am Ende nichts aus uns geworden ist." Die Hoffnungen auf ein übersichtliches, leichtes Leben, wie man es sich in den Familienserien der Sechziger erträumen konnte, haben sich nicht erfüllt. Das Leben blieb irgendwie gefährlich, düster und steter Veränderung unterworfen. In gewisser Weise klagt Coupland, der 1961 auf einem deutschen Nato-Stützpunkt geboren wurde, mit seinen Büchern immer wieder die Friedensdividende ein: Der Westen hat die Konfrontation gewonnen, nun soll er auch all das einlösen, was in der Kennedy-Ära an futuristischen Versprechen gemacht wurde. Der Wunsch nach einem schwerelosen Leben beschränkt sich bei Coupland nicht auf die historische Überlegung. Er führt ihn auch zu einer religiösen Erlösungsphantasie: Am Ende bittet die vielgeprüfte Janet ihre Tochter, einen Zopf ihres Haars ins All fahren zu lassen, damit er beim Eintritt in die Erdatmosphäre verglühe und die Menschen denken, sie sähen einen Stern. In seiner großen Dokumentation über die Geschichte des amerikanischen Kinos stellt Martin Scorsese fest, daß die drittklassigen Filme historisch aussagekräftiger sein können als die hochwertigen Produktionen der Studios, weil sie weit geringerer Kontrolle unterworfen waren. Politische oder gesellschaftlich kontroverse Themen konnten von weniger bekannten Autoren leichter untergebracht werden. So wurden manche heute längst vergessenen Regisseure zu "Schmugglern" eigenwilliger, überraschender Wahrheiten. So könnte auch Coupland in der Literatur den Platz eines Autors einnehmen, der nie die Great American Novel vorlegen wird, aber der zu überliefern versteht, welche Faszination eine Gestalt wie Bill Gates auszuüben vermochte und wie sich enttäuschte Vorort-Hausfrauen in den Chaträumen des Internet nach Abenteuern umschauen. Psychotisch? Auf jeden Fall. Daß es in allen Einfamilienhäusern so zugehen könnte, so will uns dieser Roman weismachen, sei ein Trost, aber man glaubt es ihm nicht so recht. Eigentlich ist Coupland nämlich doch enttäuscht darüber, daß Mütter nicht dauergewellt und ewig glücklich auf fliegenden Rasenmähern durch die Vorortgärten schweben.

Douglas Coupland: "Alle Familien sind verkorkst". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Tina Hohl. Verlag Hoffmann & Campe, Hamburg 2002. 335 S., geb., 19,90 [Euro].

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