Und jetzt Damenwahl*! Oder doch lieber Stimme für alle?!
An einem Tag wie diesem, an dem aus einer kleiner Streitigkeit mit der zänkischen Köchin eine Rangelei mit angeschlagenem Kopf wird, das großes Geschrei die Hausherren alarmiert, man ängstlich nach dem Doktor durch die Straßen läuft. An
einem Tag wie diesem kann es passieren, dass man am Bahnsteig steht, sich vom Haushaltsgeld für das…mehrUnd jetzt Damenwahl*! Oder doch lieber Stimme für alle?!
An einem Tag wie diesem, an dem aus einer kleiner Streitigkeit mit der zänkischen Köchin eine Rangelei mit angeschlagenem Kopf wird, das großes Geschrei die Hausherren alarmiert, man ängstlich nach dem Doktor durch die Straßen läuft. An einem Tag wie diesem kann es passieren, dass man am Bahnsteig steht, sich vom Haushaltsgeld für das Abendessen ein Ticket kauft und mit nichts als dem, was man am Körper trägt, in einem Zug nach London fährt.
Rosies unvorhergesehene Reise beginnt. Und manchmal ist eine Reise mehr als nur ein Ortswechsel. So auch in diesem historischem Emanzipationsroman “Rosie und die Suffragetten” von Katharina Müller, erschienen im Berliner Quer Verlag.
Mutterseelenallein, unter Kulturschock, steht sie am Bahnhof und wäre, wie so viele vor und nach ihr, fast leichte Beute geworden. Dort begegnet ihr die bezaubernde und weltgewandte Jane, eine Zufallsbekanntschaft. Ihr Versprechen bald wiederzukommen hält sie nicht.
Dafür lernt sie eine älteren Dame, Beth, vom “Christlichen Verein zur Unterstützung von in Not geratenen Dienstmädchen” kennen, die sich ihrer annimmt.
Der Verein vermittelt Rosie wenig später als Dienstmädchen an der Haushalt der Frauenrechtlerin Emmeline Pankhurst, wo sie zusammen mit May, einem echten Großstadtmädchen, für den Frauenhaushalt zuständig ist. Mit einem Arbeitsvertrag der freie Tage und bezahlten Urlaub vorsieht, wähnt Rosie sich im Dienstmädchenhimmel.
Ihre Arbeitgeberin, Mrs Pankhurst, ist eine gebildete Frau des Bürgertums. Sie hat 1903 mit ihren beiden älteren Töchtern Christabel und Sylvia den Verein Women’s Social and Political Union (WSPU) gegründet, unter der Maxime “Taten nicht Worte” kämpfen sie mit kreativen und radikaleren Methoden für das Frauenwahlrecht.
Aus Rosies Perspektive lernt der Leser nun die Großstadt London kennen. Rosie genießt mit May das Leben, begegnet der aufregenden Jane wieder, aber auch einen schüchternen, fleißigen Iren, der sie umschwärmt, liest begierig in den Büchern der Hausbibliothek, verdient mit dem Entwerfen und Nähen mit der elektrischen Nähmaschine im Haushalt zusätzliches Geld, verfolgt den unter Einsatz von Gesundheit und Leben geführten Kampf der Suffragettenbewegung.
Auch Rosie wird Teil der Frauenwahlrechtbewegung, eingefangen von Emmelines Pankhurst Charisma, aber auch ihrem Despotismus und stellt schließlich fast erstaunt fest, die politischen Aktivistinnen sind nicht frei von Standesdünkel und als Rosies neues Selbstbewusstsein ihr, dem Dienstmädchen, eine Stimme gibt, reagiert die kritisierte Arbeitgeberin nicht anders als die Parlamentarier: erbost über das Einfordern von Gehör nutzt sie ihre Macht. Rosie wird entlassen.
Jetzt ist sie frei, lebt sie im East End und arbeitet auf Augenhöhe mit Sylvia, deren Freund und auch den Arbeiterinnen und Prostituierten, denen sie Nähunterricht gibt und kämpft mit ihnen gemeinsam für das Recht aller Frauen auf eine Stimme.
Das Ende von Rosie persönlicher Geschichte, nach dem ersten Weltkrieg, ist himmelblau. Die Autorin wollte ein Füllhorn voll Glück über Rosie ausschütten und tat dies in Form von einem Mann, der sie liebt, zwei Kindern, einer dritten Schwangerschaft und einer Tätigkeit als Handarbeitslehrerin, Wenn auch wir daran glauben, dass für Frauen alles möglich ist, dann hätte ich dieser wissbegierigen, kämpferischen jungen Frau ein andere Form von Glück gewünscht.
Ein interessantes, sehr gut recherchiertes Sujet, die in Deutschland noch nicht sehr bekanntes Frauenwahlrechtsbewegung Großbritanniens, gut gezeichnete, glaubwürdige Figuren, bis hin zu den Nebenfiguren, ein Einblick in den Moloch London Anfang des 20. Jahrhunderts, man merkt dem Roman den Soziologinnenblick, einer mir etwas zu romantisch veranlagten, Autorin an. Für mich ein absolut empfehlenswerter historischer Roman.
*Ausspruch von Clara Zetkin 1911, sozialistische Frauenrechtlerin, zur Idee des Klassenwahlrechts