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Magnetische Kräfte werden wahrgenommen mit Hilfe von Kompassen, die Orientierung in Raum, Zeit und in der Psyche bieten. Diese Orientierung erfährt radikale Veränderungen in Wechselwirkung mit der Verfeinerung der Instrumente und der Phänomene, die sie ermitteln. In elf Kapiteln erzählt dieses Buch die Geschichte des Magnetismus mit dem Fokus auf seiner Medialität.

Produktbeschreibung
Magnetische Kräfte werden wahrgenommen mit Hilfe von Kompassen, die Orientierung in Raum, Zeit und in der Psyche bieten. Diese Orientierung erfährt radikale Veränderungen in Wechselwirkung mit der Verfeinerung der Instrumente und der Phänomene, die sie ermitteln. In elf Kapiteln erzählt dieses Buch die Geschichte des Magnetismus mit dem Fokus auf seiner Medialität.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.12.2010

Immer der Nadel nach
Nils Röller beobachtet magnetische Phänomene

Der Magnetismus ist eine seltsame Kraft. Wir Menschen haben kein Organ für ihn. Obschon überall von Magnetfeldern umgeben, benötigen wir Hilfsmittel zu seiner Wahrnehmung. Magnetische Erfahrungen setzen Instrumente voraus. Deshalb ist der Magnetismus nicht allein eine Angelegenheit des Entdeckens. Er ist auch eine Sache des Erfindens und somit von kulturellen Zusammenhängen.

In seiner buchstäblich anziehenden Studie über den "Magnetismus" hat der Philosoph und Medientheoretiker Nils Röller von der Zürcher Hochschule der Künste diese Kontexte hergestellt. In zehn Schritten von der europäischen Antike und dem China der Chunqiu-Periode (ab 770 vor Christus) bis hin zur Gegenwart der modernen Speichertechnik beschreibt er das Dreiecksverhältnis zwischen Mensch, Natur und Gerät als eine Historie der Orientierung in Raum, Zeit und Psyche. Diese Orientierungsmöglichkeiten verändern sich durch die Verfeinerung von Instrumenten, die zu gesteigerter Wahrnehmbarkeit und damit neuen Verfahren der Ausnutzung magnetischer Phänomene führt.

Als Beispiel für seine These dient Röller vor allem die Gegenüberstellung Griechenlands und Chinas: Wird bei Platon die Fernwirkung des Magneten noch mit atomistisch-pneumatischen Theorien erklärt, weil es an Instrumenten mangelt, die zwischen Mensch und Magnet vermitteln, werden im Reich der Mitte vermutlich bereits im zweiten vorchristlichen Jahrhundert die Polarität und die richtungweisende Kraft des Magnetsteins entdeckt. Mit Hilfe beweglicher magnetischer Löffel auf besonders präparierten Platten entstehen so frühe künstliche Wahrnehmungssysteme für astronomische Vorgänge. Sie können als Vorläufer des Kompasses gelten, der anfangs als von einem Strohhalm getragene und im Wasser schwimmende Nadel funktioniert und im 14. Jahrhundert in Italien erstmals in seiner modernen Form auftaucht.

Das Gerät leistet einen wichtigen Beitrag zur Entdeckung Amerikas, und Generationen von Seefahrern vertrauen sich einer Kraft an, die sie nicht erklären können und die sie obendrein zuweilen täuscht. Die Geschichte der magnetischen Orientierung ist daher stets auch eine Geschichte der Irritation - der Irreführung durch eine Nadel, deren seltsame Abweichungen von der unterstellten Nord-Süd-Richtung die Naturforschung noch lange beschäftigt.

Röller konfrontiert seine Leser auf ihrem Weg in die an magnetischen Rätseln zunehmend arme Gegenwartswelt mit zahlreichen Erklärungen für die Wirkmächtigkeit seines Objekts. Mal sind sie schlüssig, mal spekulativ, mal skurril. Stets wird deutlich: Die Geschichte des Magnetismus ist keine "Whig History", die zielstrebig von der Entdeckung des Magnetsteins zur Entwicklung des Mobiltelefons schreitet. Tatsächlich mäandert sie durch eine Landschaft philosophischer, religiöser und politischer Gegebenheiten. Als der englische Arzt William Gilbert (1544 bis 1603) die Kluft zwischen der seemännischen Erfahrung und der wissenschaftlichen Wahrnehmung des Magnetismus zu schließen versucht, dienen ihm kugelförmig geschliffene Magnetsteine als Modelle für seine Experimente. Er nennt sie "terrella", also "Erdchen". Auch die Erde selbst ist für Gilbert ein riesiger Magnet, der von seiner bipolaren Kraft in Drehbewegung gehalten wird. Damit gerät der Magnetismus auch zur religiösen Streitsache.

Im 18. Jahrhundert sind es dann seine angeblichen Heilwirkungen, die irritieren, oder die romantische Vorstellung, seine Anziehungs- und Abstoßungskräfte seien nicht nur in der Lage, Räume zu überwinden, sondern auch die Gesetze der Zeit. Auf einmal werden Menschen zu Speichern von ätherischen Botschaften, die nur unter den Bedingungen des Magnetisierens erfahrbar sein sollen. Mediumismus und Magnetismus reichen sich die Hand.

In esoterischen Kreisen und Fantasy-Filmen wirken solche Vorstellungen bis heute nach. Im Piratenstreifen "Fluch der Karibik" ist es ein von den Wünschen seines Besitzers gelenkter Kompass, der den Kurs der Handlung mitbestimmt. Und gewiss ist es kein Zufall, dass das nostalgische Instrument der Seefahrer seit langem Lieblingsmetapher der Ratgeberliteratur ist. Auch auf dem Weg zu Erfolg in Beruf, Partnerschaft und Liebe wirken schließlich unsichtbare Mächte.

PETER RAWERT

Nils Röller: "Magnetismus." Eine Geschichte der Orientierung.

Wilhelm Fink Verlag, München 2010. 245 S., Abb., br., 29,90 [Euro].

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