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Kollaboration und Distanzierung in einer der größten naturwissenschaftlichen Forschungsinstitutionen während des Nationalsozialismus.Die 1817 gegründete »Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft« betreibt seit 1821 eines der großen naturkundlichen Forschungsmuseen in Deutschland. Seine Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus war geprägt von Kooperation, Abkehr und späterer Leugnung.Andreas Hansert rekonstruiert nun erstmalig die komplexen Hintergründe für die schnelle Bereitschaft der Verantwortlichen - allen voran des Direktors Rudolf Richter - mit den NS-Behörden zu kooperieren…mehr

Produktbeschreibung
Kollaboration und Distanzierung in einer der größten naturwissenschaftlichen Forschungsinstitutionen während des Nationalsozialismus.Die 1817 gegründete »Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft« betreibt seit 1821 eines der großen naturkundlichen Forschungsmuseen in Deutschland. Seine Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus war geprägt von Kooperation, Abkehr und späterer Leugnung.Andreas Hansert rekonstruiert nun erstmalig die komplexen Hintergründe für die schnelle Bereitschaft der Verantwortlichen - allen voran des Direktors Rudolf Richter - mit den NS-Behörden zu kooperieren und das Führerprinzip am Haus zu etablieren. Im weiteren Verlauf der NS-Zeit zeichnete sich jedoch allmählich eine Abkehr von der NS-Ideologie ab. Vor allem die Behandlung der Juden, besonders des großen jüdischen Mäzens Arthur von Weinberg, stieß im Senckenberg auf Missfallen. Behaupten konnte sich die Forschungsinstitution dennoch, wurde sie doch aufgrund der am Haus betriebenen Forschung im Bereich der Erdölindustrie als kriegswichtig eingestuft.Nach dem Krieg stellten die Verantwortlichen am Senckenberg sich von Anfang an als Gegner des NS dar. Um diese Lesart zu befördern, schreckte Rudolf Richter, der als Wissenschaftler hohe internationale Anerkennung genoss, nicht vor einer beschönigenden Neufassung der auf die Jahre 1933 bis 1944 datierten Protokolle des Führerbeirats zurück.
Autorenporträt
Andreas Hansert, geb. 1958, ist Soziologe und Historiker. Er lebt und arbeitet als freier wissenschaftlicher Autor in Frankfurt a.M. Schwerpunkte seiner Forschungen sind Kultur- und Stadtgeschichte, bürgerliches Mäzenatentum, NS-Geschichte sowie adlige und patrizische Dynastien.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.01.2018

Senckenbergs dunkle Flecken

Geschichtsfälschung: Das Forschungsinstitut hat seine eigene Rolle im Nationalsozialismus erforschen lassen. Nun muss über Konsequenzen diskutiert werden.

Tilly Edinger, die berühmte Paläoneurologin, ist auch weit nach 1945 misstrauisch geblieben. Warum ihr einstiger Vorgesetzter Rudolf Richter immer wieder bestätigt sehen wolle, er sei kein Nazi gewesen, das fand sie "pathologisch". Schließlich hatte sie, die ihrer jüdischen Vorfahren wegen 1938 ihren Arbeitsplatz im Senckenberg-Museum nicht mehr betreten durfte, emigrieren müssen.

Warum der Paläontologe Richter, der das Senckenberg-Forschungsmuseum, wie es damals hieß, von 1933 bis 1945 höchst erfolgreich geleitet hatte, so eifrig an seinem Image arbeitete, liegt nun in einer 300 Seiten umfassenden Studie vor, die eine spannende und passagenweise auch sehr nahegehende Lektüre geworden ist. "Wahrheit und Dichtung" hat der hiesige Historiker Andreas Hansert seine Studie im Untertitel genannt. Die Dichtung: Im Nationalsozialismus soll Senckenberg eine "geistige Oase", das Ansehen des Instituts "ohne Flecken" gewesen sein. Das jedenfalls hat Richter 1947 in einem gut 40 Seiten langen Rechtfertigungsschreiben für seinen Entnazifizierungsprozess formuliert. Ihm wurde geglaubt, er selbst entlastet.

Ganz so rosig sehen die Senckenberger selber ihre Geschichte zwischen 1933 und 1945 schon lange nicht mehr. Längst ist eine Publikation zu Tilly Edinger erschienen, der neue Forscherbau in der Alten Physik heißt Arthur-von-Weinberg-Haus, in Erinnerung an den wohl größten Mäzen Senckenbergs, der 1943 im KZ Theresienstadt starb. Gestern aber ist mit der Publikation "Das Senckenberg-Forschungsmuseum im Nationalsozialismus" einiges zutage getreten, das Hansert im Auftrag der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, wie sie heute heißt, in akribischer Archiv-Recherche herausgefunden hat.

Die hässlichste Überraschung: Richter (1881-1957) hat Protokolle und Aktenvermerke gefälscht, um das Institut und sein Wirken als unbelastet darzustellen. In der im Göttinger Wallstein-Verlag erschienenen Publikation sind die Stellen nachzulesen, die Richter nachträglich verändert hat. Da diese Dokumente lange in Richters persönlichen Besitz waren, sind sie nie eingehender untersucht worden.

Ein Schlag für eine Wissenschaftsorganisation: "Wir als Wissenschaftler stehen für das beste Wissen und Gewissen, da ist das besonders schwierig, mit Fälschungen konfrontiert zu sein. Das können wir so nicht akzeptieren", sagt Generaldirektor Volker Mosbrugger, der den Auftrag an Hansert auch als Beitrag zur Zweihundertjahrfeier Senckenbergs sieht. Nun müsse über die Konsequenzen diskutiert werden, im Direktorium und mit den Mitgliedern. Denn Richter, der "Senckenberg am Meer" in Wilhelmshaven gegründet hat und umsichtig dafür sorgte, die Sammlungen während des Krieges auszulagern, steht nicht nur auf der Tafel der "Erhalter des Werks", der höchsten Auszeichnung, auch eines der Wilhelmshavener Häuser ist nach ihm benannt. "Wir müssen natürlich auch prüfen, ob es noch andere Themen gibt, wir werden das sauber durchdenken und dann die Konsequenzen ziehen", so Mosbrugger.

Gleichwohl sei Richter im Nationalsozialismus durchaus "vernünftig" gewesen, so Mosbrugger. In der Tat stellt Hansert heraus, dass auch dank der eigenständigen Strukturen Senckenbergs die drei jüdischen Forscher in den Sektionen erst einmal hatten weiterarbeiten können. Richter hatte sich bemüht, sowohl die Emigrierenden zu unterstützen als auch die jüdischen Senckenberg-Mitglieder zu halten. Senckenberger oder Wissenschaftler zu sein, so Hansert, sei offenbar immer wichtiger gewesen als Antisemitismus. Gleichwohl liebäugelten Richter und andere stark mit der Ideologie und gingen forsch voran: Gleich nach der Machtergreifung war Richter in die NSDAP eingetreten, die Zeitschrift "Natur und Museum" wurde rasch in "Natur und Volk" umbenannt, Rassenlehre im Museum ausgestellt. Senckenberg rühmte sich zweier von Hermann Göring, dem "Reichsjägermeister", zwar nicht geschossener, aber als "Göring-Elche" bezeichneter Tiere für die damals neuen Dioramen. Im Lauf des Krieges aber, so Hanserts Befund, muss Richter sich von der Ideologie distanziert haben - vor allem, seit er 1942 das Getto in Warschau gesehen hatte. Der Aufforderung seines dortigen Kollegen Rudolf Brinkmann aber, in Deutschland von dem Grauen zu berichten, kam Richter nicht nach, Position hat er nie bezogen. Das "Pathologische", das Edinger später gespürt hat, mag auch der psychische Druck gewesen sein, mit Schuld umgehen zu müssen, die die Außenwelt nicht sehen sollte und wollte.

EVA-MARIA MAGEL

Andreas Hansert, Das Senckenberg-Forschungsmuseum im Nationalsozialismus. Wahrheit und Dichtung, Wallstein Verlag, 304 S., 29,90 Euro

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