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Gesundheitspolitik in der »Hauptstadt der Bewegung«: Fürsorge und Verfolgung.Der Umbau der Gesellschaft nach erbbiologisch-rassistischen Ordnungsideen war ein Hauptziel nationalsozialistischer Politik. Dabei kam der auf »Rassenhygiene« programmierten Gesundheitspolitik eine Schlüsselrolle zu. Annemone Christians untersucht diesen Politikbereich am Beispiel Münchens, der sogenannten »Hauptstadt der Bewegung«. Im Vordergrund stehen dabei Kooperationen und Konflikte städtischer Stellen und ihre Folgen für die gesundheitspolitische Praxis der Münchner »Erb- und Rassenpflege«.Die Autorin nimmt…mehr

Produktbeschreibung
Gesundheitspolitik in der »Hauptstadt der Bewegung«: Fürsorge und Verfolgung.Der Umbau der Gesellschaft nach erbbiologisch-rassistischen Ordnungsideen war ein Hauptziel nationalsozialistischer Politik. Dabei kam der auf »Rassenhygiene« programmierten Gesundheitspolitik eine Schlüsselrolle zu. Annemone Christians untersucht diesen Politikbereich am Beispiel Münchens, der sogenannten »Hauptstadt der Bewegung«. Im Vordergrund stehen dabei Kooperationen und Konflikte städtischer Stellen und ihre Folgen für die gesundheitspolitische Praxis der Münchner »Erb- und Rassenpflege«.Die Autorin nimmt Fürsorge- und Verfolgungshandeln gleichermaßen in den Blick und verdeutlicht damit die charakteristische Ambivalenz der NS-Gesundheitspolitik. Dieser Ansatz der Untersuchung legt Brüche und Kontinuitäten in Gesundheitsdefinitionen, Personalpolitik und Verwaltungsstrukturen frei.
Autorenporträt
Annemone Christians ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Neueste Geschichte an der LMU München. Davor war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt »Das Private im Nationalsozialismus« am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin tätig.Veröffentlichungen u.a.: Amtsgewalt und Volksgemeinschaft. Das öffentliche Gesundheitswesen im nationalsozialistischen München (2013); Tinte und Blech. Eine Pilotstudie zu Fritz Beindorff (1860-1944) und den Günther Wagner Pelikan-Werken im Nationalsozialismus (2018).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Reiner Pommerin begrüßt diesen von Annemone Christians besorgten Band zu den Aktivitäten des Münchener Gesundheitsamtes zur Zeit des Nationalsozialismus. Die aus einer Untersuchungsreihe des Stadtarchivs und des Historischen Seminars der LMU zur Rolle der kommunalen Ämter der Stadt München 1933-1945 hervorgegangene Arbeit bedeutet Pommerin, dass Kommunen in der NS-Zeit durchaus Handlungsspielräume besaßen. Dies belegt die Autorin laut Pommerin mit Quellenmaterial etwa zur Einstellungs- und Entlassungspraktik von Kommunalbeamten. Auch die Rolle des Gesundheitsamtes in der "Erb- und Rassenpflege" kann die Autorin dem Rezensenten aufzeigen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.01.2014

"Rassenpfleger" an der Isar
Nationalsozialistische Gesundheitspolitik in München

Die Stadt als Herrschaftsraum der nationalsozialistischen Diktatur erfährt in der historischen Forschung zunehmend Aufmerksamkeit. Ein Kooperationsprojekt zwischen dem Stadtarchiv sowie dem Historischen Seminar der LMU will die kommunalen Ämter der Stadt München in ihrer Funktion als Dienstleister aber auch als Verfolgungsinstanzen zwischen 1933 und 1945 untersuchen. Die erste, sorgfältig aus den einschlägigen Quellen erarbeitete Studie dieses Projekts von Annemone Christians widmet sich der städtischen Gesundheitspolitik.

Für München - der von Nationalsozialisten so apostrophierten "Hauptstadt der Bewegung" - gilt (und das belegt auch diese Arbeit), dass Städte in der NS-Zeit durchaus eigene Handlungsräume beibehalten und ausgestalten konnten. So entließ die Stadt an der Isar bis Mitte 1934 auf der Grundlage des Berufsbeamtengesetzes lediglich 3,5 Prozent der Arbeiter und nur etwa ein Prozent der Beamten ihres Personals der Kommunalverwaltung. In Köln oder Hannover wurden hingegen bis zu vier Prozent und in Leipzig oder Hamburg bis zu zehn Prozent der städtischen Beamten ihrer Ämter enthoben. Die ersten drei Ärzte des 1929 errichteten Münchener Gesundheitsamtes entsprachen offensichtlich den nationalsozialistischen Beschäftigungskriterien. Ihre 17 jüdischen Berufskollegen allerdings, zumeist an den städtischen Krankenhäusern, darunter die drei jüdischen Chefärzte des Schwabinger Krankenhauses, oder an der Hochschule tätig, waren bis zum September 1933 von ihren Arbeitsplätzen verdrängt worden.

Das städtische Gesundheitsamt blieb zunächst eine bloße Gutachterstelle. Die finanzielle Aufwendung von 40 000 RM jährlich entsprach den von der Stadt für die "Auer Dult" oder für die "Meisterschule für Mode" aufgebrachten Beträgen. Erst 1936 erfolgte die Anerkennung des Gesundheitsamtes als einer Kommunalbehörde. Höchst widerwillig akzeptierte die städtische Führung die Besetzung der Stelle des Amtsleiters mit dem nicht aus der eigenen Beamtenschaft, sondern aus dem Bayerischen Staatsministerium des Innern stammenden Ministerialrat Josef Limmer. Ihm verweigerte daher Oberbürgermeister Karl Fiehler, obgleich beide Mitglied der NSDAP, sogar den Status als Beigeordneter. So konnte Limmer nicht an den wöchentlichen Sitzungen des Stadtrats teilnehmen, und er verwickelte sich zudem mit dem Referenten für das Krankenhauswesen, das in München nicht dem Gesundheitsamt unterstand, und mit anderen Ämtern in innerstädtische Querelen. Selbst eine Intervention des Reichsgesundheitsführers Leonardo Conti vermochte Oberbürgermeister Fiehler nicht umzustimmen.

Generell wehrte sich die Münchener Stadtspitze bis in das fünfte Kriegsjahr erfolgreich gegen Vereinheitlichungs- und Zentralisierungskampagnen der NS-Gesundheitspolitik. Doch trat neben die Aktivitäten eines Gesundheitsamtes wie Schulgesundheitsdienst, Bekämpfung der Tuberkulose und der Geschlechtskrankheiten sowie Mutterschafts-, Säuglings- und Kleinkinderfürsorge bald auch eine Abteilung für "Erb- und Rassenpflege". Sie verwaltete die (allerdings höchst unvollkommene) städtische erbbiologische Kartei, erstellte Gutachten für Ehestandsdarlehen und Ehetauglichkeitszeugnisse und koordinierte Untersuchungen sowie Anträge nach dem "Erbgesundheitsgesetz".

Die alliierten Bombenangriffe zwangen das Gesundheitsamt München von 1941 an zur Verlegung von Pflegebedürftigen aus Altenheimen und Krankenhäusern der Stadt in Anstalten des bayerischen Umlands, so auch nach Schönbrunn und Eglfing-Haar. Viele der dort ursprünglich betreuten geistig und körperlich behinderten Menschen fielen Morden im Rahmen der "dezentralen Euthanasie" zum Opfer.

REINER POMMERIN

Annemone Christians: Amtsgewalt und Volksgesundheit. Das öffentliche Gesundheitswesen im nationalsozialistischen München. Wallstein Verlag, Göttingen 2013. 374 S., 38,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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