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Das Hutmachergeschäft Leiter ist nicht nur bekannt für seine außergewöhnlichen Kreationen, sondern auch ein Ort großer Träume. Zumindest für die junge Iris Leiter, die 1913 nach Budapest kommt, um in dem Laden als Hutmacherin anzufangen, das einst ihren Eltern gehörte und in dem sie ihr Leben verloren. Der jetzige Inhaber Oskar Brill weist jedoch die junge Frau ab. Aber Iris hat nicht vor, Budapest zu verlassen. Beharrlich macht sie sich auf die Suche nach ihrer Vergangenheit. Dabei kommt sie einem Geheimnis auf die Spur, das sie nicht nur zu einem gewissen Kalman Leiter, sondern auch bis in…mehr

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Produktbeschreibung
Das Hutmachergeschäft Leiter ist nicht nur bekannt für seine außergewöhnlichen Kreationen, sondern auch ein Ort großer Träume. Zumindest für die junge Iris Leiter, die 1913 nach Budapest kommt, um in dem Laden als Hutmacherin anzufangen, das einst ihren Eltern gehörte und in dem sie ihr Leben verloren. Der jetzige Inhaber Oskar Brill weist jedoch die junge Frau ab. Aber Iris hat nicht vor, Budapest zu verlassen. Beharrlich macht sie sich auf die Suche nach ihrer Vergangenheit. Dabei kommt sie einem Geheimnis auf die Spur, das sie nicht nur zu einem gewissen Kalman Leiter, sondern auch bis in die höchsten Kreise der österreichisch-ungarischen Gesellschaft führt.

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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.06.2019

Die Hutmacher des Phantoms
Ein Virtuosenstück geschichtsphilosophischen Kinos: "Sunset" von László Nemes

Das Modehaus Leiter in Budapest gilt im Jahr 1913 als "bester Hutsalon der Monarchie". Wegen der extravaganten Kreationen kommen sogar höchstgestellte Menschen aus Wien in die "staubige Stadt". Zweimal gibt es in dem Film "Sunset" von László Nemes einen Hut mit einem Schleier zu sehen - in dem einen Fall trägt ihn eine junge Frau namens Irisz Leiter, in dem anderen eine Prinzessin aus der Hauptstadt. Die höchste Vertreterin der Macht lüftet ihren Schleier, weil man sie an einen besonderen Ort führt: Hier war einst die Kaiserin Elisabeth (besser bekannt als Sissi) zu Gast gewesen. Nach ihrem Besuch wurde der Raum geschlossen, niemand sollte an die Stelle der melancholischen Herrscherin treten.

Erst jetzt, fast ein halbes Jahrhundert später, wird diese "Grabkammer" wieder geöffnet. Die Frau, die in diesem Moment zur Stelle ist, ist Irisz Leiter. Ihr Hutschleier wird schon im ersten Bild des Films gelüftet. Es ist eine sprechende Szene, denn Irisz wird für die folgenden zweieinhalb Stunden bei allem dabei sein, was sich in Budapest in diesen Tagen an Merkwürdigem und Dramatischem ereignet. Sie wird Zeugin sein, aber wenig durchschauen. Der Schleier ist nicht zuletzt der eines historischen Präsens, das für das Publikum im Kino geläufige Vergangenheit ist: Irisz Leiter weiß nicht, dass ein Jahr später der Erste Weltkrieg ausbrechen wird, und sie weiß nicht, dass ein späteres Zeitalter von ihrer Epoche einmal als einer Zeit der "Schlafwandler" sprechen wird.

László Nemes wiederum weiß das alles natürlich nur zu gut und noch viel mehr: Er tritt mit "Sunset" in bewusste Konkurrenz zu den großen Erzählungen über die (vor)letzten Tage der Menschheit, wie die Chiffre von Karl Kraus für den Zivilisationsbruch von 1914 lautet. Das Budapest von 1913 ist für Nemes eine Versuchsstation des Weltuntergangs, Labor einer Gewalterfahrung, die sich zuerst einmal als Attacke auf die Sinne zeigt. In bester modernitätstheoretischer Façon lässt Nemes die Budapester Lebenswelten auf Irisz Leiter einprasseln, als stünden all die Traktate über die Stadt als Reizgewitter als Fußnoten im Drehbuch.

Die Heldin von "Sunset" kommt aus Triest. Sie kommt nach Hause, wie sich bald herausstellt. Zu Beginn wird sie kurz für eine Kundin gehalten. Nemes lässt das wohl absichtlich so wirken, als wachte sie aus einem Traum auf. In Wirklichkeit ist Irisz Leiter gekommen, weil sie im Hutsalon Leiter arbeiten möchte. Dass sie denselben Namen trägt, ist kein Zufall: Sie ist die Tochter der ehemaligen Besitzer. Damit ist das Motiv der Spannung etabliert, von dem Nemes danach zehrt. Irisz gehört hierher, aber sie stört ausgerechnet in der Woche, in der "Leiter Hüte" ein Firmenjubiläum begeht. Nach dreißig Jahren konnte man in Budapest 1913 bereits ein Traditionshaus sein. So schnell ging das in der Gründerzeit des späten 19. Jahrhunderts, in den aufstrebenden Nationen.

Die Eltern von Irisz starben bei einem Brand. Seither führt Oszkar Brill die Geschäfte; in einem Reich der Frauen ist er der dominante Mann. Widerwillig lässt er sich darauf ein, dass Irisz eines der Hutmachermädchen wird. Vorerst auf Probe. Diese Zeit der Bewährung wird für die junge Frau zu einer Odyssee durch die Mysterien von Budapest. "Du bist es, die uns geweckt hat", raunt ihr jemand zu, und später sagt jemand: "Noch diese Woche wird hier Blut fließen." Irisz hört von einem Bruder namens Kalman, von dessen Existenz sie nichts gewusst hatte, aber es bleibt unklar, was es mit seinem Hang zur Gewalt genau auf sich hat. Vielleicht sucht Irisz ja nicht so sehr nach einer Person, sondern nach einer Rolle - für sich selbst.

Die Ambivalenz dieser Figur hat grundsätzlich mit dem Formwillen von László Nemes zu tun. Vor vier Jahren erregte er als Spielfilmdebütant mit "Son of Saul" Aufsehen. Ein Film aus dem Innersten eines NS-Vernichtungslagers, auch in diesem Fall schon erzählt als eine präzise Choreographie subjektiver Wahrnehmung. Die ganze Konstruktion lief auf eine historisch überlieferte Fotografie hinaus, also auf ein Dokument höchster Echtheit in einem Zusammenhang von mannigfachen Bilderverboten. Nemes unterlief diese vor allem von Claude Lanzmann aufgerichteten Dogmen der Nichtdarstellbarkeit und machte zugleich deutlich, dass er sie nur verschoben hatte: an einen Punkt, an dem das Auge und der Geist zueinander in Widerspruch geraten. Das, was "Son of Saul" zeigte, war ein Höchstmaß an Konkretion und doch nur eine Zeichenhandlung.

In "Sunset" ist die Konstellation umgekehrt: Hier gibt es nichts, was sich den Augen (und Ohren) verschließt, es bedarf nur einer geschickten Person, die vor keiner verschlossenen Tür haltmacht. Irisz durchmisst eine historische Landschaft und zugleich eine imaginäre. Budapest ist Wien ist Sarajevo. Die revolutionäre Stimmung könnte eine von 1918 oder von 1923 sein, sie könnte links oder protofaschistisch sein. Nemes lässt das alles bewusst im Vagen, und wenn er dann am Ende sogar noch den "Zauberberg" aufruft, eine weitere, kanonische Untergangschiffre (mit Irisz als neuem Hans Castorp), dann geht er doch zu weit ins Ungefähre.

Er macht in diesem Moment aber auch deutlich, was in den hundert Jahren seither mit den Künsten geschehen ist. Denn als Virtuosenstück ist "Sunset" zweifellos ein Höhepunkt des neueren Kinos: ein prächtiger Parcours (auf 35-mm-Material in goldenem Licht gefilmt) durch eine verschleierte Vergangenheit. Das Kino ist auch und gerade bei Nemes keine historiographische Kunst, sondern eine nach wie vor privilegierte Form, eine Welt der Vorstellung entstehen zu lassen.

Ähnlich wie Michael Haneke in "Das weiße Band" setzt Nemes auf einen forcierten Klassizismus, um an eine Bruchstelle der Moderne zu gelangen. Nur mit dem Unterschied, dass inzwischen auch der flackernde Blick von Irisz Leiter, die immer nur Bruchstücke sieht, uns wie ein Nachschein der Klassik erscheinen kann. Dass dieser Blick ins Leere fallen könnte, ist der Albtraum, gegen den László Nemes die ganze Macht des Kinos aufbietet.

BERT REBHANDL

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