14,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Sofort lieferbar
  • Broschiertes Buch

1 Kundenbewertung

Childerich von Bartenbuch, der schmächtige, doch zu unglaublichen Wutausbrüchen neigende Majoratsherr in Mittelfranken, hält sich - nicht ganz zu Unrecht - für einen Nachfahren der Merowinger. Gleichzeitig verfolgt er hartnäckig die Realisierung seiner Idee von der totalen Familie. Durch seine ungewöhnliche Heirats- und Adoptionspolitik gelingt es ihm, sein eigener Vater, Großvater, Schwiegervater und Schwiegersohn zu werden...

Produktbeschreibung
Childerich von Bartenbuch, der schmächtige, doch zu unglaublichen Wutausbrüchen neigende Majoratsherr in Mittelfranken, hält sich - nicht ganz zu Unrecht - für einen Nachfahren der Merowinger.
Gleichzeitig verfolgt er hartnäckig die Realisierung seiner Idee von der totalen Familie. Durch seine ungewöhnliche Heirats- und Adoptionspolitik gelingt es ihm, sein eigener Vater, Großvater, Schwiegervater und Schwiegersohn zu werden...
Autorenporträt
Als Heimito von Doderer am 5. September 1896 in Weidlingau bei Wien als Sproß einer wohlhabenden Architekten- und Ingenieursfamilie geboren wird, ist noch alles in Ordnung. Der doppelköpfige Adler hat noch viel Platz, seine Schwingen auszubreiten und der alte Kaiser Franz ist Herr über 46 Millionen Untertanen. Als der Fähnrich Ritter von Doderer 1920 jedoch aus sibirischer Gefangenschaft zurückkommt, ist die k.u.k. Herrlichkeit dahin, die Familie hat einen großen Teil ihres Vermögens eingebüßt. Entgegen den Wünschen des Vaters beschließt der Vierundzwanzigjährige Schriftsteller zu werden, nimmt jedoch in Wien ein Geschichts- und Psychologiestudium auf, das er mit der Promotion abschließt. 1938 erscheint der erste Roman: ¿Ein Mord den jeder begeht¿. Die Anerkennung als Schriftsteller bleibt ihm versagt - bis 1951, dem Erscheinungsjahr der ¿Strudlhofstiege¿. Um sich dem Mammutwerk zu nähern, empfahl Helmut Qualtinger einst folgenden Weg: den 'spannenden Krimi' ¿Ein Mord den jeder begeht¿(1938) zu Anfang, dann die ¿Kurz- und Kürzestgeschichten¿, des weiteren die ¿Dämonen¿ und schließlich die ¿Strudlhofstiege¿. In der Tat ist die Lebensgeschichte des Conrad Castiletz eine aufregende Erzählung, die in manchem auf das spätere Werk vorausweist: skurriles Personal, geschliffene Sprache, Zufälle und Unwahrscheinlichkeiten, die mit einer solchen Selbstverständlichkeit erzählt werden, daß selbst das Ungeheuerlichste plausibel erscheint. Auch wenn Doderer erst mit den nach 1951 erschienenen Büchern bekannt wurde, ist das Vorkriegswerk nicht weniger bedeutend. Unter anderem entstanden bis zum zweiten Weltkrieg die beiden Romane ¿Ein Umweg¿ (veröffentlicht 1940) und ¿Die erleuchteten Fenster oder Die Menschwerdung des Amtsrates Julius Zihal¿. Der Roman ¿Die Strudlhofstiege¿, das bedeutendste Werk Doderers, ist für den mittlerweile 55-jährigen der schriftstellerische (und somit finanzielle) Durchbruch, dem offizielle Ehrungen folgen. Die Jugendstiltreppe im IX. Bezirk ist geographischer Mittelpunkt einer Beschreibung der Wiener Gesellschaft zwischen 1910 und 1925. Der souverän gearbeitete Erzählteppich faßt die unterschiedlichsten Lebensstränge in pralle Bilder und köstliche Geschichten zusammen. Mit zum Teil denselben Figuren schrieb Doderer diese österreichische "chronique scandaleuse" in den fast 1400 Seiten umfassenden 'Dämonen' (1956) weiter. Dostojewskij frech herbeizitierend ist der in den späten zwanziger Jahren spielende Roman auch eine Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Ideologie. In beide Romane sind all die Turbulenzen eingegangen, die Doderer in den vergangenen Jahrzehnten erlebt hat: seine seelischen, sexuellen und politischen. Zu ihnen zählt die spannungsreiche Beziehung zu Gusti Hasterlik, der Kampf gegen den cholerischen Vater, der 'barbarische Irrtum', wie er später sagte, in der NSDAP einen gesellschaftlichen und politischen Ort finden zu können, den er 1940 mit der Konversion zum Katholizismus wettzumachen versucht. All dem wohnt der Wunsch inne, 'ein Mensch zu werden', sich von den inneren und äußeren Fesseln zu befreien, seinem literarischen Generalthema. 'Mein Leben: eine Schachtel, in die ich verpackt war, aus der ich mich herausgenommen habe.' So schrieb auch: 'Mein eigentliches Werk besteht, allen Ernstes, nicht aus Prosa oder Vers: sondern in der Erkenntnis meiner Dummheit.' Die Heirat 1952 mit Maria Thoma war Ausdruck des nächsten Schritts: sich selbst Form und Ordnung zu geben. Bei ihr im niederbayerischen Landshut lebte er jedoch nur in Abständen, um zu arbeiten, ansonsten blieb er in Wien, der Stadt, die ihm literarischer Rahmen geworden war. Grotesker Familienroman und Totalitarismuskritik in einem ist sein komischstes Werk: 'Die Merowinger' von 1962. Krönender Abschluß des Lebenswerks sollte der vierteilige 'Roman No. 7' sein. Zu Lebzeiten erschienen ist nur der erste Teil: die Vater-Sohn-Geschichte 'Die Wasserfälle von Slunj' (1963), die dem Literarischen Quartett im Doderer-Gedächtnisjahr 1996 eine Empfehlung wert war. Am 23. Dezember 1966 starb er in einem Wiener Krankenhaus an Darmkrebs, Folge seiner Alkoholexzesse - 'Der Tod steht am Rande unseres Lebens und blickt in dieses hinein. Er umrandet unsere Existenz.' (Aus dem Tagebuch vom 6. April 1964). Thomas Zirnbauer
Rezensionen
"Ein Roman, der profundes Geschichtswissen des Autors, Zeitkritik und -analyse und barocke Schnurren höchst amüsant vereinigt."
(Oberösterreichische Nachrichten)

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.03.2006

DAS HÖRBUCH
Wie man sein eigener Vater wird
Gotteskomplex: Bernd Jeschek liest Heimito von Doderer
Die applizierte Nasenzange ähnelt einem kleinen, auf der Nase sitzenden Schmetterling. Ihre Wirkung ist jedoch hornissenhaft. Schon leichtes Ziehen an der Zangenschnur lässt drei scharfe Nadeln tief in die Nase dringen, „wodurch sich auch schwerst tobende Individuen mühelos bändigen” lassen. Die Nasenzange, erfunden vom Wiener Nervenarzt Prof. Horn, ist ein therapeutisches Sedativ, besonders gegen den Jähzorn.
So grob das Mittel erscheinen mag - es ist ein bescheidenes Remedium gegen die beim Nichtigsten lostobende Wut von Horns bedeutendstem Patienten, des fränkischen Barons Childerich III. von Bartenbruch (geb. 1890). Childerichs Prügelungen des Hofpersonals sind noch sanftes Gemütskräuseln gegen sein Lebensziel, das auf Seelenverknotungen schließen lässt, vor denen alle pathologische Diagnostik versagen muss: Die Idee der „familiären Totalität”. Ihre Umsetzung beginnt der Baron, als er die junge Witwe seines Großvaters heiratet; ihr folgt, nach den nötigen Trauerfällen, seine junge Stiefmutter. Diese Partien machen Childerich sozusagen zu seinem eigenen Vater und Großvater - und man erahnt, wie sich über weitere Ehen, Adoptionen etc. Childerichs Häufung „familiärer Chargen” zum unüberblickbaren dynastischen Zentralismus bauscht - „man nennt es schwerlich mehr mit Recht Familie. Es ist die Welt. Die Welt, und ich ihr Vater”! Das ist schon eine Art Wotans- oder Gotteskomplex.
Jeder vernünftige Leser wird nun den größten Irrsinn in dieser Geschichte ihrem Autor bescheinigen wollen: Heimito von Doderer, der Childerich III. zur Zentralfigur in „Die Merowinger” (1962) macht. Der Roman erzählt vom Untergang der letzten Linie des frühmittelalterlichen Geschlechts im 20. Jahrhundert, wo der in Childerich geballte Wahn von anderthalb Jahrtausenden ein vernichtendes modernes Echo in der Firma „Hulesch & Quenzel Ltd” findet, die beispielsweise „Nähnadeln ohne Öhren” oder „Pneumatische Untertassen. Haften einige Sekunden an der Teetasse” vertreibt, also dafür sorgt, dass uns das Le-ben als „Werk von zehntausend Teufeln kleinsten Formats” vorkommt.
Ein Mordsblödsinn
Es stimmt schon, Doderer macht da zur Hauptsache, was er in „Die Strudelhofstiege” und „Die Dämonen” randständig lässt - das Obsessive, Sadistische, Zufällige - und zwar in einer Art und Weise, der Worte wie „komisch” oder „skurril” nur bis zum Knöchel reichen. „Die Merowinger” hauen einen einfach um. Das Buch aber nur als Megawahnwitz zu sehen, wäre falsch. Auch das brave Tantchen Ironie spielt nur nebenher mit, gleichwohl „Die Merowinger” den Historienroman, die gesamte Psychotherapeutik, Wagners „Ring” etc. parodieren. Nein, das Werk ist einer der raren Fälle, in denen das Komische nicht nur die zweite Juxgeige neben der Realität spielt. Hier gehört die bizarre Verschraubung zum Wesen des Erzählens, welches Seltsamkeit für selbstverständlich nimmt und immer höher windet, in eine fast unheimliche Sphäre des universell Komischen hinein - in der man vergeblich aufs plumpe Aufplatzen der Scherze lauscht.
Auf diese Spannung hin ist der Aber-witz angelegt. Wenn der Baron das „Klystieren” als Ritual mit viel Gesinde pflegt, zieht die Schilderung ihren brenzligen Reiz gerade aus der Umschiffung des Vulgären. „Und dass auf Bartenbruch Jagdgäste zwangsweise klystiert worden seien, ist glatter Unsinn, den einige junge Herren aus Lausbüberei in Umlauf gesetzt haben.” Das spricht es aus: Doderers Witz bleibt indirekt, umläufig, noch in den unzimperlichsten Einfällen ruht seine Prosa in eleganter Gelassenheit, ja Umständlichkeit - als Schutz, gewissermaßen als Nasenzange vor dem Schreckenskern der Geschichte: der Wut.
„Die Wut ist die katastrophalste Form der Apperzeptionsverweigerung, welchletzere ja sonst nur in den vielhunderten Formen der Dummheit umherschleicht." Wer so schreibt, meint es ernst. Deshalb steht in diesem „Mordsblödsinn” (Doderer) kein dummer Satz. Der „alles zerfressenden Lächerlichkeit” zur Wehr hat Doderer eine vollkommen zur Kunst gewordene Komik entworfen.
Ein Schaupieler, der so etwas in toto einzulesen wagt, steht im Verdacht der Überzeugungsstat. Bernd Jeschek bestä-tigt ihn aufs Schönste, nämlich in stiller Anverwandlung an die Gelassenheit, in die Doderer seine Erzählwucherung bettet - es schreibt ja ein Moderner, sich selbst kommentierend, fußnotenweise parodierend, Reden in Verse setzend. Jeschek fistelt, piepst und brüllt die Figuren famos, und Childerichs Groll ist in den archaischen Reibeisen-Konsonanten seines Kärtner Idioms wie zuhause. Die Liebe zum Buch aber hört man Jeschek anders an: Im dezenten, genauen Ton, im trockenerdigen Klang, der Doderer in jede exquisite Absurdheit folgt, ohne sich je zu wundern oder sich, Pointen auslöffelnd, vor den Text zu spielen. Mit der Zeit erst spürt man die Kunst in Jescheks Zurückhaltung, die „Die Merowinger” in ihrer ganzen niederstreckenden Komik hörbar macht. Nur das Glockenspiel bei Hulesch & Quenzel - im Text stehen die Noten gedruckt - das hätte man auch gern noch gehört! WILHELM TRAPP
HEIMITO VON DODERER: Die Merowinger oder Die totale Familie. Gelesen von Bernd Jeschek. Preiser Records, Wien 2006, 10 CDs, 740 min., 49,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr
»Tolldreiste Komik.« NEUE ZÜRCHER ZEITUNG