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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.11.2011

Spuk im Spülwasser

Wann hört ihn endlich jemand? Niels Frevert, ein Großer im deutschen Pop, pirscht sich heran mit einem Album zwischen Gospel und Gespenstern.

Es schlägt Mitternacht über den Sümpfen": Das ist ein Einstieg für einen Song aus der Norddeutschen Tiefebene, und genauso ulkig geht es weiter: "Du gehst mit deinem Spaten voran / Und ich in nassen Strümpfen." Man hört dazu eine glockenklare Westerngitarre in den höheren Bünden und ein Stampfschlagzeug, das klingt, als hätte es etwas länger in der Scheune gestanden. Niels Frevert ist wieder am Werk, unverkennbar dann, als er singt: "Irgendwas klopft von innen an die Kiste."

Die grotesk-gespenstische Szene wirkt nicht beängstigend, sondern erstaunlich heiter und läuft auf einen Refrain hinaus, der den nächtlichen Ausflug von der wörtlichen auf die metaphorische Ebene hebt und noch dazu von einem Gospelchor beflügelt wird, wie man ihn selten in der hiesigen Popmusik gehört hat. Die Botschaft ist eigentlich eine ganz einfache, aber eben nicht alle sagen "I love you", wie einmal behauptet wurde, sondern manche auch: "Ich würd dir helfen, eine Leiche zu verscharren, wenn's nicht meine ist."

Die Poetik der gemischten Botschaft und das Umdrehen der Worte im Munde sind schon länger die Sache des hanseatischen Liedermachers, der nun sein viertes Soloalbum vorlegt. Es ist schön zu sehen, wie sich bei ihm gewisse Linien immer weiter durchziehen und langsam eine Art Werkstruktur hervorscheint. Immer wieder entpuppt sich die in den Liedern geschilderte Außenwelt als Seelenlandschaft. Die neue Platte ist zudem eine Bestätigung des Vorgängeralbums "Du kannst mich an der Ecke rauslassen", das eine vorsichtige Abkehr von der Rockmusik einleitete und Frevert als einen der wenigen zeitgenössischen deutschen Popsänger von lyrischem Format erwiesen hat.

Vor allem aber hat er gleichsam spielend etwas ganz Besonderes erreicht: Unter den vielen, die heute auf Deutsch singen, ist Frevert einer der ganz wenigen, die nicht mit einer affektierten Falschbetonung gegen diese Sprache zu Felde ziehen - die verheerenden Folgen kann man bei fast jeder Newcomerband mit Grausen hören. Sondern er schafft es, seine normale Sprachmelodie beinahe unmerklich ins Singen zu steigern, in Sätzen und Zeilen, die man kaum für singbar halten würde: "Jemand steigt in die U-Bahn / In einem dünnen Kostüm / Aus Nerven, denkt der eine / Und der andere: Ach nee, sind ja Federn!"

Einigermaßen rätselhaft klingt auch der neue Albumtitel, "Zettel auf dem Boden". Doch verbirgt sich dahinter durchaus kein zufälliges Sammelsurium, sondern ein Werk aus einem Guss, das ruhig und besonnen losgeht, bald an Tempo zulegt und sich langsam zu großen Melodien hochschraubt, getragen auch von Streichern und Wurlitzerorgel, um dann, wie immer bei Frevert, sehr nachdenklich auszuschwingen. Ihm gelingt es wirklich mit jeder Platte, den Hörer ganz aus der Welt zu werfen und am Ende ein Gefühl großer Leere zu erzeugen, bevor man wieder zurückmuss. In der Mitte ist auch wieder eine überraschende Coverversion darauf, nicht von Hildegard Knef dieses Mal, sondern von Hermann Van Veen. Frevert ist so standfest, dass er auch dieses Stück sich ganz zu eigen macht. "Bis jemand mich hört" ist eine Parabel auf die Rolle des Sängers oder Dichters in der Gesellschaft, die, ohne wehleidig zu wirken, auch ein bisschen die Frage aufwirft, wann denn jemand wie Frevert endlich mehr gehört wird.

Denn es ist schon sonderbar, wie sich hierzulande immer noch sehr viele Musikhörer an die seit Jahrzehnten bekannten "großen Namen" deutscher Popmusik zu klammern scheinen, obwohl diese Künstler großenteils wirklich nicht mehr viel zu singen oder zu sagen haben. An mangelnder Zugänglichkeit kann es nicht liegen: Niels Frevert klingt leicht wie der Wind, auch wenn ein paar sonderbare Zettel darin wehen - oder eine "Postkarte mit Grüßen aus dem Jenseits", wie es in dem traurigen Lied "Blinken am Horizont" heißt.

Dann gibt es noch ein Stück, das "Zürich" heißt, und die Refrainzeilen darin hören sich ziemlich verboten an: "Du rufst mich an in der Nacht / Was hast Du mit mir gemacht". Solche darf doch nur Peter Maffay singen, oder? Das Verrückte ist, dass selbst sie sich der Sprachmelodie wiederum so gut anpassen, dass man es als schmerzlich schön empfindet. Erzählt wird die Geschichte eines geplatzten Auftritts in der hier ziemlich abweisend wirkenden Stadt, in welcher nicht nur die Gage, sondern auch die Übernachtungsmöglichkeit wegfällt. Es endet mit einer Runde Pingpong im Aufenthaltsraum der Jugendherberge. Wie man aus der Ferne wieder nach Hause kommt, so kehrt aber auch das Album thematisch in die gute Stube zurück, und die ruhiger werdende Musik geht damit einher, bis schließlich nur noch Gesang und Gitarre übrig sind.Verbunden ist dieser Rückzug bei Frevert stets mit einem bestimmten Ort: Man wird das Gefühl nicht los, dass er zu jener Gruppe von Menschen gehört, die, wann immer es geht, ihre Zeit allein in der Küche verbringen. Das ist auch wieder so ein Thema bei ihm: Schon beim ersten Soloalbum (1997) klang die Rede vom "ewigen Abwasch" noch recht prosaisch - bis aus diesem plötzlich ein "sprechendes Messer" auftauchte.

Das aufblitzend wahnhafte Erleben, der kleine Spuk im Spülwasser führt nun in eine viel tiefere Traumwelt, die sich halb einladend, halb abgründig jenseits der Küche ausbreitet und im Lied kartographiert wird: "Unter der Spüle hinter Abwasch-Schwämmen, Glühbirnen und Waschmittel / Liegt verborgen der Weg zum Gasthof am Küchensee / Auf der Auffahrt keine Reifenspuren, der Pfad führt ums Haus herum / Der Kies knirscht leise zwischen den Zehen unterm Steg am Küchensee." Man würde hier gern einkehren. Niels Frevert hat den Weg frei gemacht.

JAN WIELE

Niels Frevert:

Zettel auf dem Boden

Tapete Records (Indigo)

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