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Text und Kommentar in einem Band. In der Suhrkamp BasisBibliothek erscheinen literarische Hauptwerke aller Epochen und Gattungen als Arbeitstexte für Schule und Studium. Der vollständige Text wird ergänzt durch anschaulich geschriebene Kommentare.

Produktbeschreibung
Text und Kommentar in einem Band. In der Suhrkamp BasisBibliothek erscheinen literarische Hauptwerke aller Epochen und Gattungen als Arbeitstexte für Schule und Studium. Der vollständige Text wird ergänzt durch anschaulich geschriebene Kommentare.
Autorenporträt
Gert Ledig wurde am 04.11.1921 in Leipzig geboren, wuchs in Wien auf und meldete sich mit 18 Jahren freiwillig zur Wehrmacht. Vor Leningrad wurde er 1942 mehrfach verwundet und kehrte von der Front nach Süddeutschland zurück. Ledigs erstes Buch Die Stalinorgel erschien 1955. Er starb 1999 in Landsberg am Lech.  Florian Radvan lehrt Literaturdidaktik an der Ruhr-Universität Bochum. In seinen Veröffentlichungen hat er sich u. a. mit schülerorientierten Kommentaren und allgemein mit der Rezeption von literarischen Texten in der Schule befasst. Zahlreiche Publikationen, u. a. zu Peter Weiss, Gert Ledig, Friedrich Hebbel und Conrad Ferdinand Meyer.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.10.1999

Späte Vergeltung
Der kommende Roman Deutschlands ist vierzig Jahre alt

Als der gelernte Elektrotechniker und Schiffbauingenieur Gert Ledig Anfang Juni diesen Jahres im Alter von siebenundsiebzig Jahren in Landsberg am Lech starb, stand ihm der Schriftsteller, der er vor Jahrzehnten gewesen, noch einmal vor Augen. Dieser verschollene Schriftsteller, der nun plötzlich im Herbstprogramm 1999 des Suhrkamp Verlages wieder auftauchte, war im Sommer 1942 bei den Kämpfen um Stalingrad geboren worden, kehrte wenig später mit zerschmettertem Unterkiefer nach Deutschland zurück und erlebte dort, im süddeutschen Raum, die Luftangriffe der Alliierten in den beiden letzten Kriegsjahren. Der Schriftsteller im Schiffbauingenieur brauchte danach einige Jahre, bis ihm zu Bewusstsein kam, dass er einer war. Dann aber war er sogleich erwachsen und machte sich an die Arbeit.

In "Stalinorgel" (1955) erzählte er vom Kampf um die Höhe 318 vor Leningrad, in "Vergeltung" (1956) vom Bombardement einer anonymen deutschen Stadt durch ein amerikanisches Geschwader, in "Faustrecht" (1957) vom Überfall deutscher Kriegsheimkehrer auf einen amerikanischen Jeep. Vor allem mit dem ersten Roman dieser Trilogie hatte der Schriftsteller beträchtlichen, sogar internationalen Erfolg. Dann aber wurden die Kritiken immer schlechter, und trotz respektvoller Würdigungen, etwa durch Günter Eich oder Siegfried Lenz, geriet er ins Abseits. Enttäuscht gab er die Literatur auf und verschwand wieder im Schiffbauingenieur.

Als Ende 1997 der in England lebende deutsche Schriftsteller W. G. Sebald in seinen Zürcher Poetikvorlesungen beklagte, die Bombardierung deutscher Städte sei als literarisches Thema weitgehend tabuisiert und zu einer Spukexistenz im kollektiven Unbewussten der Deutschen verdammt worden, war der Schriftsteller Gert Ledig noch verschollen. Aber in der älteren Generation gab es Leser, die sich an ihn erinnerten. So der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki. Er hatte damals, noch in Warschau, den Roman "Vergeltung" begutachtet und ebenso nachdrücklich wie vergeblich für eine Übersetzung ins Polnische plädiert. Zu groß waren die Bedenken, die Hauptwirkung des Buches könne Mitleid mit den Deutschen sein. Das Argument kehrte in den Diskussionen des Jahres 1998 über W. G. Sebalds These vom Luftkrieg als blindem Fleck der Nachkriegsliteratur wieder: Die Scham, die diesem Mangel zugrunde liege, sei wertvoller als alle Literatur, die aus der Selbstwahrnehmung der Deutschen als Opfer hätte hervorgehen können. Und im Übrigen sei der Mangel so groß nicht. Zahlreiche Gegenbeispiele über Hans Erich Nossacks Darstellung der Zerstörung Hamburgs und Alexander Kluges Rekonstruktion des Angriffs auf Halberstadt hinaus wurden zusammengetragen. So war der Mangel, von dem Sebald sprach, entweder historisch-moralisch gerechtfertigt oder er hatte sich historisch-philologisch verflüchtigt.

Die literarische Tradition, die gegen Sebalds These aufgeboten wurde, war in weiten Teilen eine verschüttete Tradition. Dadurch, dass man sie ausgraben musste, konnte er sich bestätigt fühlen. Nun liegt der Roman "Die Vergeltung" des ehemaligen Schriftstellers Gert Ledig wieder vor. Der Literaturredakteur Volker Hage hat ihn, dem Hinweis Reich-Ranickis folgend, ausfindig gemacht und als der S. Fischer Verlag, in dem er ursprünglich erschienen war, kein Interesse zeigte, den Verlag Suhrkamp für eine Neuauflage gewonnen. Im Nachwort erzählt er von seiner Begegnung mit dem am Ammersee lebenden Autor im Oktober 1998 und von der überraschten Umständlichkeit, mit der er den Nachlass des verschollenen Schriftstellers hervorkramte.

Dieser Roman ist ein Meteor. Er belegt beides zugleich: dass es den Roman zum Luftkrieg in der Nachkriegszeit gab - und warum ihm kein großer Erfolg beschieden war. Wer sich vom parataktisch geknüpften Seil der Sätze in ihn hineinziehen lässt, hat bald den Eindruck, dieses Buch müsse damals von einem anderen Stern nach Deutschland hinabgefallen sein. Denn dort war im Jahre 1956 der Ton, in dem von den Schrecken des Krieges erzählt wurde, längst festgelegt. Nahezu unangefochten beherrschte der müde, desillusionierte, an Gott und der Welt verzweifelnde Heimkehrer die Ruinenfelder. Der Bankrott der humanistischen Werte wurde dabei, von Wolfgang Borchert bis Heinrich Böll, von Figuren verkündet, für die ihre Autoren sich Zeit nahmen.

Ebendas ist in der "Vergeltung" nicht der Fall. Auch hier gibt es die Sätze über den Gott, der nicht da ist, und die Einsicht: "Vaterland, Heldentum, Tradition, Ehre sind Phrasen." Aber den Heimkehrern und Überlebenden ist das Heft aus der Hand genommen. Die Zahl der Zerrissenen und Krepierten übersteigt schnell die der Seiten. Es herrscht nicht der symbolische, sondern der serielle Tod. Zu Recht mochte ein damaliger Rezensent nur "mechanisch und stereotyp, wie mit Werg ausgestopfte Puppen" erkennen. Die harte, amerikanische Prosa mit ihren sarkastisch-rhetorischen Verdichtungen war noch zu fremd, der Roman über den Luftkrieg als Serienkiller musste gewollt, plakativ, reißerisch wirken. Als verzweifelte Dokumentarliteratur wird er erst jetzt lesbar. Und als erfolglose Alternative zur heimlichen Frömmigkeit der Heimkehrerliteratur: "Die Vergeltung verrichtete ihre Arbeit. Sie war unaufhaltsam. Nur das Jüngste Gericht. Das war sie nicht."

LOTHAR MÜLLER

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»Wer der Illusion nachhängt, dass es einen guten Krieg gibt - der lese dieses Buch. Wer glaubt, es könne in einem Krieg irgendwie gelingen, unschuldig zu bleiben, weil man doch so gute Absichten habe - der lese es auch. ... Das Buch ist Pflichtlektüre.« Heribert Prantl Süddeutsche Zeitung 20220320