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Am 6. April 1967 hielt Theodor W. Adorno auf Einladung des Verbands Sozialistischer Studenten Österreichs an der Wiener Universität einen Vortrag, der aus heutiger Sicht nicht nur von historischem Interesse ist. Vor dem Hintergrund des Aufstiegs der NPD, die bereits in den ersten beiden Jahren nach ihrer Gründung im November 1964 erstaunliche Wahlerfolge einfahren konnte, analysiert Adorno Ziele, Mittel und Taktiken des neuen Rechtsradikalismus dieser Zeit, kontrastiert ihn mit dem »alten« Nazi-Faschismus und fragt insbesondere nach den Gründen für den Zuspruch, den rechtsextreme Bewegungen…mehr

Produktbeschreibung
Am 6. April 1967 hielt Theodor W. Adorno auf Einladung des Verbands Sozialistischer Studenten Österreichs an der Wiener Universität einen Vortrag, der aus heutiger Sicht nicht nur von historischem Interesse ist. Vor dem Hintergrund des Aufstiegs der NPD, die bereits in den ersten beiden Jahren nach ihrer Gründung im November 1964 erstaunliche Wahlerfolge einfahren konnte, analysiert Adorno Ziele, Mittel und Taktiken des neuen Rechtsradikalismus dieser Zeit, kontrastiert ihn mit dem »alten« Nazi-Faschismus und fragt insbesondere nach den Gründen für den Zuspruch, den rechtsextreme Bewegungen damals – 20 Jahre nach Kriegsende – bei Teilen der bundesdeutschen Bevölkerung fanden.

Vieles hat sich seitdem geändert, manches aber ist gleich geblieben oder heute, 50 Jahre später, wieder da. Und so liest sich Aspekte des neuen Rechtsradikalismus wie eine Flaschenpost an die Zukunft, deren Wert für unsere Gegenwart Volker Weiß in seinem Nachwort herausarbeitet.


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Autorenporträt
Theodor W. Adorno wurde am 11. September 1903 in Frankfurt am Main geboren und starb am 06. August 1969 während eines Ferienaufenthalts in Visp/Wallis an den Folgen eines Herzinfarkts. Von 1921 bis 1923 studierte er in Frankfurt Philosophie, Soziologie, Psychologie und Musikwissenschaft und promovierte 1924 über Die Transzendenz des Dinglichen und Noematischen in Husserls Phänomenologie. Bereits während seiner Schulzeit schloss er Freundschaft mit Siegfried Kracauer und während seines Studiums mit Max Horkheimer und Walter Benjamin. Mit ihnen zählt Adorno zu den wichtigsten Vertretern der »Frankfurter Schule«, die aus dem Institut für Sozialforschung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt hervorging. Sämtliche Werke Adornos sind im Suhrkamp Verlag erschienen.

Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Am interessantesten findet Rezensent Thomas Assheuer an Adornos Ausführungen das sozialpsychologische Element. Viel freier, als es heutige Soziologen wagten, schließe Adorno das "kollektive Imaginäre" in seine Reflexion ein. Es ist nicht die Deklassierung, sondern bereits die Angst vor der Deklassierung, so Assheuer mit Adorno, die anfällig mache für Einflüsterungen der Rechtsextremen. Es ist die "innere Vorwegnahme", die das Befürchtete dann als "erlösendes Unheil" (so Adornos Vokabel) erscheinen lasse. Etwas verschmockter klingt, was Adorno über die nach wie vor bestehenden Voraussetzungen des Faschismus in der Gesellschaft schreibt, die Adorno in den "herrschenden Konzentrationstendenzen des Kapitals" erkennt - aber auch damit ist Assheuer völlig einverstanden. Am Ende erklärt Assheuer dann noch den "rechten Affekt gegen Linksintellektuelle" zu Antisemitismus und weiß sich hier ebenfalls mit Adorno einig.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.07.2019

Kraft
der
Vernunft
1967 hielt Theodor W. Adorno
einen Vortrag über die NPD.
Der nun neu veröffentlichte Text
liest sich, als wäre er
für die heutige politische
Lage geschrieben
VON JENS-CHRISTIAN RABE
Der Suhrkamp-Verlag hat sich endlich der Aufgabe angenommen, die Vorträge herauszugeben, die Theodor W. Adorno, Philosoph und Mitbegründer der Kritischen Theorie, in den Fünfziger- und Sechzigerjahren für ein allgemeines Publikum zu aktuellen Themen aller Art gehalten hat, im Radio, bei Fortbildungen, in Kulturhäusern. Ein erster echter Coup ist dabei der am 6. April 1967 auf Einladung von Studenten im Neuen Institutsgebäude der Wiener Universität gehaltene Vortrag „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“. Verblüffend oft hat man den Eindruck, dass das, was dort steht, nicht vor einem halben Jahrhundert gedacht worden ist, sondern gerade eben erst. Abgesehen allerdings vom – auch immer etwas naiven – Schock, dass aktuelle politische Probleme so aktuell nun auch wieder nicht sind und manch Vernünftiges dazu schon vor langer Zeit gesagt worden ist, abgesehen davon schärft er den Blick für ein Phänomen, das heute selten beim Namen genannt wird, obwohl es so dringend nötig wäre wie lange nicht.
Anlass von Adornos Wiener Ausführungen sind die Erfolge der rechtsradikalen NPD. Nach ihrer Gründung im November 1964 war es ihr in kurzer Zeit gelungen, in die Landesparlamente in Hessen, Bayern, Bremen, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Schleswig-Holstein einzuziehen. Es erschien gut vorstellbar, dass es der ausdrücklich antiliberalen, völkisch-revanchistischen Partei bei der Bundestagswahl 1969 gelingen könnte, auch in den Bundestag gewählt zu werden. Die AfD ist nun nicht die NPD (der der Einzug in den Bundestag schließlich doch nie gelang), aber sie ist dafür längst mit einer beunruhigend großen Fraktion im Bundestag – und nach den Ereignissen der vergangenen Wochen steht zu befürchten, dass es dem Flügel um Björn Höcke, den Vorsitzenden der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag, gelingt, aus einer mehr oder weniger noch bürgerlich-rechtskonservativen doch eine rechtsradikale Partei zu machen. Die Veröffentlichung des Adorno-Vortrags zum neuen Rechtsradikalismus erscheint also gerade auf gespenstische Weise noch viel punktgenauer, als es sich die Verantwortlichen bei Suhrkamp erhofft haben dürften.
Am Anfang steht die berühmt-berüchtigte These Adornos, die er knapp zehn Jahre zuvor entwickelt hatte, in seinem auf einer Erzieherkonferenz präsentierten Vortrag „Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit“. Sie lautet: Die gesellschaftlichen Voraussetzungen des Faschismus bestehen nach wie vor fort. Wobei er dabei nicht an manifeste politische oder personelle Strukturen denkt, sondern – gut marxistisch-materialistisch – an die „Konzentrationstendenz des Kapitals“. Eben diese Tendenz bedeute schließlich die „Möglichkeit der permanenten Deklassierung von Schichten, die ihrem subjektiven Klassenbewußtsein nach durchaus bürgerlich waren“ und ihren Status eigentlich behalten, wenn nicht sogar verbessern wollen. Wer denkt da im 21. Jahrhundert nicht auch sofort an die großen Digitalkonzerne und ihre Macht, ganze Geschäftsmodelle mit einer kleinen Algorithmus-Änderung vernichten zu können?
Auch das an die wirtschaftliche Konzentration gebundene „Gespenst der technologischen Arbeitslosigkeit“, wie es Adorno im Vortrag nennt, ist leider längst nicht nur ein Klassiker der kritischen Gesellschaftsanalyse, es scheint vielmehr realer denn je, in Zeiten, in denen die Forschung bei Robotik und künstlicher Intelligenz bislang unvorstellbare Fortschritte macht. Adorno spricht davon, dass es längst so weit sei, dass auch die „Menschen, die im Produktionsprozeß drinstehen, sich bereits als potentiell überflüssig“, als „potentielle Arbeitslose“ fühlten.
Der Weg nach rechts sei für diese Menschen wiederum kürzer als nach links, weil sie erfahrungsgemäß „die Schuld an ihrer eigenen Deklassierung nicht etwa auf die Apparatur, die das bewirkt habe“, schöben, sondern auf diejenigen, die dem System, in dem sie einmal Status besessen haben, kritisch gegenüberstanden. Was beschriebe konziser den Niedergang der SPD in der Gegenwart?
Auch die Analyse der ideologischen Macht des Nationalismus, die sich heute die AfD und ihre europäischen Verwandten systematisch zunutze machen, ist erschreckend gültig. In der Tatsache seiner Überholtheit in einer internationalisierten Welt sieht Adorno keine Schwäche, sondern unnachahmlich lakonisch die eigentliche Stärke des Nationalismus: Es sei schließlich so, dass „Überzeugungen und Ideologien gerade dann, wenn sie eigentlich durch die objektive Situation nicht mehr recht substanziell sind, ihr Dämonisches, ihr wahrhaft Zerstörerisches annehmen“. Es sei kein Zufall, dass die Hexenprozesse in der Zeit der Gegenreformation stattgefunden hätten. Dieses Moment, das man vielleicht zwangsläufige Selbstradikalisierung nennen kann, ist im Vortrag scharfsinnig beschrieben als das „Angedrehte, sich selbst nicht ganz Glaubende“, wobei der Zweifel es dann wieder nötig mache, „ihn zu überspielen, damit man ihn sich selbst und anderen gleichsam einredet“. Es passt auch gut zum Adorno-Wort in den „Minima Moralia“, nach dem der Deutsche kein Mensch sei, der eine Lüge aussprechen könne, ohne sie sich selbst zu glauben.
Der wegen ihrer vermeintlichen Kompliziertheit und Unproduktivität viel geschmähten Dialektik Adornos kann man an Stellen wie diesen ganz einfach bei der Arbeit zusehen, auch das ist kein geringes Verdienst der Veröffentlichung der „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“, dem später weitere neue alte Vorträge Adornos folgen sollen, von denen bislang nur Notizen und Tondokumente vorlagen. Unmittelbarer als in den sagenumwobenen Hauptwerken ist in ihnen zu sehen, dass Adorno selbst die Dialetik nicht als hermetische Theorie und klügelnde Spielverderberei verstand, sondern als praktische Methode zur „Verflüssigung geronnener Gegensätze“, um „am eigenen wie am anderen des kritischen Gedankens mächtig“ zu bleiben, wie es etwa in „Kultur und Culture“ heißt, seinem spektakulär ausgewogenen Vergleich des deutschen mit dem amerikanischen Kulturbegriffs.
Im Fall der „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“ bedeutet Adornos Dialektik entsprechend auch, dass er es sich nie leicht macht mit seinen Urteilen. Noch viel mehr als die Detailanalysen des Vortrags erscheint seine Methode so aktuell und notwendig wie damals, wenn er sich etwa dagegen verwahrt zu glauben, dass bloß die Unbelehrbaren zum Rechtsradikalismus neigten, oder mahnt, nicht zu schematisch zu denken, die Industrie forciere den Faschismus. Das wäre falscher bürgerlicher Trost. Eher müsse verstanden werden, dass rechtsradikale Bewegungen so etwas wie Wundmale seien, „Narben einer Demokratie“, die „ihrem eigenen Begriff eben doch bis heute noch nicht voll gerecht“ werde.
Neben der Methode und der Alterslosigkeit vieler Beobachtungen bleibt nach der Lektüre vor allem zweierlei, dessen Notwendigkeit derzeit kaum zu überschätzen ist. Zuerst muss der politischen Kommunikation der neuen Rechten ihr alter Name zurückgegeben werden: Propaganda. Die Tricks der NPD, die Adorno im letzten Drittel genüsslich seziert, sind die unserer neuen Rechtspopulisten: Konkretismus (Protzerei mit Kenntnissen, die sich schwer kontrollieren lassen), plumpe Lügen, „Salami-Methode“ (pseudowissenschaftliche Pedanterie zur Delegitimierung von Fakten), und die Monopolisierung des vermeintlich Volkseigenen, um alle Gegner als Feinde des Volkes erscheinen zu lassen.
Und dann ist da noch der gar nicht kritisch verhärmte Hinweis, den Rechtsradikalismus nicht als Naturkatastrophe zu betrachten. In einer solchen Haltung stecke ein viel zu „zuschauerhaftes Verhältnis zur Wirklichkeit“. Es gelte vielmehr, sich zu stellen, aber nun nicht „Lüge gegen Lüge“ zu setzen oder zu versuchen, „genauso schlau wie er zu sein“, sondern mit der „durchschlagenden Kraft der Vernunft“ entgegenzuarbeiten. Kann man es zuversichtlicher, kraftvoller, aktueller sagen?
Nebenbei erklärt der Text
konzise den Niedergang der
SPD in der Gegenwart
Rechtsradikale Bewegungen
seien die „Narben
einer Demokratie“
Die Menschen auf dem Weg nach rechts fühlten sich „potenziell überflüssig“, warnte Theodor W. Adorno.
Foto: Max Scheler/SZ Photo
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»Die sozialpsychologischen Erklärungen, die Adorno für die NPD anführt, greifen heute für die AfD. Der große Schmu ist der gleiche.« Jens Uthoff taz. die tageszeitung 20191207