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Eine lückenlose Überwachung von Post und Telefon, ein Spitzel in jeder Kneipe, die Verstrahlung von Oppositionellen - es gibt nur wenig, was man der Stasi nicht zutraut. Doch was konnten Mielkes Männer wirklich?
Dass sie alles wussten, mithörten und kontrollierten, vermuteten viele Menschen in der DDR. Die Stasi selbst schürte diesen Mythos, um den Anpassungsdruck zu erhöhen. Nach 1989/90 ist das MfS zudem regelrecht dämonisiert worden. Ließ sich die Verantwortung für die SED-Diktatur auf diese Weise doch bequem auf einer einzigen ihrer Säulen abladen. Ilko-Sascha Kowalczuk erzählt in…mehr

Produktbeschreibung
Eine lückenlose Überwachung von Post und Telefon, ein Spitzel in jeder Kneipe, die Verstrahlung von Oppositionellen - es gibt nur wenig, was man der Stasi nicht zutraut. Doch was konnten Mielkes Männer wirklich?

Dass sie alles wussten, mithörten und kontrollierten, vermuteten viele Menschen in der DDR. Die Stasi selbst schürte diesen Mythos, um den Anpassungsdruck zu erhöhen. Nach 1989/90 ist das MfS zudem regelrecht dämonisiert worden. Ließ sich die Verantwortung für die SED-Diktatur auf diese Weise doch bequem auf einer einzigen ihrer Säulen abladen. Ilko-Sascha Kowalczuk erzählt in diesem Buch die Geschichte der Stasi, zeigt, wer ihre Gründer waren und hinterfragt manche der scheinbaren Gewissheiten, die sich mit ihrem Bild verbinden. So liefert er etwa gute Argumente dafür, dass die Zahl der IM nur halb so hoch gelegen haben dürfte, wie gemeinhin angenommen, und dass die Intensität der Postkontrolle und der Einfluss im Westen überschätzt werden. Viel zu lange hat sich die Forschung an den Plänen, Begrifflichkeiten und Kategorien des MfS orientiert. Es wird Zeit für eine Geschichte von unten, die fragt, was die Stasi konkret tat. Die DDR wird nicht Stasi-, sondern vollkommen zutreffend SED-Diktatur genannt.
Autorenporträt
Ilko-Sascha Kowalczuk, geb. 1967, Dr. phil., Historiker, war sachverständiges Mitglied der Enquete-Kommission "Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit" und arbeitet seit mehreren Jahren als Projektleiter in der Forschungsabteilung der Stasi-Unterlagen-Behörde. Bei C.H.Beck liegen von ihm vor: "Endspiel. Die Revolution von 1989 in der DDR" (2009), "Die 101 wichtigsten Fragen DDR" (2009).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.06.2013

Das Geschäft
mit der Angst
Ilko-Sascha Kowalczuk zeigt, dass die Stasi
weniger mächtig war, als viele denken
VON JENS SCHNEIDER
Wie es dazu kam, das ist schon eine spannende Frage – die Sache könnte bewusst gelenkt worden sein, argwöhnen manche Bürgerrechtler. Demnach hätten die Reformer der SED beim Zusammenbruch der DDR alles eingefädelt, um von der Verantwortung ihrer Partei abzulenken: Bewusst hätten sie Aufmerksamkeit und Wut der Bürger in der untergehenden DDR auf das Wirken der Stasi gelenkt.
  Aber vermutlich ist die Sache einfacher. Für viele DDR-Bürger war die Stasi der allgegenwärtige Dämon, bedrohlicher als die sichtbaren, am Ende lächerlichen SED-Spitzen. Als die DDR zusammenbrach, wurden die Geschichten von Bespitzelungen unter guten Freunden, selbst unter Ehepartnern bekannt. Sie waren so beklemmend wie anschaulich. Sie strahlten den Reiz menschlicher Dramen aus für Journalisten, Filmemacher und das Publikum. Es schien so einfach: Wer für die Stasi spitzelte, war ein übler Geselle, alle anderen gerieten aus dem Fokus. Oft reduzierte sich die Aufarbeitung auf die Suche nach dem IM im DDR-Bürger.
  Viele „Inoffizielle Mitarbeiter“ verloren ihren Job im öffentlichen Dienst, als Politiker gerieten sie in Bedrängnis. Irgendwann entstand der Eindruck, das ganze Land sei von Spitzeln durchsetzt gewesen: auch Kirchen, Oppositionsgruppen, die Künstlerszene. „Es gibt praktisch keine historische IM-Forschung“, stellt der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk fest, der seit Jahren für die Stasi-Unterlagenbehörde arbeitet. Mit seinem Buch „Stasi konkret“ liefert er eine Gesamtgeschichte der Geheimpolizei, die über die gängigen Erzählungen hinausführt und helfen sollte, die tatsächliche Bedeutung der Stasi – und damit auch die DDR – besser zu verstehen.
  Es ist kein Buch neuer Enthüllungen, auch wenn eine Neuberechnung der Zahl der Inoffiziellen Mitarbeiter der Stasi bisher die Diskussion darüber prägte. Seine Qualität liegt in der Akribie, mit der Kowalczuk den Dämon ergründet und ihm viel von seinem düsteren Mythos nimmt, ohne sein Wirken zu verharmlosen.
  Schon zu DDR-Zeiten setzte die Stasi viel daran, noch mächtiger zu erscheinen, als sie es ohnehin war. Angst war ihr Geschäft. Nach der friedlichen Revolution wuchs dieser Ruf der nunmehr erlegten, bösen Krake noch weiter. Kowalczuk räumt eher en passant mit einigen Legenden auf. Er rechnet vor, dass die Stasi kaum – wie gern erzählt wird – alle Post lesen oder alle Telefonate abhören konnte. Auch sei die Zahl ihrer Inoffiziellen Mitarbeiter mit 109 000 wohl deutlich geringer, als viele annahmen.
  Vor allem hinterfragt er überzeugend die Legende, wonach die Stasi alleiniges Grundübel der DDR gewesen sei. Er schildert, wie sie als „Schild und Schwert“ der bald alles beherrschenden SED gegründet wurde. Die SED-Führung verstand die Stasi entsprechend als Diener ihrer Herrschaft und war stets bemüht, deren zunehmendes Eigenleben zu unterbinden.
  Dass die SED ohne die Sowjets gegen den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 machtlos gewesen wäre, wurde zum Trauma dieser Genossen, das sie, so Kowalczuk, bis zum Zusammenbruch 1989 nicht wieder los wurden. Im grundlegenden Argwohn gegen das Volk lag das Motiv, die Stasi auszudehnen, sie mit immer mehr Personal und Mitteln zu versehen.
  Kowalczuk zeichnet nach, wie sie ihre Methoden über die Jahrzehnte veränderte. Er zeigt das an beklemmenden Ausschnitten aus Biografien von Stasi-Opfern. Die ersten Jahre sind geprägt von Verhaftungswellen, physischer und psychischer Folter. Später findet der Apparat Gefallen an feineren Methoden. Kowalczuk erzählt von einer Frau, in deren Wohnung in ihrer Abwesenheit Gegenstände verrückt wurden – eine Vase, Gewürzdosen in der Küche, irgendjemand musste in der Wohnung gewesen sein. Sie erzählte Freunden in der Friedensgruppe davon, denen erschien es allzu verrückt, die Frau wurde krank, litt jahrelang.
Kowalczuk legt die Struktur des Stasi-Apparates offen, der von jüngeren Männern mit eher geringer Bildung geprägt war. Da wird eine klaustrophobe, trotz aller Privilegien erbärmliche Kleinbürgerwelt erkennbar und ein Apparat, der enorme Energie auf die Selbstüberwachung verwandte, die Kontrolle der eigenen Leute, ein Apparat, der mit aberwitzigem Aufwand oft auf absurde Art ineffizient arbeitete.
  Schwierig ist es, Klarheit über die Typologie der IM-Spitzel zu bekommen – trotz vieler Aktenmeter in der Behörde. Dabei wird offenkundig, wie falsch es ist, dass sich Öffentlichkeit und Forschung weitgehend an den Kategorien und Mustern des Ministeriums für Staatssicherheit orientierten und Menschen nach deren Terminologie einordneten. Ein historischer Ansatz müsste eigene Kategorien entwickeln. Kowalczuk beobachtet, dass nach dem Ende der DDR unter dem Label „IM“ ein Personentypus konstruiert wurde, den es so einheitlich nicht gab. Auch hier entmystifiziert er: Eine IM-Biografie, die sich als Thriller verfilmen ließe, sei selten bekannt geworden. Gewiss, es gab die spektakuläre Bespitzelung der Bürgerrechtlerin durch den eigenen Ehemann, aber das war die Ausnahme.
  Kowalczuk geht es nicht um Reinwaschungen. Niemand könne, betont er, pauschal behaupten, er habe niemandem geschadet. Aber manche IM hätten faktisch nicht denunziert, während es viele Denunzianten jenseits der Stasi gegeben habe. Nur ein sehr kleiner Teil der Bürger waren IM, sehr viele verweigerten sich. Das System wurde auch durch beflissene Genossen, linientreue Lehrer oder blindwütige NVA-Offiziere getragen. Die SED verließ sich nicht auf die Stasi, um Schriftsteller mundtot zu machen oder eine freie Presse zu verhindern.
  Kowalczuk zeigt in seinem Buch, wie viele Forschungsfragen noch offen sind – etwa zu den IM, zur reinen Männergesellschaft im Stasi-Apparat. Manches bleibt fragmentarisch. Imponierend ist, wie ehrlich er einräumt, dass er aufgrund der eigenen Biografie emotional mit diesem Thema verbunden ist: „Auch ich bin nur Kind meiner Zeit.“ Das bringt ihn zu einigen überflüssigen moralischen Wertungen und dazu, dass er sich als eine Art Stasiologe zuweilen in einem schwer lesbaren Wirrwarr von Zahlen und Kürzeln verliert.
Die Suche nach korrekten Zahlen ist dabei durchaus relevant. Sie können belegen, dass eben kein Land der Spitzel entstanden war, in dem jeder jeden hinterging, und dass die Stasi dem Zusammenbruch der DDR hilflos gegenüberstand, weil sie nicht übermächtig war, sondern auf die Macht der SED angewiesen. Ihr Mythos verlor seine Kraft, als die SED mit der Perestroika in der Sowjetunion den letzten Zugriff auf die Gesellschaft verlor.
Ilko-Sascha Kowalczuk : Stasi konkret. Überwachung und Repression in der DDR. C. H. Beck, München 2013. 427 Seiten, 17,95 Euro.
Die Stasi trachtete danach,
größer zu erscheinen,
als sie es in Wirklichkeit war
Der Stasi-Apparat war von
eher jüngeren Männern mit
geringer Bildung geprägt
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Jens Schneider lernt von Ilko-Sascha Kowalczuks Buch "Stasi konkret", dass die Staatssicherheit lange nicht so mächtig war, wie es ihr gerne unterstellt wird. Tatsächlich sei die Stasi ein ziemlich chaotischer Apparat gewesen, der nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 dafür sorgen sollte, dass die SED-Spitze sich nicht mehr auf die Sowjets verlassen musste, um die Bevölkerung in Schach zu halten. Aber selbst die zusätzlichen Mittel, die fortan in die Stasi flossen, hätten niemals ausgereicht, um sämtliche Kommunikationswege zu überwachen - und auch die 'Inoffizielle Mitarbeiter' spielten eine kleinere Rolle als gemeinhin angenommen wird, berichtet Schneider. Nicht alle der einhunderttausend IMs haben Mitbürger denunziert, dafür so mancher, der nicht für die Stasi arbeitete, stellt der Rezensent richtig. Kowalczuks Buch ist wichtig, weil es endlich einen ernstzunehmend historischen Umgang mit der DDR-Geschichte einläutet, meint Schneider.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.06.2013

Im permanenten Bürgerkrieg
Das Ministerium für Staatssicherheit als Herrschaftsinstrument der SED

Dass sich die Zeitgeschichtsforschung dem "Zeitgeist" nie ganz entziehen kann, zeigt sich daran, dass das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) nach der Wiedervereinigung und der Öffnung der Archive in den neuen Ländern bald an vorderste Stelle der DDR-Forschung rückte. Die Motive hierfür waren allerdings auf west- und ostdeutscher Seite ganz unterschiedlich. Während Millionen von Westdeutschen mit dem Wort "Stasi" zunächst überhaupt nichts anzufangen wussten und daher Nachholbedarf hatten, wollten Ostdeutsche nun endlich wissen, welche Angehörige der Stasi sie über Jahrzehnte lang eingeschüchtert und drangsaliert hatten. Rasch avancierte das MfS daher zum Symbol, ja zum eigentlichen Kern des SED-Staates. Dass dies eine Überzeichnung und Überschätzung darstellt, steht für die DDR-Forschung schon seit einigen Jahren fest; denn das genuine Machtzentrum verkörperte von Anfang bis Ende der DDR die SED, deren Schild und Schwert die Staatssicherheit war. Diese Hierarchie darf nicht übersehen werden. Folgerichtig sind gegenwärtig Forschungsarbeiten im Entstehen, die auf die Partei Ulbrichts und Honeckers fokussiert sind - nicht zuletzt auf der regionalen und kommunalen Ebene. Hier nämlich regierte, administrierte und kontrollierte die SED im Land und ins Leben seiner Bewohner hinein.

Stasi konkret? Vom jüngsten Buch des MfS-Kenners Ilko-Sascha Kowalczuk erwartet man sich einen konzisen Überblick über das MfS und die Mannen Mielkes. Das ist auch durchaus der Fall, doch mit Stärken und Schwächen. So wird vom Projektleiter der Bundesbehörde für die Unterlagen der ehemaligen Staatssicherheit (BStU) zu Beginn überzeugend herausgearbeitet, dass das MfS schon weit vor seiner Gründung am 8. Februar 1950 und danach bis zu seiner Auflösung 1990 von den sowjetischen Geheimdiensten kontrolliert und reglementiert wurde. Informativ wird geschildert, wie sehr bedingungslos treue KPD-Kader maßgeblich mithalfen, das MfS über polizeiliche Vor-Institutionen (beispielsweise die K 5) herauszubilden. Dabei spielten jene Kader, die in der Sowjetunion ausgebildet worden waren, eine dominierende Rolle. Sie bildeten im höheren Alter noch die Führungselite und versperrten damit dem MfS-Nachwuchs Aufstiegsmöglichkeiten.

Die Motivation dieser Elite entsprang ihrem Feindbild, wie treffend festgestellt wird: "Ihr größter Irrtum bestand darin, dass sie den Aufbau ihres neuen Staates als eine Fortsetzung des permanenten Bürgerkrieges, wie sie die Zeit seit 1918 interpretierten, mit anderen Mitteln missverstanden." Bis Ende der 1950er Jahre diente das MfS vor allem der Unterdrückung und Verfolgung, nicht selten durchsetzt mit unmenschlicher Brutalität. In der zweiten Phase bis 1990 entwickelte es sich zu einem umfassenden Kontroll-, Steuerungs-, Überwachungs-, Unterdrückungs- und Verfolgungsinstrument, wobei Gewaltanwendung immer eine Option blieb, sogar bis zum versuchten Mord. Zugleich wurden die Methoden ab Ende der 1970er Jahre besonders gegen Oppositionelle "verfeinert", das heißt "lautloses" Vorgehen wurde mit Kriminalisierung und psychologischer Zersetzung verbunden.

Neu ist hingegen Kowalczuks kritische Revidierung der bisher als feststehend geltenden IM-Zahlen. Wurden bisher 189 000 Informelle Mitarbeiter (1989) des MfS angenommen, seien es nach seinen Berechnungen "nur" 109 000 gewesen, da - so seine Argumentation - bestimmte Kategorien von Stasi-Informanten nicht unter das klassische IM-Label fielen. Da ist durchaus einiges dran, und das hat inzwischen heftige Diskussionen ausgelöst, wobei nicht zuletzt der Vorwurf einer Relativierung der SED-Diktatur erhoben wurde. Doch trifft das nicht ins Schwarze. Denn ein solcher Befund - da ist dem Verfasser zuzustimmen - "verharmlost nicht das MfS, rückt aber die SED-Diktatur als vielgliedriges Unterdrückungs-, Überwachungs- und Verfolgungssystem ins rechte Licht".

Abgesehen davon, dass es aus wissenschaftlicher Sicht notwendig und legitim ist, bestehende Meinungen und Daten zu überprüfen, ändert eine geringere Anzahl von IMs nichts am strukturellen Grundcharakter der DDR: Die SED hatte sich aufgrund ihres unbedingten Machtwillens und ihres abstrusen Feindbildes mit dem MfS ein Herrschaftsinstrument geschaffen, dessen Apparat bis heute seinesgleichen sucht - solange wir noch nicht über vergleichbare Zahlen aus Nordkorea verfügen. Der dezidierte Wille der Partei, die Gesellschaft im ostdeutschen Staat so weit wie möglich zu "durchherrschen", spiegelt nicht nur ihre totalitäre Intention wider, der Stasi-Apparat steht dafür auch als monströses Symbol. Gleichwohl sollte man das Mielke-Imperium auch nicht überschätzen. Zu Recht weist der Verfasser auf die von Anfang an unsinnige These hin, dass die Bundesrepublik vom MfS unterwandert worden sei. An dem nüchternen Befund ändern auch die Guillaume-Affäre, die Unterstützung der RAF durch die SED oder der Todesschuss von Karl-Heinz Kurras nichts.

Gelegentlich gehen Kowalczuks Urteile indes zu weit. Wenn er die tatsächliche Effizienz des MfS anzweifelt, so sollte dadurch nicht die Reichweite der Stasi-Aktivitäten unterschätzt werden. War es denn kein "Erfolg", dass es dem MfS schon relativ früh gelang, in der DDR ein Gefühl ihrer Allgegenwart zu erzeugen? Mythos ist hier der falsche Begriff. Hatte die eventuelle Überschätzung ihrer Präsenz durch die Bevölkerung nicht einen (durchaus gewünschten) präventiven Effekt? Das sollte man nicht kleinreden. Ebenso ist ein Fragezeichen hinter seiner Forderung zu setzen, dass die Forschung aufhören solle, mit den Bezeichnungen des MfS zu arbeiten. Warum eigentlich? Was der Einzelne konkret in der SED-Diktatur machte, also die Überprüfung des Einzelfalls, ist schon aus rechtlichen, moralischen und wissenschaftlichen Gründen unabdingbar, unabhängig davon, ob er oder sie IM war oder nicht.

Ganz befriedigt legt man das Buch nach seiner Lektüre nicht aus der Hand, vor allem dann, wenn man nur wenig über das MfS weiß. Das liegt zum einen daran, dass der Verfasser häufig mit einer Fülle von Informationen aufwartet, ohne sie am Schluss noch einmal prägnant zusammenzufassen. Symptomatisch kommt das darin zum Ausdruck, dass der Autor nach Abhandlung des MfS eine knappe Bilanz zieht, die er indes als "keine Bilanz" übertitelt hat. Es folgt dann noch einmal ein Abschnitt, in dem das "Amt für Nationale Sicherheit" (ANS), die Nachfolgeorganisation des MfS bis Frühjahr 1990, beschrieben wird. An dieser Stelle hätte ein umfassendes Schlusskapitel am rechten Platz gestanden.

Auch hätte man sich die Darstellung eines normalen, routinemäßigen Anwerbe-Prozesses eines IM und eine genauere Beschreibung des spezifischen Verhältnisses zwischen ihm und seinem MfS-Führungsoffizier gewünscht, um Alltag und Routine der Bespitzelung besser nachvollziehen zu können. Stattdessen werden zum Teil Fälle geschildert, die eher Ausnahmen darstellen (über Karl Hamann, den Vorsitzenden der LDP, oder über den privilegierten MfS-Angehörigen und späteren DDR-Diplomaten Franz Kniffel). Kein Zweifel, das Buch ist hochinformativ, und dennoch fehlt ihm der letzte Schliff.

GÜNTHER HEYDEMANN

Ilko-Sascha Kowalczuk: Stasi konkret. Überwachung und Repression in der DDR. Verlag C. H. Beck, München 2013. 428 S., 17,95 [Euro].

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