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In dieser Studie wird erstmals die Politik der Wiedergutmachung für NS-Verfolgte in der Bundesrepublik und in der DDR umfassend dargestellt.Die Entschädigung der Verfolgten des Nationalsozialismus bildet einen zentralen Aspekt der Auseinandersetzung mit dem »Dritten Reich« nach 1945. Zudem hat sich die Wiedergutmachung für NS-Verfolgte mehr und mehr zu einem internationalen Präzedenzfall für andere Versuche, die Folgen von Diktaturen und staatlichen Gewaltverbrechen zu bewältigen, entwickelt. Das Thema ist deshalb nicht allein wichtig im Hinblick auf die Frage nach dem Umgang der Deutschen mit…mehr

Produktbeschreibung
In dieser Studie wird erstmals die Politik der Wiedergutmachung für NS-Verfolgte in der Bundesrepublik und in der DDR umfassend dargestellt.Die Entschädigung der Verfolgten des Nationalsozialismus bildet einen zentralen Aspekt der Auseinandersetzung mit dem »Dritten Reich« nach 1945. Zudem hat sich die Wiedergutmachung für NS-Verfolgte mehr und mehr zu einem internationalen Präzedenzfall für andere Versuche, die Folgen von Diktaturen und staatlichen Gewaltverbrechen zu bewältigen, entwickelt. Das Thema ist deshalb nicht allein wichtig im Hinblick auf die Frage nach dem Umgang der Deutschen mit Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg, sondern auch für die Entwicklung globaler Maßstäbe im Umgang mit historischem Unrecht. In dieser Studie wird erstmals die Politik der Wiedergutmachung in der alten und neuen Bundesrepublik sowie in der DDR umfassend dargestellt. Der Bogen reicht von ersten schon während des Krieges einsetzenden Überlegungen zur Entschädigung der Verfolgten bis zur Etablierung der Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft«, mit der seit 2000 endlich auch die osteuropäischen Zwangsarbeiter entschädigt werden. Somit untersucht Constantin Goschler die Wiedergutmachung gleichermaßen unter dem Gesichtspunkt der prägenden Bedingungen des Kalten Krieges wie unter dem seiner Überwindung. Welche allgemeine Bedeutung für den Umgang mit den Betroffenen staatlicher Großverbrechen besitzt also der in Deutschland unternommene Versuch, den NS-Verfolgten im Medium materieller Entschädigung zu begegnen? Im Mittelpunkt dieser Studie steht damit das Spannungsverhältnis von moralischer Schuld und materiellen Schulden.
Autorenporträt
Constantin Goschler, geb. 1960, ist Professor für Zeitgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum.Veröffentlichungen u.a.: Europäische Zeitgeschichte seit 1945 (Hg. zus. mit Rüdiger Graf, 2010); »Wiedergutmachung. Westdeutschland und die Verfolgten des Nationalsozialismus, 1945-1954« (2002); »Rudolf Virchow. Mediziner, Anthropologe, Politiker« (2002)
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.12.2005

Druck und Moral
Phasen der deutschen Wiedergutmachungspolitik seit 1945

Anfang Oktober 1952 wurde auf das Büro des israelischen Außenministers Moshe Sharett in Tel Aviv ein Bombenattentat verübt - aus Protest gegen das vier Wochen zuvor von ihm und Bundeskanzler Konrad Adenauer in Luxemburg unterzeichnete Abkommen, in dem sich die Bundesrepublik zu "Wiedergutmachungsleistungen" in Höhe von 3,45 Milliarden Mark verpflichtete (fast soviel wie die Bundesrepublik Marshallplanhilfe erhalten hatte). Der Staat Israel sollte drei Milliarden Mark bekommen, zahlbar in 14 Jahresraten, davon ein Drittel durch Lieferungen in deutschen Waren. Der diplomatische Vertreter Österreichs in Tel Aviv, Karl Hartl, zeigte Verständnis für den Bombenleger; für ihn war klar, daß für einen Juden, dessen Vater und Mutter in einem Vernichtungslager umgekommen waren, es schon schwer und unwürdig erscheinen mußte, das Entgelt für seine gemordeten Eltern "in Form eines Wasserklosetts aus Düsseldorf zu erhalten". Hartl bezweifelte im übrigen, daß die Deutschen das Abkommen einhalten würden; von diesem Vertrag würde dann praktisch nicht sehr viel übrigbleiben angesichts der Tatsache, "daß die von den Nazi ermordeten Juden in einem immer gesteigerten Tempo verfaulen und als mahnende Gespenster verschwinden werden. Wein wird, um so älter, desto besser; Kadaver werden, um so älter, desto schlechter."

In Israel hatte es massive Proteste gegen direkte Verhandlungen mit den Deutschen gegeben, angeführt von Menachem Begin, dem späteren Ministerpräsidenten Israels. Als das israelische Parlament über die anstehenden Verhandlungen beriet, wollte eine wütende Menschenmenge das Gebäude stürmen; nur durch das Eingreifen der Armee wurde das verhindert. Die katastrophale wirtschaftliche und finanzielle Lage (Ende 1950 drohte eine Hungersnot in Israel) zwang das Land damals, mit - so Hartl weiter - "dem Deutschland der Mörder zu markten, moralische Anklage und bitteren Haß ,zu realisieren'. Jeder weiß und fühlt es, es ist Blutgeld, von dem Israel heute lebt." Und daraus ergebe sich das Paradoxon, "daß die Israelen in ihrer vollkommenen Isolierung als beste Freunde eigentlich - die Deutschen sehen".

Auch wenn diese Interpretation Hartls nicht Thema des vorliegenden Bandes ist, so zeigt sie doch in aller Deutlichkeit die Problematik der sogenannten Wiedergutmachung. Constantin Goschler ist ein ausgewiesener Kenner der Materie, der schon früher mehrfach Arbeiten zum Thema vorgelegt hat, auf die er in diesem Buch in verschiedenen Teilen zurückgreift. Insofern ist die vorliegende Darstellung so etwas wie eine abschließende Synthese. Das Ergebnis läßt sich vielleicht mit den Worten Menachem Begins auf einer Protestveranstaltung im März 1952 in Tel Aviv zusammenfassen, nämlich: "Unsere Ehre ist nicht käuflich; unser Blut kann durch nichts wiedergutgemacht werden."

Die Israelis lehnten die Bezeichnung Wiedergutmachung denn auch ab; Außenminister Sharett prägte dafür den Begriff "Shilumim", was in der Bibel "Zahlung" oder "Vergeltung" bedeutet, womit aber weder Schuldvergebung noch Verzeihen einhergehen - was man auf deutscher Seite vergebens hoffte. Letztlich ging es bei der Wiedergutmachung immer um Geld. Der Staat Israel war das eine, die individuellen Opfer des nationalsozialistischen Terrors waren das andere. Auch hier wurde - anders als etwa in der DDR - "wiedergutgemacht", wobei es anfangs in erster Linie um die jüdischen Opfer ging. Die von Hartl erwähnten "mahnenden Gespenster" verschwanden jedenfalls nicht.

Goschler zeigt detailliert und kenntnisreich die Phasen der Wiedergutmachungspolitik auf: In einer Stimmung, in der Bundeskanzler Ludwig Erhard 1965 das "Ende der Nachkriegszeit" proklamierte, wurde das 1956 beschlossene Bundesentschädigungsgesetz nur noch routinemäßig abgewickelt; 1969 lief die Anmeldefrist aus. Etwa eine Million Anträge wurden genehmigt. Die "Nachkriegszeit" lebte Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre mit einer neuen Generation von Bundesbürgern dann aber wieder auf. Es ging um Wiedergutmachung für die "vergessenen Opfer": "Zigeuner", Zeugen Jehovas, Homosexuelle, Opfer der Zwangssterilisation, Wehrmachtdeserteure und vor allem ausländische Zwangsarbeiter der deutschen Kriegswirtschaft.

Das Ende des Kalten Krieges leitete wiederum eine neue Phase der Wiedergutmachung ein: Zwischen 1959 und 1964 hatte die Bundesrepublik bilaterale Abkommen mit elf westeuropäischen Staaten vereinbart und sich zu globalen Entschädigungsleistungen in Höhe von insgesamt 876 Millionen Mark verpflichtet. Die Vereinbarung galt ausdrücklich nicht für Länder hinter dem "Eisernen Vorhang", zu denen die Bundesrepublik keine diplomatischen Beziehungen unterhielt. Das änderte sich jetzt. Was wurde insgesamt gezahlt? Bis Ende 1998 nach offiziellen Angaben etwa 105 Milliarden Mark. Dabei ging es nicht immer um Druck von außen, sondern es spielten auch moralische Motive eine Rolle. Das wurde deutlich bei der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" im Jahre 2000, in der es primär um die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter geht. Dabei wurde erstmals das Thema Wiedergutmachung auch in anderen europäischen Ländern aktuell: In Österreich wurde im selben Jahr der "Versöhnungsfonds" für Ansprüche von Zwangsarbeitern in der ehemaligen Ostmark eingerichtet.

ROLF STEININGER

Constantin Goschler: Schuld und Schulden. Die Politik der Wiedergutmachung für NS-Verfolgte seit 1945. Wallstein Verlag, Göttingen 2005. 543 S., 38,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.12.2005

Lohnende Wiedergutmachung
Eine perspektivenreiche Politikgeschichte der materiellen deutschen Sühne
Nietzsche hat die Geschichte der westlichen Moral als eine der Umwandlung von Schulden in Schuld beschrieben. Für die bürgerliche Gesellschaft ist eine solche materialistische Deutung nahe liegend, gilt hier doch der Äquivalenztausch zwischen Eigentümern von Waren als grundlegendes Prinzip, dessen Verletzung moralisch anrüchig ist. Im Falle der „Wiedergutmachung” für NS-Verfolgte scheint der Prozess genau andersherum verlaufen zu sein: Hier erfolgte eine Umwandlung von Schuld in Schulden, eine Monetarisierung historischer Schuld. Aber auch eine solche Entsakralisierung der menschlichen Verluste entbehrt keineswegs ökonomischer Motive, denn nicht zuletzt ging es bei den Wiedergutmachungsleistungen der Bundesrepublik unter anderem um die Wiedererlangung einer moralischen Kreditwürdigkeit.
Mit dem Komplex von Schuld und Schulden, Geschichte und Gerechtigkeit, politischer Moral und moralischer Ökonomie hat sich Constantin Goschler in seiner Gesamtdarstellung der Politik der Wiedergutmachung für NS-Verfolgte seit 1945 (die auch die DDR mit einbezieht) eindrucksvoll beschäftigt. Er spürt den diversen kulturellen Bedeutungen und politischen Konzepten von Wiedergutmachung nach, reflektiert deren gesellschaftspolitische Funktionen und zeigt deren Wandlungen entsprechend den politischen Konstellationen - eine perspektivenreiche kulturhistorisch sensibilisierte Politikgeschichte der Wiedergutmachung.
Goschler erinnert daran, wie revolutionär der Gedanke der materiellen Entschädigung für historisches Unrecht gegen Ende des Zweiten Weltkrieges war. Er würdigt das Unternehmen als einzigartigen Versuch, historisches Unrecht zu kompensieren und beschädigtes Leben wieder aufzubauen. Er zeigt aber genauso deutlich, wie konfliktbeladen der Aushandlungsprozess um die Wiedergutmachung verlief. Solche Konflikte bestimmten nicht nur das Verhältnis zwischen amerikanischer (meist fordernd) und deutscher (oft bremsend) oder deutscher und jüdischer Seite - beispielsweise durch den bis in die neunziger Jahre fortwährenden Umstand, dass die Seite der Schuldigen das Ausmaß der notwendigen Sühne festlegte. Auch die verschiedenen jüdischen Standpunkte enthielten eine Grundspannung zwischen einem individualistischen und einem kollektivistischen Ansatz von Entschädigung, der noch heute in Konflikten zwischen individuellen Überlebenden der Shoah und den Repräsentanten eines jüdischen Kollektivs fortdauert.
Goschler verdeutlicht, wie sehr die Wiedergutmachung in den ersten Jahrzehnten der politischen Logik von „Koppelungsgeschäften” zu verdanken war: Die zweifache Integrationsaufgabe - internationale Wiedereingliederung der Bundesrepublik und Integration der ehemaligen „Volksgenossen” in die Gesellschaft - war nicht ohne Konzessionen an NS-Verfolgte zu haben. Und er zeigt, wie unterschiedlich das Projekt der Wiedergutmachung in Ost und West angegangen wurde: hier moralisiert, politisiert und dem Fürsorgeanspruch folgend mit dem „Kämpfer” als Leitbild; dort individualisierend, verrechtlicht und auf materielle Aspekte reduziert mit den Juden als Hauptopfer. Die „vergessenen Opfer” und die osteuropäischen Verfolgten kamen in beiden Varianten erst in den achtziger Jahren in das Blickfeld.
In diesem Jahrzehnt erkennt der Autor einen Wandel, den Übergang zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der Wiedergutmachung. Sie wurde zu einem Medium für die Anerkennung von Minderheiten und gesellschaftliche Gerechtigkeitsstandards. Da die Wiedergutmachung nun in das innere Kräftefeld der USA gelangte, entstand „Waffengleichheit” zwischen Tätergesellschaften und Verfolgten, ohne die es zu den neuen Leistungen, wie die für Zwangsarbeiter, nicht gekommen wäre. Als Schattenseite dieser Entwicklung nennt Goschler die „Viktimisierung” der Politik, die zur Konkurrenz verschiedener Opferidentitäten geführt hat.
Für die Tätergesellschaft hat sich die Wiedergutmachung jedoch offensichtlich gelohnt. Nicht nur ging auf lange Sicht mit der Begleichung der Schulden im öffentlichen Ansehen gerade in Israel eine Verringerung der Schuld einher. Die Wiedergutmachung ist zudem ein Teil der so genannten Vergangenheitsbewältigung geworden, die der Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik moralische, ja fast religiöse Weihe verleiht. Schuld und Schulden heißen heute Erinnerung und Eigentum und sind in die Zukunft gerichtet - deshalb der Name der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft” . Diese neue sakral-profane Kombination nährt sogar die Hoffnung der „Preußischen Treuhand”, ihre Forderungen auf das ehemalige Eigentum der Vertriebenen in Polen durchzusetzen und damit auch neue historische Rechnungen zu präsentieren. Nietzsche wäre über eine solche Ironie der Geschichte nicht verwundert.
JÖRG SPÄTER
CONSTANTIN GOSCHLER: Schuld und Schulden. Die Politik der Wiedergutmachung für NS-Verfolgte seit 1945 (=Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts, Bd. 3). Wallstein Verlag, Göttingen 2005. 544 Seiten, 38 Euro.
Fotos und Dokumente ehemaliger so genannter Ostarbeiter, die während des Dritten Reichs als Zwangsarbeiter ausgebeutet wurden.
Foto: ddp
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Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Als "eindrucksvoll" beurteilt Jörg Später diese Gesamtdarstellung der Politik der Wiedergutmachung für NS-Verfolgte seit 1945, die Constantin Goschler vorgelegt hat. Der Autor spüre nicht nur den diversen kulturellen Bedeutungen und politischen Konzepten von Wiedergutmachung nach. Er reflektiere auch deren gesellschaftspolitische Funktionen und zeige deren Wandlungen entsprechend den politischen Konstellationen. Später unterstreicht, dass Goschler das Unternehmen einer materiellen Entschädigung für historisches Unrecht als einen einzigartigen Versuch würdigt, historisches Unrecht zu kompensieren und beschädigtes Leben wieder aufzubauen. Genauso deutlich zeige Goschler auch, "wie konfliktbeladen der Aushandlungsprozess um die Wiedergutmachung verlief". Weiterhin schildere er, wie unterschiedlich das Projekt der Wiedergutmachung in Ost und West angegangen wurde. Insgesamt lobt Später diese Darstellung als "perspektivenreich" und "kulturhistorisch sensibilisiert".

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