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Die Geschichtswissenschaft wirft derzeit mit Hilfe verschiedener Historikerkommissionen einen zweiten Blick auf die personellen und institutionellen Kontinuitäten und Brüche im Nachkriegsdeutschland. Während bislang vor allem die Bundesrepublik im Mittelpunkt bestand, wendet sich die Forschung jetzt auch verstärkt der DDR zu.Denn inzwischen ist auf breiterer Quellenbasis ein deutsch-deutscher Vergleich des Auf- und Umbaus staatlicher Stellen nach dem Ende der NS-Diktatur möglich. Die Beiträge untersuchen am Beispiel von vier zentralen Bereichen staatlichen Handelns (Justiz, Wirtschaft,…mehr

Produktbeschreibung
Die Geschichtswissenschaft wirft derzeit mit Hilfe verschiedener Historikerkommissionen einen zweiten Blick auf die personellen und institutionellen Kontinuitäten und Brüche im Nachkriegsdeutschland. Während bislang vor allem die Bundesrepublik im Mittelpunkt bestand, wendet sich die Forschung jetzt auch verstärkt der DDR zu.Denn inzwischen ist auf breiterer Quellenbasis ein deutsch-deutscher Vergleich des Auf- und Umbaus staatlicher Stellen nach dem Ende der NS-Diktatur möglich. Die Beiträge untersuchen am Beispiel von vier zentralen Bereichen staatlichen Handelns (Justiz, Wirtschaft, Sicherheit und Inneres) die Nachwirkungen der NS-Vergangenheit in Behörden und Ministerien des geteilten Deutschland. Über den empirischen Befund personeller Kontinuitäten und Diskontinuitäten hinaus gehen die Autoren der Frage danach, in welcher Form die Erfahrung des Bruchs bzw. des Neuanfangs gedanklich verarbeitet und politisch umgesetzt wurde.
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Autorenporträt
Dominik Geppert ist seit 2010 Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.Stefan Creuzberger ist Professor für Zeitgeschichte an der Universität Rostock.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Hohe personelle Kontinuität
Ministerien und Behörden in Bundesrepublik und DDR beschäftigten viele "Belastete" aus der NS-Zeit

Im Oktober 2010 erschien unter dem Titel "Das Amt und die Vergangenheit" eine von einer unabhängigen Historikerkommission verfasste Studie, die sich mit der Rolle des Auswärtigen Amtes im nationalsozialistischen Deutschland und den Kontinuitäten der Personalpolitik bis in die Bundesrepublik Deutschland beschäftigte. Die zentrale These der Publikation war, dass Beamte des Auswärtigen Dienstes entgegen dem Mythos zwischen 1933 und 1945 massiv in die Verbrechen des Nationalsozialismus eingebunden waren. Zudem sei diese Verstrickung nach 1945 nicht nur nicht thematisiert worden, sondern viele der in der NS-Zeit aktiven Diplomaten seien sehr schnell wieder in den auswärtigen Dienst zurückgekehrt. Das Buch löste eine öffentliche Kontroverse aus, die dazu führte, dass die Frage nach der Weiterbeschäftigung nationalsozialistischer Beamter in den Bundesbehörden inzwischen ein Großforschungsprojekt der Geschichtswissenschaft geworden ist.

Wie so oft war das Problem nicht neu. Schon den Zeitgenossen war schnell aufgefallen, dass es vielen der Beamten des nationalsozialistischen Deutschlands nach 1949 gelungen war, wieder in den Dienst zurückzukehren. Während die Befürworter der Integrationspolitik darauf verwiesen, dass man auch in einem neuen Staat die Expertise der alten Beamten benötige, stellten Kritiker die Ernsthaftigkeit des demokratischen Neuanfangs in Frage. In den vergangenen Jahren hat sich die Forschung zu diesem Problem stark weiterentwickelt, und der vorliegende Band will eine Zwischenbilanz der Kontroverse ziehen. Die Beiträge untersuchen die Ministerien für Wirtschaft, Inneres, Justiz und den Bundesverfassungsschutz. Neu ist zudem, dass nicht nur die westdeutschen Bundesbehörden im Fokus stehen, sondern auch die entsprechenden DDR-Ministerien.

Ein wichtiges Problem ist die Unschärfe des Begriffes der "NS-Belastung". Selbst bei den Zeitgenossen wandelte sich die Einschätzung darüber, wer belastet war und wer nicht. So schrieb Konrad Adenauer 1946, dass sich das deutsche Volk "widerstandslos" und "zum Teil mit Begeisterung" habe gleichschalten lassen. Von den Verbrechen in den Konzentrationslagern und im Krieg gegen die Sowjetunion habe die Öffentlichkeit gewusst. Man müsse also, so schloss Adenauer, auch die einfachen Parteimitglieder der NSDAP bestrafen. Anfang der fünfziger Jahre differenzierte der Kanzler zwischen einfachen Parteigenossen und NS-Verbrechern. Politisch-pragmatische Überlegungen hatten zu einer Veränderung seiner Einschätzung geführt. Im neu entstandenen Bundesamt für Verfassungsschutz achtete man zu Beginn der fünfziger Jahre sehr genau darauf, keine Mitglieder der ehemaligen Gestapo aufzunehmen. Das galt aber nicht für ehemalige Bedienstete der Polizei oder der militärischen Abwehr, die zeitgenössisch nicht als spezifisch nationalsozialistisch wahrgenommen wurden. Heute weiß man das besser. Der Begriff der "NS-Belastung" hatte also zu verschiedenen Zeiten und in unterschiedlichen Behörden eine andere Bedeutung.

In dem Beitrag über das Bundeswirtschaftsministerium wird zudem deutlich, dass viele der Mitarbeiter der wiedergegründeten Ministerien weniger die NS-Zeit als vielmehr die Zwischenkriegszeit als Referenzpunkt für ihre Arbeit sahen. Gerade der in diesem Haus in den fünfziger und sechziger Jahren gepflegte liberale Ansatz fand Anknüpfungspunkte in der Republik von Weimar und weniger im Nationalsozialismus. Das gilt teilweise auch für andere Bundesbehörden und zeigt, dass die Fokussierung auf die Zeit zwischen 1933 und 1945 als Vorgeschichte der Bundesrepublik auch in dieser Hinsicht irreführend ist.

Die neuere Forschung konzentriert sich zudem nicht alleine auf die Bundesrepublik Deutschland, sondern auch auf die DDR. In Bezug auf das östliche Deutschland dominierte lange Zeit die These, dass hier im Gegensatz zur Bundesrepublik tatsächlich eine politische Säuberung stattgefunden habe. Dies, so lässt sich nun festhalten, galt aber nur für das Ministerium für Staatssicherheit. Hier achtete die SED-Spitze in der Tat darauf, keine ehemaligen Nationalsozialisten aufzunehmen. In anderen zentralen Behörden der DDR war man in dieser Hinsicht sehr viel weniger rigide. Insgesamt zeichneten sich hier ähnliche Muster ab wie in der Bundesrepublik Deutschland. Die Tätigkeit für das nationalsozialistische Deutschland wurde in den fünfziger und sechziger Jahren toleriert, wenn sich eine Person in überzeugender Weise für den neuen Staat engagierte. Gleichwohl versuchten beide deutsche Staaten in den fünfziger Jahren, dem jeweils anderen nachzuweisen, dass er in der Kontinuität des Nationalsozialismus stehe.

Der hier vorliegende Sammelband zieht eine Zwischenbilanz. Wichtige Studien zu Behörden in beiden deutschen Staaten stehen noch aus. Interessant wäre es zu erfahren, wie sich die hohe personelle Kontinuität in der Staatsverwaltung in Ost und West auf konkrete Politik auswirkte. Im vorliegenden Band werden hierfür einige Beispiele gegeben, eine Systematisierung dieses Prozesses steht aber noch aus.

GUIDO THIEMEYER

Stefan Creuzberger, Dominik Geppert (Hrsg.): Die Ämter und ihre Vergangenheit. Ministerien und Behörden im geteilten Deutschland 1949-1972.

Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2018. 213 S., 49,90 [Euro].

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