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Wie lebt man weiter nach einer traumatischen Erfahrung? Der Abstand zwischen Menschen, die sich lieben, die guten Absichten, die stillen Verwünschungen und missglückten Annäherungen - all das beschreibt Anna Enquist meisterhaft in ihrem neuen Roman. Nach einer traumatischen Erfahrung findet das Ehepaar Carolien und Jochem keinen Trost mehr im anderen, sie ziehen sich zurück, kapseln sich ab, kämpfen allein mit ihrer Angst und Wut. Ihre Freunde Hugo und Heleen, die das Unglück miterlebt haben, reagieren mit Verdrängung und Flucht. Sie schämen sich, weil sie einander nicht helfen konnten, aber…mehr

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Produktbeschreibung
Wie lebt man weiter nach einer traumatischen Erfahrung? Der Abstand zwischen Menschen, die sich lieben, die guten Absichten, die stillen Verwünschungen und missglückten Annäherungen - all das beschreibt Anna Enquist meisterhaft in ihrem neuen Roman. Nach einer traumatischen Erfahrung findet das Ehepaar Carolien und Jochem keinen Trost mehr im anderen, sie ziehen sich zurück, kapseln sich ab, kämpfen allein mit ihrer Angst und Wut. Ihre Freunde Hugo und Heleen, die das Unglück miterlebt haben, reagieren mit Verdrängung und Flucht. Sie schämen sich, weil sie einander nicht helfen konnten, aber sie reden nicht darüber. Und das Streichquartett, das den vier Musikern stets Freude bereitet und über vieles hinweggeholfen hat, gibt es nicht mehr. Doch als Carolien nach Shanghai aufbricht, wo Hugo einen neuen Job angenommen hat, empfindet sie zum ersten Mal nach langer Zeit wieder so etwas wie Freiheit und sogar Glück. Allmählich scheint Licht ins Dunkel zu dringen ... Ein vollkommen eigenständiger Roman der großen niederländischen Autorin, der dort einsetzt, wo ihr letzter Roman »Streichquartett« ein dramatisches Ende nimmt.
Autorenporträt
Anna Enquist wurde 1945 in Amsterdam geboren. Sie wuchs in der niederländischen Stadt Delft auf, studierte Klavier am Königlichen Konservatorium in Den Haag, anschließend Klinische Psychologie in Leiden und arbeitet als Psychoanalytikerin. Seit 1991 veröffentlicht sie Gedichte, Romane und Erzählungen. Anna Enquist zählt neben Margriet de Moor und Harry Mulisch zu den bedeutendsten niederländischen Autoren der Gegenwart. Ihre Werke wurden in 15 Sprachen übersetzt und mit zahlreichen internationalen Literaturpreisen ausgezeichnet. Anna Enquist lebt in Amsterdam.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.10.2019

Die Grundformen der Angst
In ihrem Roman „Denn es will Abend werden“ beobachtet die niederländische Psychoanalytikern und Autorin
Anna Enquist vier Figuren bei der Bewältigung eines Traumas
VON KRISTINA MAIDT-ZINKE
Wie gehen Menschen mit Schicksalsschlägen und Katastrophen um, mit Schocks, Verletzungen und Verlusten aller Art? Das Spektrum der Reaktionen reicht vom Symptomkreis der „posttraumatischen Belastungsstörung“ über die scheinbar perfekte Verdrängung bis zur Mobilisierung erstaunlicher Selbstheilungskräfte. Die niederländische Schriftstellerin Anna Enquist, die lange als Psychoanalytikerin tätig war, hat sich in ihrem Werk immer wieder mit diesem Thema befasst und zugleich im Schreiben ihre persönlichen Traumata verarbeitet. So floss die Trauer um ihre Tochter, die als junge Frau bei einem Verkehrsunfall starb, direkt oder indirekt in mehrere Bücher ein, so auch in ihren letzten Roman, der bei uns 2015 unter dem Titel „Streichquartett“ erschien.
Die Musik, das andere große Lebensthema der ausgebildeten Konzertpianistin Anna Enquist, spielte darin, wie schon in „Kontrapunkt“ (2008), als Therapeutikum eine zentrale Rolle. Allerdings blieben Leser und Kritik etwas irritiert zurück, weil die Geschichte um vier Amateurmusiker aus dem Amsterdamer Kulturbürgertum, die über weite Strecken an eine fein ausbalancierte, trotz unterschwelliger Spannungen von großer Ruhe getragene Partitur erinnerte, unvermittelt in einem Thriller-Showdown explodiert war.
Dass die vier Hauptpersonen aus diesem Schreckensszenario zwar lebend, aber nachhaltig verstört hervorgingen, lieferte dann den Ausgangspunkt für eine Fortsetzung, an die Anna Enquist ursprünglich nicht gedacht hatte. „Denn es will Abend werden“ heißt die deutsche Fassung, und inwieweit dieser Roman unabhängig vom Vorläufer funktioniert, ist nicht ganz leicht zu beurteilen, wenn man „Streichquartett“ gelesen hat. Doch offensichtlich ließ sich das, was zuvor geschehen war, mühelos und ohne großen Erklärungsaufwand in die neue Handlung einbauen.
Jahrelang hatten sie auf einem Hausboot die komplexe Kunst des Streichquartetts gepflegt: der Kulturmanager Hugo (erste Violine), seine Cousine, die Krankenschwester Heleen (zweite Violine), der Geigenbauer Jochem (Bratsche) und seine Frau, die Ärztin Carolien (Cello). Aus der noblen Freizeitgestaltung war eine enge Freundschaft entstanden, wenngleich nicht ohne Konfliktpotenzial: Die Ehe von Carolien und Jochem war belastet durch den Tod ihrer beiden Söhne bei einem Busunglück.
Der geschiedene Hugo litt unter der Trennung von seiner kleinen Tochter, zu der Carolien, die früher eine Affäre mit ihm hatte, zwecks Kompensation ihrer Trauer intensiven Kontakt suchte. Heleen wiederum wollte ihre Einsamkeit und berufliche Frustration bekämpfen, indem sie Briefe mit Strafgefangenen wechselte, und löste damit das Desaster aus: Ein entflohener Häftling nutzte sein Wissen um den Probenort für eine Geiselnahme, bei der das Boot in die Luft gesprengt, die Quartettspieler brutal bedroht und verletzt und ihre Instrumente zerstört wurden.
Kann man nach einem solchen Ereignis wieder ins normale Leben zurückfinden, und was bleibt von einer Freundschaft, der die Grundsubstanz, die Freude am gemeinsamen Musizieren, durch einen Gewaltakt entzogen worden ist? Diesen Fragen geht Anna Enquist nach, aber nicht analysierend, sondern in dem für sie typischen Erzählton: locker, lapidar und anschaulich. Und sie wäre nicht eine der beliebtesten Schriftstellerinnen ihres Landes, wenn sie nicht die Gabe hätte, Gefühlszustände und Beziehungen so zu schildern, dass jeder sich darin wiedererkennt.
Man muss kein Instrument spielen, weder ein Geiseldrama miterlebt noch ein Kind verloren haben, um sich in die emotionale Situation dieser vier Menschen hineinziehen zu lassen, die nach dem Einsturz einer heilsamen Routine plötzlich mit sich selbst und ihren alten Blessuren konfrontiert sind. Es genügt, einen Begriff von seelischer Erschütterung zu haben und eine Vorstellung von Freundschaft, um mit Anteilnahme oder auch nur Neugier vier unterschiedliche Strategien der Krisenbewältigung zu verfolgen. Das Quartett ist zerbrochen, und somit ist auch das Konzert der vier gleichberechtigten Stimmen beendet, das der Wechsel der Perspektive im Vorgängerroman erzeugt hatte. Jetzt versetzt sich die Erzählerin nur mehr in die Innenwelten zweier Figuren und lässt die beiden anderen in Begegnungen und Gesprächen dazustoßen. Carolien, die ihr offenbar am nächsten ist (auch Enquist spielt Cello in einem privaten Streichquartett), verfällt in eine Depression an der Grenze zur Hoffnungslosigkeit, sorgt sich jedoch um die übrigen drei, ist bemüht um Kontakt und Verständigung.
Jochem verhält sich zwanghaft bis paranoid, baut Haus und Werkstatt zum Hochsicherheitstrakt um und will sich nicht damit abfinden, dass nichts mehr so ist wie früher. Hugo, dessen Job in Amsterdam weggespart wurde, sucht sein Heil in Zukunftsvisionen und lebt seinen rastlosen Aktionismus bei kulturpädagogischen Projekten in China aus. Heleen, von Schuldgefühlen geplagt, bricht jede Verbindung zu den Freunden ab und flüchtet sich in eine neue, extracoole und rational abgepufferte Identität als Fitnesstrainerin.
Bemerkenswert ist, dass diese vier Arten, auf das Erlebte zu reagieren, ziemlich genau den vier Persönlichkeitstypen entsprechen, wie sie ein etwas in die Jahre gekommener, aber keineswegs veralteter Klassiker der psychoanalytischen Literatur charakterisiert, nämlich Fritz Riemanns „Grundformen der Angst“ aus dem Jahr 1961.
Anna Enquists Kunst besteht darin, das verblüffend passgenaue Schema in eine warmherzige, aber unsentimentale Erzählung zu kleiden, in der die Figuren trotz allem Raum haben, sich zu verändern. Carolien, die zunächst allen Lebensmut verloren hat, macht die deutlichste Entwicklung durch: Sie reist nach China, erlebt eine Liebesaffäre und findet eine neue Aufgabe. Aber auch bei den anderen gerät einiges in Bewegung. Anlässlich der Gerichtsverhandlung über das Verbrechen treffen die vier erstmals wieder zusammen und beginnen, sich einander zu öffnen. Am Ende zeichnet sich Hoffnung ab, wenn schon nicht für das Quartettspiel, so doch für die Freundschaft dieser nicht mehr jungen Menschen.
Und die ist, wie die Autorin suggeriert, das Wichtigste. „Bleib bei uns, denn es will Abend werden“ lautet die Stelle aus dem Lukasevangelium, die der deutsche Buchtitel zitiert, und man denkt dabei sogleich an Bachs gleichnamige Kantate mit ihrer wunderbar tröstlichen Eingangssarabande. Der Originaltitel „Want de avond“ ist ein Splitter aus dem niederländischen Text der englischen Chorhymne „Abide with me“, die einer romantischen, ungleich pathetischeren Klangwelt entstammt, aber ähnliche Empfindungen auslösen kann: Trost und Linderung für unsere Verletzungen werden uns am ehesten dort zuteil, wo wir die eigene Isolation überwinden und uns in Gemeinschaft begeben. Diese Erkenntnis ist der Grundton, der im neuen, unaufdringlich berührenden Roman von Anna Enquist die Musik macht.
Kann man nach einem solchen
Ereignis wieder ins
normale Leben zurückfinden?
Trost und Linderung werden
einem am ehesten
in der Gemeinschaft zuteil
Die niederländische Psychoanalytikerin und Schriftstellerin Anna Enquist.
Foto: Brigitte Friedrich 
Anna Enquist: Denn es will Abend werden. Roman. Aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers. Luchterhand Literaturverlag, München 2019. 286 Seiten, 22 Euro.
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»Mit viel psychologischem Feingespür lotet Anna Enquist ihre Figuren aus und erzählt eine spannende Geschichte, die sich von Hoffnungslosigkeit zu hoffnungsvollem Neubeginn bewegt.« Psychologie bringt dich weiter