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Politik, sagt Alexander Kluge, ist ein besonderer Aggregatzustand alltäglicher Gefühle. Sie ist überall. Sie bewegt private Lebensläufe ebenso wie die Öffentlichkeit. Und so behaupten sich in seiner Geschichtsschreibung neben den Großen auch die Kleinen, Unbekannten, fast Namenlosen. Von Max Weber stammt der berühmte Satz, die Politik sei »ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich«. Von ihm ausgehend, untersucht Kluge in 133 Geschichten jene Werkzeuge, die politisch agierenden Menschen im harten Kampf um die Macht zur Verfügung stehen. Für…mehr

Produktbeschreibung
Politik, sagt Alexander Kluge, ist ein besonderer Aggregatzustand alltäglicher Gefühle. Sie ist überall. Sie bewegt private Lebensläufe ebenso wie die Öffentlichkeit. Und so behaupten sich in seiner Geschichtsschreibung neben den Großen auch die Kleinen, Unbekannten, fast Namenlosen. Von Max Weber stammt der berühmte Satz, die Politik sei »ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich«. Von ihm ausgehend, untersucht Kluge in 133 Geschichten jene Werkzeuge, die politisch agierenden Menschen im harten Kampf um die Macht zur Verfügung stehen. Für intelligente Zähigkeit als Voraussetzung politischer Veränderung ist Max Webers Bohrer gewiss ein geeignetes Bild. Was ist aber ein Hammer im politischen Geschäft? Was heißt »Feingriff«? Und zuletzt führen alle Fragen auf die eine: Was ist dieses »Politische« überhaupt?
Autorenporträt
Kluge, AlexanderAlexander Kluge, geboren 1932 in Halberstadt, ist Jurist, Autor, Filme- und Ausstellungsmacher; aber: »Mein Hauptwerk sind meine Bücher.« Für sein Werk erhielt er viele Preise, darunter den Georg-Büchner-Preis und den Theodor-W.-Adorno-Preis, Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf und 2019 den Klopstock-Preis der Stadt Halberstadt.»Ich bin und bleibe in erster Linie ein Buchautor, auch wenn ich Filme hergestellt habe oder Fernsehmagazine. Das liegt daran, daß Bücher Geduld haben und warten können, da das Wort die einzige Aufbewahrungsform menschlicher Erfahrung darstellt, die von der Zeit unabhängig ist und nicht in den Lebensläufen einzelner Menschen eingekerkert bleibt. Die Bücher sind ein großzügiges Medium und ich trauere noch heute, wenn ich daran denke, daß die Bibliothek in Alexandria verbrannte. Ich fühle in mir eine spontane Lust, die Bücher neu zu schreiben, die damals untergingen.«Alexander Kluge (Dankesrede zum Heinrich-Böll-Preis, 1993)
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.12.2012

NEUE TASCHENBÜCHER
Kluge spricht
vom Ohrenmaß
Souffleur will er sein, nicht Schauspieler, auf der Bühne. Lieber von der Seite einsagen, in Textsammlungen, TV-Sendungen, DVD-Kompilationen, als die Blicke der Leser auf sich ziehen. Alexander Kluge misstraut dem Augenmaß, in seinem Band „Das Bohren harter Bretter“ zitiert er den Ophtalmologen Konrad Winkler – die Augen seien „extrem täuschbar, weil gierig; auch seien sie leicht durch Schrecken zu beeindrucken. An wichtigen Wendepunkten des Schicksals würden sie blind.“ Besser als Gleichgewichtsorgan wäre das Ohr. „Niemand aber spricht vom OHRENMASS.“ Historische Wendepunkte packt Kluge im Detail, wo sie absurd wirken, aber absolut logisch. Ezra Pound in der Falle, der Duce als Gehängter des Tarot, Hitler mit seinem Berchtesgaden-System, Napoleons Inszenierungen der Macht, inklusive der von Stanley Kubrick – geplanter Drehbeginn August 1969. Michel Serres stellt die elementare Klima-Rechtsfrage: „Die Ozeane nämlich besitzen, so sprach er sich in Feuer, ein Recht auf Unverletzbarkeit, und dieses Recht hat Verfassungsrang. Ja, es gibt kein Menschenrecht ohne Respektierung der Naturrechte auf dem Planeten.“ 
FRITZ GÖTTLER
    
Alexander Kluge:
Das Bohren harter Bretter. 133 politische Geschichten. Suhrkamp Verlag,
Berlin 2012. 336 Seiten, 10,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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»Kleine Geschichten mit einer Aura von Bedeutsamkeit zu erzählen. So wurde er zu einem Denker des Sozialen und der Historie von ganz eigener Art.« Eberhard Falcke DIE ZEIT 20110630

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.04.2011

Die Reparatur der Welt
Es gibt immer einen dritten Weg: Alexander Kluges 133 Geschichten gegen die scheinbare Alternativlosigkeit der Politik

Man kann diese Geschichte zum Beispiel mit einem Tretauto beginnen. Der kleine Ich-Erzähler, nennen wir ihn für den Moment Alexander Kluge, hatte es zum Geburtstag geschenkt bekommen. Er fuhr damit durch seine Welt, bis er es eines Abends kaputtgefahren hatte. Unglück, Trauer, Bestürzung - womit jetzt auf rasende Fahrt? Die Kinderfrau bemerkte die Verzweiflung und riet dem kleinen Bruchpiloten, den Wagen über Nacht im Schuppen zu parken: "Vielleicht erholt es sich, wenn es schläft." Am nächsten Morgen war der Wagen wieder fahrbereit. Wahrscheinlich, so vermutet Kluge heute, hatte ihn der Mann der Hauswartsfrau über Nacht repariert. Ein Lebens-Erlebnis: "Noch heute hoffe ich, wenn ich die Lösung eines Problems vertage, auf ein solches Übernachtwunder", schreibt der 79-jährige Kluge in seinem neuen Buch "Das Bohren harter Bretter. 133 politische Geschichten".

Nun ist an dem reparierten Wagen des rasenden Alex noch nicht allzu viel Politisches zu entdecken, aber niemand springt so souverän wie Kluge von Persönlichem zum Weltereignis, von Wahrheit zum Gleichnis, von Fiktion zu sogenannter Wirklichkeit. In Kluges Welt trennt den Tretautofahrer von Napoleon und der amerikanischen Verfassung nur ein Punkt. "Das ist das ,Prinzip Überraschung', das Napoleon als seinen Verfassungsgrundsatz bezeichnet hat", fügt er also hinzu, kommt zum Menschenrecht des "pursuit of happiness" und fügt die Behauptung an, Napoleons Schlachten und seine Feste in den Tuilerien seien in der Zinnsoldatenproduktion noch heute eines der häufigsten Themen, "wegen dieses Versprechens auf Reparatur der Welt". Einmal vom Kinderzimmer in die Weltgeschichte und zurück. Dafür braucht Kluge nur sechzehn Zeilen. Dabei ist das verwunderlichste vielleicht, dass man sich als Leser gar nicht fragt, ob es jetzt also schon Forschungsergebnisse über die Motivation einzelner Zinnsoldatenkäufer gibt, sondern dass die Erzählkraft Kluges in diesem neuen Buch offenbar so überwältigend ist, dass man sich so naheliegende Fragen gar nicht stellt.

Das konnte man schon im letzten Oktober auf dem Kritiker-Empfang des Suhrkamp-Verlages während der Frankfurter Buchmesse erleben, als Alexander Kluge von seiner Verwunderung darüber sprach, dass die deutsche Literatur, ja die Literatur überhaupt, das Feld der Politik, der Katastrophen, der ganzen dramatischen Gegenwart so gänzlich aus dem Blick verliere. Und wie er dann zu reden begann, über die verschütteten Bergleute in Chile, Angela Merkels Handy, die brennende Ölplattform vor der Küste Amerikas, Sarkozys Beraterstab, da hörte man einen geborenen Erzähler, der sich so souverän in der Welt seiner Stoffe bewegt wie einst ein Friedrich Dürrenmatt. Mit diesem teilt Kluge die Faszination für Apokalypsen und Weltexplosionen aller Art, doch zieht er sich nicht wie dieser in seinen späten Jahren in Sphären erdentrückter Sternenbeobachtung zurück. Sondern Kluge richtet den Blick auf die Handelnden inmitten der Strudel - einen Berater in Entführungsfällen in Ostafrika, einen Arbeitszeitmesser im Kanzleramt, die politischen Beamten, die weltpolitische Gipfel vorbereiten, einen Gutachter, der die Ursachen für die explodierende Ölplattform erforscht, vor allem aber natürlich die Politiker selbst. Der Erzähler Kluge ist dabei, wenn der einstige Kronprinz Wolfgang Clement sich mit seinem Ziehvater Johannes Rau überwirft, wenn Angela Merkel mit Barack Obama über die Auswirkungen der Finanzkrise telefoniert, wenn Friedrich Sieburg dem Staatschef Pétain einen halbwegs würdevollen Abgang verschafft und wenn Helmut Schmidt Jimmy Carter, der sich zwischen zwei fatalen Entscheidungsmöglichkeiten wähnt, im Weißen Haus kühl belehrt: "Es gibt stets etwas drittes."

Das ist die Kluge-Überzeugung, die fast allen Geschichten zugrunde liegt. Es gibt immer eine Alternative. Die politischen Möglichkeiten sind immer größer, als man denkt. Den Glauben an die Macht der Politik hat der Erzähler Kluge auch während der letzten Finanzkrise, als das Wort "alternativlos" alles politische Denken bedrohte, nicht verloren. Im Gegenteil sind es gerade die Momente der scheinbaren Ohnmacht der Politik, die den Erzähler Kluge reizen. Das scheinbar nicht zu schließende Bohrloch im Golf von Mexiko etwa und der zaudernde amerikanische Präsident: "Den Ingenieuren von BP und der Firma selbst traute er sowenig wie seinen Stäben. Er traute angesichts der Katastrophe überhaupt niemandem. Er konstatierte ,Ohnmacht der Politik'. Wie sollte er davon in einer Pressekonferenz sprechen?"

Doch es wird eine Lösung geben. Eine Alternative zum Schweigen.

Immer wenn es richtig heikel wird in diesem Buch und in der Weltgeschichte, wendet sich der Erzähler an Jürgen Habermas. Er ist das Katastrophenpendel, Geigerzähler des Geistes für Kluge, und wenn es nach dem dramatischen Wochenende im letzten Mai, als die Finanzmarktwelt am Abgrund stand, über Habermas heißt: "Er ist voller Sorge", dann bebt die Erzählerstimme: "Der dünne Firnis an zivilisatorischer Überlieferung, einer durchsichtig werdenden Eisdecke vergleichbar, unter der sich der grausame Zug der Realitäten bewegt!" Selbst ein Habermas beginnt in diesen Tagen scheinbarer Alternativlosigkeit einen Nachruf auf das Politische zu schreiben. Doch gerade dann geht es weiter: "Wenn es den Anschein hat, daß eine Politik verschwindet oder sich verbirgt, entsteht an dieser Stelle etwas Neues. Das Politische selbst ist ein Phönix. Das Politische kann, wo Menschen leben, nicht verschwinden", lässt Kluge seinen Habermas schreiben und lässt dabei offen, was an diesem Mann und was an seinem Text Fiktion und was Wirklichkeit ist. Sein Habermas dort in Starnberg wirkt jedenfalls höchst lebendig, höchst plausibel.

Alexander Kluge hat in Zeiten, in denen mit überwältigender Macht deutlich wird, dass Politik niemals alternativlos ist, das Buch der Stunde geschrieben. Ein Buch, das die Politik als erzählerisches Ereignis wiederentdeckt. Als am letzten Sonntag das wenige Monate zuvor höchst unwahrscheinliche Wahlergebnis in Baden-Württemberg Wirklichkeit geworden war, zitierte der Wahlsieger Winfried Kretschmann aus Max Webers Vortrag "Politik als Beruf", es sei "ein gutes Gefühl, wenn man mit dem Bohrer endlich durchs harte, dicke Brett ist".

Von diesem guten Gefühl berichtet dieses Buch in 133 Varianten. Es wird von der Hoffnung getragen, dass der kleine Tretwagen am nächsten Morgen immer wieder zum Fahren bereit ist.

VOLKER WEIDERMANN

Alexander Kluge: "Das Bohren harter Bretter. 133 politische Geschichten". Suhrkamp, 330 Seiten, 24,90 Euro

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Sven Hanuschek schätzt Alexander Kluges neues Buch mit 133 Geschichten zur Politik als eine "Wundertüte über Politik und ihre Metaphern". Das Buch bietet in seinen Augen die "vertraute Kluge-Mischung": da finden sich Neugierde und Assoziationen, erfundene Dokumente und abseitiges Wissen, Überlegungen über Gefühle in der Politik, philosophische Gedanken und anschaulichen Geschichten von fiktiven und authentischen Figuren. Metaphern und Begriffe wie Vollblutpolitiker, Augenmaß und Instinkt werden nach Hanuschek vom Autor kritisch und spöttisch auseinander genommen. Er hebt hervor, dass es Kluge letztlich aber nicht um einige Politiker geht, sondern um das Große Ganze. Sein Fazit: eine "Trost-Fibel, voller Optimismus über die Widerstandskraft menschlichen Eigensinns".

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