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Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon wurde auch die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU gestärkt. Der Reformvertrag lässt nicht nur den Aufbau neuer europäischer Organe zu, sondern gestaltet die Durchführung künftiger Missionen flexibler. Brüsseler Gesuchen zur Teilnahme an den gemeinsamen Strukturen und Einsätzen wird sich die Bundesregierung auch in Zukunft nicht verschließen können. Diese Arbeit beantwortet die Frage, ob die Verwendung der Bundeswehr in diesem Rahmen verfassungskonform ist.Zunächst untersucht der Autor die wehrverfassungsrechtlichen…mehr

Produktbeschreibung
Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon wurde auch die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU gestärkt. Der Reformvertrag lässt nicht nur den Aufbau neuer europäischer Organe zu, sondern gestaltet die Durchführung künftiger Missionen flexibler. Brüsseler Gesuchen zur Teilnahme an den gemeinsamen Strukturen und Einsätzen wird sich die Bundesregierung auch in Zukunft nicht verschließen können. Diese Arbeit beantwortet die Frage, ob die Verwendung der Bundeswehr in diesem Rahmen verfassungskonform ist.Zunächst untersucht der Autor die wehrverfassungsrechtlichen Vorschriften des Grundgesetzes und ihre Interpretation durch das Streitkräfteurteil von 1994. Anschließend werden die verteidigungspolitischen Regeln des Reformvertrags von Lissabon analysiert. Hierzu wird auch die erneuerte institutionelle Architektur der EU dargestellt. Das dritte Kapitel wertet die Ergebnisse der bisherigen Untersuchung auf die konkrete Fragestellung der Arbeit aus. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Lissabon-Urteil wird jeweils kritisch diskutiert. Im Ergebnis gelingt dem Autor der Nachweis, dass der Einsatz der Bundeswehr im Rahmen von EU-Militäreinsätzen mit dem Grundgesetz vereinbar ist.Die Studie richtet sich vor allem an Verfassungsjuristen und Europarechtler.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.03.2010

Deutsche Verteidigung
Wie weit darf der Einsatz für Europa gehen?

Seit einigen Jahren baut die Europäische Union eigene militärische Strukturen auf; seit 2003 führt sie weltweit in eigener Verantwortung militärische Aktionen und Operationen durch, wie etwa vor der Küste Somalias am Horn von Afrika (Operation Atlanta). Die rechtliche Grundlage solcher Militäreinsätze bilden die Vorschriften des EU-Vertrages über die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Diese Politik soll der EU eine auf zivile und militärische Mittel gestützte Operationsfähigkeit sichern, auf die sie bei Missionen außerhalb der Union zur Friedenssicherung, Konfliktverhütung und Stärkung der internationalen Sicherheit zurückgreifen kann. Gegenstand der Missionen ist die Erfüllung der sogenannten Petersberg-Aufgaben, die von humanitären und Rettungseinsätzen bis hin zu Kampfeinsätzen im Rahmen der Krisenbewältigung reichen. Die Mitgliedstaaten stellen der Union ihrerseits zivile und militärische Fähigkeiten für die Umsetzung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zur Verfügung, in deren Rahmen schrittweise eine gemeinsame Verteidigungspolitik festgelegt und die auf längere Sicht zu einer gemeinsamen Verteidigung führen soll.

Ist die Beteiligung der Bundesrepublik an einer derartigen Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik verfassungsrechtlich zulässig? Wo verlaufen auf diesem besonders souveränitätssensiblen Feld die Grenzen der Integrationsbereitschaft des deutschen Staates? Diesen Fragen widmet sich die lesenswerte, aber nicht immer überzeugende Untersuchung von Ingo Fährmann. Verfassungsrechtliche Schlüsselnorm hinsichtlich des Einsatzes deutscher Streitkräfte ist der im Zuge der zweiten Wehrnovelle des Grundgesetzes eingefügte Artikel 87a Grundgesetz. Die Bundeswehr darf danach grundsätzlich nur zur Verteidigung, zu anderen Zwecken nur eingesetzt werden, soweit das Grundgesetz dies ausdrücklich zulässt. Fährmann plädiert für eine einengende Interpretation des Begriffs der Verteidigung, unter den die Erfüllung der Petersberg-Aufgaben nicht fallen soll.

Angesichts des allzu großzügigen Umgangs der Politik mit dem Begriff der Verteidigung - man denke nur an: "Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt" (Peter Struck) - mag dieser restriktive Ansatz auf den ersten Blick sympathisch erscheinen. Doch überzeugt er in der Sache nicht. Mit dem Begriff der Verteidigung im Sinne des Artikels 87a ist den Streitkräften vielmehr die Gesamtaufgabe militärischer Friedenssicherung übertragen worden, ohne Selbstbeschränkung bei der Inanspruchnahme der Befugnis militärischer Gewaltanwendung über die sich aus dem Völkerrecht ergebenden Grenzen hinaus.

Seine gegenteilige Ansicht führt Fährmann in allergrößte Schwierigkeiten, aus denen er sich nur mit dogmatischen Klimmzügen befreien kann. Denn eine ausdrücklich verfassungsrechtliche Ermächtigung zu Militäreinsätzen im Rahmen der Gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik findet sich nirgends im Grundgesetz. Der Europaartikel 23 schweigt sich dazu aus, könnte allenfalls als implizite Ermächtigung gedeutet werden. Der Verfasser will sich mit einer europafreundlichen teleologischen Reduktion des Ausdrücklichkeitserfordernisses des Artikels 87a Absatz 2 beziehungsweise einer ungeschriebenen Modifikation desselben in Ausnahme von Artikel 79 Absatz 1 behelfen - beides gewagte Konstruktionen, die den Schleichweg zu einer impliziten Aufhebung der Forderung nach expliziter Befugniserteilung ebnen sollen. Letztlich genügt dem Verfasser eine europarechtliche statt einer verfassungsrechtlichen Ermächtigung.

Solange keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Abstellung von Streitkräften für militärische EU-Missionen oder eine unmittelbare Zugriffsbefugnis der Union auf mitgliedstaatliche Streitkräfte besteht, kann der nach dem Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts unverzichtbare wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt für jeden bewaffneten Einsatz deutscher Streitkräfte uneingeschränkt zur Geltung gebracht werden. Die von Karlsruhe angenommene Vereinbarkeit dieses Vorbehalts mit der rechtlich bindenden, auch militärischen Beistandspflicht nach Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrags ist dagegen schon zweifelhaft. Für die Schaffung einer integrierten europäischen Streitmacht, wie sie im Rahmen der gescheiterten EVG schon einmal vorgesehen war, wäre jedenfalls eine vorherige Vertragsänderung notwendig. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen solch konsequente militärische Integration bestehen nach Ansicht von Fährmann nicht, sofern sie nur mit einer entsprechenden Stärkung der demokratischen Legitimation der Union einhergeht. Anders urteilt das Bundesverfassungsgericht: Die Bundesrepublik dürfe sich an einer solchen Vertragsänderung von Verfassung wegen nicht beteiligen. Hört genau hier die Integrationsbereitschaft Deutschlands um der Demokratie und der staatlichen Souveränität willen auf? Eine offene Frage.

CHRISTIAN HILLGRUBER

Ingo Fährmann: Die Bundeswehr im Einsatz für Europa. Nomos Verlag, Baden-Baden 2010. 298 S., 72,- [Euro].

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