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Am 22. September 2013 nahmen die Bürger in ganz Deutschland zum siebten Mal an einer Bundestagswahl teil. Die Absicht der Herausgeber war es, einen Band vorzulegen, der nicht nur eine "Bilanz der Bundestagswahl" im engeren Sinne bietet. Dem Untertitel "Voraussetzungen, Ergebnisse, Folgen" soll vielmehr ausreichend Rechnung getragen werden. Deutschland ist eine Koalitionsdemokratie. Besonders die Frage der Koalitionskonstellationen und -optionen nimmt daher einen breiten Raum ein. Der erste Komplex zielt auf die Analyse des Wahlverhaltens, der zweite gibt einen systematisch angeordneten…mehr

Produktbeschreibung
Am 22. September 2013 nahmen die Bürger in ganz Deutschland zum siebten Mal an einer Bundestagswahl teil. Die Absicht der Herausgeber war es, einen Band vorzulegen, der nicht nur eine "Bilanz der Bundestagswahl" im engeren Sinne bietet. Dem Untertitel "Voraussetzungen, Ergebnisse, Folgen" soll vielmehr ausreichend Rechnung getragen werden. Deutschland ist eine Koalitionsdemokratie. Besonders die Frage der Koalitionskonstellationen und -optionen nimmt daher einen breiten Raum ein. Der erste Komplex zielt auf die Analyse des Wahlverhaltens, der zweite gibt einen systematisch angeordneten Überblick zu den Parteien, der dritte betrifft das politische Umfeld der Bundestagswahl. Der vierte Teil widmet sich zentralen Politikfeldern, der fünfte dem internationalen Vergleich. Auf diese Weise erhält der Leser einen instruktiven Einblick in das Geschehen rund um die Bundestagswahl. Es handelt sich um die erste Studie zur Bundestagswahl 2013.
Autorenporträt
Eckhard Jesse: Jahrgang 1948, Dr. phil. habil., seit 1993 Professor für Politikwissenschaft an der Technischen Universität Chemnitz (Lehrstuhl für "Politische Systeme, politische Institutionen"); seit 1989 Herausgeber des Jahrbuchs Extremismus und Demokratie (mit Uwe Backes); zahlreiche Veröffentlichungen, u.a. zur Demokratie der Bundesrepublik Deutschland, zu Totalitarismus im 20. Jahrhundert und Extremismus in der Bundesrepublik

Prof. Dr. Roland Sturm forscht und lehrt am Institut für Politische Wissenschaft der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Er ist geschäftsführender Vorstand des Zentralinstituts für Regionenforschung, das ebenfalls an der Universität Erlangen-Nürnberg angesiedelt ist.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.06.2015

Wenn sich die Empörer verweigern
Eine nicht ganz vollständige Bilanz der Bundestagswahl des Jahres 2013

Das Beste kommt zum Schluss. Nach 650 Seiten empiriegesättigter Erörterungen aller Facetten der vergangenen Bundestagswahl schließt der Dresdener Politikwissenschaftler Werner Patzelt mit einem Tusch: Wofür gehen wir noch wählen? Leben wir schon in der "Postdemokratie", die Colin Crouch beschrieben hat? Patzelt beantwortet diese und ähnlich elementare Fragen mit überzeugenden Standortbestimmungen. Dem Überdruss an der Vorherrschaft von Interessengruppen tritt er mit einem Plädoyer für die "Konkordanzdemokratie" entgegen. Das Aushandeln von Kompromissen, mit denen alle Beteiligten leben könnten, sei seit dem Westfälischen Frieden ein Wesensmerkmal der deutschen politischen Kultur. Auch die Wähler hätten dieses Prinzip so weit verinnerlicht, dass sie parteipolitische Instrumentalisierung von Bundestags- oder Bundesratsmehrheiten regelmäßig bestraften.

Aber auch die Konsensdemokratie funktioniert nicht, wenn die Gewählten allfällige Grundsatzdiskussionen scheuen, der Exekutive das Handeln überlassen und sich auf die Abwehr außerparlamentarischer Konkurrenz kaprizieren. Das, so Patzelt, sei im Vorfeld der vergangenen Bundestagswahl geschehen. Dem Bundestag habe der Wille gefehlt, der Euro-Rettungspolitik durch Klärung von Grundsatzfragen eine anwendbare Richtschnur zu geben. In der Ausgrenzung der "Alternative für Deutschland", die der "Alternativlosigkeit" des Regierungshandelns etwas entgegensetzte, sieht Patzelt den Versuch, die Wähler postdemokratisch "ruhigzustellen". Gelungen sei das aber nicht. "Auch im Herbst 2013 wurde offensichtlich, dass Wahlen Folgenreiches bewirken können", zum Beispiel einen Machtwechsel, die Entfernung der FDP aus dem Parlament und die unsanfte Landung der Grünen aus der Höhe ihres linken Bewusstseins auf dem Boden ihrer bürgerlichen (Wähler-)Existenz.

In den vorausgehenden 29 Beiträgen dieses Sammelbands wird die Fülle des Datenmaterials aufgearbeitet, das bei der wissenschaftlichen Begleitung politischer Großereignisse anfällt, oder es werden besondere Aspekte wie Wahlkampfstrategien, die Selbstfindungsprozesse der Volksparteien und der Umgang mit dem Bundeswahlgesetz analysiert. Warum die SPD wieder nur mäßig abgeschnitten und die Grünen ihre Chance verpasst haben, wird nach Art von Manöverkritiken abgehandelt. Bei den einen war es das Auseinanderfallen von Personen und Programm, Image und realer Politik; bei den anderen das Festhalten an der zunehmend unrealistisch werdenden Option Rot-Grün in Verbindung mit bürgerliche Wähler abschreckenden Steuerplänen.

Während die Parteien alle digitalen und analogen Register zogen, um die Wähler zu animieren, hätten die Medien den Wahlkampf teils gähnend, teils skandalisierend begleitet, schreiben Karl-Rudolf Korte und Matthias Bianchi. Weder Internetkampagnen noch verstärktes "Klinkenputzen" habe die Wähler beeindruckt, aber auch "die Medien" hätten die Wahl nicht entschieden. Den Autoren fällt eine gewisse "Empörungsverweigerung" der Bevölkerung gegenüber "immer neuen Skandalisierungen" auf. Die Kurzatmigkeit der Berichterstattung habe dazu geführt, dass dem Wahlkampf "ein zentrales Thema" gefehlt habe.

Was nicht heißt, dass es keine Diskussionen gegeben hätte. Drei Dauerthemen sind jeweils eigene Beiträge gewidmet: der Energiewende, der Europa- und der Familienpolitik. Im ersten Fall hat vor allem die Union durch geschmeidige Anpassung dafür gesorgt, dass daraus kein Wahlkampfthema wurde. In der Europapolitik haben alle Parteien die Ausgrenzung der AfD mitgemacht. Trotzdem - oder gerade deshalb - sei "Europa" erstmals doch wahlrelevant geworden, meint Roland Sturm. In der Familienpolitik, einem hochgradig ideologisch besetzten Thema, gilt seit der vorigen großen Koalition ein grundsätzlicher All-Parteien-Konsens: die Neuausrichtung auf ökonomische Ziele. "Familien gelten als Ressource sowohl für den Arbeitsmarkt als auch für die Wissensgesellschaft", schreibt Ursula Mönch. An der strukturellen Rücksichtslosigkeit der Gesellschaft gegenüber der Familie habe sich dadurch aber nichts geändert. Ideologisch weitergekämpft werde an einzelnen Baustellen wie dem Betreuungsgeld, wobei die Fronten quer durch die Parteien verliefen.

Auf allen drei Gebieten, die hier herausgegriffen wurden, findet Opposition praktisch nicht statt. Parlamentarischer Konsens ist, dass es mehr erneuerbare Energie, mehr Europa, mehr Frauen auf dem Arbeitsmarkt geben soll. Gestritten wird um Wege zu diesen Zielen, um Kostenfragen und um das Tempo von Reformen. Statt Grundsatzdebatten werden Schaukämpfe geführt, die lediglich der Profilierung dienen. So aber ist die Konsensdemokratie, die Patzelt verteidigt, gerade nicht gemeint. Denn wenn sich relevante Minderheiten weder im Parlament noch in den Medien vertreten fühlen, nähern wir uns doch Verhältnissen, die als Postdemokratie beschrieben werden. In den dreißig hier angezeigten Aufsätzen wird dieser Umstand zwar bisweilen gestreift, aber nicht wirklich behandelt. Und noch etwas fehlt: ein Beitrag über die Nichtwähler. Ein genauerer Blick auf diese Klientel hätte vielleicht sogar eine Erscheinung wie "Pegida" kommen sehen.

STEFAN DIETRICH

Eckhard Jesse/ Roland Sturm (Herausgeber): Bilanz der Bundestagswahl 2013. Voraussetzungen, Ergebnisse, Folgen. Nomos Verlag, Baden-Baden 2014. 718 S., 129,- [Euro].

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