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Zunehmend verstummend liest man den Roman zu Ende, wie in einen Sog gezogen, unfassbar, hilflos. So, als "ob ich in meinem Inneren...einen Türspalt zum Wahnsinn öffnete." Die Handlung ist grausam und kurz erzählt: irgendwo, wo auch immer, bricht ein Bürgerkrieg aus. Der Erzähler, ein namenloser, verlobter Literaturstudent wird zur Miliz eingezogen. Gemeinsam mit seiner Einheit muss er an 'Säuberungsaktionen' teilnehmen. Der Kommandant übernimmt die Schulung der Neuangekommenen. Auf subtile Weise und mit infamen Mitteln werden den jungen Männern Begriffe wie Scham, Gewissen, Ehre und Wahrheit…mehr

Produktbeschreibung
Zunehmend verstummend liest man den Roman zu Ende, wie in einen Sog gezogen, unfassbar, hilflos. So, als "ob ich in meinem Inneren...einen Türspalt zum Wahnsinn öffnete."
Die Handlung ist grausam und kurz erzählt: irgendwo, wo auch immer, bricht ein Bürgerkrieg aus. Der Erzähler, ein namenloser, verlobter Literaturstudent wird zur Miliz eingezogen. Gemeinsam mit seiner Einheit muss er an 'Säuberungsaktionen' teilnehmen. Der Kommandant übernimmt die Schulung der Neuangekommenen. Auf subtile Weise und mit infamen Mitteln werden den jungen Männern Begriffe wie Scham, Gewissen, Ehre und Wahrheit genommen, herausoperiert, amputiert. Aber Phantomschmerzen bleiben für ein ganzes Leben. Minutiös, keine versteckte Gefühlsregung vernachlässigend, keinen intimen Gedanken übersehend, verzweifelt, wie nicht aufhören könnend, aber äußerst behutsam seziert Jens- Martin Eriksen die innere Wandlung eines jungen Mannes. Eines jungen Mannes, der einen 'langen und unerträglichen Alptraum' hat, der mi
Autorenporträt
Jens-Martin Eriksen, 1955 in Aalborg geboren, lebt als freier Autor in Kopenhagen. Für seine Romane, Erzählungen und Theaterstücke wurde er mehrfach ausgezeichnet. Er ist u.a. Preisträger des Staatlichen Kunstfonds, der Adam-Oehlenschläger-Stiftung sowie der Gyldendal-Stiftung. Seine Werke wurden in mehrere Sprachen übersetzt.
Rezensionen
"Winter im Morgengrauen ist eine eindringliche, beklemmende Erzählung über die Anatomie des Bösen und dessen zugleich menschliches Gesicht." (Neue Zürcher Zeitung)

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.12.2002

Töte an einem anderen Tag
Innerer Fremdenverkehr: Jens-Martin Eriksens Dämonologie

Zu den irritierendsten Erfahrungen, die wir in einer schützenden Blase bürgerlicher Sicherheit lebenden Mitteleuropäer machen können, gehört die Begegnung mit Personen, für die ein Menschenleben wenig zählt - und wenn es das eigene ist. Wer Gevatter Tod zu seiner engeren Verwandtschaft zählt, sei es als Soldat oder Polizist, sei es durch seine Herkunft aus einem bestimmten Milieu, der erschüttert unsere Gewißheit, daß beim Töten zwischen Gedanken und Tat ein weiter, durch zahlreiche Schranken und Instanzen blockierter Weg liege, den wir selbst nie und nimmer durchschreiten könnten. Dieses Erschrecken über das dunkle Potential in der Seele eines jeden Menschen mag auch den dänischen Schriftsteller Jens-Martin Eriksen zu seinen Versuchsanordnungen getrieben haben. In diesem Jahr sind im jungen Münchner Liebeskind Verlag, der sich mit einem kleinen, aber interessanten Programm profiliert, gleich zwei Bücher des 1955 geborenen Autors erschienen. Beide kreisen um das gleiche alte Rätsel: den Einbruch des Bösen in die Welt.

Im Vorwort zu "Winter im Morgengrauen" (im Original 1997) berichtet Eriksen von seiner zufälligen Begegnung mit dem Studenten "Z.", dessen Erzählung der Roman wiederzugeben behauptet: In einem unbestimmt bleibenden europäischen Land kommt es zu "ethnischen Säuberungen", und eine zusammengewürfelte Truppe von Zivilisten muß anstelle des regulären Militärdienstes die männliche Bevölkerung eines Landstrichs zusammentreiben und exekutieren. Der aus der Sicht eines Kriegsverbrechers in Ich-Form dargebotene Bericht vermeidet dabei jede Konkretisierung. Die Orte tragen Decknamen: Das Basislager heißt "Alabama", das Dorf "Columbus", der Wald "Kambodscha", die Hinrichtungsstätte "Perm". Auch die Kameraden werden nur mit Tarnnamen erwähnt, als könnte der Roman sonst als Beweisstück in einem Prozeß Verwendung finden. So gewinnen seine Beobachtungen Modellcharakter: Man mag an Kroatien, Bosnien oder das Kosovo denken, doch dieses Kambodscha könnte überall sein.

Die Korrumpierung dieses Häufleins Durchschnittsbürger geschieht dabei genauso systematisch wie die Mordaktionen selbst. Fast wie in einem Handbuch des Unmenschen läuft der Prozeß ab, der die Morde zu einer rein logistischen Aufgabe werden läßt, bei der es um Effektivität und Ordnung geht, während zugleich den Tätern ihre Kameradschaft als trügerische Normalität erscheint. Was Eriksens kühlen, gar nicht als Beichte, sondern eher als verwunderte Selbstanalyse vorgetragenen Bericht so spannend macht, sind die unvorhergesehenen Zwischenfälle - das plötzliche Wiedererkennen eines Jugendfreundes, die zutiefst verständliche "Überforderung" des Vorgesetzten -, die schockhaft vor Augen führen, daß Opfer wie Täter Individuen sind. Die Mörder wissen schon, daß sie nie wieder zur Normalität zurückfinden können - so weit haben sie sich von jeder menschlichen Gemeinschaft entfernt.

Die drei Erzählungen in "Jonatan Svidts Verbrechen" (2000) betrachten das gleiche Phänomen aus umgekehrter Sicht. Während im Roman eine Gemeinschaft von Männern ihren eigenen Alltag definiert, in dem es als normal gilt, das Töten Unschuldiger als Handwerk zu betreiben, erscheint hier die Störung der Normalität als Ursache tödlicher Gewalt. Gleich in der ersten Erzählung "Seth", die Claude Simons "Der Wind" anklingen läßt, bringt ein Fremder "mit leuchtenden Augen", "als sei er zu allem fähig", einen Touristenort durcheinander. Er mietet sich im Wirtshaus ein, provoziert die Stammgäste, verführt die Pfarrerstochter und legt einen aufrührerischen Leichtsinn an den Tag, den die schwerfälligen Provinzler zugleich bewundern und fürchten. Die Bekanntschaft mit Seth wird zum inneren Fremdenverkehr, zur Begegnung mit einem mythischen, vorrationalen Anderen im eigenen Ich.

Schon zu Beginn weiß man, daß Seth am Ende tot sein wird. Eriksen hält an der analytischen Form des Krimis fest, ohne doch die Aufklärung der Motive zu versprechen. Seine Texte leben von einer fast erkenntnistheoretischen Spannung, die aus der Undurchsichtigkeit menschlichen Handelns entsteht. Worin in der Titelgeschichte das Verbrechen Svidts besteht, ist eindeutig: Er hat ein Verhältnis mit der Frau eines brutalen Seemanns, den er am Ende umbringen wird. Doch was ihn schließlich zur Tat treibt, ist ebenso unklar wie die wahre Identität der schönen jungen Frau in der dritten Erzählung, die unter dem Vorwand, Schriftstellerin auf Stoffsuche zu sein, Zwietracht und Eifersucht unter ihren Hotelnachbarn sät. "Wer war Anette Støvring?"fragt schon der Titel der Erzählung, die doch wie alle Geschichten Eriksens schlicht "Was ist der Mensch?" heißen könnte. Hier ist ein Autor zu entdecken, der diese alte philosophische Frage auf ebenso spannende wie beunruhigende Weise neu stellt.

Jens-Martin Eriksen: "Winter im Morgengrauen". Roman. Aus dem Dänischen übersetzt von Jörg Scherzer. Liebeskind Verlag, München 2002. 224 S., geb., 18,90 [Euro].

Jens-Martin Eriksen: "Jonatan Svidts Verbrechen". Erzählungen. Aus dem Dänischen übersetzt von Jörg Scherzer. Liebeskind Verlag, München 2002. 260 S., geb., 19,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Ausgesprochen fasziniert sieht Rezensent Richard Kämmerlings den Roman des dänischen Schriftstellers um das "gleiche alte Rätsel" kreisen, nämlich den Einbruch des Bösen in die Welt. Eine Gruppe von Männern definiere ihren eigenen Alltag, in dem es als normal gelte, das Töten Unschuldiger als Handwerk zu betreiben. In einem unbestimmt bleibenden europäischen Land komme es zu ethnischen Säuberungen, und eine Gruppe von Zivilisten müsse die männliche Bevölkerung eines Landstriches zusammentreiben und exekutieren. Dabei vermeide der aus der Sicht eines Kriegsverbrechers dargestellte Bericht jede Konkretisierung, weshalb "dieses Kambodscha" überall sein könne. Fast wie in einem "Handbuch des Unmenschen" sieht der Rezensent die "Korrumpierung dieses Häufleins Durchschnittsbürger" ablaufen. Was Eriksens "kühle, gar nicht als Beichte, sondern eher als verwunderte Selbstanalyse vorgetragenen Bericht" für den Rezensenten so spannend macht, sind die unvorhergesehenen Zwischenfälle, wie "das plötzliche Wiedererkennen eines Jugendfreundes" unter den Opfern, die den Mördern "schockhaft" vor Augen führten, dass diese Opfer Individuen seien.

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