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In diesem Erfahrungsbericht erfährt der Leser, wie die blinde Protagonistin Anna Berührungsängste überwindet, wie sie lernt und arbeitet, was ihre Tätigkeiten sind. Stück für Stück entdeckt der Leser zusammen mit Anna die Faszination einer Sprache mit Gebärden statt mit Worten, die elementare Bedeutung der Kommunikation, erlebt eine Gemeinschaft, die von Vertrauen und gegenseitigem Verständnis geprägt ist. Zusammen mit Anna dringt der Leser tiefer in diese ihm unbekannte Lebenswelt ein, erkennt, dass diese nicht nur Tragik und Verzicht bedeutet, sondern auch voller Lachen und Lebensfreude sein…mehr

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Produktbeschreibung
In diesem Erfahrungsbericht erfährt der Leser, wie die blinde Protagonistin Anna Berührungsängste überwindet, wie sie lernt und arbeitet, was ihre Tätigkeiten sind. Stück für Stück entdeckt der Leser zusammen mit Anna die Faszination einer Sprache mit Gebärden statt mit Worten, die elementare Bedeutung der Kommunikation, erlebt eine Gemeinschaft, die von Vertrauen und gegenseitigem Verständnis geprägt ist. Zusammen mit Anna dringt der Leser tiefer in diese ihm unbekannte Lebenswelt ein, erkennt, dass diese nicht nur Tragik und Verzicht bedeutet, sondern auch voller Lachen und Lebensfreude sein kann. Der Leser begegnet Menschen, die sich den Herausforderungen ihrer Behinderung stellen und Meister ihres schwierigen Lebens werden.

Die Autorin lebt in NRW, hat dort jahrelang mit taubblinden Menschen, ihren Angehörigen und ehren amtlich Aktiven zusammengearbeitet, mit ihnen gemeinsam Projekte konzipiert und durchgeführt. Ihre Erfahrungen spiegeln sich in dem vorliegenden Be richt, der gleichermaßen informiert und emotional berührt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.03.2017

Weder hören noch sehen
Ursula Benard beschreibt das Leben von Taubblinden

Es ist ein sonniger, warmer Junitag, als eine Gruppe taubblinder Menschen in Berlin auf einem Bahnsteig steht und auf den Zug wartet, der sie zurück ins Ruhrgebiet bringen soll. Die Stimmung ist heiter, hinter den Reisenden liegt eine erlebnisreiche Woche. Plötzlich spricht ein Mann eines der Gruppenmitglieder an und bittet um Geld: "Ich sammle für die Obdachlosen, ein Euro für die Obdachlosen", sagt er, doch der Angesprochene reagiert nicht, denn er sieht den um eine Spende Bittenden weder, noch hört er ihn. Der Mann sagt: "Verdammt noch mal, blödes Schwein! Wenigstens antworten könntest du!"

Die Szene spielt in dem Buch "Wenn einem Hören und Sehen vergeht. Taubblind leben in Deutschland - ein Erfahrungsbericht" von Ursula Benard, und sie macht mit erschütternder Deutlichkeit klar, dass es sich bei Taubblindheit offenbar um eine Behinderung handelt, die die Vorstellungskraft vieler Menschen überfordert. Der weitgehende oder komplette doppelte Sinnesverlust hat etwas Monströses. Kaum oder gar nicht sehen und hören können, abgekapselt sein von der Welt mit all ihren Möglichkeiten, zum Dahinvegetieren verdammt - so muss es sein, so stellen es sich Außenstehende oft vor.

Aber so ist es nicht. Die Lebenswelt Taubblinder, schreibt Ursula Benard, bestehe nicht nur aus Tragik und Verzicht, sondern auch aus Lachen und Lebensfreude, und das zu zeigen, auch darauf kommt es Ursula Benard an. Um allerdings überhaupt erst Lebensfreude empfinden, um ein würdevolles Leben führen zu können, ist die Möglichkeit gesellschaftlicher Teilhabe zwingend - und genau diese gesellschaftliche Teilhabe ist für die hierzulande schätzungsweise achttausend Betroffenen nicht gewährleistet.

In einem bis in den kleinsten Winkel bürokratisierten System haben Taubblinde nicht einmal ein eigenes Merkzeichen im Behindertenausweis. Das ist ein Skandal. Wie dramatisch sich das Leben Taubblinder verbessert, sobald sie die Unterstützung erhalten, die sie als Ausweg aus der Isolation benötigen, nämlich persönliche Assistenz, schildert Ursula Benard eindrucksvoll. Weshalb sollten taubblinde Menschen nicht Schach am Computer spielen können? Oder Marathon laufen? Weshalb nicht segeln oder Drachenbootfahren?

Es sei zwar nicht ganz einfach, wenn man nichts hört und nichts sieht, ein Boot im Gleichtakt fortzubewegen, zumal wenn jeder an Bord über andere Sinneskanäle noch Infos aufnehmen könne, erzählt Anna, die Protagonistin des Buchs und Leiterin einer Selbsthilfegruppe von Taubblinden, aber es sei möglich: "Ich habe genügend Freiwillige zusammenbekommen und alle haben mir vertraut, dass es gutgehen wird. Ich bin der Chef im Boot und darf nicht zeigen, dass mir selbst etwas mulmig zumute ist. Über Schreien, Gebärden und mit einem Paddel ins Boot schlagen versuche ich den Rhythmus zu vermitteln und dank der anderen Assistenten an Bord klappt es auch ganz gut. Ja, und wir haben es geschafft - eine tolle Erfahrung als Team etwas zu erreichen, gemeinsam Spaß zu haben."

Niemand weiß genau, wie viele taubblinde Menschen tatsächlich in Deutschland leben, in Heimen, in die sie nicht gehören, weil das Personal dort nicht auf die Kommunikationsbedürfnisse Taubblinder eingerichtet ist, oder isoliert bei ihren Familien. So wie Erich aus Süddeutschland. Erichs Schwester wandte sich in einer verzweifelten Mail an Anna: "Mein Bruder hat, bedingt durch das schlechte Sehen, nie die Gebärdensprache gelernt. Sinnvoll sprechen kann er auch nicht, er gibt nur Laute von sich. Mein Bruder liegt fast nur noch im Bett und schlägt sich, wie meine Mutter beobachtet hat, vor Verzweiflung mit den Fäusten vor den Kopf."

Erichs Eltern sind alt und gebrechlich, die Behinderung ihres Sohnes überfordert sie heillos. Sie wissen nichts von der Existenz eines Taubblindenwerks in Hannover, nichts von Rehabilitationsmaßnahmen, Mobilitätstraining oder einem taktilen Handalphabet, dem Lormen, bei dem bestimmte Stellen und Punkte der Hand Buchstaben zugeordnet sind.

Inklusion darf nicht heißen, dass in erster Linie Stiftungen, Ehrenamtliche, geringfügig Bezahlte und Angehörige die Arbeit übernehmen. Wo bleibt ein eigenes Merkzeichen für Taubblinde? Ursula Benards wichtiges Buch erinnert uns daran, dass der Sozialstaat kein lückenloses Netz ist, der jeden, der durch ein Unglück plötzlich einer Minderheit und nicht mehr der Mehrheitsgesellschaft angehört, ganz selbstverständlich auffängt. Wir alle können irgendwann durchs Raster fallen, dafür muss man gar nicht taubblind werden.

MELANIE MÜHL

Ursula Benard: "Wenn

einem Hören und Sehen vergehen". Taubblind leben in Deutschland -

ein Erfahrungsbericht.

Buch & media, München 2017. 195 S., br., 14,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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