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Produktdetails
  • Verlag: Kremayr & Scheriau
  • Seitenzahl: 189
  • Abmessung: 240mm
  • Gewicht: 606g
  • ISBN-13: 9783218006439
  • ISBN-10: 3218006430
  • Artikelnr.: 24589062
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.1999

Die weltberühmte Schildkröte
Bernd Weikl legt einen Panzer an und singt dennoch für den Frieden

Wie schafft es ein Autor im Zeitalter der Komplexität, auf vergleichsweise wenigen Seiten zu grundlegenden Fragen der Philosophie, der Soziologie, der Welt- und Innenpolitik, der Schönen Künste, der Medizin, der Psychologie, der Ökonomie und nicht zuletzt des Singens Stellung zu nehmen? Er verfaßt mit der Autorität des internationalen Opern- und Konzertstars eine "Liebeserklärung an den Gesang" und läßt darin zugleich seine Ansichten vom Leben außerhalb der Bühne einfließen. Dieses für literarische Werke von Musikern nicht ungewöhnliche Vorgehen wird in Bernd Weikls Buch "Vom Singen und von anderen Dingen" bis zur letzten Konsequenz getrieben - Gesang erscheint hier als Königsweg zu den unterschiedlichsten Problemfeldern. Dem Verfasser geht es in seinem nunmehr fünften Buch dabei um nicht weniger als um die Straße in eine musikalisch inspirierte "menschliche Gemeinschaft in friedlicher Zukunft".

In Anbetracht der daraus entstehenden thematischen Mannigfaltigkeit drängen sich schon nach den ersten Seiten Zweifel auf, ob Weikl seinen eigenen Anspruch einlösen kann. Zunächst bleibt noch die Hoffnung, Ausflüge in die Biologie wie der Hinweis, eine optimale Stimmbildung führe "zur Vervollkommnung unserer Art", könnten sich im nachhinein nur als Irrwege der Textevolution erweisen. Mit zunehmender Lesedauer aber wächst die Gewißheit: Weikl meint es ernst mit seinem Feldzug für das Singen als Allheilmittel.

Mit Vorliebe greift der Autor dabei zu pauschalen Formulierungen, die sein Engagement für mehr statt weniger Kultur konterkarieren. Da erweist sich die steigende Kriminalitätsrate als "umgekehrt proportional zu den Sparmaßnahmen" im Kulturbereich, da wird der Mensch durch Singen vom "Negativen zum Positiven resozialisiert", da besteht schließlich ein "direkter Zusammenhang zwischen unserem gefühlvollen Gesang und einem uns Menschen adelnden Altruismus". Begründungen versucht Weikl durch anatomische Schaubilder und den Verweis auf medizinische Forschungen zu liefern. Es bestreitet ja niemand, daß die Musik von Mozart in der Musiktherapie heilsame Wirkungen hervorbringen kann - doch ist damit schon nachgewiesen, daß "harmonisierender Stimmklang und kompositorisches Melos ausgeglichen, friedlich und mitmenschlich stimmen"?

Schließlich bleibt auch Weikl nicht verborgen, daß auch böse Menschen ihre Lieder haben: "Nicht jeder Gesang aber dient dem Frieden." Solchen Vorbehalten zum Trotz stilisiert sich der gefeierte Bariton unverdrossen zu einem Beckmesser gegen alles, was in seinem Sinne nicht oder nicht richtig singen und musizieren kann. Als schwarzer Mann muß dabei "unser Computer" herhalten, dessen "lineare Logik" angeblich einen herben Verlust an inneren Werten herbeiführt.

Daß Weikls Philippika gelegentlich bizarr wirkt, hängt mit seinem eigenartig antiquierten Schreibstil zusammen, der, wo immer sich die Möglichkeit bietet, auf das vertrauliche "wir" zurückgreift und gelegentlich auch vor dem Pluralis majestatis nicht zurückschreckt. Der unbekümmerte Umgang mit den Formalien und überhaupt mit der Sprache hat freilich fast etwas Sympathisches; unwillkürlich unterläuft der Autor seinen eigenen pathetischen Ton.

In den Kapiteln über das Singen in Theorie und Praxis wie auch bei seinen Ratschlägen an die Neulinge auf dem Markt des Gesanges bekommt der Praktiker Weikl spürbar festeren Boden unter die Füße. Nützlich nicht nur für Anfänger sind die körperbezogenen Übungen, die Weikl zur Lockerung der für das Singen wichtigsten Muskeln und zur Öffnung von Klangräumen im Bereich von Kehlkopf, Brust, Rücken und Bauch empfiehlt und mit Hilfe einer beigelegten CD-Rom zusätzlich veranschaulicht. Im Zweifelsfall zielt sein Plädoyer eher auf Entspannung als auf Anspannung, eher auf Körperarbeit als auf Stimmakrobatik.

Mit ähnlicher Zurückhaltung beurteilt Weikl die heutigen Chancen einer Sängerkarriere, für deren Scheitern oder Gelingen "Millionen (unerklärlicher) ,Mikrogründe'" verantwortlich sein können. Auch beste stimmliche Voraussetzungen nützen nichts, wenn die eigene Nervosität, das Fehlen eines Beziehungsnetzes, stetig wechselnde Moden oder einfach nur die schlechte Laune des Agenten ein Vorsingen negativ beeinflussen. Nicht von ungefähr zählt Weikl einen "psychischen Schildkrötenpanzer" zu den Grundvoraussetzungen des Sängerberufes. Der Sache wie dem Ton nach dubios ist dagegen sein Postulat, daß ein Sänger "bitte besser allein" bleiben oder sich "ein dienendes, liebendes Geschöpf, das die Sorgen während der Ausbildung und späteren Praxis teilt", suchen sollte. Solcher sprachliche Ballast lastet auch auf den Ausführungen des promovierten Betriebswirtschaftlers über Marketingkonzeptionen beim Karriereaufbau.

Die insgesamt überzeugenden Gedanken zur praktischen Seite der Sängerexistenz können vom grundsätzlichen Dilemma des Werkes nur vorübergehend ablenken: Weikl gelingt es kaum, die unterschiedlichen Themen seines weitgesteckten Entwurfes plausibel zu gliedern. Irgendwo zwischen Steuererklärung und Musiktherapie, Gesellschaftsdiagnose und Stimmunterricht werden die meisten Leser wohl verlorengehen. STEFAN BRANDT

Bernd Weikl: "Vom Singen und von anderen Dingen". Ein Ratgeber für alle, die beruflich oder privat mit einer klangvollen Stimme erfolgreich sein wollen. Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 1998. 208 S., 20 Abb., geb., 47,- DM.

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